Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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Die Erhebung Preußens

B., 12. Februar 1813

Seit meinem Letzten erschien hier die Aufforderung zu Errichtung der Freiwilligen. Ein Schwindel ist sofort in die Köpfe aller jungen Leute gefahren. Alles stellt sich, alles will mit. Ich weiß nicht, was ich von der Sache denken soll. Mir gefällt sie nicht. Solange man nicht ausspricht, gegen wen es gemeint ist, bleibt es etwas Mißliches, und alle diese jungen Leute, wenn es nicht gegen den geht, dem sie gern eins anhaben möchten, werden Sottisen begehen. – Von Breslau wird geschrieben, daß General Scharnhorst wieder in Dienst getreten sei. Was das bedeutet, löst sich von selbst. Du wirst am besten wissen, was hiervon wahr oder nicht. Überhaupt arbeitet jetzt alles unter der Hand, welchem Unwesen ich nicht Beifall geben kann. – Die Franzosen trauen uns in keinerlei Art, können auch nicht, denn Bürger und Bauern geben ihnen ihren Widerwillen deutlich genug zu verstehen, was ich beiläufig nicht klug gehandelt finde. Denn gerade wir, wir haben am meisten zu fürchten, wenn der Allgewaltige mit einer neuen Heeresmacht heranzieht. –

Im Münsterschen und Bergischen hat die enorme Konskription Unruhen veranlaßt. Ebenso ist in Bayern Uneinigkeit zwischen Vater und Sohn wegen neugeforderter Truppenaushebungen. Allerwärts scheint Zunder zu glimmen. – Unter so vielen düstern Aussichten erscheint manchmal ein lustiger Einfall, ein gutes französisches Wortspiel. Der Gewaltige schilt seinen Gärtner zu St. Cloud darüber, daß die Treibhäuser in schlechtem Zustande seien. Der entschuldigt sich, »parce qu'on l'a laisse manquer de tout«. Das Ende seiner Entschuldigung aber ist: »Voilà pourquoi les lauriers sont flétris et les grenadiers gelés.«

 
B., den 21. Februar 1813

Die Geschichte von der Uneinigkeit der hiesigen Bürger mit dem französischen Militär – veranlaßt durch einige aufgegriffene Krümper, die nach Kolberg gehen sollten und bei dieser Gelegenheit ein französisches Wachkommando insultierten – hätte schlimmer werden können, wenn nicht die Polizei und Bürgergarde das Rechte getan und die Rädelsführer arretiert hätten.

Die königliche Familie, die noch hier ist, hat es sehr übelgenommen, daß man französischerseits gewillt gewesen ist, das Schloß zu einer Art von Defensionsburg zu machen. Der Minister von der Goltz hat dem Gouverneur einen derben Protest überreichen müssen. Sodann verlautet, daß auch der Magistrat dem französischen Gouverneur im Namen der Bürgerschaft erklärt habe, »da die Residenz kein Kriegsplatz wäre, so könnte auch kein Artilleriefeuer in den Straßen der Stadt geduldet werden. Der erste Kanonenschuß, der einen Bürger oder sein Eigentum beschädige, würde das Signal zur Sturmglocke sein und könne von dem Augenblick an der Magistrat für die Folgen nicht einstehen.« –

Übrigens hab ich den Schreck bewundert, den die tollkühnen Kosaken den jungen, unerfahrenen französischen Soldaten einjagten, obgleich jene wenig gefährlich sind. Ein junger Graf Schwerin, der unvorsichtig genug gewesen ist, gestern vor dem Tore zu reiten, ist in das Scharmützel hineingeraten und von einer Kugel schwer verwundet nach Hause gebracht worden. Ein paar Bürgersleute sind auch blessiert.

 
Lb., 22., morgens

Ich wollte, wir wären in Ruhe, deren wir so sehr bedürfen. Um Dir einen Begriff von dem Umfange der Aushebungen zu machen, so sag ich Dir nur, daß mir der Kutscher und drei Hofknechte samt einem Taglöhnersohn genommen sind. Wenn das aus einer Wirtschaft geschieht, so kannst Du Dir denken, wie's im Ganzen geht.

 
B., d. 4. März 13

Heut ist uns endlich das Heil widerfahren, daß die Franzosen des morgens vier Uhr die Stadt verlassen haben. Seit meinem vorigen Briefe machten sie zu belachende Anstalten, um die Stadt zu verteidigen, in der Tat aber sah man, daß sie von Furcht erfüllt waren. Nur zwei Tore: das Brandenburger und das Oranienburger Tor, waren offen gelassen, die anderen hatte man inwendig bis zu zehn Fuß hoch mit Erde beschüttet, damit sie nicht geschwind frei gemacht werden könnten. Am Potsdamer und Brandenburger Tor waren die nächsten Häuser mit vierzig und fünfzig Mann belegt; Graf Reuß hatte deren sogar 100 und den General Grenier dazu. Dieser (Grenier) hatte nicht, wie gewöhnlich, zum Abmarsch trommeln lassen, und die mündliche Bestellung mußte wohl schlecht besorgt worden sein, kurzum, einige achtzig französische Soldaten, die einquartiert gewesen waren und erst durch den Lärm vom Abmarsch ihrer Landsleute erfuhren, wurden noch in der Stadt überrascht und gefangengenommen. Um elf Uhr waren gewiß 2000 Kosaken und ein Regiment Dragoner in der Stadt. Wollte nur Gott, daß alles dies uns endlich zu einem festen und ruhigen Zustand hinüberführte. Der Kommandant von Spandau, ein Holländer, Graf Hogendorp, hat es wie der Glogauer gemacht und alles Vieh von den benachbarten Ortschaften eintreiben, heut auch die Gewehrmanufaktur auf dem Plan und die Vorstadt von Spandau abbrennen lassen. Der Mensch verdient dafür einer harten Strafe zu begegnen, denn das elende Nest Spandau kann sich, wenn es ordentlich angegriffen wird, nicht halten, und doch tut er einen so großen Schaden. – Einige französische Legationssekretäre, die die Kosaken hinter Potsdam aufgefangen haben, sind von diesen über Oranienburg und Liebenwalde weiter rückwärts transportiert worden. Überhaupt sind die Kosaken wahre Spürhunde und wahrlich nicht solche verächtlichen Feinde, wie die französischen Bulletins sie beschreiben. Sie haben hier keinen Augenblick gezaudert, mit der Infanterie sich herumzuschießen, und wenn sie gar eine Aussicht auf Beute haben, so sind sie tollkühn.

Die armen Sachsen beklag ich von Herzen; sie sind das Opfer der französischen Gesinnung ihres Ministeriums und werden jetzt feindlich behandelt werden, wozu die Proklamation ihres fliehenden Königs nur noch mehr beitragen wird. Wahrscheinlich sind russische Abteilungen schon bis gegen Dresden vorgerückt, und gestern wurde versichert daß sie in Luckau 100 000 Taler Kontribution eingefordert hätten. – Auch gegen die Bayern äußern sich die Russen sehr feindlich. – In Amsterdam haben, wie ich höre, sehr beunruhigende Szenen stattgefunden. Auch hier würd es nicht an Volksgewalttätigkeiten gefehlt haben, wenn die 4000 Mann starke Bürgerwache nicht sorgfältig ihren Dienst beobachtet hätte. Nur in einzelnen Handlungen, und namentlich bei der Kosakade vom 19. Februar, trat die feindselige Volksstimmung unverhohlen hervor. – Von Geheimrat Fockes Söhnen ist der älteste (der schon Assessor war) und der dritte mit in den Krieg, Überhaupt aber sind von hier 6000 Freiwillige teils nach Breslau, teils nach Kolberg abgegangen, von denen gewiß zwei Drittel durch Beiträge ausgerüstet worden sind. Bei dem guten Willen, den jeder bezeigt, ist es zu bewundern, wie das Kokardenedikt so mit dem Knüppel unter die Leute werfen kann. Ein solch grobes Benehmen verdirbt all das Gute wieder, was zu erwarten war. Ich mag wohl zu alt und zu kalt sein, um alles aus dem rechten oder wenigstens aus einem wünschenswerten Gesichtspunkte betrachten zu können, allein wenn der Enthusiasmus in Grobheit ausartet, ist für mich der Beweis da, daß er die Vernunft über den Haufen wirft.

 
Berlin, d. 11. März 13

Sie sind also abgefahren, und Gott gebe, daß sie nie wiederkommen. In die Zukunft kann man nicht sehen, aber der Anschein sagt, daß die Franzosen, wenn wir ihnen nur scharf auf die Haut gehen, unterliegen werden.

General Yorck mit dem preußischen Corps wird hier nächstens erwartet, ebenso das Corps, welches General Bülow in Pommern kommandierte. Die Armee wird sehr ansehnlich werden, wovon sie aber leben soll, weiß ich nicht recht, da die Scheunen leer sind. Wenn wir nur direkt auf Dresden gingen, um den sächsischen »Ölgötzen« vom Rheinbund abzuzwingen. Das erscheint mir als das Notwendigste. Graf Tauentzien wird Gouverneur von Pommern. Obrist von Knesebeck, der zum Generaladjutanten ernannt werden soll, besucht vorab die Kaiser Alexander und Franz.

 
L., d. 12. [März] 13

Das Wittgensteinsche Corps ist hier 10 000 Mann stark eingerückt, die Kosaken und Baschkirn nicht mitgerechnet. Infanterie und Kavallerie sind schön, nur ist das Grün der Uniformen sehr verbleicht. Die Pferde alle in gutem Stande, die Artillerie vortrefflich. Aber komplett sind die Regimenter nicht. Essen und Trinken schmeckt ihnen. Bis heute habe ich noch kein Belagerungsgeschütz gesehen; das muß aber doch dasein, wenn man Festungen einnehmen will. An den sächsischen König soll eine Einladung abgegangen sein, sich wieder nach Dresden zu begeben und den Rheinbund zu verlassen, widrigenfalls sein Land feindlich behandelt werden würde. Mich soll's wundern, ob er auch jetzt noch der Stimme seiner Minister und Generale mehr Gehör geben wird als der seines Volkes, das durchaus gegen die Franzosen ist. Sein General Thielemann hat alles, was noch von Truppen vorhanden war, in der Niederlausitz zusammengezogen; er ist bekanntermaßen ein gewaltiger Franzosenfreund. Unter den Generalen, die Graf Wittgenstein mitgebracht hat, ist auch Herr von Dörnberg, der seinerzeit (1809) die verfehlte Revolution in Kassel anordnete. Möchte er doch jetzt in Kassel als Sieger einziehen können. Seine Westfälische Majestät sollen schon alles, was einigen Wert hat, haben einpacken lassen, sich also auf alle Fälle bereithalten. Darauf kann er rechnen, daß, wenn die Russen bis ins Hessische kommen sollten, all seine Truppen übergehen werden, denn sie desertieren hier schon häufig und helfen jetzt unsere Freicorps bilden.

 
B., den 15. März 1813

Übermorgen, den 17., soll unser Yorcksches Corps hier ankommen. Auch das pommersche, unter General Bülow, ist schon über die Oder, um sich jenem anzuschließen. Warum das mobile schlesische Corps nicht schon längst in Dresden ist, begreife ich nicht; dem großen, allgemeinen Feinde wird dadurch nur Zeit gegeben, wieder auf die Beine zu kommen, und den politischen Unterhandlungen trau ich nicht recht. In Küstrin haben die Russen glühende Kugeln nach den Magazinen geschossen; ob mit Erfolg, wissen wir nicht. Die Bekanntschaft des Herrn von Dörnberg, jetzt General in englischen Diensten, habe ich hier gemacht; ein einnehmender Mann, der zwar nur als Volontär die Campagne mitmacht, aber gewiß eine Rolle zu spielen bestimmt ist.

 
B., den 17. März 1813

Heute zog der erste Teil des Yorckschen Corps hier ein. Sehr schöne Truppen: zwei Husaren-, vier Dragoner-, sechs Infanterieregimenter, einige Fußjäger und acht Batterien (halb reitende, halb Fußartillerie), alles in sehr gutem Stande. In einigen Tagen soll der Rest und, wie es heißt, auch das Bülowsche Corps einrücken. Beide Corps sollen dann dem Grafen Wittgenstein als einem Oberbefehlshaber unterstellt werden. – General Rapp, der jetzt wieder in Danzig kommandiert, macht öfters Ausfälle, die ihm Menschen kosten. In der Stadt liegen außer den Franzosen und Rheinländern auch zwei polnische Regimenter, die durchaus haben desertieren wollen. Eines Tages ist in der Stadt ein anhaltendes Schießen gewesen, da haben die Polen und Franzosen aufeinander gefeuert. Der Zustand ist also noch schlimmer als in Glogau. Die Sterblichkeit in Danzig ist fürchterlich, weil das daselbst zurückgelassene große Lazarett 12 000 Mann, einige behaupten 18 000 Mann, Verwundete und Kranke enthielt, zu deren Wartung es an allem fehlte. Diese armen Menschen sterben wie die Fliegen, und ihr Fieber rafft auch eine Menge Bürger mit fort. Es sollen Wochen vorkommen, in welchen 120 und mehr Bürger begraben werden.

 
Berlin, den 25. März 13

Der König zeigte sich an dem Tage, wo Große Parade war, sehr freundlich. Die Truppenlinie fing an der Hundebrücke an und zog sich zum Brandenburger Tore hinaus bis an den Statuenzirkel. Der König und der Kronprinz sahen sehr wohl aus. Der Prinz von Oranien war im Gefolge des Königs, und zwar in österreichischer Generalsuniform. Zufällig sah ich die Parade, ohne es gesucht zu haben, denn ich besuchte Fockes am Brandenburger Tor, unter dessen Fenster alles vorbeizog. Wenn General Blücher mit unserer Avantgarde im Marsch geblieben ist, so muß er in kurzem vor Dresden sein. Das einzige Gute, was die sächsischen Generale tun, ist, daß sie keinen Franzosen in ihre Festungen einlassen. – Du meinst von G.... daß er nur nicht unter die »Tugendhaften« gehen solle, ich werde aber bald glauben, daß die Tugendbündler viel wert sind, weil sie wirklich die Sache vorwärtsbringen. Ihre Zirkel enthalten viel schlechte Personnagen, unter diesen werden aber manche gebraucht, um in die Ferne zu lauern, und von dem eigentlich Politischen erfahren sie nichts.

General Dörnberg fängt seine Operationen nach dem Hannöverschen hin an. Er hat russische Husaren, zwei Pulk Kosaken und, wie es heißt, ein preußisches Dragonerregiment samt einigem Fußvolk als eigentlichen Fonds zu einem Freicorps bei sich. Zu diesem Fonds hofft er Zulauf zu bekommen. Und ich glaub es. Denn überall ist man der Franzosen so satt, daß ein jeder Lust hat, draufzuschlagen. Sein in England stehendes Regiment schwarzer Husaren wollen die Engländer zu ihm bringen. Ich wollte, es wäre schon da, denn hauptsächlich Kavallerie muß die Franzosen ermüden, da es ihnen daran fehlt.


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