Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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L., 10. Juli 12

Wie die Bedrückung des Menschengeschlechts von der Vorsehung so lange geduldet werden kann, ist mir ein Rätsel, und fast möcht ich sagen, wie Prediger Krause neulich zu Aschof sagte: »Freund, hätt ich nicht noch einige Nebengründe, um an die Vorsehung zu glauben, so müßt ich daran verzweifeln.« Der Wunsch, die Bedrücker vernichtet zu sehen, äußert sich in Berlin so laut, daß sich die Polizei gezwungen sah, derartig öffentliche Äußerungen mit harter Gefängnisstrafe zu bedrohen. Den Mund kann man dadurch zum Schweigen bringen, aber das Gefühl nicht. – In Ostpreußen geht es viel toller her als hier; im übrigen ist auch hier des Lieferns und Fuhrwerkstellens kein Ende. Stelle Dir vor, daß täglich über hundert Wagen in Berlin in Bereitschaft sein müssen, um die »Freunde«, ihre Bagage, Lebensmittel und Munition zu fahren. Das geht dann so weiter von Etappe zu Etappe, so daß täglich einige tausend Pferde in Bewegung sind. Ein solcher Vorspannwagen muß fünf Tage lang auf seine Kosten in Berlin sein, und da viele dieser Fuhrwerke von sechs bis acht Meilen entfernten Dörfern heranbeordert werden, so gehen dem Bauer und Gutsbesitzer oft acht bis zehn Tage an der Heu- und Feldarbeit verloren. Gestern ist mein einer Knecht nach siebentägiger Abwesenheit zurückgekommen, und ich werde froh sein, wenn ich nicht in der folgenden Woche wieder ein Gespann abschicken muß. Da die Menschen- und Pferdeschinder auf die Wagen laden, was diese nur irgendwie halten können, so werden die Pferde schändlich abgetrieben. Wegen der Vermögensteuer ist auf dem Lande noch nichts in Ordnung; in Berlin aber wird gewaltsam zugefahren, was unter den kleinen Bürgern eine heftige Bewegung veranlaßt. Und mit Recht. Ein gutes Ende nimmt das nicht, denn jeder sagt sich, wenn schon der Hinzug der Truppen uns an den Bettelstab bringt, was wird erst sein, wenn sie wiederkommen? Ich erschrecke bei dem Gedanken, daß sie zurückgetrieben werden könnten; denn da bliebe uns nichts. Ich beklage Glogau, daß es, wie Du mir schreibst, eine mediterranische Einquartierung bekommt; das wird wohl ein zusammengestoppeltes Corps von Italienern, Spaniern etc. sein, ebenso schlecht wie die Illyrier. Vorgefallen muß übrigens schon etwas jenseits des Niemen sein, denn die beiden Massen waren schon zu nah, um sich nicht zu berühren. Und wie muß es nun erst in den Gegenden aussehen, wo eine halbe Million Menschen leben will! Von der Geschichte des Gr. von G. habe ich weiter nichts erfahren können. Wenn er der Mann ist, der er zu sein scheint, so wird er gewiß gesucht haben nach Holstein durchzukommen.

 
L., 21. Juli 12

Die französischen Offiziere, die zurückkommen, sind nicht sehr von dem Fortschreiten auf russischem Gebiet erbaut. Alle stimmen darin überein: »Viel Elend, schlecht Land, viel krank.« Einer hat auch geäußert: »Ruß retiriert, aber viel brav.« Aus seiner kauderwelschen Erzählung ließ sich schließen, daß die zu rasch nachjagenden leichten Truppen der Franzosen verschiedene Schlappen erlitten haben. – Am 6. August wird der König, wie es heißt, in Breslau sein und nach einem zweitägigen Aufenthalt Neiße besuchen. Von dort aus nach Prag und von Prag nach Töplitz, woselbst er baden und um eine österreichische Prinzessin werben wird. So wenigstens sagt man im Publikum. Vielleicht ohne Grund.

 
1. August 12

Daß die Hospitäler voll von Kranken sind und daß in einigen Gefechten auf dem rechten Flügel unter Nachteil gekämpft worden ist, das sagt man sich ins Ohr. Letzteres scheint sich dadurch zu bestätigen, daß König Hieronymus das Kommando dieses Flügels an Davoust hat abgeben müssen. Wir werden mit Phrasen in Unwissenheit erhalten. So hat beispielsweise kein Bulletin etwas von der Einnahme von Badajoz erwähnt und doch stand der Bericht Wellingtons darüber in der Petersburger Zeitung, die noch vor Ausbruch des Krieges nach Berlin kam. – Letzten Sonntag zog ein Regiment Chasseurs hier vorbei nach Stralsund, ein Zeichen, daß man nach wie vor eine Landung seitens der Schweden befürchtet. Es mag wohl etwas der Art im Werke sein, denn in ganz Pommern heißt es, daß ein Truppencorps in Karlskrona zusammengezogen werde. Die können aber nur zu Hause bleiben. Wenn sie kämen, so hätten wir sie bloß auf dem Halse und im ganzen würd es nichts fruchten.

 
L., 7. Oktober 12

Täglich gehen jetzt Züge von Remontepferden für die Sachsen durch Gransee. Ihrer sind in allem 800, die in Mecklenburg und Holstein aufgekauft wurden, aber elende Dinger sein sollen. – Die republikanischen Pariser Aufrührer sind, wie ich's dachte, schon totgeschossen. So wird denn »la terreur« die andern vom Komplottieren wohl abhalten. Daß man aber dem Moreau bei dieser Gelegenheit noch einen Schandflecken anhängen will, hat mich verdrossen. Moreau hatte ja hiermit nicht das geringste zu tun.

 
L., 30. Oktober 12

Der eingefallene bedeutende Frost wird wohl nach Nordosten hin augenblickliche Ruhe schaffen, wir aber werden alles nachkommende Volk mittlerweile füttern müssen. Es geht nun gerade wieder wie nach der Eylauer Schlacht; man läßt dem großen Würger Zeit, sich wieder in Positur zu setzen.

 
L., 3. November 1812

Was die Zeitungen über den Pariser Lärm gemeldet haben, ist gewiß nicht so gering, als es gesagt wird. Jedenfalls ersieht man daraus, daß der Zunder bereitliegt. Den Börsennachrichten trau ich nicht viel, und so glaub ich auch nicht, daß für Königsberg etwas Ernstliches zu befürchten sei. Daß aber unser Corps von Riga zurückgedrängt ist, daran ist kein Zweifel. Einige Soldaten vom Leibregiment schrieben es an ihre Eltern, so beispielsweise einer aus unserer Kolonie Neuholland, der mit dürren Worten sagt: wir sind neun Meilen von Riga zurückgegangen. – Pferdelieferungen verdingen jetzt die französischen Commissairs an hiesige Entrepreneurs. Es soll nur die Kleinigkeit von 20 000 Pferden angekauft werden, was die Summe aller brauchbaren Pferde auf funfzig Meilen in der Runde übersteigt. Daraus läßt sich aber abnehmen, welche Masse von Pferden gefallen ist.

 
L., 15. November 1812

Wie gefällt Dir das In-die-Luft-Sprengen des Kremls? Und was wurde nicht vorher gegen das Abbrennen der Stadt geschrieen! Sollte das Maß nicht bald voll sein? Hier in der Gegend haben wir jetzt wenig Passanten, aber durch Berlin gehen noch immer viel Invaliden, die dann unser Fuhrwerk bis Magdeburg bringen muß. Ich habe jetzt alle vierzehn Tage ein Gespann dazu unterwegs.

 
L., 21. November 12

Nova kommen uns jetzt von allen Ecken, und alle sagen dasselbe. Nämlich das, daß unser Armeecorps fast aufgerieben und Macdonald, der es führt, überrannt und gänzlich geschlagen ist. Ferner, daß die Visite gegen Kaluga und Tula hin auf eine unhöfliche Art abgewiesen worden und daß das Ganze rückwärts geht. Gestern passierte hier ein französisches Regiment in der Richtung auf Oranienburg und Berlin. Die armen Menschen kamen von Rostock und waren vor Nässe halb erstarrt. Sie geben sich drei Bataillons stark aus, waren es aber nicht. Vermutlich gehen sie weiter oder bleiben in Berlin, um die dortige Garnison gegen etwaige Tätlichkeiten der Bürger zu verstärken. Wenn von all dem, was gesagt wird, nur die Hälfte wahr ist, so steht es schlecht mit dem Ritterzuge nach Norden.

Da sich durchaus keine Entrepreneurs für den Pferdeankauf finden lassen, so sollen wir nun liefern. Das Unehrlichste bei der Sache ist das, daß der französische Schurke, der die Pferde annehmen soll, keins akzeptiert, wenn ihm nicht vorab zwei Friedrichsdor für jedes Pferd als Cadeau gegeben werden. Unser Kreis soll sechsundfünfzig Pferde liefern, so daß der Schurke allein von uns 112 Friedrichsdor bekömmt, und dann fragt man noch, wo unser Geld bleibt. Schlechtendal (der Landratsvertreter) will toll darüber werden; aber wer kann aus dem Labyrinth der französischen Schurkereien ungeschunden herauskommen?

 
L., 24. November 12

Seit meinem Vorigen sind Nachrichten über Nachrichten eingelaufen. Einige melden, daß die vereinigten russischen Corps von Wittgenstein und Esser den Marschall Macdonald über den Haufen gelaufen haben und daß dabei nicht bloß unsere Truppen, sondern auch die zur Deckung ihrer Flanke abgesandten badischen und polnischen Truppen hart mitgenommen, zum Teile gefangen sind. Ferner daß Mangel an allem bei der Großen Armee herrscht und daß besonders die Reiterei ganz herunter ist. Endlich daß nach dem verunglückten Versuch auf Kaluga der Entschluß gefaßt worden ist, zurückzugehen. Daß das Hauptquartier bis Smolensk rückwärts verlegt wurde, sagen die Zeitungen und kann deshalb als sicher gelten. Und wenn einige zurückkommende Verstümmelte sich dahin geäußert haben, daß sie solch einen häßlichen Kampf noch nie bestanden hätten, so kann man das auch glauben.

 
L., 28. November 12

Daß es dem »Helden« nicht gut geht, ist außer allem Zweifel. Mangel, Jahreszeit und beständige Beunruhigung ruinieren ihm die Truppen, noch mehr aber leiden die Pferde, daran bereits ein großer Mangel ist. Hier sollten die Küstentruppen durchziehn; nun aber heißt es, daß sie durch Pommern auf Danzig hin dirigiert werden. – Wieviel Deutsche in den Gefechten bereits umgekommen sind, kannst Du daraus abnehmen, daß in München alle Theater und Vergnügungslokale geschlossen gewesen sind, und zwar wegen der Trauer der meisten Familien über verlorene Angehörige. Die Bayern sollen von 20 000 Mann auf 7000 zusammengeschmolzen sein. Die Württemberger auch über die Hälfte. Wenn die Russen klug handeln, so ziehen sie den Krieg in die Länge, was der Verderb der Alliierten ist, die ihre Hülfe einige hundert Meilen weit herholen müssen. Wollte Gott daß ein billiger Frieden die Menschen endlich beruhigte. Das Wie und Wo bleibt uns freilich verborgen.

 
L., 8. Dezember 12

Von meinen Pferden ist der Braune den Franzosen zuteil geworden; den Schwarzen hab ich wiederbekommen, was mir sehr lieb ist, denn dieser ist ein viel besseres Arbeitspferd, und der Braune, wenngleich hübscher, hatte schon zweimal Anfälle von Kolik gehabt, die ja so leicht tödlich verläuft. Ich zweifle nicht, er wird, wenn er bivouakieren soll, bald umfallen.

 
L., 18. Dezember 12

Dein Brief bestätigte mir die hier schon bekannte Reise. In Dresden stieg er des Morgens zwei Uhr bei dem Gesandten ab, warf sich auf ein Bett, schlief ein paar Stunden und ließ darauf Serenissimus zu sich entbieten, der denn auch um fünf Uhr morgens in einer Portechaise zu ihm gebracht wurde und eine einstündige Konferenz hatte, worauf die Reise eiligst weiterging. Diese an Flucht grenzende Eile hat den Neuigkeitskrämern Gewißheit gegeben, daß die ganze französische Armee geschlagen und zerstreut ist. Was man vernünftigerweise zusammenbringen kann, ist etwa das Folgende. Die Kommunikation mit Polen war abgeschnitten, mehrere russische Generale hatten bereits im Rücken der Großen Armee verschiedene glückliche Gefechte gehabt, und das Magazin zu Witebsk war verbrannt. In der mißglückten Expedition nach Kaluga war viel Artillerie verlorengegangen und Kavallerie und Train ihrer Pferde beraubt. Nun mußte die Hauptmasse vor allem Wilna zu erreichen suchen, zu welchem Behufe die bereits im Rücken stehenden Russen vertrieben werden mußten. Und in der Tat, man hat sich durchgeschlagen und mit ungeheuren Verlusten an Menschen, Pferden und Artillerie wenigstens das erreicht, daß das Hauptquartier in Wilna bleiben konnte. Man will wissen, daß 130 Kanonen verlorengegangen sind, und kann den Reden der durchpassierenden Verstümmelten unschwer entnehmen, daß die Armee in schlechtem Zustande ist. Von den Verstümmelten starben viele unterwegs. Vor vier Tagen wurden neun von einigen vierzigen, die hier ankamen, totgefroren vom Wagen genommen. Oh, Menschen, wie wird mit euch verfahren! Wir sollen nun noch drei Regimenter Kavallerie nachschicken. General von Winzingerode, der mit seinem Adjutanten Narischkin gefangengenommen wurde, sollte zur Strafe dafür, daß er erst bei uns, dann bei den Österreichern, dann bei den Russen gegen die große Nation gedient hat, zu Fuße nach Frankreich abgeführt werden; die Kosaken haben ihn aber im Rücken der Franzosen befreit. Die Portugiesen sind, wie verlautet, zu den Russen übergegangen und auf englischen Schiffen fortgebracht worden. Rostoptschin ist zum Gouverneur von Petersburg ernannt, was genügsam andeutet, daß er Befehl hatte, Moskau zu verbrennen. – In zweiundzwanzig Tagen war kein französischer Courier hier durchgekommen. Einen hatten die Kosaken aufgehenkt. Der letzte, der durchkam, kam mit ein paar Säbelhieben an. – Yorck soll über Macdonald klagen, daß er ihn nicht unterstützt habe; der aber konnt es wahrscheinlich nicht, weil er ein fünfzig Meilen breites Terrain zu decken hat.

 
L., 23. Dezember 12

Was Du mir über den angekommenen verhungerten Sekretär schreibst, ist tragisch genug, aber im Grunde genommen nur ein Geringes gegen das, was man hier von der Katastrophe vernimmt. Auch hier kommen so manche durch, die, wie Diogenes, nichts haben, als was sie auf dem Leibe tragen. Und versteht sich an Ohren und Händen erfroren. Obgleich wir nur brockenweis den Hergang erfahren, so reicht es doch aus, uns mit Schauder zu erfüllen. Was in Wäldern und auf Heerstraßen an Menschen und Pferden umgekommen ist, übertrifft vielleicht die Zahl derer, die das Schwert getötet hat. Nicht nur das ganze Hauptquartier ist jeder kleinsten Bequemlichkeit beraubt, sondern auch der Anstifter all dieses Unheils hat nichts gerettet, als was er auf dem Leibe hatte. General Narbonne, der, wie es heißt, hier negoziieren soll, kam hier so kahl an, daß er die ersten zwei Tage in seiner Stube bleiben mußte, um sich Wäsche und Kleider zu verschaffen. Aber glaube nicht, daß man sich bei dieser ersten verunglückten Probe beruhigen wird. Nein, man wird die Vorsehung aufs neue versuchen wollen. Dazu geschehen schon allerhand Zubereitungen. Das Scheusal Daru, der wieder Generalintendant sein soll, kam auf der Flucht in Gumbinnen an und sagte dem Präsidenten von Schön in seinem allerimperativsten Ton, »er müsse für den nächsten Winter für 100 000 Mann Lebensmittel besorgen«. Und als Schön die Unmöglichkeit vorstellte, wurd er abgerumpelt. Ein Attaché, mit dem Schön hinterher mehrmals über dasselbe Thema sprach, sagte beruhigend, »er möchte nur das Beste tun, es würden wohl etwas weniger als 100 000 Mann kommen«.

Nachschrift. Soeben sehe ich den Duc de Bassano bei mir einpassieren, in einem sehr stattlichen Aufzuge. Er muß also wohl vor der Katastrophe abgereist sein.


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