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In einem schon vorzitierten B. Möllhausenschen Gedicht feiert der Dichter den Prinzen als Jagdherrn und Feldherrn, aber im weitren Verlauf auch als »Gastfreund von Dreilinden« und bringt ihm dadurch eine Huldigung dar, die seinem Liede nicht fehlen durfte. Denn so gewiß die Dreilindner Tage die weid- und forstmännische Signatur trugen, so gewiß auch die gastliche. Ja, der Prinz war ein Gastfreund. Ein eigen Wort, unmodisch und obsolet fast, weil auch das obsolet wurde, was diesem Worte zur Voraussetzung dient: die Gastfreundschaft. Die schöne Gastlichkeitstugend aus Morgenland ist der abendländischen Welt, etwa mit Ausnahme von England und Skandinavien, abhanden gekommen, und wenn dies (wie übrigens kaum anzunehmen) optimistisch bestritten werden sollte, so wird doch das nicht bestritten werden können, daß in Mark Brandenburg und seiner Landeshauptstadt eine der traurigsten Heimstätten alles dessen, was »Gastfreundschaft« heißt, erkannt werden muß. Behufs Beweisführung ist es nur nötig, das eine Wort »Logierbesuch« auszusprechen, das, anscheinend von durchaus unschuldiger Bedeutung, im Ohr aller Eingeweihten als Schreckenswort umgeht.
In der Tat, Mark Brandenburg hat wenig Gastfreundschaft und noch weniger einen »Gastfreund«; im Jagdhause zu Dreilinden aber fanden sich beide. Während der Monate, die der Prinz hier zubrachte, und am ausschließlichsten wohl in den Spätherbstmonaten, war jeden zweiten Tag eine »Dreilindner Tafelrunde« versammelt, deren Paladine den verschiedensten Lebens- und Berufskreisen, aber doch vorzugsweise dem Kreise der Berliner und Potsdamer Garnison angehörten. Auch Marine, Kriegsministerium und Generalstab stellten ihr Kontingent, das wir glücklich genug sind, bis diesen Augenblick in Dreilinden, und zwar in einem »Bildersaale der Freundschaft«, mustern zu können. Eingefügt in die gotischen Buntglasfenster der »Dreilindner Krypt«, in der von Zeit zu Zeit die Bundgesänge widerhallten, erblicken wir auch heute noch die Medaillonbildnisse vieler dieser Getreuen und Getreusten, aus deren Hundertzahl ich, unter Verzicht auf Generalität und Subalterne, lediglich aus der Mittelgruppe der Stabsoffiziere die folgenden Namen entnehme.
Die »blanke Waffe« hat, wie herkömmlich, auch hier wieder den Vortritt. Also zunächst von der Kavallerie: Graf Schlieffen, Oberst und Kommandeur des 3. GardeulanenregimentsIch gebe hier die Rangverhältnisse, wie sie 1882 waren.; von Krosigk, Oberst und Kommandeur der Garde- und von Rosenberg, Oberst und Kommandeur der Zietenhusaren; von Schnackenberg, Oberstlieutenant und Kommandeur der Düsseldorfer Ulanen; von Broesigke, Major und Kommandeur der Leibgendarmerie, Flügeladjutant Seiner Majestät des Kaisers; von Dincklage, Major im 1. Gardeulanenregiment. Von der Infanterie: von Derenthall, Oberst und Kommandeur des 1. Garderegiments z. F.; von Arnim, Oberst und Kommandeur des Franzregiments; von Lindequist, Oberst und Kommandeur der Schloßgardecompagnie, Flügeladjutant Seiner Majestät; von Natzmer, Oberst und Kommandeur des 28. Infanterieregiments, später in Begleitung des Prinzen auf dessen syrisch-ägyptischer Reise; Freiherr von Fircks, Major im Gardefüsilierregiment, Verfasser des unter dem Namen des »Kleinen Fircks« bekannten Armeekalenders. Von der Artillerie: von Körber, Oberst und Brigadekommandeur, ruhmvollen Vionviller Angedenkens. Und endlich vom Generalstabe: de Claer, Oberst und vieljähriger Adjutant Feldmarschall Moltkes; Oberst von der Hude, Abteilungschef in der Generalinspektion der Artillerie; Oberstlieutenant Vogel von Falckenstein (Sohn des Mainfeldzugs-Siegers), Abteilungschef im Großen Generalstab; Oberstlieutenant Steffen, desgleichen; Major Freiherr von der Goltz (»Gambetta-Goltz«), Lehrer an der Kriegsakademie, später Goltz-Pascha; Major Münnich, Militärgouverneur des Prinzen Friedrich Leopold. Aber auch das Zivilelement ist in der »Krypt« und ihren Buntglasbildern vertreten: Baron Korff, ehedem im Gardedragonerregiment; Graf Kanitz, Hofmarschall des Prinzen; Kammerherr Graf Brühl; Professor Brugsch-Pascha; Hofprediger Rogge; Dr. Paul Güßfeldt; Balduin Möllhausen.
So die »Tafelrunde« zu Dreilinden.
Und nun die Tafel selbst!
Ich habe gleich zu Beginn dieses Aufsatzes ein Bild derselben zu geben versucht, aber freilich nur nach Art eines dissolving view, weshalb es mir in nachstehendem obliegen wird, das eingangs bloß im Fluge Berührte hier näher auszuführen.
Oben am Treppenausgang erwartete der Prinz die Geladenen, an jeden ein freundliches Wort der Begrüßung richtend. In einem Vorzimmer, wohl nach schwedischer Sitte, ward ein Imbiß, ein Vorschmack, genommen, und eine mit dem Liqueur-ABC, also mit Allasch, Benediktiner und Chartreuse, beginnende Batterie, die sich über den Rest des Alphabets hin bis zu Maraschino die Zara fortsetzte, stand zu diesem Behufe zur Wahl. Eine kurze Konversation, mehr ein Fragen als ein Sprechen, leitete sich ein, in deren Verlauf der zum erstenmal Erschienene sich aufgefordert sah, seinen Namen in das Fremdenbuch von Dreilinden einzutragen. Eine Durchsicht desselben, jeder Jahrgang ein Band, würde gleichbedeutend gewesen sein mit einer Revue berühmter Namen, wenigstens auf manchem seiner Blätter; aber die Zeit dazu blieb der Neugier versagt, denn im selben Augenblick, wo wir die Fremdenbuchfeder wieder niederlegten, öffneten sich auch schon die Türen zu dem eingangs (im ersten Kapitel) geschilderten Eßsaale, von dessen Decke der große Geweihkronleuchter herniederhing und den Glanz seiner 66 Lichter über den quadratischen, zu zwölf gedeckten und mit Polstersesseln umstellten Eßtisch ausstrahlte. Rechts und links hin blinkende Humpen und Aufsatzstücke. Die dem Range nach Zuhöchststehenden nahmen die Plätze neben dem Prinzen ein, womit das Zeremoniell erschöpft und für die noch verbleibenden Sitze die Gleichwertigkeit ausgesprochen war. Eine Menukarte lag vor oder neben jedem Couvert, aber nicht in dem herkömmlichen Westentaschenformat, sondern als ein großes, in Buntfarbendruck sauber und sinnig ausgeführtes Blatt, das zu besitzen und seinem Album daheim einverleiben zu dürfen ebensosehr Begehr wie Brauch war. Das Blatt selbst aber zeigte das »Jagdhaus«, von Efeu und Weinblatt umrankt, in dessen Gezweige die typischen Gestalten aus der Tafeldienstsphäre von Dreilinden standen: der Heiduck, der Jäger, der den Fasan, und endlich der butler und Kellermeister, der das Spitzgläsertablett mitsamt dem Champagner präsentierte.
Aber wie dem Gaste nicht Zeit blieb, sich neugierig in das Fremdenbuch zu vertiefen, so noch weniger in die jetzt vor ihm liegende Tischkarte; Fragen wurden laut, ein Gespräch knüpfte sich an, und alsbald war man mitten im großen Strom der Unterhaltung. Ein Gefühl der Bedrückung konnte nicht aufkommen, dessen trug der »Gastfreund« Sorge, der, wie wenige, die Kunst verstand, auch dem Unsichersten einen Tropfen Sicherheit in den Becher zu tun.
Der Prinz liebte die Form der Unterhaltung, die, den ganzen Tisch umfassend, sofort einen persönlichen und sachlichen Mittelpunkt zu gewinnen trachtet. Aber dies Ideal ward nur selten erreicht, vielmehr war es herkömmlich, das zu Beginn der Tafel konzentriert auftretende Gespräch im Laufe desselben zu Gruppengesprächen werden zu sehen. Kein Zweifel, daß sich dies hätte vermeiden lassen, wenn der »Gastfreund zu Dreilinden« ein Sprecher nach Art unsres großen Kanzlers gewesen wäre; solch Usurpatorentum der Rede jedoch, das dem Kanzler kleidet, lag dem Prinzen fern, so fern, daß ich umgekehrt beobachten konnte, wie seiner Redelust und -freudigkeit eine Redescheu beständig zur Seite stand. Und so darf wohl gesagt werden, daß die Gefahren einer sich zerbröckelnden Tischunterhaltung allezeit groß waren und noch größer gewesen sein würden, wenn nicht das in Einzelexemplaren immer vertretene Zivilelement des nicht genug zu schätzenden Vorzugs genossen hätte, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit über Gletscherbildung und Venusdurchgang, über Nordenskjöld und Stanley des ausführlicheren berichten und durch Aufwerfung irgendeiner »großen Frage« die nach links und rechts hin Ausgeschwärmten wie durch Hornsignal um die Fahne her neu sammeln zu dürfen.
Ein charakteristischer Zug des Prinzen war sein Approfondierungshang, worin er übrigens lediglich seiner auf die Realität der Dinge gestellten Natur folgte, der bloßer Schein, Oberflächlichkeit und Dilettantismus gleichmäßig verhaßt waren. Er prätendierte nicht, Interessen zu haben, er hatte sie wirklich und erwies sich jede Stunde von einem ernstesten Verlangen erfüllt, den Kreis seines Wissens und seiner Erfahrungen auszudehnen. Mit dieser Vorliebe für »Approfondierung« ging, was zunächst wie Widerspruch wirkt, ein Präzisionshang, eine Vorliebe für Knappheit und Kürze Hand in Hand. Aber dieser Widerspruch war nur scheinbar. Ein echter Präzisionshang verlangt eben nur Knappheit im Ausdruck, nicht auch Knappheit im Stoff. Im Gegenteil, der Stoff und seine Fülle sollen gefördert, nicht beeinträchtigt werden. So wenigstens stellte sich der Prinz zu dieser Frage, Details waren ihm Bedürfnis, und ich erinnere mich eines Falles, wo sich ein den Lapidarstil bis zum Verbrechen treibender Gast durch den Zuruf unterbrochen sah, »vergessen Sie nicht, lieber Freund, daß der Reiz aller Erzählung in den Einzelheiten steckt«.
Die Themata, die zur Verhandlung kamen, waren, wie nach diesem allem kaum noch versichert zu werden braucht, die mannigfachsten und gingen über die Welt. Am allerwenigsten beschränkten sie sich auf das Militärische. Dies trat vielmehr, in Fortsetzung der Traditionen von Rheinsberg und Sanssouci, vergleichsweise zurück und machte Tages fragen Platz, ohne die Tages politik zu berühren. Unvermeidliche Konsequenz der Stellung eines Prinzen, der sich durch Geltendmachung einer selbständigen, also doch gelegentlich auch abweichenden Meinung anscheinend dahin gedrängt gesehen haben würde, wohin er sich nicht gedrängt sehen wollte: in die Reihen der Opposition. Was in England durchaus zulässig erscheint, verbietet sich in dem Königlichen Preußen, wo die Regierung nicht der ohne Gefährde zu wechselnde Schild des Königs, sondern der König der Schild der Regierung ist.
Also nichts von Tagespolitik. Aber hundert andre Fragen traten heran, unter denen die Brandenburgica, wenn nicht obenan standen, so doch einen Platz in erster Reihe behaupteten. Wie vieles erschien da, das flüchtig oder auch in eingehenderer Behandlung an mir vorüberzog: Otto mit dem Pfeil und der sagenreiche Werbellin; die beiden Waldemare (der echte wie der falsche); die Schlacht am Kremmer Damm und der Straßenkampf in Ketzer-Angermünde; Hussitenzeit und Pommernkämpfe; dazu Lücher und Brücher, Wendenkirchhöfe, versunkene Dörfer und Heideflächen.
»Unter unsre zumindest gekannten Landesteile«, nahm der Prinz bei bestimmter Gelegenheit das Wort, »gehören auch Altmark und Prignitz. Und doch würden sie lohnender sein für die Forschung als das mehr durchforschte Land in der Nähe von Berlin und in den mittelmärkischen Kreisen überhaupt. Eine Spezialität der Altmark sind beispielsweise die wüst gewordenen Dörfer, die nicht, wie sonst wohl in der Mark, als Wüste-Woltersdorf, Wüste-Wulkow etc. fortleben, sondern ihren ehemaligen Namen einfach auf ein Forstrevier übertragen haben. Wo sonst Dorf war, steht jetzt Wald, der nun seinerseits, ohne jede weitere Zutat, den ehemaligen Ortsnamen führt. Im Letzlinger Forst finden sich mehrere solcher Stellen.«
Und ein andermal hieß es: »Ich bin einigermaßen überrascht gewesen, von einer Abneigung zu hören, die seitens der regierenden Hohenzollern in bezug auf die Schwedter Markgrafen existiert haben soll. Ist dies zu begründen? Wo finden sich die Beweise?« Die Frage richtete sich an mich. Ich war aber nicht bloß der Gefragte, sondern auch der Verklagte, denn ich hatte irgendwo dergleichen versichert.
Von den Schwedter Markgrafen war nur ein Schritt noch bis zum Großen Kurfürsten. »Ein Vorkommnis, das übersehen wird und doch vielleicht bemerkt zu werden verdient, ist das, daß der Große-Kurfürsten-Kopf in unsrer Familie mehrfach wiederkehrt. Beim Prinzen August war es frappant, beim Prinzen Adalbert immer noch erkennbar.«
Einer der Gäste machte den Versuch, Erscheinungen der Art aus einer lang andauernden, oft durch Jahrhunderte gehenden Übereinstimmung äußrer und innrer Lebensbedingungen erklären zu wollen, »jedes Land schaffe sich seine Typen, ebenso jeder Beruf. Es habe Zeiten gegeben, wo sich alle Rittmeister in Preußen ähnlich gesehen hätten.«
Ein Wort wie dies konnte natürlich nicht fallen, ohne sofort allerlei Beispiele heraufzubeschwören. Anfangs lediglich illustrierungshalber. Aber es blieb nicht lange dabei. Der Punkt, von dem man ausgegangen war, wurde, wie gewöhnlich, rasch vergessen, und die märkisch-preußische Militäranekdote, nunmehr sich selber Zweck, hielt ihren Einzug.
Einer entsinn ich mich, weil ein Bonmot des Prinzen sie gefällig abschloß.
Ein junger Graf Solms war von den Potsdamer zu den Düsseldorfer Ulanen versetzt worden. Er machte die Fahrt im Postwagen und ließ sein Pferd mittraben, zwölf Meilen an manchem Tage. »Nimmt mich mehr für das Pferd ein als für den Grafen«, bemerkte der Prinz und sprach damit jedem aus der Seele.
Soviel über Brandenburgica.
Nebenher aber blühte das historische Gespräch überhaupt. Rom hatte den Vortritt und in Rom selbst wieder das Ausgrabungsgebiet. »Ausgrabungen« waren überhaupt eigentlichstes Lieblingsthema. Mitunter berührte mich's, als ob eine Philologenversammlung tage, mit Curtius an der Spitze. Palatin und Esquilin waren Alltags- und Haushaltworte, wie Blumshof oder Magdeburger Platz, und niemand war da, der nicht im Hause der Lydia so gut Bescheid gewußt hätte (wahrscheinlich aber besser) als im Jagdhause zu Dreilinden. Man stieg in Tunnel und Grüfte. Mehr als einmal wurde mit dem bekannten langen Stangenlicht in den Thermen des Titus umhergeleuchtet, und wenn es erlosch, erlosch es nur, um als Katakombenlampe wieder angezündet zu werden.
Aber auch andere Fragen kamen zur Diskussion, oft von rein wissenschaftlicher Natur, aus deren Reihe mir eine ganz besonders imponierte: die, »wo Caesar, als er über den Rhein ging, seine Pfahlbrücke geschlagen habe?« Zwei Parteien bildeten sich sofort, von denen eine für Andernach, die andre für Xanten plädierte. Mommsen, wenn zugegen, hätte seine Freude daran haben müssen.
Allerlei Namen und Notizen liegen mir noch vor, die damals von mir gemacht wurden, um mit Hilfe derselben eine stattgehabte Debatte rekonstruieren zu können. Und diese Rekonstruierung würde mir auch gelingen. Ich muß aber doch, um Raumes willen, darauf verzichten und mich auf Hervorhebung einzelner Gesprächsthemata beschränken. Und selbst hier wieder gebietet sich noch ein Sondern und Sichten. Ich wähle, als besonders charakteristisch, nur zwei: »Türkentum und Ägyptertum, und worin können wir (oder andere Zivilisationsstaaten) orientalischen Armeen aufhelfen?«Die Antwort, die hierauf gegeben wurde, sei kurz erwähnt, weil sie charakteristisch ist für die vorurteilsfreie Behandlung, die Fragen der Art erfuhren. »Aus orientalischen Truppen«, so hieß es, »europäische machen zu wollen ist unmöglich und der Versuch dazu schon deshalb unrätlich. Es wird vielmehr umgekehrt geraten sein, das Nationale (weil das relativ Natürliche) sowenig wie möglich zu stören. Aber solche Dinge wie Verpflegung und Bewegung der Armee, Sanitäts-, Intendantur- und Eisenbahndienst, darauf haben wir, wenn wir wirklich helfen wollen, unser Augenmerk zu richten. Mit andern Worten: nicht strikte Heeresausbildung, sondern Ausbildung alles dessen, was ein Heer (es sei im übrigen, wie es sei) in seiner Leistungsfähigkeit unterstützt. Also: Techniker und Zivilingenieure. Beide sind wichtiger als Offiziere.« Und dann zweitens: »Modernes Zeitungswesen, und wie weit nutzt es und schadet es einem Volksheer in Kriegszeiten?«
An solchen und dann meist im philosophischen Essaystil gehaltenen Auseinandersetzungen war nie Mangel, aber Personalfragen wogen doch vor und bildeten in der Regel den festen Punkt, von dem aus sich die weitre Betrachtung entwickelte: Gottfried Kinkel und der badische Feldzug; Oberst Rüstow und sein Wirken in Italien und Schweiz; Skobeleff-Wereschagin und Exkurse nach Turkmenien, Merw und Samarkand; endlich Garibaldi, Chanzy, Bazaine. Welche Fülle der Gesichte! Dabei sprangen dann die Kriegstore klirrend auf und zeigten allerlei Bilder, ebenso lehrreich wie farbenreich, von deren Vorführung ich hier ungern Abstand nehme. Nur eines sei wenigstens flüchtig wiedergegeben: ein Friedensbild.
Ein Major vom Generalstab (er war selbst der Erzählende) ward als Überbringer eines Cabinetsschreibens an den Erzbischof von Rouen, Kardinal Bonnechose, gesandt und erschien im erzbischöflichen Palais in dem vollen Kriegsaufzuge jener Tage: hohe Stiefel, Pallasch und Revolver. Alles erschrak. Aber die Verhandlungen oben im ersten Stock nahmen einen sehr andren Verlauf, als unten die Dienerschaften gefürchtet hatten, und als nach fast einer Stunde der Major sich erhob, um das Antwortsschreiben, das inzwischen im erzbischöflichen Sekretariat ausgefertigt worden war, in Empfang zu nehmen, erhob sich auch der Erzbischof selbst und sagte bewegt: »Ich vermag nicht auf die Sache, der Sie dienen, den Segen des Himmels herabzurufen, aber ich segne Sie persönlich und werde für Ihr Haus und das Wohl Ihrer Familie beten.«
So wechselte das Gespräch an der Tafelrunde zu Dreilinden. Inzwischen aber ging das Trinkhorn um, und auf der Rückseite der Tischkarte, der eignen und der nachbarlichen, entstanden Bildnisse von Künstlerhand, halb Genre, halb Portrait, bis der Kaffee gereicht ward und mit ihm zugleich die Zigarre samt dem geschnitzten »Weichselholzpfeifchen«, einer Spezialität von Dreilinden.
Und nun war auch die Zeit für »Frau Musica« gekommen. Einer der Gäste nahm seinen Platz am Instrument und intonierte leis (als ob er anfrüge) Fescas Frühlingslied: »Es glänzt im Abendsonnengolde / Der stille Waldesteich.« Er kannt es seit lang als ein Lieblingsstück des Prinzen, und ein Kopfnicken gab ihm Gewißheit, daß er's getroffen. Aber schon folgten andre: »Das Ständchen« von Haydn, »Vineta« von Bollert, Rubinsteins »Asra«, »Vorrei morire« von Tosti, bis die soldatische Stimmung durchschlug und die »Königsgrenadiere« gefordert wurden, in die der Prinz alsbald mit einstimmte, was dann das Zeichen gab, seinem Beispiele zu folgen.
Ein Höhengrad war erreicht. Aber die volle Festeshöhe wartete noch auf das »Gründungslied von Dreilinden«. Und nun schlug auch seine Stunde, das zusammengerollte Notenblatt erhob sich als Taktierstock immer energischer und höher, und im Chorgesange scholl es durch den Saal:
Auf zottigen Auerwildsdecken, Im Hochwald auf märkischem Sand, Einst lagen zwei schwartige Recken, Die zechten gar froh miteinand. Es rastete ihnen zur Seite Und ein Urhorn nach altdeutscher Weise |
Eine stattliche Strophenreihe folgte, darin, neben den »zwo schwartigen Recken«, auch Odin und Thunar ihre Rolle spielten, und während sich unter immer erneutem Humpengekreise (jetzt glücklicherweise nur noch im Liede) die Gründung von Dreilinden vollzog, erschien auch schon der Heiduck, um dem Prinzen die Meldung zuzuflüstern: »Die Wagen.«
Aufbruch und Abschied folgten, und ehe noch die Festeslichter in Dreilinden erloschen waren, blitzten auch schon wieder die Signal- und Bahnlichter auf, die, die streng und eisern gezogene Linie der Realität uns zeigend, uns zugleich zurückbegleiteten aus dem Märchen in die Wirklichkeit.