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Häsen selbst ist Nachbargut und gehörte damals einem nahen, aber stark verschuldeten Anverwandten. Es scheint daß dieser einen Teil seines Lebens in der Vorstellung zugebracht hatte, früher oder später der Erbe des gesamten Hertefeldschen Besitzes werden zu müssen, aus welcher Vorstellung er sich plötzlich gerissen sah, als dem schon alternden Friedrich Leopold von H. unerwartet ein Sohn geboren wurde. Den Unmut darüber zu bezwingen war ihm (dem Vetter) nicht gegeben, und als er gleichzeitig seine pekuniären Bedrängnisse wachsen sah, ersann er sich das Märchen, daß der spätgeborne Sohn des alten Liebenberger Freiherrn in Wahrheit ein Enkel desselben, und zwar der älteste Sohn Alexandrinens von Danckelmann, sei. Mit andern Worten also ein untergeschobenes Kind, untergeschoben einzig und allein in der Absicht, ihm, dem Vetter, ein ihm zustehendes Erbe zu entreißen. Ein solches Märchen erzählt und weiterverbreitet zu sehn war an und für sich schon schlimm genug; aber der »Häsener« ging weiter und wußte seinem Übelwollen auch praktische Folgen zu geben, indem er Gelder aufnahm, und zwar unter beständigem Hinweis darauf, »daß ihm, aller Machinationen und Intrigen unerachtet, über kurz oder lang das Liebenberger Erbe doch zufallen müsse«. Dies schuf Ärgernis über Ärgernis, auch wohl Sorgen, und bedrohte den alten Herrn genau in den zwei Stücken, in denen er am empfindlichsten war: in seinem Vermögen und seiner Ehre. »Der tolle Mensch von Häsen«, so schreibt er, »ist wieder in voller Bewegung. Unter der Hand wendet er sich nach Münster und Cleve und versichert, daß er alleiniger Herr meiner Güter sei. Die, an die er schreibt, erkundigen sich bei mir, ob es in des Briefschreibers Kopfe richtig stehe? Sie wollen aber nicht genannt sein. Sonst hätt ich den Narren schon längst beim Kammergericht provoziert.« Und an anderer Stelle: »Der tolle Mensch in Häsen, der seit sieben Monaten in Berlin auf Kredit lebt, fängt wieder an zu rasen. Vor acht Tagen hat er mir einige Bogen voll Unsinn geschrieben, um etwas aus mir herauszulocken, was seine Prozeßlust reizen könnte. Ich hab ihm aber kurz, kalt und überhaupt so geantwortet, daß er den Brief keinem Gerichtshofe vorlegen wird.«
Äußerungen ähnlicher Art kehren an vielen Stellen wieder, und wenn er schließlich auch dieser unbequemen Stechbremse Herr wurde, so geschah es doch erst, nachdem ihn die Stiche derselben aufs empfindlichste verletzt hatten.
Um ebendiese Zeit zog auch noch ein neues Ärgernis herauf, und zwar der Prozeß, der gegen die Giftmischerin Geheimerätin Ursinus geführt wurde. Die Hertefelds waren in zurückliegenden Jahren mit dieser Frau bekannt geworden, nicht eigentlich intim, aber doch so, daß der alte Freiherr über sie schreiben konnte. »Wenn Frau Geheimrätin Ursinus zu mir kommt, so soll es mir angenehm sein. Denn obgleich sie sich mit ihrer Geschwätzigkeit ziemlich lächerlich macht, so kenne ich sie doch als eine Frau, bei der das Gute überwiegt.« Und nun war ebendiese Frau wegen denkbar schwerster Verbrechen angeklagt. Auch nur in einem alleroberflächlichsten Verkehr mit ihr gestanden zu haben mußte peinlich empfunden werden, und durch Jahr und Tag hin ist nun der »Ursinus-Fall« ein immer wiederkehrendes und mit einer gewissen Gêne behandeltes Briefthema. »Die Geschichte mit der Ursinus«, so heißt es im April 1803, »ist leider so garstig wie nur möglich. Ich weiß jetzt, daß sie schon früher (in Stendal) in dem Rufe stand, zu mausen. Der von seiner Vergiftung wiederhergestellte Bediente soll darüber allerlei Kuriosa ausgesagt haben.« Und im Oktober desselben Jahres: »Daß die Ursinus auf Lebenszeit eingesteckt wird, wirst Du wissen... Was dieses garstige Weib, außer dem Erwiesenen, auch noch an andrem abscheulichen Verdachte gegen sich hat, ist kaum zu glauben.« Und dann: »Über der Ursinus' Dreistigkeit kann ich mich nicht genug wundern. Wie kann sie's nur wagen, anständige Personen um ihren Besuch zu bitten, alles bloß, um ihnen etwas von ihrer Unschuld vorzuklagen? Um Versuche zu machen, habe sie das Gift gegeben. So sagt sie. Gut; aber warum hat sie nicht allerpersönlichst eine Unze Gift genommen? Das wäre das weitaus Beste gewesen.« Und endlich (am 16. März 1804): »Die Ursinus war überall und auch bei mir vergessen. Vorgestern hab ich mich ihrer wieder erinnern müssen, als ich aus der ›Hamburger Zeitung‹ ihre Abführung nach Glatz ersah. Sie hatte, wie Du wissen wirst, appelliert. Das Urteil ist aber einfach bestätigt worden, und sie hat nun ausgespielt.«
Das sind die letzten Worte, die sich über diese »cause célèbre« finden.
Die Geheimrätin hatte viel Ärgernis mit sich geführt, fast soviel wie der »Vetter in Häsen«, aber trotz dieser und ähnlicher Zwischenfälle waren es im ganzen doch glückliche Tage, diese Tage nach der Übersiedelung, am glücklichsten, wenn die Danckelmanns auf Besuch eintrafen: Eltern und Kinder, Hauslehrer und Bonne, Gesellschafterin und Dienerschaften. Da verkehrte sich denn freilich die Ruhe des Hauses in ihr Gegenteil, aber ohne daß der alte Freiherr, in seinem stark ausgeprägten Familiensinn, einen Anstoß daran genommen hätte. Zu besonderer Freude wurd ihm dabei das immer wachsend gute Verhältnis zwischen Sohn und Enkel, die (beinah gleichaltrig) am Vormittage dieselben Schulstunden, am Nachmittage dieselben Spielstunden hatten. Und wenn die Tischglocke läutete, so bewahrheitete sich's an jedem neuen Tage, »je länger die Tafel, desto besser die Laune«.
Das ganze Leben aber, ob es nun stiller oder bewegter verlief, trug den Stempel einer vollkommenen Patriarchalität, an der uns nichts begreiflicher erscheint, als daß sie der alte Freiherr gegen ein öffentliches oder gesellschaftliches Leben nicht austauschen mochte, das ihm widerstand und in seiner Sitten- und Gesinnungslosigkeit auch widerstehen mußte. Denn es war eine wirklich grundschlechte Zeit und Mirabeau hatte richtig prophezeit, als er das damalige Preußen »eine vor der Reife faul gewordene Frucht« genannt hatte, »die beim ersten Sturm abfallen werde«. Wenn es nun freilich auch nicht wahrscheinlich ist, daß unser Liebenberger Einsiedler ähnliche, den Politiker bekundende Schlüsse zog, so war er doch andrerseits ein so scharfer Beobachter unserer Schwächen überhaupt, daß ihm ein intimer Verkehr mit den Menschen eigentlich schon um dieser scharfen Beobachtung willen unmöglich gemacht wurde. Was an eitler und selbstsüchtiger Regung in den Herzen steckte, lag offen vor ihm, und unter den vielen Hunderten seiner Briefe sind wenige, die nicht, an irgendeiner Stelle, von dieser allereindringendsten Erkenntnis ein Beispiel gäben. Er kannte den ganzen Adel, am besten den märkischen, schlesischen und niederrheinisch-westfälischen, und wenige Familien abgerechnet, die, wie die Reckes, die Reuß, die Lestocqs, ihm einen unbedingten und gern dargebrachten Respekt abnötigten, richtete sich der Stachel seiner Satire so ziemlich gegen alles, was damals »die Gesellschaft« ausmachte. Und ich fürchte, mit Fug und Recht. Einige Zitate mögen auch nach dieser Seite hin seine Schreibeweise charakterisieren.
»In Berlin hab ich gestern den General von Köhler gesprochen. Er ist wohl und vergnügt und tut eine Mahlzeit für zwei. Jedenfalls macht er den Eindruck, als ob er seine Pension noch auf lange hin zu genießen wünsche.«
»Gestern war denn auch der Kammergerichtsrat Roitsch hier. Er gefiel mir in seinen Ansichten ganz gut, erschien mir aber in dem beständigen Ajustieren seines Haars und seiner Halskrause von seiner Figur etwas eingenommen.«
»In diesen Tagen hab ich einen Major von Schuckmann, der ein Landwehrbataillon kommandiert, bei mir gehabt. Er ist ein Bruder des Geheimen Staatsrats gleichen Namens und eine wahre Karikatur: kurz, dick, ängstlich, stets in Verfassung einzuschlafen und äußerst dämlich.«
»Etwas Sonderbareres als die Todesanzeige, die mir der Freiherr von Loë nach dem Ableben seiner Frau zugeschickt hat, hab ich lange nicht in Händen gehabt. Der Druck der Annonce (fast in Mönchsschrift) ist absurde, der Inhalt noch absurder. Die Titulaturen passen nur auf die Eitelkeit dieses Herrn und stellen ein Machwerk her, wie man's in unsern Zeiten nicht mehr erwarten sollte. Vielleicht hat Herr Geheimrat Focke auch so ein Unding bekommen. Befrag ihn doch, mit bestem Gruß von mir, ob man darauf antworten müsse? Sagt er ›ja‹, so könnt ich vielleicht anfangen: Le Sieur de Hertefeld, ni Sénateur, ni Comte, ni Chevalier, ni Grand Croix, a vu avec douleur etc.«
»Eine Geschichte, die hier viel Aufsehen macht, ist folgende. Du weißt, daß die Kosaken den westfälischen Gesandten, Herrn von Linden, aufgefangen und unter den Papieren desselben eine bedenkliche politische Korrespondenz der Töchter des Ministers von der Goltz mit ebendiesem von Linden gefunden haben. Die Gräfin von Lüttichau (so heißt, glaub ich, eine der Töchter) soll die schuldigste sein. Der Linden ist hier als ein äußerst schlechter Mensch bekannt, als ein Spieler, der das Falschspielen verstand. Und der böse Geist muß unsereinen plagen, mit solchem Mann in Verbindung zu stehen!«
»Es heißt, Graf H... sei noch auf seinem Gute bei Magdeburg. Böse Zungen ergänzen, er sei dorthin gegangen, um seine Tochter an einen Franzosen zu verheiraten, der längere Zeit auf seinem Gut in Quartier gelegen hat. Ich mocht es anfänglich nicht glauben, obgleich in der Tat nichts verloren wäre, wenn diese Stärke, durch diesen Zwischenfall veranlaßt, ganz nach Paris verzöge.«
»J.......tz gibt sich ein Ridikül durch seine Forstbereisungen. In der Neumark ist er (ebenso wie hier) durch die großen Forsten recte hindurchgefahren und hat eigentlich nichts gesehen. Ein vernünftiger Mann aus der dortigen Gegend schrieb mir: ›Herr von J. geniert sich nicht, 3000 Taler Gehalt zu nehmen, um im Galopp durch die Wälder zu fahren, mit Pferden, die er nicht bezahlt.‹ Schon in Ostpreußen lachten sie ihn wegen seiner Domainen-Bereisungen aus, die auch im Galopp geschahen.«
»Alles, was von Untersuchungen gegen einzelne Minister gefabelt wird, ist nicht wahr. Der Hofmarschall interessiert in der ganzen Angelegenheit am meisten und hängt in eigentümlicher Weise mit der Erneuerung des Meublements im Charlottenburger Schlosse zusammen. Ist übrigens jetzt applaniert. Hinter die Wahrheit kommt man nie.«
»Die Geschichte mit dem Hofmarschall, von der ich Dir neulich schrieb, ist nun wirklich beigelegt. Wenigstens befindet er sich nach wie vor bei Hofe. Seitens des Königs war ihm aufgegeben worden, einen Teil des Charlottenburger Schlosses neu zu meublieren und die alten Mobilien unter die Dienerschaft zu verteilen. Da hat er sich nun als ›Dienerschaft‹ mitgerechnet und, wie man sagt, das Beste für sich genommen.«
»Daß Du den Carolather Herrn so langweilig gefunden hast, überrascht mich nicht. Dieses liegt im Geschlecht.«
»Es scheint fast, als ob der Großkanzler auf die Faulenzer und Unrechtlichen Jagd machen werde, denn über die Schlaffheit seines Vorgängers läßt er sich aus. Alles wäre gut wenn er nur nicht die Frau hätte, die die schlechten Manieren einer Dame de la Halle mit der Anmaßung einer Emporgekommenen vereinigt. Sie weiß so wenig, was sie zu tun hat, daß sie beispielsweis auf dem Geburtstagsball bei Minister von der Goltz, zu dem auch sie gebeten war, sich weder der Prinzessin von Oranien noch der Prinzessin von Hessen hat vorstellen lassen. Sie fragt niemanden und bekümmert sich um keinen Anstand. Ist also ein komplettes Original.«
»Ich komme noch einmal auf J.......tz zurück. Sobald ich wieder in Berlin bin, werd ich mich eingehender nach ihm erkundigen. Sein Ehrgeiz hat ihn in das ›neue System‹ hineingelockt, und er muß mit allerlei Menschen Umgang halten, die mir nicht gefallen. Nur ein Staatskanzlerposten ist zu haben, wenn Hardenberg stirbt oder geschuppt wird. Und wenigstens ein halbes Dutzend der untern Faiseurs macht Anspruch auf diese Stelle.«
So läuft die Kritik, ohne sich übrigens, wie die vorstehende Blumenlese vermuten lassen könnte, lediglich auf die Standesgenossen zu beschränken. Alles wird herangezogen, auch Hof und Geistlichkeit.
»In Geschmackssachen«, so schreibt er an Alexandrine D., »ist nicht zu streiten. Eberhard Danckelmann findet bei den Hoffestlichkeiten, an denen er jetzt teilnimmt, alles, was er verlangt. Ich, meinesteils, bin freilich immer so dumm gewesen, nichts als Unbehagen und Langeweile dabei zu fühlen.«
»Ich bin ganz Deiner Meinung, meine liebe Tochter, in allem, was Du mir über Pastor Heiligendörfer schreibst. Er war immer ein Salbader, den aber Onkel Kalkstein protegierte, weil er wenigstens ein ruhiger Mann war. Allerdings von seiner Kanzelberedsamkeit hatte selbst der selige Onkel keine sehr hohe Vorstellung.«
Auch allerhand Provinzialeigentümlichkeiten entgingen seinem scharfen Auge nicht, und so schrieb er an Alexandrine: »Du wunderst Dich, daß die Schlesier Deinem Manne wegen seiner neuerhaltenen Würde die Cour machen. Ich wundere mich nicht. Das ist so Landesart. Als sie noch unter dem Wiener Hof geängstigt wurden, mußten sie sich vor allen österreichischen Großprahlern neigen. Nachher kamen sie unter die Fuchtel des preußischen Finanzministers. Da verdoppelte sich das Neigen, einmal aus Furcht, das andere Mal aus Interesse. Und so ist es ihre Gewohnheit geworden, sich vor allen, die ihnen direkt oder indirekt nutzen oder schaden können, zu beugen.«
In solchen und ähnlichen Betrachtungen ergehen sich die Briefe, bis sie kurz vor der Jenaer Schlacht, auf fast Dreivierteljahr hin, abbrechen. Aber an ihre Stelle tritt jetzt ein umfangreiches »Memoire«, dem ich nunmehr folgende, für die Geschichte jener Tage nicht unwichtige Schilderung entnehme.
Die Plünderung Liebenbergs am 26., 27. und 28. Oktober 1806
»Am 25. Oktober war es, als die zum Hohenloheschen Corps gehörenden Husaren vom Regiment Prinz Eugen von Württemberg, samt zwei Compagnien Fußjäger, auf ihrem fluchtartigen Rückzug unvermutet in Liebenberg eintrafen. Offiziere und Gemeine waren äußerst ermüdet und mißvergnügt über die elende Führung der Armee, die Pferde gedrückt und schlecht im Stande.
Ein Rind wurde geschlachtet und behufs der Soldatenverpflegung unter die Dorfgemeinde verteilt. Sieben Jägeroffiziere, vierzig Mann und die Wachen blieben bei mir auf dem Hofe.
Den 26. des Morgens um sechs Uhr marschierten Jäger und Husaren nach Liebenwalde; die zur Avantgarde gehörenden übrigen Regimenter aber, die meist in Germendorf, Gransee etc. gestanden hatten, gingen auf Zehdenick.
Ohngefähr um zehn Uhr kam ein Trompeter von der französischen Vorhut auf den Hof gesprengt. Ein Husar aber, der ihn begleitete, schrie meinen vor dem Hause stehenden Leuten zu ›Hierher!‹ und hieb nach ihnen, als sie sich ins Haus zurückziehen wollten. Ich ging ihm nun entgegen und fragte ihn auf französisch, ›was zu seinen Diensten sei?‹ Wie ein Rasender sprang er jetzt vom Pferde und schrie: ›Vite, vite, 200 Louis!‹ Ich erwiderte: ›Silbergeld hätt ich noch, aber von Gold sei keine Rede‹, worauf er nur wieder schrie: ›Vite, vite; sonst kommen die Kameraden mir anderwärts zuvor.‹ (Es war, als hielt er es für seine Bestimmung, überall der erste Dieb zu sein.) Ich öffnete nun mein Schreibspind, und er nahm alles, was darin war, 640 Taler, schüttete die Taler in einen Kornsack und packte sich mit seinem Kameraden davon.