Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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18. Januar. Früher Aufbruch von Kenneh. Um vier Uhr nachmittags vor Anker in Theben. »Theben und seine Glanzzeit ist wie vom Boden der Erde weggefegt, und nur die riesigen Tempelbauten, welche zerstreut über einen Umfang von etwa drei deutschen Meilen liegen, bezeichnen gegenwärtig die Mittelpunkte der einzelnen Quartiere. Man unterscheidet jetzt, als Hauptsache, Karnak und Luxor, letzteres etwas südlich von Karnak. Luxor hat zwei Hotels und etwas vom Ansehen eines europäischen Badeortes. Sein Glanzpunkt ist ein weltberühmter Amontempel. Wie die Schwalben haben die modernen Thebaner den schwarzen Nilschlamm an die festen steinernen Wände des Heiligtums geklebt und sich Wohnräume geschaffen, denen die Bildwerke und hieroglyphischen Inschriften der Vorzeit den sonderbarsten dekorativen Schmuck verleihen.«

Überhaupt: »Nilschlamm und Schmutz sind das Glück des Fellachen, der diese Hütten in den Tempeln und Nekropolen von Theben bewohnt.«

Und nach diesen einleitenden Worten fährt Brugsch fort:

»Für die Nachkommen der alten Ägypter, wie immer auch Sprache und Glaube sie schließlich geschieden haben mag, ist in unserer vorgeschrittenen Epoche (in der die Seife eine so bedeutungsvolle Rolle spielt) nur der Schmutz als die allgemeine Signatur klebengeblieben. Neben ihren Fellachengenossen im oberen und unteren Niltal erscheinen die Thebaner zur Freude der fahrenden Künstler als die wandelnden Träger jener gepriesenen Patina, die der Antike einen so hohen Wert verschafft und hier in Theben – diesem verkörperten Begriff des Altertums – den Bewohnern einen ganz eigentümlichen, beinah erblichen Reiz verleiht. ›Wenn ihr feinen Franken (so denken sie) diese nie gewaschenen und nie gereinigten Denkmäler unserer Vorfahren mit soviel Wohlgefallen betrachtet, warum sollen wir, die Kinder der Erbauer euer Werke, anders aussehn, warum uns mit aller Gewalt in eine falsche Richtung hineindrängen?‹ In Dorf und Stadt, wo immer sich die Wege öffnen und Kamele, Pferde, Esel die Straße durchziehen, ist es die vornehmste Aufgabe der Töchter des Landes, mit geschäftiger Emsigkeit die ›Gilleh‹ (Mistfladen) zu sammeln und in gefüllten Körben auf dem Kopfe nach Hause zu tragen, wo nun, nach der Analogie von Torf, das Formen und Trocknen in der Sonne beginnt. Diese Gilleh-Scheiben wandern dann schließlich in die Wohnung, um hier als schwelende Feuerung und zugleich als Heizung für den Backofen zu dienen. Auch das Brot schmeckt deshalb danach. Die Gilleh ist und wird für alle Zeiten hin das spezifische Räucherwerk des Ägypters bleiben und sein Wohlgeruch unzertrennlich vom Dasein des letzten Fellachen sein, der noch heute Lampenöl als eine Delikatesse betrachtet und neben seinem Esel das grüne Gras auf dem Felde mit gierig schlingendem Munde abweidet.«

Dem Besuche des Amontempels in Luxor folgte der Besuch von Karnak. Ein Eselsritt von zwanzig Minuten. Ganz in der Nähe von Karnak läßt eine Reihe liegender Steinwidder die Spuren der langen Sphinxallee erkennen, welche einst Luxor mit Karnak verband und in nördlicher Richtung nach dem Heiligtum des Amonsohnes: Chonsu, führte. Der Weg zum Tempel ist nicht zu fehlen. Der Prinz ritt von der Westseite her in den großen Vorhof ein, begrüßt von dem marmornen Standbilde König Sesostris', der wie eine Rolandssäule Wache hält. Die heutige Länge des Tempels von Westen nach Osten beträgt 365 Meter, 113 seine Breite. Das ist die vierfache Länge des Königlichen Schlosses in Berlin. Der weltberühmte Saal hinter der Eingangspforte ist groß genug, die Gesamtanlage von Notre-Dame in Paris bequem in sich aufzunehmen. Dies Wunder von Karnak hat eine Länge von 102 Metern und eine Breite von 51. Hundertundfunfzig Säulen trugen einst die Decke, die sich, im Mittelgange, 23 Meter über den Fußboden erhob. Zwölf Säulen, zu beiden Seiten des Mitteleinganges, haben einen Umfang von zehn Metern (Durchmesser ungefähr elf Fuß). Mit einer einzigen Ausnahme stehen alle Säulen wie vor dreiunddreißig Jahrhunderten kerzengerade da.

19. Januar. An diesem Tage besuchte der Prinz die Westseite von Theben (an der linken Seite des Nil), die »Nekropolis« und die beiden Steinriesen, sitzende Königsbilder, eines davon das Bildnis Amenhoteps oder Amenophis' III., desselben, der den Amontempel in Luxor errichtete. Dies Bildnis, von dem sich während eines Erdbebens im Jahre 27 vor Christo Kopf und Oberteile loslösten, ist die berühmte Memnonssäule.

Am Abend des 19. (der Abschied von Theben, um weiter flußaufwärts zu gehen, stand für den nächsten Tag bevor) wurde durch Konsul Tudrus und seinen Sohn ein Feuerwerk abgebrannt. Aber dabei blieb es nicht. Noch eine andere Aufmerksamkeit stand bevor. Brugsch schreibt: »Eben war alles dunkel geworden, als ich bemerkte, daß vom Dorf her Männer herankamen und auf unser Boot zuschritten. Auf meinen Anruf ›Wer da‹ erhielt ich Antwort ›Still‹. Es waren Tudrus und sein Sohn samt einem Knecht, die, so schien es, eine tief in Leinen gehüllte vierte Person führten und mühsam mit aufs Schiff schleppten. Dann legten sie, nach vorgängiger Verständigung, diese vierte Person auf einen zur Seite stehenden Diwan nieder. Als Tudrus samt Sohn und Knecht wieder fort waren, trat ich an die vierte Person heran und entfernte beim matten Schein der Schiffslaterne die Nadeln, die die kleineren Hüllen um Kopf und Hals zusammenhielten. Ein kleines, rundes, liebliches Mädchengesicht von weißestem Teint und mit schwarzem Augenpaar, den Hals mit einem weißen Collier geschmückt, lächelte mich spukhaft an. Ihr Alter zu bestimmen war mir unmöglich. Annähernd schätzte ich es mit Kennerblick auf 24 + 2700 Jahre. Es war eine thebanische Priesterin des Amon aus vornehmem Geschlecht. Der wohleinbalsamierte Leib lag in einem buntbemalten Karton. Tudrus hatte das Mädchen von irgendeinem fellachischen Schatzgräber in der Nähe der Memnonien erstanden und sich die Freude vorbehalten, dem Prinzen in nächtlicher Stunde die junge Thebanerin als Geschenk zu übergeben. Von ihrem spätern Schicksal in Dreilinden berichte ich am Schluß.«

20. Januar. Von Theben bis Belessieh.

21. Januar. Besonders stiller Tag. Als man an einsamster Stelle war, wurde man durch eine Bootbegegnung überrascht. Flußabwärts schwamm eine Dahabieh heran, auf der sich zwei junge württembergische Offiziere befanden. Ein Zufall wollte es, daß der Prinz vier Wochen später, auf dem Wege von Jaffa nach Jerusalem, abermals eine Begegnung mit Württembergern hatte, und zwar mit ›württembergischen Templern‹. Wir kamen nachmittags bis Ombos, das schon im Altertum wegen seiner vielen Krokodile berühmt war. Aber kein Krokodil war auf den Sandbänken zu sehen. ›Wo sind sie?‹ fragte der Prinz. ›Sie sind nur im Sommer da‹, erwiderte ein Alter, ›jetzt würden sie sich erkälten.‹«

22. Januar. Von Ombos nach dem Dorfe Edfu und von diesem aus, an der Insel Elephantine vorüber, bis zur Stadt Assuan, im Altertum Syene (daher Syenit). Hier beginnt die Granitregion Ägyptens; der Nil bildet Fälle. Dicht hinter Assuan ist der erste Katarakt.

22. zum 23. Januar. In der Nacht vom 22. zum 23. traf von Kairo telegraphisch die Meldung von dem am 21. Januar erfolgten Tode des alten Prinzen Karl ein. Prinz Friedrich Karl war sofort zur Rückkehr nach Berlin entschlossen, bis ein zweites Telegramm ihn bestimmte, davon Abstand zu nehmen und die Reise nach dem ursprünglichen Programm fortzusetzen. Dies zweite Telegramm rührte von Kaiser Wilhelm her und sprach aus, »daß er zur Beisetzung doch zu spät kommen würde«.

23. Januar. Der Prinz bleibt am 23. noch in Assuan und Umgebung. Ein Ausflug nach der Katarakteninsel Philä wird unternommen. Besichtigung des Tempels. Nach der Rückkehr von diesem Ausflug erfolgt die Rückreise nach Kairo.

23. bis 30. Januar. Rückreise von Assuan und dem ersten Katarakt bis nach Bedresheïn, eine halbe Tagereise südlich von Kairo. »Am 30. abends wurde Bedresheïn erreicht; die Schiffe legten vor Klein-Memphis an. Im Hintergrunde, nach Westen zu, leuchteten die Pyramiden von Sakkarah im Schein der untergehenden Sonne.«

31. Januar. Am 31. früh brach der Prinz auf, um von Bedresheïn aus die Pyramiden von Sakkarah zu besuchen. Emil Brugsch hatte sich, von Bulak her, eingefunden, um auf diesem Terrain, das er vorzüglich kannte, die Führung zu übernehmen. Nach Norden hin, während man den Marsch antrat, wurden die Pyramiden von Gizeh (bei Kairo) sichtbar. Das Dorf Sakkarah liegt dicht am Fuße des langgestreckten Wüstenplateaus, auf welchem die Grabpyramiden der längst verschollenen Könige von Memphis, in gruppenweiser Anordnung, ihre Posten als Marksteine der Weltgeschichte einnehmen. Der Aufstieg führt an dem aus Nilziegeln aufgeführten Hause Mariettes vorüber, das derselbe während seines langjährigen Wüstenlebens bewohnte und von dem aus er seine Ausgrabungen leitete.

Der Besuch der unterirdischen Apisgrüfte mit ihren ausgedehnten Bogengängen und Nischen erfüllt mit großem Staunen für das, was die Ägypter auch als Bergleute zu leisten imstande waren. In den vierundsechzig Gewölben zu beiden Seiten der Gänge ruhten einst die einbalsamierten und mit reichem Schmuck versehenen Leiber der Apisstiere in roten (und dunklen) Granitsärgen, deren Größe jeder Beschreibung spottet. Vierundzwanzig derselben stehen noch an der alten Stelle, und eine Holztreppe gewährt den Zugang in die Höhlung jedes einzelnen Steinsarges. Im Durchschnitt zwölf Fuß lang, sieben Fuß breit und zehn Fuß hoch, beziffert sich das Gewicht jedes einzelnen auf 13 000 Zentner. In welcher Weise und mit welchen Mitteln die Ägypter jene ungeheuersten aller Sarkophage vom Nil an bis zu den Grüften transportiert haben mögen, bleibt ein ungelöstes Rätsel.

Die Besichtigung einer der neugeöffneten Pyramiden bildete den Abschluß der Wanderung auf der einsamen Nekropolis von Sakkarah. »Mein Bruder« (so schreibt Brugsch) »hatte dazu die Pyramide des Königs Unas-Onnos, des letzten Herrschers der fünften Dynastie, gewählt und die Gänge und Räume in dem hohlen Kerne des mächtigen Baues auf das säuberlichste von Schutt und Steingeröll reinigen lassen. Das Einsteigen in den schrägen Gang, der nach der eigentlichen Totenkammer mit dem leeren Sarkophage des Königs führt, bot nicht die geringste Schwierigkeit, und der Anblick der mit endlosen Hieroglyphenstreifen bedeckten Wände hielt reichlich schadlos für die kleine Mühe der Einfahrt in die pyramidale Unterwelt.«

Bald danach war man in Bedresheïn zurück und erreichte Kairo zu guter Stunde.

Mit einem »Gott sei Dank« verließen die Orientfahrer das Nilboot, auf dem sie dreiundzwanzig Tage zugebracht hatten. »Namentlich der Prinz atmete auf, als sein Fuß die Ufererde wieder berührte, denn der oft über ganze Tage hin ausgedehnte Mangel an Tätigkeit und Beschäftigung hatte ihm schließlich die gute Laune von Grund aus verdorben. Niemand weiß den Wert der Zeit besser zu schätzen als er, und die lange Trödelei auf dem heiligen Strome war alles andere eher gewesen als eine angemessene Verwertung der Zeit. Ein Glück, daß gelegentliche Jagdpartien am Ufer die Langweil der Fahrt unterbrachen.«

 
IV. Über den Sinai

1. und 2. Februar. Aufenthalt im Hotel Shepeard in Kairo. Der Herzog von Sutherland war Mitbewohner des Hotels. Lord Napier of Magdala wurde erwartet.

3. Februar. Aufbruch nach der Sinaihalbinsel. Achtstündige Eisenbahnfahrt von Kairo über Ismaila nach Suez. Ankunft acht Uhr abends. Hier wartete schon das mittlerweile von Alexandrien nach Suez dirigierte, dem Prinzen für seinen Aufenthalt im Orient zur Verfügung gestellte Kanonenboot »Cyklop«, Kapitänlieutenant Kelch, und nahm den Prinzen und seine Begleitung an Bord.

4. Februar. Aufbruch nach dem Hafenort Tôr am Fuße des freilich erst in drei Tagereisen zu erreichenden Sinaiklosters.

5. Februar. Hier, in Tôr, fand man auch die von Suez her auf dem Landwege vorausgeschickten Kamele, die bestimmt waren, den Prinzen und seine Begleitung erst auf den Sinai hinauf und dann, von seiner Höhe herab, nach Suez (nicht nach Tôr) zurückzutragen. Ausflug nach dem »Mosesbade«. Schlechte Nacht; durch Ratten und Glockengebimmel gestört.

6. Februar. Aufbruch auf vierzig Kamelen und in Begleitung befreundeter Beduinen. Beschwerden des Kamelritts. Um fünf Uhr beginnt die Steigung, und das Wadi Hebrân öffnet sein Felsentor.

7. Februar. Fortsetzung des Aufstiegs.

8. Februar. Desgleichen. Nach Passierung eines Felsentors Eintritt in eine von mächtigen Gebirgszügen eingefaßte Hochebene. Im Hintergrunde der Sinai. Gegen Abend wird das Sinaikloster erreicht. Erst in die Kapelle; dann Bewirtung im Zimmer das Archimandriten.

9. Februar. Der Prinz bleibt einen Tag im Kloster, um in der Umgegend desselben nach dem sinaitischen Steinbock zu jagen. Leider erfolglos. Bei der Rückkehr von der Jagd wird ihm das Sinai-Fremdenbuch vorgelegt, in das er seinen Namen einschreibt. Der Name vor ihm war: Edward Henry Palmer.

Edward Henry Palmer, geboren 1840 zu Cambridge, ausgezeichneter Orientalist, nahm 1868 und 1869 teil an der zur Erforschung des Sinaigebietes entsendeten englischen Expedition. Bald nach seiner Rückkehr nach England wurde er an der Cambridger Universität zum Professor des Arabischen ernannt. 1882 übernahm er im Auftrage der englischen Regierung eine geheime Mission in die Wüste östlich vom Suezkanal, mit dem Zwecke, die dort hausenden Beduinenstämme bei dem bevorstehenden Kriege in Ägypten (gegen Arabi-Bey) für England zu gewinnen. Seine Bemühungen wurden auch anfangs von Erfolg gekrönt, bis er einer Anzahl Beduinen, die zu den Anhängern Arabi-Beys gehörten, in die Hände fiel. Diese schleppten ihn und seine zwei Begleiter in die Felsschlucht am Gebel Bischr und forderten hier alle drei auf, sich von der Höhe des Felsens in die Schlucht zu stürzen. Palmer und einer seiner englischen Gefährten gehorchten, der andere zog es vor, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Dies Ereignis lag erst um drei Monate zurück, und die Sinaireise des Prinzen war deshalb als gefahrvoll angesehen und von verschiedenen Seiten her abgeraten worden.


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