Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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II

Der vorstehende Brief vom 27. November ist der letzte vor der Tat geschriebene. Vielleicht, daß diese schon beschlossene Sache war, als er drei Tage später (am 30. November) aus dem Arrest entlassen wurde, wenigstens war ihm der Offizier, der seinem Rachegelüste zum Opfer fiel, seit lange verhaßt. Einige behaupten, daß auch Eifersucht mit im Spiele gewesen sei. Gleichviel, am 5. Dezember früh geschah die Tat, Arnstedt selbst machte die Meldung davon und wurde, kaum aus dem Gefängnis entlassen, aufs neue dahin abgeführt. Die vorgesetzte militärische Behörde nahm es, wie selbstverständlich, sehr ernst, sah von allen Rücksichten ab und ließ ihn in Ketten legen. Er machte jedoch das Unmögliche möglich und führte, trotz dieser Ketten und sonstiger Behinderungen, eine lebhafte Korrespondenz, die nicht bloß bruchstückweis wie die vorhergehende, sondern in ihrer Totalität mir vorliegt. Ihr charakteristischer Zug ist ein ungeheures Maß von Selbstsucht und Leichtsinn. An diesem Leichtsinn nimmt einigermaßen auch der Freund, Adalbert von L., teil, an den sich die Briefe richten. Bis zuletzt sprechen sie von Ball, Vereinen, Cotillonorden und Liebesgeschichten. Aber das ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist der Gefühlsmischmasch, das entsetzliche Durcheinander von Sentimentalität und Obszönität, in welcher Hinsicht diese Briefe vielleicht einzig dastehen und geradezu ein psychologisches, sicherlich ein zeitbildliches Interesse beanspruchen dürfen. Oft wechselt der Inhalt von Zeile zu Zeile; Liebe zu Mutter und Geschwistern, Anflüge wirklicher Herzensneigung, Anruf und Gebete zu Gott, Gedichte, Flehen um Erhörung, Freundschaftsversicherungen (auch ehrlich gemeinte), Rachegelübde, Vergiftungspläne, Sammetrock, Blumensträuße, Pikschlitten und Gitarre, Witzeleien und Zynismen – in diesem Mengemus geht es fort bis zur letzten Stunde, bis ans Schafott. Von Reue keine Spur; es ist, als ob er einfach ein ihm feindliches Tier über den Haufen geschossen habe. Was ihn beschäftigt, ist nur die Frage: »Komm ich bald wieder frei? Und wie hübsch wird es dann sein!« Eine bodenlose Rücksichtslosigkeit in jedem Wort, und nur immer auf Augenblicke dämmert in ihm die Vorstellung von dem Ernst seiner Lage. Eine wahre Höllenlektüre, deren Kernstücke sich der Mitteilungsmöglichkeit entziehen, aber deren anständigere Stellen auch vollkommen ausreichen, um die Häßlichkeit jener halben, unehrlichen und verlogenen Zeit der dreißiger Jahre zu demonstrieren.

 
Emil von Arnstedts erster Brief aus dem Gefängnis

30. Dezember 1836

Mein lieber Adalbert. Mit Dir unterhalte ich mich am liebsten, denn Du bist mein Vertrauter. Daher sollst Du etwas von jenem Morde hören. Du reistest doch Freitag abend ab, an jenem Tage, dem der schönste Abend meines Lebens folgte. Ich sprach mit Deiner Mutter und äußerte ihr mein Bedauern über die Reise. Clara war so gut, so liebenswürdig, wie ich sie nie sah; ich überließ mich ganz der Freude, obgleich ich schon eine trübe Ahnung hatte. Lieutenants Keßler, Putlitz, Gauvain waren auch da; mit letzterem tauschte ich noch die Cotillondame (Clara gegen Modeste), und wir waren sehr vergnügt. Emma Bantz, die Schiller, die eine Faller (Sidonie) und mehrere hübsche Mädchen (Flora) waren da. Nach dem Balle fuhr Clara nach Hause, und ich begleitete Flora. Sonnabend gehe ich in die Divisionsschule, Sonntag auf Parade; fragt Wenzel mich, ob ich Donnerstag neun Uhr abends zu Hause gewesen sei? Ich sage »ja«. Da meint er, »es ist eine ungeheure Frechheit von Ihnen, das zu behaupten«. Er zeigt mich an, beide Obersten machen mich schlecht, und ich erhalte wieder mal vierundzwanzig Stunden Arrest. Es kochte fürchterlich in mir. Ich wollte zu Schlomkas gehen, wo Clara war, auf dem Beamtenverein. Alles war vorbei, ich mußte in der Stube bleiben. Kurze Zeit nach der Parade kommt Wenzel wieder zu mir und macht mich schlecht, »daß meine Stube nicht so in Ordnung sei«, während doch mein Bursche auf Wache war. Nicht die Worte selbst, sondern die Art und der Ton, wie sie gesagt wurden, haben mich so in Wut gesetzt. Dazu kam, daß mir mein Onkel (es war dies der später kommandierende General von Werder) sagte, »er würde sich genötigt sehen, den König um meine Entlassung zu bitten«. Ich war wütend. Hätte nur ein Mensch freundlich mit mir gesprochen, so wär ich auf andere Gedanken gekommen. Hättest Du mir doch zur Seite gestanden! Kurz, ich faßte den Entschluß, meinem Leben ein Ende zu machen. Pistol, Pulver, Blei, alles war bald angeschafft und die Waffe geladen. Da dacht ich an meine Mutter, an meine Freunde und Kameraden, an Dich und vor allem an meine liebe Clara. Ohne Abschied konnte ich nicht von Euch scheiden. Ich war, offen gesagt, zu schwach, mich schon von der Welt loszureißen. Da fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, er muß sterben. Dieser Gedanke hat mich nicht wieder verlassen. Da ich überzeugt war, daß ich meine Lieben nicht mehr sprechen würde, so nahm ich schriftlich von den drei mir am teuersten auf dieser Welt Abschied. Es sind dies die Briefe an Dich, Clara und meine Mutter. Mein Tagebuch hatte ich geschlossen, und eine meiner Locken solltest Du nebst diesem Brief erhalten. Am Montag früh (um fortzufahren) kam Wenzel zu mir und fuhr mich an, »warum ich nicht in der Schule sei?« Ich sagte ihm, »weil ich Arrest habe«. Schon den vorigen Nachmittag hatte ich ihn erwartet und die geladene Pistole in Bereitschaft; er kam nicht. Jetzt antwortete ich ihm, »daß ich gleich kommen würde«, worauf er eilig mein Zimmer verließ, da er wohl meine wütenden Blicke sah. Ich sprang nach dem Spinde, holte die Waffe und stürzte ihm nach. Auf fünfzehn bis zwanzig Schritte schoß ich das Pistol ab und traf ihn, da er sich gerade umdrehte, in die linke Achsel quer durch die Brust, so daß die Kugel, nachdem sie den rechten Arm noch zerschmettert hatte, dicht unter der Haut sitzen blieb. Er ging nun noch einige Schritte taumelnd zurück und stürzte dann vorwärts aufs Gesicht. Ich meldete mich sogleich selbst als Mörder und wurde nach der Wache gebracht. Am folgenden Tage hatte ich an der Leiche Verhör; der Körper wurde seziert und die Brust ganz aufgeschnitten. Keine Miene habe ich verzogen, bloß um zu beweisen, daß dieser Anblick mich nicht schreckte. Die ersten Tage meiner Einkerkerung waren für mich fürchterlich; nur alle vierundzwanzig Stunden erhielt ich warmes Essen, bis ich dann von mitleidigen Menschen gespeist wurde. Du hast hier ein offenes, wahres Bekenntnis einer schrecklichen Tat; nur die Liebe zu Euch, Ihr Lieben, hielt mich an diesem Leben fest. Denn ich zog doch die Festung dem Tode vor, und daß ich nicht hingerichtet würde, davon war ich damals fest überzeugt. Jetzt ist es freilich anders, denn ich sehe nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Wahrscheinlichkeit ein. Aber laß das gut sein, es kann alles noch besser werden, als wir denken. Für jetzt freu ich mich nur, daß meine liebe Mutter hier ist und daß ich mich mit Dir unterhalten kann. Denn obgleich mir Weitze und Landvogt soviel Gutes erweisen, so kann ich doch nicht das für sie fühlen, was mein Herz für Dich empfindet. Mit welcher Gefahr ich schreibe, glaubst Du gar nicht, denn an meiner Stubentür, in welcher eine Scheibe ist, steht der Posten, und ich habe nur einen kleinen Winkel, wo er mich nicht beobachten kann. Wenn ich nur bald von hier wegkomme. Zwar werde ich dann Dir und meiner Clara entführt, doch mein Herz bleibt bei Euch, und gewiß werde ich Dich stets von meinem Befinden benachrichtigen. Nur muß ich bitten, daß auch Du mich recht ausführlich benachrichtigst und mir schreibst, was ihr für den Silvesterball vorhabt. Du weißt gar nicht, wie glücklich es mich macht, von Dir und Clara etwas zu hören; daher sei nicht karg mit Deinem Schreiben, es soll Dir keinen Schaden verursachen. Grüße meinen guten Heinrich, August, Jean etc., aber vor allen grüße sie, die ich so heiß liebe. Sage ihr, daß alle Pulse nur für sie schlagen, daß kein Augenblick vergeht, in welchem ich nicht an sie denke. Ach, es heißt mit Recht: »Süße Quelle meiner Leiden, ewig, ewig lieb ich dich«, denn jener unvergeßliche Abend (Freitag, den 2. Dezember) ist die Hauptursache. Aber ich klage keinen Menschen an, nur mich allein und meine fürchterliche Verblendung. Ich kann mit Recht sagen, »ich opferte mich für andere«, denn mir bleiben von der Tat nur die Hefen, meine Kameraden genießen das Gute. Nur bleib mir treu, erfreue mich mit einem recht langen Schreiben und grüße Clara von Deinem immer noch verliebten

Vetter Emil.

 
Zweiter Brief Emil von Arnstedts an seinen Vetter Adalbert von L.

1. Januar 1837

Mein lieber Adalbert! Von Herzen Glück zum neuen Jahr. Du bist doch mein bester Junge und wirst es bleiben, daher will ich Dir auch vertrauen. Ist mein Tod nicht zu umgehen, so steht mir der Weg der Flucht immer noch offen. Ich habe schon im stillen gearbeitet und Du wirst mich gewiß dabei nicht im Stich lassen. Als ich gestern gegen sieben Dein kräftiges »Oho!« erschallen und die Schellen läuten hörte, war ich schon im Begriff, als Maske auf den Silvesterball zu kommen. Nur der Gedanke an die Bemühungen meiner guten MutterSeine Mutter, eine noch sehr schöne Frau, war von Sorau nach Frankfurt gekommen, um von hier aus Schritte zur Rettung ihres Sohnes zu tun oder wenigstens eine Strafmilderung durchzusetzen. Bei dem großen Interesse, das die Stadt, namentlich die Frauenwelt, an dem Hergange nahm, kam man ihr vielfach entgegen und unterstützte sie mit Rat und Tat. Auch mit Geld, denn sie war unbemittelt. Eine von ihrer Hand geschriebene Quittung liegt mir vor. Dieselbe lautet: »Vier Doppel-Louisdor zur hülfreichen Verwendung für meinen unglücklichen Sohn von edlen Menschenfreunden anonym erhalten zu haben, bescheinige ich hiermit und sage den edlen Gebern meinen heißesten, gerührtesten Dank. Frankfurt, 28. Dezember 1836. Verwitwete von Arnstedt geborene von Aldobrandini.« hielt mich davon ab. Daß es mir gelungen wäre, wirst Du wohl nicht bezweifeln, denn ich gab Dir schon Beweise der Art. Über Deinen Brief habe ich eine unaussprechliche Freude gehabt. Schreibe mir ja, was Clara macht, wie sie von mir denkt, ob sie sich meiner noch erinnert. Glaube mir, nichts straft mich mehr als das Vernageln meiner Fenster, aber ich muß gestehen, es war in den ersten Tagen auch zu auffallend. Alle Mädchen gingen an meinem Fenster vorüber und schauten herauf. Mir war so rasend zumute; doch habe ich mich köstlich dabei amüsiert. Denn Du kennst mich ja, wenn ich hübsche Mädchen sehe. Aber nur eine erfreut mich wahrhaft, wenn sie mich eines Blickes würdigt. Schon oft hatte ich das Vergnügen, sie zu sehn. Ach, wenn ich sie nur noch einmal sprechen könnte! O guter, treuer Freund, wenn Du ein kleines Liebeszeichen für mich empfangen könntest, es sollte mir meine Ketten tragen, ja vergessen helfen. Meine gute, liebe Mutter arbeitet Tag und Nacht für mich, und ihren Bemühungen verdanke ich so viel. Ach, wenn ich ihr doch genug dafür danken könnte! Wenn Du wüßtest, wie es in mir gärt und kocht; wenn das so fort geht mit meiner Behandlung, werd ich nächster Tage verrückt. Denke Dir, alle vierundzwanzig Stunden wird bei dieser Kälte nur einmal eingeheizt; wenn ich schlafen gehe, darf ich mich nicht ausziehen, und was dergleichen Schikanen mehr sind, die man sich ausdenkt. Keine Binde, keine Hosenträgerschnalle, nichts darf ich haben; daß ich andere Sachen habe, das wissen sie nicht. Aber nun will ich alles gern ertragen. Ich besitze eine liebe, treue Mutter, eine gute Schwester, geprüfte, treue Freunde und vielleicht auch das Herz eines Mädchens, das mein ganzes Sein ausmacht. Ich bin nicht verlassen, denn man nimmt sich meiner tätig an. Wenn nur nicht gerade meine Richter auch meine Feinde wären. Aber laß das gut sein, ihren Zweck erreichen sie nicht, denn obgleich ich dem Tode mit Trotz ins Gesicht sehe, so ziehen mich doch alle Pferde der Erde nicht zum Schafott. Dafür sage ich Dir gut, und Du kennst mich alte, treue Seele. Der Frau kannst Du unbedingtes Vertrauen schenken, sie ist treu wie Gold, und obschon sie sehr beobachtet wird, Weiberlist geht über alles. Und ich bin Gott sei Dank auch nicht auf den Kopf gefallen. Bald mehr. Lebe froh, genieße Deine Zeit; man ist bloß einmal jung. Grüße meine Freunde und meine heißgeliebte Clara, und sage ihr, wie unaussprechlich ich sie liebe und wie ich nur stets an sie denke. Lebe wohl.

 
Adalbert von L. an Emil von Arnstedt

3. Januar 37

Mein lieber Arnstedt. Von Clara soll und will ich Dir schreiben. Ja, sie liebt Dich noch mit der Liebe, wie sie Dich stets geliebt hat, und Deine Locke trägt sie beständig auf ihrem Herzen. Sie lebt nur für Dich; auf dem Beamtenverein sprachen wir nur von Dir, und heut noch gehe ich zu ihr, um sie zu einem Briefe zu vermögen. Es war am Sylvester wenig los auf dem Verein, nur ungefähr zehn bis zwölf tanzbare Damen; ich habe mit Clara den Cotillon getanzt und, wie gesagt, nur von Dir gesprochen. Als ich nach Frankfurt zurückkam, hörte ich gleich, daß Du im Gefängnis ungeheuer becourt worden wärest; aber Du hast auch wirklich die ganze Damenwelt auf Deiner Seite. Wenn Deine Richter Damen wären, so würdest Du gewiß freigesprochen und noch obenein General. Deinem vis-à-vis traue ich nicht; sprich nicht davon, daß ich mit Dir korrespondiere. Wenn Du heraus könntest, fast glaub ich, ich würde Dich wegbekommen. Überlege Dir die Sache und schreibe mir darüber. In der Stadt geht das Gerede, ich korrespondierte mit Dir und sollte deshalb festgenommen werden; es ist aber nichts, und ich mache mir auch nichts daraus. Nimm Dich nur in acht, daß Du nicht schlecht dabei wegkommst, denn der alte Oberst von Werder sieht mir höllisch auf die Finger und sitzt jetzt den ganzen Tag am Fenster. So weit schrieb ich heute vormittag; jetzt kann ich Dir auch etwas von Clara erzählen. Ich fuhr sie heute Pikschlitten, und ich hoffe von meiner Überredungskunst das Beste. Es würde mich glücklich machen, wenn sie Dir ein paar Zeilen schriebe. Mein lieber Arnstedt, bist Du in Deinem Briefe auch ganz offen gegen mich gewesen? Hast Du wirklich ganz allein den Entschluß gefaßt? Ich nehme zwar nicht an, daß Du eine Verbindung mit andern in dieser Hinsicht gehabt hast, aber wenn es wirklich so sein sollte, so rette uns Dein teures Leben. Du hast vielleicht Dein Ehrenwort gegeben; es ist so, nun gut, in Amerika, wenn Du loskämest, weiß niemand etwas davon, und Du stehst so gut als Ehrenmann da wie jeder andre. Glaube mir, meine einzige Bitte zu Gott ist jetzt Dein Leben, und wenn alle die Gebete erhört werden, welche dafür zum Himmel emporsteigen, so wirst Du gewiß erlöst. Verzweifle nur nicht, stelle Dich wahnsinnig, aber werde es nicht. Kann ich Dir in sonst etwas dienen, so sprich es aus. Alles, was ich tun kann, tu ich gewiß mit Freuden. Tu nur keinen übereilten Schritt; Dein Entschluß, nicht auf dem Schafott zu sterben, ist Dir von Gott eingegeben. Ich könnte nicht leben, wenn ich Dich hinrichten sähe.

Dein A. von L.

 
Emil von Arnstedt an Adalbert von L.

12. Januar 37

Mein guter lieber Adalbert. Meine Flucht aus dem Kerker, auf die Du hinweist, ist kinderleicht; bedenke aber dann weiter. Ich bin hier entblößt von allen Mitteln, zur Reise braucht man Geld, auch müßt ich von Kopf bis Fuß anders gekleidet werden. Die Sache ist also kostspielig, und ich kann von Dir solches Opfer gar nicht annehmen. Reißen aber alle Stränge, so muß Rat geschafft werden, auch Geld, es mag kommen, woher es will, und wenn ich mich dem Satan verschreiben sollte. Ich warte mit Schmerzen auf die Rückkehr meiner Mutter (wahrscheinlich von Berlin, wo sie dem König ein Gnadengesuch überreichen wollte), von der hängt viel ab. Fällt das Resultat glücklich aus, so bleib ich vernünftig, wo nicht, so werd ich wahrscheinlich wahnsinnig, und dann fang ich damit an, daß ich alles kurz und klein schlage. Ich werde meine Rolle schon spielen. Du mußt mir jedesmal schreiben, wann Du meinen Brief erhalten hast, und das Datum darauf setzen. Ich schicke Dir Deine Briefe mit; Du hebst sie mir auf, daß, wenn ich sie fordere, Du sie mir geben kannst. Verwahre die von mir geschriebenen so, daß, wenn man bei Dir nachsuchen sollte, man keinen findet. Ich schicke Dir hier einen Brief an meine liebe Cl. mit; ich überlasse es Deinem Gutachten, denselben abzugeben oder nicht. Zugleich liegt hier die Zeichnung zu dem Schlüssel meiner Ketten bei, zur Flucht muß ich sie lösen; habe ich aber den Schlüssel nicht, so muß ich das Schloß zerbrechen, was mich verraten möchte. Kannst Du mir nicht diesen Schlüssel machen lassen? In diesem Falle benachrichtige mich, wenn er fertig ist. Das Weitere sollst Du dann hören... Ach, wenn ich Dir doch mit Worten schreiben könnte, welche Freude ich über Deinen Brief empfand! Im Vertrauen auf diesen Brief schrieb ich an Clara. Möchte sie mir doch antworten. Sie ist mein Gedanke bei Tag und Nacht. Im Traume umgaukelt sie mich. Liege ich abends so wachend auf meiner Pritsche, so ist es oft, als stände sie vor mir und lächelte mich freundlich an.

Sehnend breit ich meine Arme
Nach der Teuren Schattenbild,
Ach, ich kann es nicht erreichen,
Und das Herz bleibt ungestillt.

Wenn Du, lieber Vetter, mir von ihr einen Brief senden könntest, ich würde vielleicht schon aus Liebe wahnsinnig. Es ist doch ein köstlich Ding, daß wir uns so unterhalten können. Ja, ja, die Liebe und die Not sind erfinderisch, und wer weiß, wie es stünde, wenn dies nicht wäre. Benachrichtige mich doch offen, was die Leute so über meine Bestrafung sprechen. Ob der Entschluß in mir oder bei andern gereift ist und ob ich freiwillig oder durch das Los zum Mörder wurde, darüber laß mich schweigen, und auch Du schweige gegen andre. Nun lebe wohl, schreibe bald und sei nicht so kurz mit Deinen Worten; Du schreibst fünf Zeilen und ich Dir immer ellenlange Briefe. Laß ja den Schlüssel machen; siehe Dich aber mit dem Schlosser vor, er muß Dich entweder genau oder gar nicht kennen.

Dein Emil.


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