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So war die Machtstellung der Quitzows, als im selben Jahre noch (1410) ein die Familie schmerzlich und unerwartet treffendes Ereignis den Wechsel der Dinge teils einleitete, teils für die Zukunft verkündete. Was diesem schmerzlichen Ereignis unmittelbar voraufging, waren besondere Fest- und Freudentage gewesen, zwei Taufen, von denen die eine zu Friesack im Dietrich von Quitzowschen Hause, die andere zu Tangermünde bei dem so nahe befreundeten Kaspar Gans zu Putlitz gefeiert worden war.
Die Quitzowsche Taufe, womit die Reihe der Festlichkeiten begann, fand, wie herkömmlich, sechs Wochen nach der Geburt des Kindes statt. Das war am 5. August. Schon drei Tage vorher hatten sich die Geladenen auf Schloß Friesack versammelt, unter ihnen die beiden Schwiegerväter der Quitzowfamilie: Schenk von Landsberg auf Teupitz und Lippold von Bredow auf Neustadt a. D. beziehungsweise Kremmen, dazu der Bischof Henning von Bredow, Bertram von Bredow auf Bredow, Hans von Torgau, Heinrich von Stechow, Albrecht von Uchtenhagen und Werner und Pape von Holzendorf. Was aber der Feier eine besondere Weihe gab, war, daß sich bei dieser Gelegenheit die vier Quitzowschen Brüder, also einerseits Dietrich und Johann, andererseits Conrad und Henning, aller Wahrscheinlichkeit nach auf Jahre hin zum letzten Male zusammenfanden. Es war nämlich beschlossene Sache, daß, unmittelbar nach Schluß dieser Friesacker Taufe, der eben erst von der Havelberger Domschule kommende, nicht mehr als siebzehn Jahr zählende Henning von Quitzow eine Studienreise nach Paris antreten sollte. Den 3. August war Kirchgang. Um zehn Uhr vormittags setzte sich der Zug in Bewegung, voraus Spielleute mit Geigen, Zinken und Schalmeien, wobei der Baßgeiger sein großes Instrument gitarrenartig an einem Bande trug. Dann folgten die Frauen, in deren Mitte Frau Elisabeth von Quitzow ging. In gleicher Ordnung kehrte man ins Schloß zurück, wo den Tag darauf ein verspätetes Mittel-Kindelbier und am 5. die Taufe selbst samt dem eigentlichen Kindelbier abgehalten wurde. Die Herrichtung der Festtafel entsprach dem Glanz des Hauses, trotzdem aber befleißigte man sich einer sonst nicht üblichen Mäßigkeit, weil die bei Kaspar Gans ausstehende Taufe fast im unmittelbaren Anschluß an die Friesacker Tage gefeiert werden sollte.
Schon am 7. August brach man denn auch nach Schloß Tangermünde hin auf. Es waren dieselben Gäste wie zu Friesack, ein überaus glänzender Zug, der in seinem Glanze nicht an die Not des Landes gemahnte. Bewaffnete Knechte ritten vorauf; dann folgten die Ritter und Edelleute mit denjenigen Damen, die zu Pferde gestiegen waren, während die, die nicht Lust zum Reiten gezeigt hatten, die Fahrt zu Wagen machten. Daran schlossen sich die Zofen und Mägde, bis abermals bewaffnete Knechte dem Ganzen einen Abschluß gaben. Im vorderen wie hinteren Zuge wehte das schräggeteilte Quitzowsche Banner, im roten Felde ein weißer und im weißen Felde ein roter Stern. Rathenow war halber Weg. Bei Fischbeck erreichte man die Elbe, zugleich die Stelle, von der aus eine von jenseits gekommene Fähre die Taufgäste nach dem anderen Ufer hinüberbringen sollte. Schloß Tangermünde ragte im Abendhimmel auf. Alles war festlich und die Fähre selbst aufs reichste mit Blumen geschmückt, ja, drüben am Ufer standen Putlitzsche Trompeter und Pauker, die die Gäste schon von fernher mit ihren Fanfaren begrüßten. Aber die Zahl derer, die hinüber wollten, war für die Fähre viel zu groß, und viermal mußte sie den Fluß kreuzen, eh alle drüben waren. Nun ging es auf das jüngst erst von Kaiser Karl IV. erbaute Schloß Tangermünde zu, wo sich die havelländischen Gäste mit denen aus der Altmark und Prignitz vereinigten. Am nächsten Tage folgte der Taufakt in der von prächtigem Gestein funkelnden Schloßkapelle, woran sich, unmittelbar fast, ein ausgewähltes Mahl schloß. Die dabei, nach Sitte der Zeit, vorzugsweise zur Verwendung kommenden Gewürze waren Pfeffer und Safran. Ein anderer charakteristischer Zug der damaligen Kochkunst bestand darin, nichts zu verschmähen und alle Tierteile: Köpfe, Füße, Zunge, Hirn, Lunge, Leber, Nieren, Gekröse, gleichmäßig in Delikatessen umzuwandeln. Dazu die Schaugerichte: turmartige Kuchen aus Pastetenteig, in die man lebendige Vögel hineinsetzte, die dann beim Öffnen wegflogen. Als das Gratias gesprochen war, erhob man sich und traf Anstalten zum Tanz. Den Beginn machte der von zwölf Paaren getanzte Zwölfmonatstanz; dann kam der polnische Tanz, der Kapriolentanz, der Drehtanz, der Taubentanz. Den Schluß aber bildete der Totentanz, der sehr beliebt war und wobei man durchs Los entschied, wer den Toten zu spielen habe. Das Los traf Conrad von Quitzow von Schloß Hohenwalde. Der erschrak, weil er schon während der Reise von Todesahnungen erfüllt gewesen war. Es galt aber, von diesem Erschrockensein nichts zu zeigen, und als er eine kurze Zeit getanzt hatte, fiel er, wie's das Spiel erheischte, mitten im Saal um und spielte den Toten. Und nun schwieg auch die lustige Musik, und ein dumpfer Trauergesang erscholl, während dessen die Damen an den Toten herantraten und ihn küßten. Als er den Kuß auch der letzten empfangen hatte, stand er wieder auf, und der Drehtanz begann in aller Lustigkeit von neuem.
Damit schloß die Feier, und weil das Doppelfest alle Teilnehmer ermüdet haben mochte, rüsteten sie sich am andere Morgen bereits zur Abreise. Ziemlich früh schon erreichte man die Fähre, die, wie drei Tage zuvor, mit Laub und Blumen geschmückt war. Ebenso gebot es sich auch heute wieder, den Übergang in Gruppen zu machen, und nur das »Wie« blieb noch festzustellen. Endlich entschied man sich dahin, auch bei diesem die Rückkehr einleitenden Übergange dieselbe Reihenfolge wie beim Heranzug innehalten zu wollen: zunächst also die voraufreitenden Knechte, dann die Frauen und Ritter, danach die Zofen und Dienerschaften und schließlich die Nachtrabsknechte, die schon auf der Herfahrt den Abschluß gebildet hatten. Ehendiesen Nachtrab sollte Johann von Quitzow, den voraufreitenden Trupp aber der ältere Bruder führen.
Und nach diesem Abkommen wurde verfahren.
Der ganze Vortrupp, vierundzwanzig reitende gewappnete Knechte, ritten auf die Fähre hinauf, und als sie Stand und Ordnung genommen, erschien Dietrich von Quitzow, dem sich, im letzten Augenblicke, sein Schwager Albrecht von Schenk und gleich danach auch sein Bruder Conrad von Quitzow (der Hohenwalder) anschloß. Die Fähre ging tief und hatte nur wenig Bord. Es war außerdem windig, so daß sich die gelben Wogen der Elbe mächtig heranwälzten. In der Tat scheint es, als ob man ein Einsehen von dem Gefahrvollen einer solchen Überlastung gehabt habe; die Fährleute jedoch versicherten einmal über das andere, daß nichts zu fürchten sei, und so stieß man denn unter Zuruf und Tücherwinken der vorläufig noch am altmärkischen Ufer Verbleibenden ab. Alles war guter Dinge, welche frohe Stimmung noch wuchs, als die von Kaspar Gans auch heute wieder bis an die Fährstelle beorderten Trompeter ihre Abschiedsweisen anstimmten. Ein jäher Aufschrei aber, der, vom Fährboot ausgehend, im selben Augenblick auch unter den am Ufer Zurückgeblieben erscholl, übertönte plötzlich die Fanfaren, und als diese schwiegen, sah man von der altmärkischen Seite her das Sinken der Fähre: das Wasser schlug über Bord, und ehe noch an Rettung zu denken oder wohl gar nach anderen Booten auszuschauen war, versank die Fähre vor aller Augen. Sowohl Dietrich von Quitzow wie sein Schwager Albrecht von Schenk warfen sich voll Geistesgegenwart auf ihre Pferde und hatten Kraft und Geschicklichkeit genug, sich bis ans havelländische Ufer zu retten, alles andere aber ging zugrunde: die ganze Knechteschar und mit ihnen Conrad von Quitzow, der den Abend vorher so widerstrebend und ahnungsvoll den Totentanz getanzt hatte. Vergebens, daß man nach seiner Leiche suchte; viele der mit ihm Ertrunkenen wurden gefunden, er nicht, und unter Schmerz und Grauen beschloß man die Taufreise, die so froh und unter so glänzenden Aussichten begonnen hatte. Daheim wurden dem »guten Quitzow«, der sich, im Gegensatze zu seinen Brüdern, einer ziemlich allgemeinen Beliebtheit erfreute, zahlreiche Seelenmessen gelesen, und vielfach beklagte man den Ausgang. Aber andere waren da, die kaum ein Gefühl des Triumphes zurückhalten konnten und in dem grauenhaften Ereignisse das erste Zeichen sahen, daß sich der Himmel gegen die Quitzows wenden wolle. Wusterwitz war unter denen, die dieses Glaubens lebten. Und ihr Glaube war der richtige: die Taufreise nach Tangermünde war der Wendepunkt im Leben der Quitzows, und trotz großer politischer wie militärischer Erfolge, deren sie sich gelegentlich noch zu rühmen hatten, ging es von diesem Tag an mit ihrem Glücke bergab.
Was diesen Niedergang und Fall der Familie herbeiführte, lag ganz außerhalb ihrer Verschuldung, wenn von einer solchen (ich komme weiterhin auf diese Frage zurück) überhaupt die Rede sein kann. Es lag einfach so: das Eintreten bestimmter politischer Ereignisse hatte das Heraufkommen der Familie, ja deren Glanz ermöglicht, und das Eintreten anderer politischer Ereignisse ließ diesen Glanz wieder hinschwinden. Das bedeutsamste dieser Ereignisse war der Tod des mehrgenannten Markgrafen Jobst von Mähren. Er starb den 16. Januar 1411 auf seinem Schlosse zu Brünn, einige sagen durch Gift, und König Sigismund, der 1388, um Geldes willen, die Mark Brandenburg seinem Vetter Jobst überlassen hatte, sah sich nun abermals im Erbbesitze des in genanntem Jahre von ihm abgetretenen Landes.
Hieraus erwuchs der Wechsel der Dinge.
Schon die bloße Tatsache, daß Jobst nicht mehr war, war gleichbedeutend mit Halbierung des Ansehns der Quitzowfamilie, die, ganz abgesehen von dem äußerlichen Machtzuwachs, der ihr aus dem das Jobstsche Regiment kennzeichnenden Verkauf von Schlössern und Städten erwachsen war, besonders auch in der ausgesprochenen Wohlgewogenheit des Markgrafen eine starke moralische Stütze gehabt hatte. Denn ein so schlechter Regent Jobst gewesen, er war und blieb doch immer Landesherr, dessen Autorität dem, der seiner Gunst sich rühmen durfte, zweifellos ein bestimmtes Maß von Schutz und Deckung gab, ein Maß von Schutz und Deckung, das nun plötzlich fehlte.
Jobst war nicht mehr. Diese Tatsache war ausreichend, die Quitzows in ihrer Machtfülle zu schädigen. Was aber diese Schädigung aller Wahrscheinlichkeit nach verdoppeln mußte, war das, daß König Sigismund (inzwischen auch zum Kaiser erwählt), unmittelbar nach Wiederinbesitznahme der schon in seinen jungen Jahren, von 1385 bis 88, von ihm regierten Mark, sich dahin aussprach: »nunmehro für ebendiese Mark auch etwas tun und die gerechten Beschwerden derselben, die sich zu gutem Teile gegen die Quitzows und ihren Anhang richteten, abstellen zu wollen«.
So König Sigismund, der, als er sich in diesem Sinne geäußert, auch nicht länger säumte, den Herrn Wend von Ilenburg – einen Ahnherrn der jetzigen Grafen zu Eulenburg – nach Berlin zu schicken, und zwar mit der ausdrücklichen Weisung: ebendaselbst, unter Rat und Beihülfe des Propstes Johann von Waldow, den Adel und die Städte behufs Entgegennahme seines (Sigismunds) Willen um sich zu versammeln. Adel und Städte versammelten sich denn auch wirklich am Sonntage Lätare zu Berlin und wurden, wie Wusterwitz berichtet, »einzeln und insonderheit gefragt ob sie Herrn Sigismund als einen rechten Erbherrn der Mark erkennen und annehmen wollten. Worauf sie sämtlich und einmütiglich erklärten, daß sie keinen andern Erbherrn wüßten als den hochgedachten König in Ungarn, welcher Erklärung sie nicht unterließen den Ausdruck freudiger Überzeugung hinzuzufügen, daß nunmehr durch sein löbliches Regiment die so lang in Erregung, Krieg und Unruhe verstrickte Mark wieder zu Ruhe, Frieden und gutem Zustand kommen würde.«
Bei dieser Erklärung verfuhren Städte wie Stände, selbst die Quitzows und ihre Partei mit eingerechnet, aller Wahrscheinlichkeit nach vollkommen aufrichtig, letztere davon ausgehend, daß der König, der es so wohl mit seinem märkischen Erblande zu meinen scheinen nun entweder in Person kommen oder aber einen Landesverweser aus dem Lande selbst, will sagen aus der Quitzowpartei wählen und ernennen werde. Jedenfalls war man nach dem Erscheinen Wends von Ilenburg voll Hoffnung und guter Dinge, weshalb am Schlusse der Berliner Versammlung bestimmt wurde, bald tunlichst eine Gesandtschaft nach Ofen, wo sich König Sigismund aufhielt, schicken zu wollen, um dem Könige, »nachdem er ihre Privilegien, Gerechtigkeiten und alte löbliche Gewohnheiten mit seinen Siegeln und Briefen bestätigt haben würde«, die Huldigung zu tun.
Zu diesem Huldigungsakte kam es denn auch, bei welcher Gelegenheit König Sigismund bemerkte: »daß er zuvor des Reiches Sachen erledigen, dann aber in Person kommen und sehen wolle, wie's stände. Bis dahin gedenke er zu gleichem Zweck einen seiner Herren zu schicken, der mit Rat und Vorsicht bemüht sein solle, die Mark zu gutem Wesen zu bringen.«
Das etwa waren die Worte, mit denen die märkische Gesandtschaft aus Ungarn nach Mark Brandenburg zurückkehrte, Worte, die, so wohlgemeint sie sein mochten, gegen den Schluß hin doch alle die Hoffnungen umstießen, die man bis dahin gehegt hatte. Denn ebendiese Schlußworte ließen keinen Zweifel darüber, daß man an oberster Stelle gewillt war, die Landesverweserschaft abermals in fremde Fürstenhände zu legen. Dem sich zu unterwerfen, war man aber auf seiten der Quitzows wenig geneigt und hielt mit einer offenen Erklärung in diesem Sinne wohl nur deshalb zurück, weil man der Ansicht und Erwartung leben mochte, mit dem »neuen fremden Herrn«, wenn er überhaupt erscheinen sollte, gerade so gut und so leicht fertig werden zu können wie mit den mecklenburgischen, pommerschen und schwarzburgischen Fürsten, die's bis dahin mit der Verweserschaft der Mark versucht hatten.
Und in der Tat, die nächsten Monate schienen dieser Anschauung und der ihr entsprechenden Politik stiller Auflehnung recht geben zu sollen, denn es geschah nichts, was den ernsten Entschluß des Königs, nun auch wirklich einen Wandel zum Bessern hin zu schaffen, ausgedrückt hätte.