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In einer Reihe von Aufsätzen über »Liebenberg und die Hertefelds«, die zu Beginn dieses Jahres an ebendieser Stelle veröffentlicht wurden, hab ich vor allem auch die Gestalt Friedrich Leopolds von H. (des Vaters des »letzten Hertefelds«) zu zeichnen gesucht, und zwar nach seinen eigenen, an seine Tochter Alexandrine Danckelmann gerichteten Briefen.
Ebendiese Briefe jedoch geben nicht bloß ein Bild seiner Person, sondern zugleich auch ein Bild seiner Zeit, an welches Zeitbildliche sich aus dem Moment heraus überall auch ein Zeitraisonnement anschließt. Er war so scharf in Beobachtung und Urteil, daß es ihm unmöglich war zu referieren, ohne zu kritisieren. Ob diese seine Kritik überall eine richtige war, ist mindestens zweifelhaft. Er versah es, mein ich, darin, daß er, um beispielsweise nur einen Namen, den Hardenbergs, zu nennen, Person und Sache nicht ausreichend zu scheiden, die Schwierigkeiten der Lage, ganz besonders auch die der zu schaffenden Hilfe, nicht genugsam zu würdigen und alles in allem sich vor einer, wenigstens teilweise, aus Alter, Neuerungsunlust und geschädigtem Interesse herstammenden Einseitigkeit nicht zu wahren wußte. Aber gerade diese Einseitigkeit, die uns zur Opposition gegen seine Opposition zwingt, ist sehr lehrreich und außerdem noch in hohem Grade dazu angetan, uns in einem freudig dankbaren Gefühle für alles seit jener Zeit und durch jene Zeit Errungene zu bestärken.
Ich gehe nun zu den brieflichen Aufzeichnungen selbst über und teile dieselben, auszugsweise, nach Jahren geordnet mit. Es ergibt sich aus dieser chronologischen Einteilung auch zugleich eine Gruppierung dem Stoffe nach.
In den letzten Oktobertagen 1806 war Liebenberg geplündert und infolge davon auch die bis dahin zwischen Friedrich Leopold von H. und seiner Tochter Alexandrine geführte Korrespondenz unterbrochen worden. Erst aus dem Herbst 1807 finden sich wieder Briefe vor, in denen der alte Freiherr über das Elend des Landes und den Übermut der Unterdrücker Klage führt. Am meisten aber beklagt er die Feigheit und Zerfahrenheit im Lande selbst und die falschen und teils unsicheren Schritte derer, die der herrschenden Zerfahrenheit steuern sollten. Er wünscht sich aus diesem Leben voll Plackereien und Unwürdigkeiten heraus, und nur wenn die Tochter einen ähnlich trüben Ton anstimmt, ermahnt er sie, »weil sie noch jung sei«, zum Erharren einer besseren Zeit.
Ebendiesem wechselvollen Tone der Anreizung und Besänftigung begegnen wir auch in den Briefen aus dem nächstfolgenden Jahre (1808), aus deren Reihe hier ein paar nur als Stimmungsbilder eine Stelle finden mögen.
Liebenberg, den 19. Januar 1808
Auf die traurigen Vorstellungen, die Du Dir machst, sage ich Dir, daß ich alles, was Du von der Zukunft sagst, wohl überdacht habe. Du siehst alles in einem zu dunklen Schatten; der alte Gott ist noch immer derselbe, wenngleich er zuläßt, daß anjetzo so vieles Unheil in der Welt ist. Es wird sich ändern, und Du mußt alles tun, es bis dahin zu tragen. Ich wenigstens hab es mir jetzt zur Pflicht gemacht, den Widerwärtigkeiten entgegenzuarbeiten. Laß Dich durch die empfundenen traurigen Vorfälle nicht niederschlagen und sorge nicht ängstlich für die Zukunft; alles, was wir mit unserer Vernunft nicht abwenden können, ist Schicksal, und dem Schicksal müssen wir ruhig entgegengehn, weil es nicht zu ändern ist. Oft ist auch die Hilfe näher, als wir glauben. Noch freilich haben wir die Gäste hier; gehen sie indes nicht bald, so muß Hunger und Elend sie bald ohn unser Zutun vertreiben, denn der Bauer verkauft schon das ihm Nötige, um das unzufriedene Volk zu füttern.
Liebenberg, den 2. Februar 1808
Hier ist es noch immer, wie es war, keine Aussicht zum Abmarsch, zunehmendes Elend unter den meisten Klassen und steigende Preise der meisten Lebensbedürfnisse. Dabei zunehmender Geldmangel. Das Gold und Courant verschwindet gänzlich; nicht nur die unerhörten Kriegssteuern nehmen es fort, sondern die französischen Kommissariatskerls und ihre Affilierten, die sich auf unsere Rechnung bereichert haben, wechseln es des leichteren Fortbringens wegen ein und zahlen uns den Betrag in Groschen aus. Dahingegen läßt der, der keine Groschen nimmt, immerfort Groschen unter Friedrichs Stempel schlagen, und wenn die Armee einmal ein paar Monat ihres rückständigen Soldes empfängt, so wird sie in Groschen bezahlt. Dazu kommt noch, daß eine Menge falscher Groschen in Altona von Schelmen fabriziert und in Umlauf gebracht worden sind, wodurch diese Geldart vollends allen Kredit verliert.
L., den 15. Februar 1808
Du bist in den Jahren, noch bessere Zeiten zu erleben. Diese Aussicht bleibt mir aber nach durchlebten siebenundsechzig Jahren nicht. Demungeachtet arbeite ich wieder darauf los, als wenn ich noch lange Zeit vor mir hätte. Bei mir rührt das von einer gewissen Hartnäckigkeit her und von der Lust der hämischen Freude, so mancher Schadenfrohen entgegenzuwirken. Dabei denke ich, solange man noch den Kopf oben und die Beine unten hat, muß man seinen alten Weg gehen. Wir sind doch alle weit glücklicher, als der Urheber alles dieses Übels, denn wie mag es mit dessen Gewissen stehen? Es ganz zu unterdrücken ist nicht möglich, und sicherlich ist er allen Gefahren nur entgangen, um dereinst mit seinem Gewissen eine lange Konferenz zu haben.
Nachschrift. Alles bleibt hier beim alten, nur daß die Unredlichkeiten zunehmen. Die Wälder werden ihrer Eichen beraubt, die nach Magdeburg abgeführt werden, und 6000 Pferde werden von uns gefordert ohne der Bezahlung zu erwähnen. Gott sei's geklagt, wie mit uns in vollem Frieden gehandelt wird.
L., den 23. Februar 1808
Daß Du die Bekanntschaft des Herrn Generals und der Frau General Lestocq gemacht hast, ist mir um so lieber, als ich dadurch erfahre, daß beide noch an mich denken. Es sind durchaus rechtliche und brave Menschen, dabei von sanftem, angenehmem Umgang, denen ich von Herzen gut bin; sage doch beiden in meinem Namen, was Freundschaft Dir eingeben kann, und versichere sie, daß ihr Andenken mir außerordentlich wert ist. – Der Frau Gräfin Voß, deren Erinnerung mir ungefähr so viel wert ist als das Anfliegen eines Papillons, wolle doch ja versichern, daß die Poule blanche zu Liebenberg in unserer Wohnstube als wahres Andenken hängt. – Der Hof tut sehr wohl daran, eingeschränkt zu leben, denn wenn er wieder hierherkommt, so wird er, wie die Holländer sagen, einen »desolaten Bödel« finden. Alles wird aufgezehrt, verschuldet, und die Plünderung ist methodisch, ohne das Ende davon zu sehen. – Als der Adjutant von Jagow hier die Niederkunft der Königin ankündigte, war ich in Berlin und sah ihn auf der Straße; hätte man mir nicht gesagt, daß er es wäre, so hätt ich ihn nicht erkannt, dermaßen hat er an Volumen zugenommen. Hier nehmen die Leute nicht zu, sondern ab; ja unglaublich viel sind vor Gram gestorben. Das habe ich nun zwar nicht getan, und abgenommen hab ich auch nicht (da ich vorhin schon nichts zu missen hatte), aber der Kopf ist fast ganz kahl, und was noch von Haaren da ist, bedarf keines Puders.
Nachschrift. Der alte Herr, der jetzt am Militärruder sitzt, stößt manche brave Männer, die sich ihm zeigten, vor den Kopf. Ich höre darüber manche Klagen.
L., den 17. April 1808
Ich fühle meine Isolierung täglich mehr und habe bei Betrachtung des allgemeinen Schicksals manche trübe Stunde. Die Schindereien währen bis zur Niederträchtigkeit fort; will man sich nicht darin geben, so heißt es, »man habe üblen Willen«, tut man aber, als merke man's nicht, und gibt und gibt, so werden vor den Augen Bücklinge gemacht, hinterrücks aber lachen die Ehrenmänner. Ich bin nun so weit, daß ich nicht einem traue. Leichtsinn, Eitelkeit und eine fürchterliche Habsucht haben die Moralität dieser Menschen vernichtet; das einzige, worin alle übereinkommen, ist, »daß Bravour die erste der Tugenden sei«. Sie ist aber vielmehr die einzige bei ihnen.
L., den 30. Mai 1808
Was Du über die Hofluft sagst, ist sehr wahr. Wir hören hier so manches, was wirklich niederschlagend ist. Herr von Stein geht, und Herr von Voß wird die Immediatkommission dirigieren. Von den Personen, die jetzt oben in Königsberg Einfluß haben, kenn ich wenige; es sollen aber meistenteils ganz ordinäre Menschen sein, das, was die Franzosen pauvres gens oder gens sans moyens nennen. – Unter den beiseite gelegten Militärs zeichnet sich hier der von Massenbach aus, der eigentlich an der Hohenloheschen Katastrophe schuld ist und in seinen Schriften alle andern Unglücksgefährten angreift. Der Mensch muß wahrlich nicht klug sein, denn indem er die andern inkulpiert, deckt er seine Blöße auf. Man hat unrecht, zu sagen, daß es unserm Militär an Mut gefehlt habe; nein, das war es nicht; mehrere Regimenter und Bataillone haben ihre Pflicht getan, aber die Leitung war elend und die jungen Herren, die in der Nähe des Thrones eine Rolle gespielt hatten, waren verweichlicht, und bei allem Manövrieren war eine der Hauptsachen vergessen, nämlich die des kleinen Dienstes gegen den Feind. Man ging vorwärts ohne Vortrupp, ohne Rekognoszierung, und so kam es denn, wie es zutage liegt. – Grüße die Familie von Lestocq und sage dem General, ich wäre noch von demselben Geiste beseelt wie unter dem großen König. Hier ist alles unverändert; man sieht des Elends so wenig als der treulosesten Insolenz ein Ende. Wahrlich, man muß seinen Verstand gefangennehmen, um nicht alle Hoffnung zum Besseren daranzugehen. – Ich bewundere übrigens die Königsberger, daß sie nach allem erlittenen Elend und bei gänzlicher Handelsstockung an ein Theater denken können. – Von meiner Gesundheit ist nicht viel Gutes zu melden. Obgleich mich das Fieber verlassen hat, so kann ich doch den Magen nicht wieder in Ordnung bekommen. Der häufige Gebrauch der China ist wohl mit schuld daran, denn wer kann so viele geraspelte Baumrinde verdauen!
L., den 17.Juni 1808
Hier ist alles auf die nächsten Begebenheiten gespannt. Es heißt die Franzosen würden im August alle abgehen, die Spanier und Portugiesen an ihre Stelle hierherkommen. Die Regimenter, die jetzt hier sind, meinen selbst, daß sie bestimmt wären, über den österreichischen Kaiser herzufallen, und dieser soll es auch erwarten, also sich zur Gegenwehr rüsten.