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La poule blanche bildet einen guten Übergang zu den Tierbildern des Schlosses. Diese haben die Repräsentations- und Wohnräume, wenn sie je darin Platz hatten, aufgeben und im Treppenhaus ein Unterkommen suchen müssen, auf dessen Absätzen man ihnen in reicher Zahl begegnet: Schafe, Widder, Hirsche, Rehe, Büffel und Pferde. Sonderbarerweise stellen sie meistens Monstrositäten dar und wurden überhaupt nur gemalt, um irgendeinen abnormen Zustand zu verewigen. Es sind also Kuriosa. Daß sie dennoch mehr interessant als häßlich wirken, ist ein Beweis der ausgezeichneten Technik, mit der sie gemalt wurden. Alle stammen wohl noch aus der Zeit des Oberjägermeisters und lassen die brillante niederländische Schule leicht erkennen.
Werf ich einen Blick auf die Gesamtheit dessen, was an Bildern vorhanden ist, so bleiben nur etwa sechs übrig, die mir als von künstlerischer Bedeutung erschienen sind. Und zwar: La poule blanche von Pesne; Gräfin Eulenburg, geborene von Rothkirch, von Angeli; Jobst Gerhard von Hertefeld, mit dem Jagdspieß des Oberjägermeisters (Maler unbekannt); Ludwig Casimir von Hertefeld von der Madame Teerbusch und Minister Graf Eulenburg von Magnus. In dieser Aufzeichnung kommt Pesne, von dem doch so viele Bildnisse da sind, anscheinend zu kurz, aber ich bin nicht imstande gewesen, der ganzen Reihe dieser seiner Arbeiten, außer der mehrgenannten poule blanche, einen Geschmack abzugewinnen. Allerdings ist in Erwägung zu ziehen, daß sie doppelt gelitten haben, und zwar erst durch Übermalung und hinterher durch »Coupieren mit der Schere«. Der alte Hertefeld nämlich entbehrte wie die Zeit, deren Kind er war, alles eigentlich historischen Sinnes und nahm bei dem im Anfange der dreißiger Jahre stattfindenden Umbau die hohen, lebensgroßen und in braune Ledertapeten eingelassenen Ahnenbilder, männliche wie weibliche, nicht bloß aus ebendiesen Tapeten heraus, sondern schnitt sie sich auch, nach dem jeweiligen Bedürfnis einer neuen Zimmereinrichtung, zurecht. Er kannte dabei kein anderes Gesetz als das der Symmetrie, der zuliebe die stattlichen Vollbilder in Brustbild oder Kniestück umgewandelt wurden.
Bücher
Die jetzt in der »großen Halle« befindliche Bibliothek umfaßt, wie schon hervorgehoben, bis gegen 12 000 Bände. Während der Plünderungstage von 1806 ging nachweislich einiges verloren; im ganzen jedoch war der Bücherschaden nicht groß, da sich die Raublust des Feindes auf praktisch verwendbarere Dinge richtete.
Den Anfang einer Bibliothek machte der Oberjägermeister um 1720, von welcher Zeit an sie rasch und beständig wuchs, da sämtlichen Hertefelds, insonderheit denen des vorigen Jahrhunderts, ein literarischer Zug innewohnte. Jeder sammelte natürlich seiner speziellen Neigung entsprechend, wodurch es kam, daß Friedrich Leopold von H. die Bibliothek auf dem Gebiete der Geschichte, Karl von H. auf dem der Nationalökonomie bereicherte. Das Wertvollste wurde aus der Hinterlassenschaft der Stiftsdame Henriette von Hertefeld (Schwester Friedrich Leopolds) übernommen. Ich erwähnte dessen schon. Am reichsten in der Bibliothek überhaupt sind Memoiren und Chroniken vertreten, auch illustrierte Bücher aus dem 16. und 17. Jahrhundert. So finden sich beispielsweise: Dantes »Göttliche Komödie« vom Jahre 1564, Ausgabe von Sansovius in Folio; biblische Darstellungen, namentlich aus Buch Hiob, von Johannes Frellonius, illustriert von Holbein, Lyon 1547; die Psalmen von Ambrosius Lobwasser, in Musik von Claudin le jeune, Amsterdam bei Elzevier 1646.
Auch eine Kupferstichsammlung ist vorhanden, mit zahlreichen Blättern von Albrecht Dürer, Holbein, Lucas von Leyden, Salvator Rosa, Rembrandt und andere mehr.
Waffen und Kuriosa
1) Türkische Flinte mit eingelegten roten Korallen. Geschenk des türkischen Gesandten an den Oberjägermeister Samuel von H.
2) Spanische Büchse, die der ältere Graf Sandels (später schwedischer Feldmarschall und Vizekönig von Norwegen) in den Kämpfen gegen Rußland führte. Geschenk des jetzigen Grafen Sandels an seinen Schwiegersohn, Graf Philipp Eulenburg den Jüngern.
3) Ein paar Pistolen, die Wrangel von 1848 bis 64 führte. Geschenk an Grafen Ph. E. den Vater.
4) Ein Revolver, Geschenk Wrangels an Graf Ph. E. den Sohn. Dazu folgende Worte: »Herr, segne du die Waffe, segne, die sie hebt, die Hand. Graf Wrangel, Feldmarschall. Berlin, Juli 1866.«
5) Fayencenachbildung eines großen in Pompeji ausgegrabenen Mosaikfußbodens: »Die Alexanderschlacht«. 1830 in Neapel gekauft und zu Schiff (über Stettin) nach Liebenberg geschafft.
6) Elfenbeinstock Don Pedros I., Kaisers von Brasilien. Sehr wertvoll. Alles ein Stück, von Höhe und Dicke eines starken Bambus. – Dieser Stock stammt aus der Hinterlassenschaft der Königinmutter von Schweden und wurde (niemand weiß, wie dort hingeraten) auf einer öffentlichen Auktion erstanden.
7) Große japanische Broncevasen. Sehr schön. Geschenk des Ministers Graf Friedrich Eulenburg an seinen Bruder, den Grafen Philipp.
8) Großer japanischer Kasten, reich ornamentiert und auf dem Deckel oben das Eulenburgische Wappen in Goldbronce. – Dieses Wappen wurde nach einer Zeichnung des Ministers, damaligen Gesandten Grafen Eulenburg, gleich in Yokohama von einem japanischen Arbeiter ausgeführt.
Und an dieser Stelle mag denn auch hervorgehoben werden, daß japanische Reminiszenzen überall in Liebenberg nachklingen. Aus der Fülle dessen, was Graf Friedrich E. von seiner ostasiatischen Gesandtschaftsreise mit heimbrachte, kam vieles dem Schlosse seines Bruders zugute, besonders Bilder, mit denen die Fremdenzimmer, oder doch einige derselben, in friesartiger Manier umkleidet wurden. In diesen Zimmern läßt sich vom Schaukelstuhl oder morgens vom Bett aus in die Geheimnisse japanischer Kunst eindringen, und ich muß bekennen, manche berühmte Galerie berühmter Städte mit weniger Nutzen überflogen zu haben. All diese Dinge stehen, ihrem Preis und ihrer Prätention nach, nur etwa auf einer Gustav Kühnschen Bilderbogenstufe, sind aber in Hinsicht ihrer Technik ebenso lehrreich wie bedeutsam. Es wird in ihnen die Kunst geübt, einen Effekt oder eine Perspektive mit allergeringsten Mitteln hervorzubringen, und ist mir namentlich allerlei Landschaftliches in Erinnerung geblieben, auf dem der Zeichner oder Maler, aus drei Linien und einem Farbenklecks, einen Binnensee samt Berg und Landzunge vor mich hinzuzaubern wußte. Fast möcht ich glauben, daß sich ein Studium dieser Arbeiten und ihrer Technik auch unsererseits verlohnen würde, wie denn bereits Amerikaner und Engländer (ich erinnere nur an die englischen Kinderbücher) allerhand daraus gelernt zu haben scheinen.
Der Park und die Kirche
Der Park, der sich in einen inneren und äußeren teilt, ist durch Umfang und Schönheit ausgezeichnet und stammt in seiner ursprünglichen Gestalt aus den Tagen des Oberjägermeisters.
Ich beginne mit dem Innenpark. Er ging, wie das Schloß selbst, durch allerhand Phasen und verwandelte sich allmählich aus gradlinigen, französisch geschnittenen Gängen in einen Park im englischen Stile. Sein gegenwärtiges Aussehen empfing er durch Lenné, der übrigens einige Reste der ursprünglichen Anlage fortbestehen ließ und durch diesen Akt der Pietät auch der Schönheit einen Dienst leistete. Zu dem, was blieb, gehören unter andern einige der schönsten Hecken, insonderheit eine dichte, zehn Fuß hohe Buchsbaumhecke, die, wegen ihrer zwei-armsstarken Stämme, die Bewunderung aller Gartenkünstler zu sein pflegt. Überhaupt ist der Park reich an alten und eigenartigen Bäumen, unter welchen letzteren wiederum eine Trauerhasel (die in Paris prämiiert wurde) den ersten Rang einnimmt. Außerdem aber wären ein paar Taxusbäume zu nennen, die, nach Alter und Umfang, dem Taxus im Garten unsres Herrenhauses, Leipziger Straße 3, gleichkommen dürften. Auf das Ganze hin angesehen, erkenn ich indessen die Schönheit des Parkes nicht in einer Reihe dieser oder ähnlicher Einzelnheiten, sondern in seiner Terrassierung und Perspektive. Das in Schräglinie nur mäßig ansteigende Terrain ist durch Abstechung in drei große Stufen umgewandelt worden, auf deren jeder wieder ein quadratischer Teich aufblitzt. In einer Umrahmung oft seltner und jedenfalls immer schöner Bäume gewähren diese Wasserflächen einen großen Reiz.
Unmittelbar an die letzte Terrasse schließt sich der Außenpark, ein Waldhügel, der mit seinen hohen Eichen und Weißbuchen den Innenpark überragt und beherrscht. Er hat die Form eines Topfkuchens, von dessen höchstem Punkt aus eine Menge heller gefärbter Linien nach allen Seiten hin niederlaufen. Dies sind die Wege. Das Ganze führt den Namen »das Kapphölzchen« oder auch der Obristenberg, weil »Sa Majesté le Colonel de Cocceji« hier zu sitzen und zu meditieren liebte. Zugleich befindet sich hier auch das unterirdische, von Blumen überwachsene Gewölbe, darin derselbe beigesetzt wurde.
Noch ein andres spricht und mahnt an dieser Stelle: das Monument, das die treue Seele, die Neumann, in Erinnerung an die Schreckenstage von anno sechs selbständig und aus eigenen Mitteln errichten ließ. Es trägt folgende Inschrift:
Als in den unglücksvollen Jahren Der Feind den Herrn vom Herde trieb Und unter tödlichen Gefahren Ihm nichts von seiner Habe blieb, Als ihm und die ihm treu ergeben Des Schmerzes bittre Trän entfiel, Da diente unter Furcht und Beben Uns diese Stelle zum Asyl. Für Euch, die Ihr's empfinden könnt, Erbaute man dies Monument, |
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1806. | (???) 1810. |
Die drei Fragezeichen in Parenthese sind mit in den Stein eingegraben und sollen sehr wahrscheinlich einen stillen Protest gegen die französische Wirtschaft ausdrücken. Etwa die Frage: »Wie lange noch?«
Die Kirche, nach Art einer Hauskapelle, steht nur wenige Schritte vom Schloß entfernt. Es ist ein einfaches Gebäude, wie die Reformierten (und die Hertefelds waren reformiert) es immer zu halten pflegten. Erst in allerneuester Zeit, unter den Eulenburgs, ist einiges geschehen, um die Nüchternheit zu bannen und die bekannte »weiße Tünche« durch Farbe zu beleben. An die Stelle der sozusagen immer »mehr Licht« fordernden einfachen Scheiben sind fünf Fenster mit Glasmalereien getreten, von denen zwei den Matthäus und Paulus, die drei andern aber die Wappenschilde der Hertefelds, Eulenburgs und Rothkirchs darstellen. Auch an Gedächtnistafeln und Inschriften fehlt es nicht, von denen eine hier ihre Stelle finden mag. »Aus freiem Antrieb ging fürs Vaterland Karl Freiherr von Hertefeld; kehrte in das väterliche Haus zurück den 2. August 1814. Joachim Schulz.« So schlicht und unbedeutend das klingt, so hat es doch seine Bedeutung und erzählt uns, im Zusammenhange mit der oben zitierten Steininschrift im Park, von jener Patriarchalität und Humanität, die hier allezeit ihre Stelle hatten. Es gab da nichts von Hochfahrenheit und strengem Regiment, alles war Milde, Wohltun und Freundlichkeit, und durch mehr als zwei Generationen hin wurd ein schönes Beispiel gegeben, wieviel, wenn sie nur echt ist (und nicht zu kirchlich auftritt), die Liebe zu den Untergebenen vermag.
An eigentlichen Wertgegenständen birgt die Kirche nichts, doch ist einiges da, was ein Interesse wecken mag. Auf dem Abendmahlskelche finden sich folgende Worte: »Zur Feier des am 30. Mai 1814 zu Paris abgeschlossenen glorreichen Friedens und zum Ersatz des am 27. Oktober 1806 von den französischen Truppen geraubten Kirchengeräts.« Ebenso mag noch erwähnt werden, daß sowohl Kruzifix wie Kommunionsleuchter aus Olivenholz angefertigt wurden, das der jüngere Graf Philipp von einer Reise nach Jerusalem und Palästina mit heimbrachte. Der Fußboden der Kirche besteht aus italienischen Fliesen, die, gleichzeitig mit dem vorerwähnten großen Mosaikbilde, nach Liebenberg kamen.
Über all dies hinaus aber und als etwas relativ Wichtiges muß das Kirchenbuch gelten, das seit 1663 existiert und über viele Punkte der Hertefeldschen Familie die dankenswertesten Aufschlüsse gibt. Ebenso verzeichnet es eine zu Liebenberg vollzogene célèbre Taufe: »Den 13. März 1689 ist Habba Schachasaga, eine geborene Türkin, nachdem dieselbe in unserer christlichen Religion unterwiesen und ihr Glaubensbekenntnis öffentlich abgeleget, getaufet worden und hat den Namen Maria Louisa bekommen. Gott regiere sie ferner durch seinen heiligen Geist und erhalte sie bei der erkannten und angenommenen Wahrheit bis an ihr seliges Ende. Die Paten waren: Herr Major von Bornstädt, Herr Samuel von Hertefeld, Herr Wilhelm von der Gröben, Frau Oberst von der Gröben, Frau Hauptmann von der Gröben.«
Von anderen Eintragungen in das Kirchenbuch geh ich nur noch folgende zwei: »Den 17. Februar 1719 hat der reformierte Prediger Adolph Christoph Stoschius (der jüngere) in der Zehdenickschen Stadtkirche einem lutherischen Obristlieutenant von Jeetze die Parentation gehalten, weil es im Letzten von ihm begehrt worden.« Und: »Am 9. März 1801 starb in Liebenberg der Königlich preußische Oberst, Herr von Cocceji am Schlagfluß und wurde, seiner bei seinen Lebzeiten gegebenen Verordnung gemäß, in einem für seine Leiche in dem Kapphölzchen besonders hergerichteten Gewölbe den 14. desselben Monats beigesetzt.«
Und hiermit haben wir unseren Rundgang durch Schloß und Park und Kirche geendet und nehmen Abschied von Liebenberg, aber nicht ohne vorher eine Parallele zwischen dem Leben von sonst und dem Leben von heute gezogen zu haben.
Es ist nicht loyaler geworden, dies Leben, die Hertefelds waren loyal, aber preußischer wurd es, und an die Stelle des dem vorigen Jahrhundert entstammten Aufklärungsevangeliums, mit seinem Hange zu Weltbürgertum und Philosophie, traten wieder Konfession und Nationalität, die Scheidungen und Gliederungen einer weiter zurückliegenden Zeit. Ein Begrenztes an Stelle des Unbegrenzten.
Aber wenn die Betrachtung des Lebens wechselte, die Temperatur des Lebens wechselte nicht. Es erkühlte sich nichts in den Herzen, und jene Hilfebereitschaft und schöne Gastlichkeit, die hier allezeit heimisch und das alte Vorrecht der Hertefelds war, sie lebt fort bis diese Stunde. Die »japanische Zimmerreihe« wird nicht leer, und nicht müde wird der Eifer, alles, was zu Besuch und Sommerfrische kommt, in die wechselvoll-entzückende Landschaft oder auf die Höhen und Aussichtspunkte hinaufzuführen.
Unter diesen am liebsten auf die Burgberg-Stelle, die, zugleich voll historischem und landschaftlichem Reiz, auf Wald und Wiesen und die von Mummeln überblühte »Große Lanke« niederblickt.
Hierher geht es in Sommerzeit, um in einem Borkenhäuschen den Tee zu nehmen und sich unter neckischem Spiel, als wär es im »Sommernachtstraum«, über Wald und See hin zu verteilen, zu haschen und zu suchen. An dem Schilfgürtel entlang schiebt sich das Boot, unter den Uferbäumen ist es wie Flüstern und leises Lachen, und nun geht der Mond auf und gießt sein Licht über die stillbewegte Flut.