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Der Zug gegen Rußland
Einige Briefe aus dem Jahre 1811, die das allmählich heraufziehende Wetter ankündigen, schick ich vorauf.
Liebenberg, 12. Januar 1811
Wahrlich, man möchte an der Vorsehung verzweifeln, wenn man die Fortschritte der Bösewichter und das Unterdrücken so vieler rechtlichen Leute bedenkt. Zum Erstaunen ist es, wie, bei der obwaltenden Bosheit und Frechheit, noch so viele Menschen sich durch die Narrenkappe einschläfern lassen. Es wird keine achtzehn Monate mehr dauern, so wird der nordische Koloß von dem südwestlichen bekriegt werden. Dazu sieht man die Anstalten nach und nach in Wirksamkeit übergehen.
L., 16. Februar 1811
Was man über den politischen Zustand der Dinge urteilen soll, weiß niemand. Die Russen sind in der festen Überzeugung, daß ihnen ein Krieg mit dem Allgewaltigen bevorsteht; unter Vorwand des Küstenschutzes ziehen sich französische Truppen im niedersächsischen Kreise zusammen, ja, sie haben sogar einen Versuch gemacht, Swinemünde, wo wir nur ein kleines Detachement haben, zu besetzen. General Blücher, der gute Nachrichten haben muß, ist ihnen aber zuvorgekommen und hat schleunigst ein Bataillon dorthin gelegt, worauf die Ankommenden nicht weiter vorgerückt, sondern zurückgegangen sind. Aus den politischen Manövern in Schweden wird man nicht klug. Einige behaupten, daß der neuerwählte Kronprinz nicht in die Projekte des Allgewaltigen einstimmen werde, sondern ein Schwede sein will. Die ihn begleitenden französischen Adjutanten sind wenigstens wieder zurückgereist, und vor drei Tagen hieß es, die Güter, die Bernadotte im Hannöverschen habe, seien von Napoleon in Beschlag genommen worden. Ob das Gaukelei oder Ernst ist, weiß nur der, aus dessen Kopf es kommt.
Liebenberg, 25.Januar 1812
Die verdammten Franzosen machen uns mit ihren Fuhrwerken wieder Unruh und Kosten. In voriger Woche mußten 180 Wagen gestellt werden, um Kugeln zu fahren, und in dieser Woche werden wieder ebenso viele verlangt werden. Alle diese Transporte gehen auf Danzig. Mir deucht, daß das nicht nach Frieden aussieht.
L., 18. Februar 1812
Sichern Nachrichten vom Rhein entnehm ich, daß eine Menge Truppen bei Wesel übergegangen sind und in der dortigen Gegend kantonieren. Sowie neue Regimenter nachrücken, so rücken die andern in der Direktion von Magdeburg vorwärts. Wir sind wirklich in einer traurigen Lage und gezwungen, an der Feindschaft anderer teilzunehmen, um auf alle Art ausgezogen und ausgezogen zu werden.
L., 3. März 1812
Gestern brachte der Postschirrmeister die Nachricht, daß die Franzosen Swinemünde und die Insel Usedom besetzt hätten. Ich bezweifle es noch, denn es wäre ja eine halbe Kriegserklärung. Magdeburg ist in Belagerungsstand. Das bedeutet nun freilich nichts, da dergleichen von der Caprice der Marechaux abhängt. Sonst nichts Neues, noch weniger etwas Gutes. Wollte Gott, daß man einmal von einem dauerhaften Frieden hörte, noch besser freilich, wenn der Störer alles Menschenglücks ein für allemal zum T... führe.
L., 10. März 1812
Seit vier Tagen ist unsere Gegend von französischen Truppen gewaltig heimgesucht worden. Ein Corps, weit über 20 000 Mann, ist die Zehdenicker Straße in Eilmärschen gezogen; kaum vierundzwanzig Stunden vorher wurden sie angemeldet. Den 7. März bekam ich einen Divisionsgeneral, elf Offiziere und fünfundsechzig Reiter von den Kürassiers; sie blieben den 8. hier und zogen dann die Route nach Schwedt weiter. Essen, Trinken und Fourage wurde gereicht, und bei aller strengen Ordnung, die der General Saint-Germain halten ließ, war der Besuch immer kostbar wegen der Menge und wegen des Vorspanns. Die Infanterie war in den Städten zusammengedrängt; der Bürger hatte zwanzig und mehrere im Quartier. Der Bauer von zehn bis sechzehn Reiter. Alle sagten, es ginge gegen die Russen und die Armee würde mit den Polen und Rheinländern 300 000 Mann stark sein. Durch das Lüneburgische und Mecklenburgische geht das Corps, welches Marschall Oudinot führt; durch Sachsen gehen die Bayern und Württemberger; durch Ungarn gehen 60 000 Mann unter Befehl des Vizekönigs von Italien. Pferde und Menschen leiden sehr durch die Eilmärsche im Kot und in der Nässe. Die Reitpferde des Kaisers sollen schon in Dresden sein; er selber nimmt ebendiesen Weg, ob er aber bereits unterwegs ist, wußte niemand zu sagen. Das Fuhrwerk, welches der Marsch erfordert, ist ungeheuer. Da die Corps zur Aushilfe für jeden Mann sechs Paar neue Schuh und Stiefeletten und andere Kleidungsstücke in großen Fässern mitnehmen, so bleibt kein Pferd in unserer Gewalt, und oft müssen die Bauern, aus Mangel an Relais, zwei und mehr Stationen statt einer fahren. Genug, es entsteht eine Verwirrung in unseren Ökonomien, die ganz unaussprechlich ist. Es muß durchaus etwas vorgefallen sein, welches diese Eile erfordert; allein die Wahrheit erfährt man nicht. Die in Stettin liegenden deutschen Regimenter haben auf Danzig gehen müssen, wogegen die französischen als Besatzung zurückblieben. Wir sind also nun wieder in der befürchteten großen Krise, und Gott weiß allein, wie das alles ausfallen wird.
L., 17. März 1812
Ich glaube Dir vor acht Tagen geschrieben zu haben, daß ich das Hauptquartier der 1. Kürassierdivision der Franzosen zwei Tage bei mir bewirtet habe; seitdem sind noch kleine Abteilungen hier durchgezogen, und das ganze Davoustsche Corps ist nun über die Oder. Ob es in Pommern bleibt oder weiterzieht, weiß ich nicht. Es hieß, der französische Kaiser würde nach Berlin kommen; da sich jedoch alles, was zu seiner Equipage gehört, auf Dresden dirigiert, außerdem auch der österreichische Kaiser nach Dresden kommen soll, so scheint es wohl, daß dort ein Rendezvous sein wird. Nansouty, der Oberbefehlshaber über alle Kürassiers, ist durch Berlin gegangen, vermutlich um seine Bekannten in Kunersdorf und Quilitz angenehm zu überraschen. Vier von den Marschällen, die ganze Corps führen, sind uns bekannt: Davoust, Ney, Oudinot und Bessières. Morgen geh ich auf ein paar Tage nach Berlin, wohin ich einige Papiere und angreifliche Sachen bringen werde, weil man nicht weiß, was kommt. Ein jeder grübelt über die Zukunft und ist verlegen, und man hat Ursach, es zu sein, wenn man die Umstände betrachtet und ganz besonders den, der all dies treibt. Ich hab übrigens eine starke Ahnung, daß dies der letzte Auftritt des Trauerspiels sein wird. Denn »tant va la cruche à l'eau«.
L., 31. März 1812
Der König ist wie gewöhnlich nach Potsdam gegangen, um dort am Stillen Freitag zu kommunizieren. Er hat seine Garden mitgenommen; das Leibregiment blieb in Berlin und ist mobil, um mit den Alliierten zu ziehen. Alles übrige, als das 1. Brandenburger Reiterregiment, das Gardejägerbataillon etc., marschiert nach Schlesien. Berlin ist voll von den Truppen des Oudinotschen Corps; ich habe bis heut aber keine Nachricht, ob dieses weiterzieht oder nicht. Von den bei Euch ausgesprengten Nachrichten ist manches nicht richtig. Daß die Dohnas den Abschied gefordert haben, ist wahr, auch andere haben ihn verlangt, aber nicht alle haben ihn erhalten, sondern der König ist böse geworden und hat sich darüber hart ausgelassen. Ob Gneisenau den Abschied hat, kann ich nicht erfahren, nur das scheint festzustehen, daß Scharnhorst aus dem Generalstabe zurückgetreten ist; in welcher Verbindung er bleibt, weiß ich nicht, er geht aber nach Preußen und von da nach Schlesien zurück. Vom Prinzen August hieß es, er sei unwillig und hätte den Dienst verlassen wollen; er war aber all die Zeit über ruhig in Berlin, und gewiß ist die ganze Geschichte ihm angedichtet worden, obgleich man nicht darauf schwören kann, was er tun wird. G., der sich einen Posten in der Oberpolizei zu verschaffen gewußt, ist, wie es heißt, auf sein Gesuch verabschiedet. Es könnten noch mehrere verabschiedet werden, ohne daß der Staat darunter litte. Daß die Corps der Alliierten unter den Befehl eines französischen Divisionsgenerals gestellt werden sollen, ist denn doch empfindlich. Bei uns heißt es, daß Grawert, der unsere Truppen führen wird, nur vom Marschall Davoust abhängig sein soll. Die Zahl der Alliierten in der Großen Armee wird mit Einbegriff der Polen wohl drei Siebenteil ausmachen. Ich höre in mir immer noch die Stimme, die da sagt, wir spielen den letzten Akt, der mit dem Tode des Helden endigt.
L., 7.April 1812
Das Marschwesen bleibt immer dasselbe; die Etappenörter und nächst daran liegenden Dörfer gehen zugrunde, denn es wird alles aufgezehrt. Gewiß sind nun über 100 000 Menschen und vielleicht 20 000 Pferde diese und die Mecklenburger Straße gezogen, und schon sind abermals 5000 auf heut und morgen angesagt. In Berlin geht es ebenso; sie kommen und gehen weiter, aber andere rücken an ihre Stelle. Die Aufführung ist sehr verschieden, je nachdem die Divisionsgenerale auf Ordnung sehen. Was aus dem Ganzen werden soll, darüber läßt sich noch nicht urteilen; für uns ist auf alle Fälle Nachteil und Verderben in Sicht. – Die Bayern, von denen Du schreibst, sind als etwas grobkörnig bekannt. Du hast sehr recht, wenn Du sagst, daß man die weisen Herren, die uns mit ihren Floskeln so fleißig bedienen, nach den Etappenörtern hinjagen müßte, um für Magazine und Lebensmittel zu sorgen. Hier hüten sie sich, am Platze zu sein, und lassen oft die Unterbehörden in der größten Verlegenheit. Überhaupt überzeuge ich mich täglich mehr, daß die mehrsten unserer Faiseurs elende Praktiker sind, denn wenn sie's wirklich verständen, wie würden dann so viele Abänderungen und Erläuterungen über ihre neuen Gesetze stattfinden müssen. Ob der König nach Breslau gehen wird, kann ich nicht erfahren; solange sich seine Garden nicht in Bewegung setzen, bezweifle ich solches.
L., 9. April 12
Heut hat Bergsdorf wieder eine Compagnie Einquartierung, und in Zehdenick hört es damit gar nicht auf. Wir wissen aber nicht, von welchem Corps die Gäste sind. Einige sagen, sie gehörten zum Victorschen Corps; dann bliebe der aber nicht in Berlin, wie man bis dahin doch glaubte. – Bei der russischen Armee erwartet man den Kaiser Alexander in Person. Ich möchte sagen, daß dies ein böses Omen sei, denn jedesmal, daß er früher bei der Armee eintraf, bekam sie Schläge.
L., 18. April 1812
Du hast recht, man erhält jetzt sonderbare Besuche. Der, welcher Dich bis Mitternacht mit seiner Visite vom Schlafe abhielt, ist ein ganz elender Mensch. Er war einer der ersten, die anno 1794 nach Preußen kamen, von Profession ein Barbiergeselle, der von nichts als »Kopf ab« und totschießen sprach und dabei mit allen Händen nahm. Genug, er war immer, was man einen ganz gemeinen Kerl nennt, und an dem Dir verursachten Aufwand erkenn ich ihn wieder. Der Hunde-Knicker kommt gewiß nicht umsonst; denn vor dem Feinde brauchen kann man ihn nicht, er sucht also irgendwas anderes wegzuschnappen.
L., 21. April 1812
Bei meiner neulichen Anwesenheit in Berlin hab ich manches gehört, ob es aber zu verbergen ist, steht dahin. Viele behaupten, das dem Kaiser Alexander vorgelegte Ultimatum laute wie folgt: 1) Abtretung Polens. 2) Abtretung von Kurland und einem Teile von Liefland an die Herzöge von Mecklenburg. 3) Sperrung allen Handels mit England und Beitritt zum Kontinentalsystem. 4) Erlaubnis, sich auf Kosten der Türken zu vergrößern, und Anerbieten einer Hilfsarmee, um sie aus Europa zu verjagen. 5) Restitution von Finnland an Schweden. Mecklenburg und Schwedisch-Pommern sollen an den König von Preußen kommen, dahingegen soll die französische Besitznahme Deutschlands bis an die Elbe von Rußland anerkannt werden. Der König von Westfalen wird in Zukunft König von Polen. Wenn diese Sage erdacht ist, so ist sie doch nicht ohne alle Wahrscheinlichkeit erdacht, denn schon vor dem Tilsiter Frieden war von einem neuen Königreich Polen die Rede. – Hier in der Mark steht noch immer das Corps. des Marschall Oudinot, welches auch, wie man glaubt, bis zum Angriffsmomente stehenbleiben wird. Die Durchmärsche hören noch immer nicht auf. Unserer Rechnung nach sind schon 200 000 Mann durchgezogen, und wie die französischen Offiziere behaupten, wird die aufgestellte Macht 400 000 Mann betragen. Einzelne sind noch immer der Meinung, daß Rußland sich fügen und der Frieden erhalten werden wird. Allem Anscheine nach geht der König nicht nach Schlesien; er soll ruhig und guter Laune sein. Unsere Garden rücken erst wieder in Berlin ein, wenn das Oudinotsche Corps vorwärts geht. Es mag nun kommen, wie's will, unter allen Umständen sind wir hart mitgenommen; denn bleibt Friede, so muß doch alles, was hier durchgezogen, auch wieder zurück, und da haben wir abermals eine kräftige Abfutterung zu erwarten. Man versinkt in Ahnungen und Sorgen und verliert den Glauben, daß Wahrheit und Ehrlichkeit je wieder den Platz einnehmen werden, den jeder gewissenhafte Mensch ihnen gerne zugesteht. Ob der französische Kaiser nach Berlin kommt, ist noch ungewiß, obgleich Zimmer für ihn und Berthier auf dem Schlosse bereit sind. Deserteurs und Exzedenten sind mehrere totgeschossen worden, und im ganzen herrscht Ordnung, wenngleich die Herren Generals und Colonels im Widerspruch zu den publizierten Reglements gern bei ihren Wirten vorliebnehmen.
L., 28. April 12
Den General Grouchy, der bei Dir im Quartier gelegen hat. kenne ich bloß dem Namen nach. Er zog 1806 mit seiner Abteilung hier durch, und seitdem hab ich nichts von ihm gehört. Daß Du einen großen Unterschied zwischen seinem Benehmen und dem seines Vorgängers gefunden hast, wundert mich nicht, letzterer ist mir als ein Wüstling und Plünderer bekannt. Von Herzen beklag ich die Landleute, wo die Italiener hinkommen; sie taugen alle nicht; selbst die bei den französischen Regimentern angestellten, die 1806 mit ebendiesen Regimentern hier durchkamen, zeichneten sich durch ihre Exzesse aus. Ich bin fest überzeugt, daß, wenn die Armee nicht bald vorwärts geht, auch hier Not und Mangel entstehen werden. Tramnitz sagte mir gestern, daß Zehdenick nun schon 57 000 Mann in Quartier gehabt hätte; rechnest Du nun hinzu, was auf dem Lande gelegen hat und über Gransee, Bernau, Frankfurt an der Oder gegangen ist, so reichen keine 200 000 Mann, die durch unsre Sandgegend gezogen sind. Das Davoustsche Corps ist großenteils schon in Polen, das Oudinotsche aber ist noch ganz hier und kantoniert teils in Berlin, teils, von Prenzlau an, in der Uckermark und in Pommern. Das Neysche Corps stand noch in der Neumark; Frankfurt a. O. war so belegt, daß zwanzig Mann bei jedem Bürger lagen. Das Gemisch der Truppen ist das sonderbarste von der Welt. Die letzten, die hier durchzogen, waren Schweizer und Illyrier; vorher Kroaten. Die Fuhren zur Fortschaffung ruinieren uns, um so mehr, als sie gerade in die Saatzeit treffen. Wie man mit uns umspringt, ist daraus schon klar, daß wir Spandau den Franzosen haben einräumen müssen. Wir werden, wenn der Krieg beginnt, das Depot für alles sein, was nachfolgt, und einfach aufgezehrt werden. Um uns kein fremdes Geld zu hinterlassen, wird den Truppen kein Sold ausgezahlt; sie sind so arm, daß sie kein Pfund Tabak bezahlen können. An Krankheiten fehlt es auch nicht; in den zu Lazaretts aptierten Berliner Kasernen liegen schon 1000 Menschen. Dies ist aber nichts gegen Danzig, wo das vollständige Lazarettfieber die Menschen wie Fliegen hinrafft. Von einem der dort liegenden Regimenter ist schon ein Transport zurückgegangen, um 800 Rekruten zu holen, woraus ersichtlich, daß schon ebenso viele daselbst gestorben sind. Großer Gott, wie geht man mit deinen vernünftigen Geschöpfen um! Und was leiden nun nicht erst die Unvernünftigen, die geradezu in den Tod getrieben werden. Man darf über all das nicht tief nachdenken, sonst gerät man in Zweifel, die nicht aufzulösen sind.