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Es ist also von der Krautentochter und dem Krautenerbe, das ich in nachstehendem erzählen will. Aber das Krautenerbe (der wahre Nibelungenhort in dieser Geschichte) war eher da, weshalb ich mit ihm beginne.
Das Krautenerbe, das eigentlich ein Bredowerbe war, umfaßte das in der Südostecke des jetzigen Kreises Ruppin gelegene, mit einzelnen Begüterungen auch in den uckermärkischen Kreis Templin übergreifende »Land Löwenberg«.
Dies aus drei Hauptteilen, aus dem eigentlichen Löwenberg, aus Liebenberg und drittens und letztens aus Hoppenrade bestehende »Land Löwenberg« gehörte seinerzeit den Bischöfen von Brandenburg und wurde von einem derselben, unter gleichzeitiger Ausstellung einer Belehnungsurkunde, dem Hans von Bredow aus der Friesacker Linie verkauft.
Das war 1460.
Von dieser Zeit an (1460) war das Land Löwenberg etwa hundertundfunfzig Jahre lang in unausgesetztem Besitze der Bredows. Sie gingen bei den Bischöfen von Brandenburg und später, nach der Säkularisation, bei dem Landesherrn zu Lehn.
Erst im 17. Jahrhundert änderten sich diese. Verhältnisse. Kurz vor dem Dreißigjährigen Kriege kam das eigentliche Löwenberg und kurz nach demselben auch Liebenberg in fremde Hände, so daß, von etwa 1652 ab, die Bredows an ebendieser Stelle nichts anderes mehr besaßen als den verhältnismäßig kleinen Anteil Hoppenrade.
So verblieben die Dinge geraume Zeit, bis der Abschluß einer reichen Heirat einen plötzlichen Wandel zum Guten und fast bis zur Wiederherstellung ehemaligen Glanzes schaffte. Dies war 1715. In diesem Jahre vermählte sich Joachim Heinrich von Bredow, Dompropst zu Havelberg, Erb- und Lehnsherr auf Hoppenrade, mit Constanze Amalie Sophie von Kraut, Tochter des Geheimen Finanzrats und Nichte des Ministers von Kraut, und gelangte dadurch in den Besitz eines so bedeutenden Vermögens, daß der Rückkauf des eigentlichen Löwenberg, das stets den Hauptteil des sogenannten »Landes Löwenberg« ausgemacht hatte, stattfinden konnte.
Von diesem Zeitpunkt (1724) an war »Land Löwenberg« – mit alleiniger Ausnahme der ein für allemal abgetrennten Liebenberger Anteile – wieder in Bredowschen Händen, und nur in einem wichtigen Punkte hatten sich die Verhältnisse geändert: aus dem großen Löwenberger Anteil, i. e. Loewenberg proprium, war, infolge der Verkaufs- und Rückkaufsprozeduren, ein seiner ehemaligen Lehnsguts-Eigenschaften entkleideter Besitz geworden, aus welcher immerhin wichtigen Umwandlung das resultierte, daß das gesamte »Land Löwenberg« nunmehr einen gemischten, juristisch und erbrechtlich ungleichen Güterkomplex darstellte, dessen kleinerer Teil, Hoppenrade, Lehnsgut geblieben, dessen größerer Teil aber, das eigentliche Löwenberg, Allod oder ein frei verfügbarer Besitz geworden war. Aus dieser, allem Anscheine nach, damals als gleichgiltig oder wenigstens unwichtig angesehenen erbrechtlichen Verschiedenheit ergaben sich, wie wir im weitren ersehen werden, arge Verwicklungen, in betreff deren freilich anerkannt werden muß, daß sie vielleicht ausgeblieben wären, wenn die Verhältnisse dem gesamten »Löwenberger Land« oder, was dasselbe sagen will, dem großen Bredowerbe gestattet hätten, ein Bredowerbe zu bleiben. Die Verhältnisse führten aber umgekehrt zu dem Versuche (der denn auch glückte), das Bredowerbe durch Testamentsbeschluß in ein Krautenerbe zu verwandeln.
Uns aber erübrigt es nunmehr, in nachstehendem zu zeigen, worin die direkte Veranlassung zu solcher Umwandlung lag.
Die Veranlassung dazu lag in einem häuslichen Unglück, von dem sich das dompröpstlich Bredowsche Paar, nachdem demselben zwei Söhne geboren worden waren, betroffen sah. Beide Söhne wurden geisteskrank, und als sich nach längerer Zeit ihre Geisteskrankheit als unheilbar herausstellte, war für die Dompröpstin von B., geborene von Kraut, die Notwendigkeit gegeben, über das Erbe, das von ihren zwei Söhnen nicht angetreten werden konnte, zugunsten anderer Personen zu verfügen. Dies geschah denn auch in einem Testamente vom Jahre 1745. In ebendiesem Schriftstücke setzte sie fest, daß nach ihrem, übrigens unmittelbar danach tatsächlich erfolgenden Ableben
1) die Verwaltung der Gesamtgüter an eine Vormundschaft überzugehen und
2) ebendiese Vormundschaft für das leibliche Wohlergehen ihrer unglücklichen Söhne Sorge zu tragen habe. Nach dem Hinscheiden derselben aber solle
3) das Gesamterbe, weil es von Krautengeld erstanden sei, nicht an die Bredowfamilie, sondern an die Krautenfamilie fallen.
Und hiernach wurde denn auch in allen Stücken verfahren und nach erfolgtem Tode der Testierenden eine Vormundschaft eingesetzt, die sich nicht nur die Verwaltung der Güter, sondern, wie vorgeschrieben, auch die leibliche Pflege der beiden überlebenden Söhne der Dompröpstin angelegen sein ließ. Als am 3. August 1788 auch der letzte dieser beiden Söhne, der in seiner Jugend als ein durch Leibes- und Geistesgaben ausgezeichneter Offizier im Regiment der Leibcarabiniers gestanden, aus dieser Zeitlichkeit geschieden war, war nunmehr der Moment da, wo das Gesamterbe, dem Testamente gemäß, an die Krautenfamilie fallen mußte. Dem Testament, aber nicht dem Rechte gemäß. Die Dompröpstin, unausreichend oder übel beraten, hatte das Lehngut Hoppenrade, das seit 1460 unausgesetzt ein Bredowsches Eigentum gewesen und durch Krautengeld nicht erst rückerworben war, irrtümlicherweise mit wegtestiert und dadurch das Lehnserbrecht der Bredowschen Familie verletzt, die denn auch mit ihrem Protest dagegen nicht säumte.
Soviel zunächst über das Krautenerbe. Sie aber, der dies Erbe zufiel, war die Krauten tochter, und im Hinblick auf diese stellen wir nunmehr die zweite Frage:
Wer war die Krautentochter? Sie war die Erbnichte der in vorstehendem oft genannten Dompröpstin von Bredow, geborene von Kraut, zugleich Heldin unserer Geschichte, das einzige Kind des Obersten und Baron von Kraut, Hofmarschalls am Hofe des Prinzen Heinrich von Preußen.
Über ihn, diesen Hofmarschall von Kraut, zunächst ein Wort.
Carl Friedrich von Kraut wurde 1703 als der Sohn des Geheimen Kriegsrats von Kraut (Bruder des Ministers von Kraut) in Berlin geboren. Als er 1723, nach Ableben von Vater und Oheim, ein sehr bedeutendes Vermögen ererbt hatte – die zweite Hälfte desselben fiel an seine Schwester, die Dompröpstin –, ging er, zwanzig Jahre alt, nach Paris, um in der französischen Armee Dienste zu nehmen, in der er sich alsbald auch hervortat und zum Obersten aufstieg. Näheres über diesen französischen Waffendienst hab ich nicht in Erfahrung bringen können, auch nicht, wie lange derselbe dauerte. Keinenfalls indes wird er über das Todesjahr seiner Schwester hinaus ausgedehnt worden sein, in welchem Jahre (1745) ihn ebendiese Schwester nicht nur zum Vormund über ihre beiden geisteskranken Söhne, sondern auch zum ersten Kurator über das große Bredow- beziehungsweise Krautenerbe bestellte. Dieser seiner Aufgabe sich unterziehend, begegnen wir seinem Namen von 1746 an bis an seinen Tod in den Rechnungs- und Kirchenbüchern des Landes Löwenberg. Er zeigte sich übrigens gleichzeitig beflissen, bei seiner Rückkehr nach Preußen auch in den Staatsdienst oder wenigstens in eine Hofstellung einzutreten, und wurde zu nicht genau zu bestimmender Zeit Hofmarschall am Prinz Heinrichschen Hofe. Wahrscheinlich um das Jahr 50. 1754 finden wir ihn als Taufpaten im Liebenberger Kirchenbuch, und ungefähr um dieselbe Zeit war es, daß er am Hofe der Königinmutter die Bekanntschaft des schönen Fräuleins Else Sophie von Platen machte, mit der er sich bald danach vermählte. Während des zwei Jahre später ausbrechenden Krieges verblieb er nicht bloß in seinem Hofmarschallamte, sondern auch in steter Umgebung der ebenso schönen wie liebenswürdigen Prinzessin Heinrich, gebornen Prinzeß von Hessen-Kassel, die damals noch in keinem Zerwürfnis mit dem Prinzen, ihrem Gemahl, lebte, vielmehr als »La belle fée«, »La Divine«, »L'incomparable« etc. die gefeierteste Dame des Hofes war.
Auch 1760 befand sich von Kraut in unmittelbarer Umgebung der Prinzessin und begleitete dieselbe nach Magdeburg, wohin sich um ebendiese Zeit alles, was zum Hofe gehörte, flüchtete, weil das Vorrücken der Russen und Österreicher ein Verbleiben in der Hauptstadt als mindestens unrätlich erscheinen ließ. In den Tagebuchblättern der Gräfin von Voß, geborene von Pannwitz, begegnen wir vielfach Aufzeichnungen aus jener Magdeburger Zeit, in denen neben anderem auch unseres Hofmarschalls Erwähnung geschieht. Ich gebe die betreffenden Stellen.
»1. September 1760. Ich schrieb heute nach Berlin, aß bei Frau von Kraut, spielte nach Tisch Komet mit dem Prinzen von Usingen, Baron Müller und Kraut und fuhr um fünf nach Hause.
11. September. Als ich frisiert und angezogen war, ging ich zur Prinzessin. Zu Tische war ich bei der Kraut, deren Geburtstag wir feierten. Auch die Knesebeck, Prinz Usingen und Oberst Lilienberg waren zugegen. Alles war in heiterer und übermütiger Laune, und nach dem Kaffee wurde wie immer Karte gespielt.
12. September. Am Abend zunächst in die Assemblé beim Grafen Lamberg, wo ich mit Kraut und dem Prinzen von Nassau eine Partie machte. Von Lamberg aus (wo es sehr voll war) fuhr ich mit Kraut an den Hof. Die Königin war sehr verstimmt. Sie schalt über die großen Aufmerksamkeiten, welche man hier den gefangenen Ausländern erweise.
11. Oktober. Am Abend war ich bei der ›Belle Fée‹, die sehr böse auf Kraut war und ganz mit Recht, denn er hat in den Vorzimmern der Prinzessin aus Sparsamkeit Talglichter anstatt der Wachskerzen brennen wollen.
14. Oktober. Ich ging an den Hof und spielte Komet mit dem Prinzen von Preußen und der Belle Fée. Man erzählte, daß die Prinzessin Amalie zu Mittag bei der Prinzessin Heinrich angekommen sei und sich und ihr das Diner mitgebracht habe, um dem Hofmarschall Kraut einen Streich zu spielen, der zwei Speisen von dem bisherigen Küchenzettel der Prinzessin gestrichen hatte.
22. Februar 1761. Am Nachmittage hatten wir noch eine letzte Probe des Schäferspiels, und um sechs Uhr ging Kraut hinunter und bat die Prinzessin, die Treppe heraufzukommen. In dem Moment, als sie eintrat, ging auch schon der Vorhang auf, und der Chor fing an zu singen...«
Aus diesen wenigen Tagebuchstellen ergibt sich nicht bloß ein Zeit- und Lebensbild, sondern zugleich auch eine Charakteristik unseres Hofmarschalls. Und nicht zu seinen Ungunsten. Er hatte das Einsehen von einer gerade damals von allen Seiten her hereinbrechenden äußersten Gefahr und empfand sehr richtig, daß in Tagen, in denen der König schrieb: »Es gibt freilich Leute, die sich allen Schickungen unterwerfen, ich aber werd es nicht; ich habe für andere gelebt, für mich will ich sterben«, ich sage, der Hofmarschall empfand sehr richtig, daß in solchen Tagen eine kleine Prinzessin allenfalls auch ohne Wachslichter im Vorzimmer und mit zwei Gerichten weniger auskommen konnte.Man ist in der Tat bei Lektüre dieser »Tagebuchblätter« immer wieder und wieder erstaunt über die von vergnüglichster Laune getragenen Formen, unter denen das damalige Hofleben verlief, als ob die Frage nach der Fortexistenz des Staats gar nicht existiert habe. So stimm ich denn auch folgenden Bemerkungen durchaus bei. »Diese Tagebuchblätter aus dem Jahre 60 und 61 zeigen uns in beinahe rätselhafter Weise, wie man sich in derselben Zeit wo der König inmitten schwerster Verluste mit um so größerem Heldenmute gegen die Übermacht seiner Feinde rang, wie man sich in ebendieser Zeit am Hofe seiner Gemahlin, seiner Schwester und Schwägerinnen die Langeweile mit kleinen Lustbarkeiten zu vertreiben suchte. Dies frappiert um so mehr, wenn man den damaligen äußerst bedrohlichen Gang der Ereignisse (die Zeit vor und nach der Schlacht bei Torgau) scharf ins Auge faßt. Es macht alles, um es zu wiederholen, einen befremdlichen Eindruck. Aber es würde ungerecht sein, den einzelnen Personen aus dem einen Vorwurf machen zu wollen, was in der Auffassung und Lebensweise der Zeit lag.«
Die vorgeschilderten Magdeburger Tage verlängerten sich bis in den Spätherbst 61. Erst im November oder Dezember obengenannten Jahres kehrte die Königin mit allem, was zum Hofe gehörte, nach Berlin zurück, allwo denn auch wenige Wochen später, und zwar am 24. Januar 1762, dem Hofmarschall von K. eine Tochter geboren wurde: Luise Charlotte Henriette von Kraut, unsere Krautentochter.
Über die folgenden fünf Jahre, soweit der Hofmarschall in Betracht kommt, schweigen alle Memoiren und Briefe. Das nächste, was wir von ihm erfahren, erfahren wir aus dem Löwenberger Kirchenbuche, woselbst es unterm 23. Dezember 1767 heißt: »Am heutigen Tage beschloß sein ruhmreiches Leben zu Berlin abends sieben Uhr der weiland hochwohlgeborene Herr, Herr Carl Friedrich Freiherr von Kraut, Hofmarschall im Hofstaate seiner Königlichen Majestät des Prinzen Heinrich und Vormund der beiden geisteskranken Herren von Bredow zu Löwenberg. Er war der Mutter-Bruder dieser beiden von Bredows, ein Herr der edelsten Gemütsart, der vielen Menschen in der Welt, zum Teil durch schwere Kosten, zu zeitlichen Ehrenstellen verholfen und ihr irdisch Glück befördert hat. Er zeigete sich gegen alle Mitmenschen als ein Menschenfreund und war allen, ohne jede Nebenabsicht des Eigennutzes, willfährig und gefällig. Hiervon zeugete insonderheit seine Fürsorge für die Kranken. Er pflegte zur Sommerzeit, wenn er sich auf seinen Gütern aufhielt, eine Menge von Medikamenten aus Berlin mitzubringen. Und wenn sich Kranke bei ihm meldeten und er ihren Zustand erkundet hatte, gab er ihnen die Medikamente, von woher die Kranken auch sein mochten. Am vierten Tage nach seinem Hinscheiden, am 27. Dezember abends, sind die erblaßten Gebeine des wohlseligen Herrn Hofmarschalls in dem Freiherrlich von Krautschen Erbbegräbnis in der Nikolaikirche zu Berlin beigesetzt worden. Und nachdem dieser Todesfall auf die beweglichste Art der Gemeinde zu Löwenberg am 1. Januar 1768 zur Kenntnis gebracht worden ist, ist darüber zwei Wochen lang auf allen von Bredowschen Gütern geläutet worden. Er hinterläßt eine über seinen Tod betrübte Frau Witwe aus dem hochadligen von Platenschen Geschlecht und eine trotz ihrer frühen Jahre schon hoffnungsvolle Tochter.«