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Die Krautentochter war erst fünf Jahre alt, als der Vater starb. Die Erziehung lag also bei der Mutter.
Wer war nun diese Mutter? Und wie war sie? Wir antworten darauf, eh wir uns der Frage nach der Erziehung der Tochter zuwenden.
Else Sophie von Platen kam 1748 an den Hof der Königinmutter. Sie mochte damals achtzehn Jahre alt sein. In dem Tagebuch der Gräfin von Voß geschieht auch ihrer Erwähnung: »An die Stelle des Fräulein von Bredow«, so heißt es darin, »die sich mit einem Herrn von Schwerin verheiratete, trat Fräulein von Platen, ein wunderhübsches Mädchen, das aber wenig Geist und eine sehr melancholische Gemütsart besaß.« In diesen wenigen Zeilen wird die junge Dame, die spätre Hofmarschallin von Kraut, sehr wahrscheinlich am zutreffendsten gezeichnet sein. Alles andre, was an Aussprüchen über sie vorliegt, geht nach der einen oder andren Seite hin ins Extrem und widerspricht sich untereinander. Es scheint, daß sie, von einzelnen objektiv urteilenden Personen (wie die Gräfin Voß) abgesehen, nur leidenschaftliche Verehrer und leidenschaftliche Feinde hatte. Zu den ersteren gehörte Thiébault, in dessen immerhin schätzenswertem Werke »Mes Souvenirs de vingt ans de séjour à Berlin« auch der Hofmarschallin von Kraut (die bald nach dem Ableben ihres ersten Gatten den holländischen Gesandten de Verelst heiratete, bald indes abermals Witwe wurde) an verschiedenen Stellen Erwähnung geschieht. »Unter den Damen«, so heißt es in dem eben genannten Buche, »die Prinz Heinrich auszuzeichnen pflegte, befand sich auch eine Madame de Verelst, zuletzt Witwe des holländischen Gesandten. Es wurd ihr von seiten Monseigneurs, außer einer an Aufmerksamkeiten reichen Freundschaft, auch ein ganz besonderes Vertrauen bewiesen, was dahin führte, daß sie die Sommermonate beinahe regelmäßig in Rheinsberg zubrachte. Sie war aufrichtig, ernst und überlegend und dabei von einer so durchaus honetten Gesinnung, daß niemand begriff, was sie vordem hatte bestimmen können, einem so langweiligen und übellaunigen Menschen wie dem Baron von Kraut, ihrem ersten Manne, die Hand zu reichen.«
In vollem Gegensatze dazu steht alles, was ihr späterer Schwiegersohn, Baron Knyphausen, über sie sagt. Ihm zufolge war sie nicht bloß »une femme vaine, bornée et détestable«, sondern rundheraus »un monstre«, und nur darin einigen sich beider Urteile, daß sie gut zu repräsentieren verstand, Reste früherer Schönheit aufwies und über den freien und sicheren und, wenn ihr daran lag, auch über den hohen Ton der Gesellschaft eine vollkommene Verfügung hatte.
Une femme adroite nach Thiébault, une femme détestable nach Knyphausen, das war die Frau, der jetzt die Sorge der Erziehung ihrer Tochter oblag, eine Frau, der es unter allen Umständen an der Fähigkeit gebrach, ihrem Kinde mehr zu geben als eine den Rheinsberger Verhältnissen angepaßte Tournüre. Worauf es in ihren Augen ankam, das war, vor »Monseigneur« erscheinen und in der großen Welt ein »sort« machen zu können. Dazu gehörte nicht mehr als eine Kammerjungfer aus dem gelobten Lande Frankreich und ein Tanz- und Sprachmeister von ebendaher. Auch verlautet an keiner Stelle, daß etwas darüber Hinausliegendes jemals ernsthaft gepflegt worden wäre. Das Ernsthafte galt für langweilig und pedantisch und war Sache gewöhnlicher Leute. Freilich, man mußte die »Phèdre« kennen und die »Médée« und die »Mérope«, aber doch auch nur, um ein Zitat des Prinzen verstehen und allenfalls erwidern zu können. Alles hatte nur so viel Wert und Bedeutung, als der Hof gut fand, ihm zuzumessen. In Gunst stehen, reich sein und Einfluß haben war das einzige, das zu leben lohnte. Und wenn es überhaupt Pflichten gab, so war doch erste Pflicht jedenfalls die, von der Sorge kleiner Leute nichts zu wissen und einem Prinzen zu gefallen.