Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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9. Kapitel

Die Krautentochter, nunmehr Baronin Knyphausen, reist nach Lützburg. Es wird ein Sohn geboren. Baron Knyphausen wird krank und stirbt

Am 30. Juni 1783 hatte die mehrerwähnte Scheidung von Mr. Elliot, am 1. Oktober desselben Jahres die heimliche Trauung mit Baron Knyphausen zu Rosenthal in Sachsen und am 25. April 1784 unter Vorzeigung einer inzwischen eingetroffenen königlichen Dispensation die öffentliche Trauung mit letztgenanntem Baron K. stattgefunden.

Unsere Krautentochter war nun also Baronin Knyphausen.

Im Mai oder Juni wurde dem zweimal getrauten Paar ein Sohn geboren, Karl Wilhelm Tido, und abermals zwei Monate später erfolgte die seit lange geplante Reise nach Ostfriesland, um daselbst die junge Schwiegertochter dem alten Freiherrn und der gesamten Verwandtschaft vorzustellen. Alles, was voraufgegangen war, konnte sie dem in strenger Zucht und Sitte stehenden Hause nicht sonderlich empfohlen haben, demungeachtet würde sie bei den vielen Vorzügen, über die sie Verfügung hatte, die Herzen aller, insonderheit aber das des alten Freiherrn, unschwer gewonnen haben, wenn dieser nicht, als man eintraf, ein bereits bedenklich Kranker gewesen wäre. Sein Zustand verschlimmerte sich rasch, und vor Ablauf der dritten Woche starb er. Das waren denn nun freilich nicht Zeiten, um durch Schönheit und Liebenswürdigkeit alte Schulden quittzumachen, alles kleidete sich in Trauer, und als der Ernst der Begräbnistage vorüber war, war er nur vorüber, um dem noch größeren Ernst erbschaftlicher Verhandlungen Platz zu machen. Es gab dabei die herkömmlichen Verstimmungen, ein Plus von Anspruch und ein Minus von Gewährungslust, was aber all diesen Verstimmungen erst die rechte Schärfe gab, war einfach ein Resultat der eigentümlich veränderten Situation, in der man sich durch den Todesfall des Vaters befand. Als ein Besuch, der um Nachsicht zu bitten hatte, war die schöne junge Schwägerin ins Haus gekommen, und ebendiese Schwägerin, die gestern noch beflissen gewesen war, allerlei kleine Huldigungen darzubringen, ebendiese war über Nacht in ihrer Eigenschaft als Gattin des ältesten Sohnes und nunmehrigen Chefs des Hauses in die vordere Linie gerückt, war eine Respektsperson geworden und nicht mehr dazu da, Huldigungen darzubringen, sondern umgekehrt entgegenzunehmen. Es scheint auch nicht, daß dieselben verweigert wurden, im Gegenteil, aber die diese Besuchstage besprechenden Aufzeichnungen der Lützburger Chronik lassen doch so viel erkennen, daß unsere Krautentochter schließlich nicht unfroh war, aus Ostfriesland scheiden zu können, und daß die Schwäger und Schwägerinnen noch weniger unfroh waren, sie scheiden zu sehen.

Im Oktober 1784 war das junge Paar wieder in der Mark zurück und teilte nun während der nächsten zwei, drei Jahre den Aufenthalt zwischen Berlin und Hoppenrade. In Berlin bewohnte man das auf der Jägerbrücke gelegene Bredowsche Haus, in welchem auch im Herbste 1785 eine Tochter geboren wurde: Sophie Oriane Constanze Friederike. Das Verhältnis zu der ostfriesischen Verwandtschaft blieb auch bei wiederholten Besuchen dasselbe, will sagen freundlich und förmlich, ohne daß es geglückt wäre, die Freundlichkeit in Herzlichkeit umzuwandeln.

Ob ein Glück im eigenen Hause dies aufwog? Es mag fast bezweifelt werden. Wohl war es eine gegenseitige Neigung gewesen, was sie zusammengeführt hatte, nebenher aber lief eine große Sinnes- und Charakterverschiedenheit: er war reserviert, mit einem Anfluge von Nüchternheit, sie sanguinisch, mit einem Anfluge von Gefallsucht. Das Leben bei Hofe, das ihn degoutierte, hatte für sie nicht bloß Reiz und Zauber, sondern war auch, aller trüben persönlichen Erfahrungen unerachtet, eigentlich das, wonach sie sich sehnte.

So waren wohl von Anfang an Differenzpunkte gegeben, aber möglich, daß es nichtsdestoweniger zu Verständnis und Ausgleich auf diesem Gebiete gekommen wäre, wenn nicht ein schweres Leiden, in das der Freiherr verfiel, ihm und alsbald auch seinem Hause jede Lust und Freudigkeit genommen hätte. Schon Ende 1787 traten Anzeichen einer bedenklich komplizierten Krankheit hervor, einer Krankheit, die sich zunächst in Taubheit und heftigen Ohrenschmerzen äußerte. Nach dem Rate der Ärzte wurde Spa versucht, aber erfolglos, und der Patient unterbrach alsbald seine Kur, um auf der Rückreise den berühmten braunschweigischen Leibarzt Ritter von Zimmermann zu konsultieren, der einige Zeit vorher auch an das Sterbebett König Friedrichs II. gerufen worden war. Wie kaum gesagt zu werden braucht, verordnete die konsultierte Berühmtheit das, was in aussichtslosen Fällen immer verordnet zu werden pflegt: »eine Reise nach dem Süden«, und diese Reise sollte denn auch eben begonnen werden, als die Nachricht eintraf, daß der letzte Löwenberger Bredow gestorben und der Augenblick für den Antritt des großen Erbes gekommen sei. Das wog denn freilich so schwer, daß die Reise, nötig oder nicht, vorläufig wenigstens zurücktreten mußte; dringendste Geschäfte forderten tagtäglich Erledigung, und die Reihe jener Aufregungen und Ärgernisse begann, die von Gutsübernahmen und Erbschaftsauseinandersetzungen unzertrennlich zu sein pflegen und wovon das, was einige Jahre vorher in Lützburg gespielt hatte, nur ein Vorschmack gewesen war.

Endlich aber war alles geregelt, und der jetzt im Besitz einer großen Doppelherrschaft, einer ostfriesischen und einer märkischen, stehende Freiherr hätte sich füglich auf der Höhe des Lebens fühlen müssen. Aber er stand nur angesichts des Todes, und als es das Jahr darauf, im Sommer 1789, kein Geheimnis mehr war, wie schlecht es stehe, traf, neben anderen Besuchern, auch sein Bruder Edzard auf dem Hoppenrader Schloß ein, um den schwer krank Darniederliegenden noch einmal zu sehn. Edzard war erschüttert von dem Anblick und schrieb tags darauf in die Heimat: »Ich fand ihn sehr verändert und konnt ihn kaum noch verstehn, weil auch seine Sprachorgane gelitten haben. Außerdem aber haben seine langen und heftigen Schmerzen im Kopf, dazu seine Schlaflosigkeit und der beständige Opiumgebrauch auf seine Seelenkräfte merklich eingewirkt und jenen hellen und glänzenden Verstand eingeschränkt, mit Hilfe dessen er sonst die schwersten Begriffe zu ordnen und überhaupt im Umgange mit der Welt so hervorragend zu gefallen wußte. Er hat nun oft Mühe, seine Gedanken so zu fügen, wie sie sich, seinem Wunsche nach, wohl fügen sollten, und gerät darüber in solchen Unmut, daß er es mehrmals vorzog, mitten im Sprechen abzubrechen. Ich habe wenig Hoffnung auf seine Wiederherstellung.«

In der Tat, eine solche Wiederherstellung war unmöglich; aber eine lange Leidenszeit war ihm doch nichtsdestoweniger noch vorbehalten. Er wurde sehr bald nach diesem Besuch, einer vorzunehmenden Operation halber, von Hoppenrade nach Berlin geschafft, indessen man stand hier von einem chirurgischen Einschreiten ab, als man das Übel in seiner Unheilbarkeit erkannt hatte. Es war Knochenfraß und Drüsenverhärtung. So konnt es sich nur noch um beständige Linderungen handeln. Er bekam Laudanum und Moschus. Öfters wurden die Wohnungen gewechselt, um ihn wenigstens nach Möglichkeit vor Straßenlärm zu schützen. Aber all das ergab nur ein Hinfristen. Er war so elend, daß selbst kein Fieber mehr eintrat, und am 25. Dezember 1789 entschlief er und wurde die Woche darauf im Krautschen Erbbegräbnis in der Nikolaikirche beigesetzt.

Auch hinsichtlich seines Charakters, genauso wie hinsichtlich der Charaktere seiner Schwiegereltern, also des Hofmarschalls von Kraut und der Gemahlin desselben, der späteren Madame de Verelst, gehen die zeitgenössischen Aufzeichnungen auseinander. Thiébault erwähnt des Barons mehrfach. »Unter den dem Prinzen Heinrich am aufrichtigsten ergebenen Personen«, so schreibt er, »befanden sich auch zwei Barone Knyphausen, von denen der eine, Baron Dodo von Knyphausen, längere Zeit preußischer Gesandter in Paris und dann in London gewesen war. Er führte den Beinamen ›der große Knyphausen‹ oder ›der alte‹ zur Unterscheidung von einem jüngeren Träger desselben illustren Namens, der einer der Kavaliere des Rheinsberger Hofes war und ›Le beau Knyphausen‹ hieß. Er hatte nicht nur den frischesten Teint und das feingeschnittenste Profil, sondern war überhaupt von einer apollonischen Schönheit; nur schade, daß ein kaltes, stolzes und etwas steifleinenes Wesen (peu compassé) seine große Schönheit wieder in Frage stellte.« Dieser »Le beau Knyphausen« ist der unsrige.

Thiébaults Worte lauten nicht allzu günstig, und der als »kalt und stolz« Bezeichnete wird unmaßgeblich seine Schwächen und Fehler gehabt haben, vielleicht sogar solche, die sich in der Gesellschaft sehr fühlbar machten. Andererseits ist es unmöglich, seine Briefe zu lesen, ohne von der Überzeugung erfüllt zu werden, daß er dem ganzen Rest der in dieser Tragikomödie mitspielenden Personen, Elliot an der Spitze, sehr überlegen war. Und so werden denn auch die von seinem Bruder in der Lützburger Chronik über ihn geschriebenen Zeilen sehr wahrscheinlich das Richtige treffen. Sie lauten: »Er war wie von einer vorzüglichen körperlichen Schönheit, so ganz besonders auch von einem hervorragenden und mit allerlei Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestatteten Verstande. Reisen und langer Umgang an Höfen hatten ihm die feinsten Umgangsformen gegeben, die den Verkehr mit ihm, wenigstens bis zum Eintritt seiner Krankheit, ungemein angenehm und anziehend machten.«

Im Einklange hiermit ist das, was sich im Hoppenrader Kirchenbuche (das übrigens, abweichend von der Lützburger Chronik, den 1. Januar 1790 als seinen Todestag angibt) über ihn aufgezeichnet findet. Es heißt daselbst wörtlich: »Am 1. Januar 1790 starb in Berlin Herr Georg Freiherr von Inn und Knyphausen, Majoratsherr der Herrschaft Knyphausen in Ostfriesland, Herr auf Hoppenrade, Löwenberg, Teschendorf, Grüneberg. Er verfiel vor zwei Jahren in schwere Krankheit, von der wieder zu genesen ihm nicht beschieden war. Er war ein vernünftiger und menschenfreundlicher Herr. Wenn ihm Gott das Leben und Gesundheit geschenkt hätte, würd er viel Gutes auf den hiesigen Gütern gestiftet haben.«

Ebenso günstig beurteilt ihn sein späterer Schwiegersohn von Wülknitz, der, bei den zahlreichen und andauernd von ihm geführten Prozessen (ich komme darauf zurück), aus einem intensiven Aktenstudium der Knyphausenschen Zeit all sein Lebtag nicht herausgekommen ist. Wülknitz schreibt über Knyphausen: »Er war ein tüchtiger, umsichtiger und charakterfester Mann, in betreff dessen es lebhaft zu bedauern bleibt, daß der Tod ihn so frühzeitig abrief.«

Alle ruhig Urteilenden sprechen in ähnlicher Weise für ihn.

Zum Schluß erübrigt nur noch ein Wort über seine Duellaffaire mit Elliot. Ich habe bereits hervorgehoben, und Knyphausen bestätigt es in seinen Briefen, daß sich die damalige Berliner Gesellschaft, und unter ihrem Einfluß auch das große Publikum, ungleich mehr auf Elliots als auf Knyphausens Seite stellte, was sich denn auch – und zwar ganz abgesehen von Elliots eminenter Begabung, alle Welt (nötigenfalls auch durch Lügen) auf seine Seite zu ziehen – einfach aus den Tatsachen heraus erklären läßt. Elliot, was immer seine Fehler sein mochten, war und blieb der gekränkte Ehemann. Das war eins. Was ihm indessen, weit über dies Maß einer immerhin fraglichen Teilnahme hinaus, eine ganz aufrichtige Bewunderung eintrug, das war, aller gegenteiligen Versicherungen unerachtet, der Fürstenberger Überfall, der Brutalakt »à la mode d'un assassin«. Er hatte Knyphausen zum Duell nach Kopenhagen hin zitiert, war ob dieser seiner Zitierung verspottet worden und erschien nun in seines säumigen Gegners Wohnung, um nicht bloß diesen, sondern, wenn es nötig sein sollte, die ganze Stadt Fürstenberg zum Kampfe herauszufordern. Was darin ungesetzlich und unsinnig war, übersah man gern, man sah nur die Waghalsigkeit und freute sich ihrer, und es hätte der Großsprechereien, an denen es Elliot wie gewöhnlich so auch diesmal nicht fehlen ließ, gar nicht bedurft, um ihn in einem glänzenden Licht erscheinen zu lassen. Wer übermütig hazardiert und zugleich für den nötigen Lärm sorgt, ist immer eine populäre Figur. Und eine solche war denn auch Elliot in dieser ganzen Affaire. Man sympathisierte mit ihm.

Aber sympathisierte man mit Recht? Ich glaube nein. Es ist der Haltung seines Gegners Knyphausen nur dann gerecht zu werden, wenn man Elliots Charakter beständig im Auge behält. »Er war ein Narr, der bei jeder ihm passend erscheinenden Gelegenheit ein Tobsüchtiger wurde.« So wird er geschildert, und diese Schilderung wird im wesentlichen richtig sein. Vielleicht hätte Knyphausen, als die Herausforderung zum Duell an ihn herantrat, besser getan, dieser Herausforderung zu folgen und nach Kopenhagen hin abzureisen. Er hätte seinem Gegner mit den Worten entgegentreten müssen: »Ihr Brief hat mich getroffen; hier bin ich. Ich bekenne mich gern und mit allem Nachdruck zu jedem Vorwurfe, den Sie mir machen. Ich hasse Sie. Sie haben Ihre Frau schlecht behandelt, was sag ich, schlecht, nein, als ein Nichtswürdiger, und voll Empörung darüber hab ich getan, was ich getan. Und nun bestimmen Sie Zeit und Ort.« Eine derartig freie Sprech- und Handelweise hätte meinem Geschmack mehr entsprochen, hätte frischeren Sinn und besseres Gewissen gezeigt; aber wenn eine solche Sprache bei Durchfechtung einer auf diesem Gebiete liegenden Affaire vielleicht überhaupt nicht gefordert werden kann, so gewiß nicht einem Elliot gegenüber, der, ohne jede Disziplin und Selbstkontrolle herangewachsen, nicht bloß aller möglichen Extravaganzen fähig, sondern auch mit Hilfe seiner gesandtschaftlichen Stellung in all seinen Extravaganzen so gut wie vorweg freigesprochen war.

So wird sich denn bei billiger und gerechter Würdigung aller Verhältnisse – darunter auch die Geldverhältnisse – mit Fug und Recht sagen lassen, daß Knyphausens Haltung im großen und ganzen nicht bloß eine richtige, sondern auch eine mutige war. Wenn sein Mut andre Formen hatte wie der seines Gegners, so kann ihm daraus kein Vorwurf gemacht werden, auch dann nicht, wenn er bei dem Erscheinen Elliots in Fürstenberg und dem gleichzeitig erfolgenden Eindringen einer ganzen Rotte Bewaffneter einen Augenblick lang von der Vorstellung beherrscht gewesen sein sollte, »das ist ja eine verteufelte Situation, und ich wollt, ich wär aus ihr heraus«. Einem Maniac, einem Tollen gegenüber hat der bei Verstand und Ruhe Gebliebene nicht nur tatsächlich allemal ein mehr oder weniger bedrücktes und selbst ängstliches Gefühl, nein, er darf es auch haben. Es ist sein Recht. Allerdings ein Recht, das ihm der große Haufe nie zugestehen wird, am wenigsten aber der Flanellphilister, der von jedem, nur nicht von sich selbst, eine nie müde werdende Heldenschaft verlangt und Mutgeschichten nicht auf ihre menschliche Wahrscheinlichkeit, sondern immer nur auf sein allerpersönlichstes Gruselbedürfnis hin ansieht.


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