Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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1810 und 1811

Vom Hofe. – Innere und äußere Politik. – Neue Minister. –
Der Tod der Königin. – Die Theoretiker. –
Justiz-Organisationsplan. – Der Tugendbund

Liebenberg, 22.Januar 1810

Wir haben nun also das Ordensfest gehabt, und sonderbar ist die Zusammenstellung derer, die dekoriert worden sind: Minister, Präsidenten, Prediger und Iffland. Alles ist bei uns russische Nachahmung; Originales haben wir nichts als unsre gutmütige Einfalt.

 
Berlin, den 11. Februar 1810

Hier ist nun der neue Gouverneur mit seiner Ehefrau angekommen. Er zeigt sich, sie aber nicht, weil sie kränkelt. Ich sah ihn letzte Woche bei Recks, wo er Visite machte, fand ihn aber so gealtert, daß ich ihn an anderem Orte schwerlich erkannt haben würde. Lestocqs leben vergnügt und ruhig; sie verlangen weiter nichts.

Recks sind wohl, ob sie aber mit der Gegenwart zufrieden sind, weiß ich nicht. Sie wünschen ihr Haus gut zu verkaufen, und dies gibt mir fast den Gedanken, daß sie Berlin zu verlassen wünschen. Mir wurde gesagt, daß sowohl er wie sie bei der großen Cour von dem König und der Königin kalt behandelt oder doch wenig beachtet worden wären. Indes ist das der Fall mit allen gewesen; die Cour hat nicht voll eine halbe Stunde gedauert, und vielleicht waren einschließlich des Militärs 800 Personen gegenwärtig. Es hat also unter zehn Personen kaum eine angeredet werden können. So viel ist andrerseits gewiß, daß die nächsten Umgebungen alles Alte zu entfernen suchen, und Nagler ist nun im engsten Sinne das, was sonst Beyme war. Letzterer, der gewaltig strenge sein soll, geht so gut seinen Gang wie die andern. Wenn den Ständen etwas entzogen werden kann, ist er mit dabei, schon deshalb, weil sein eignes Ansehen gewinnt, wenn er alle Mittelinstanzen zwischen Land und Minister verwischen kann. Unter allen Umständen soll's mich wundern, was nun weiter versucht werden wird. Die Neuerungen verwirren alles dermaßen, daß zum Beispiel der Busenfreund, der sich in Königsberg um Brot- und Fleischpreise bekümmerte, letzthin selber in aller Naivetät bekannt hat, »nicht zu wissen, was die Neuerungen eigentlich bezweckten«. Ja, der Kerl soll letzthin dem Minister der Finanzen bei Vorlegung des neuen Etats gesagt haben, »er sähe wohl, daß er um 700 000 Taler höher als früher sei, wisse aber nicht warum«. Ich bin immer der Meinung, daß die Dirigenten dem Werke nicht gewachsen sind, und erwarte nicht Beßres; fest werden sie sich fahren, wo nicht umwerfen.

 
L., 5. März 1810

Über die Sonderbarkeit, daß der Direktor Kiekhöfer, wie Du mir schreibst, gerade zu der Zeit vorgezogen worden ist, da gegen ihn Untersuchung und Klage vorliegt, wundre ich mich keinen Augenblick, denn auch hier geschehen Mißgriffe aller Art die zuweilen lächerlich sein würden, wenn nicht unser ganzer Zustand so sehr zum Weinen wäre.

Die Verbindung des französischen und österreichischen Kaisers durch die bekannte Heirat macht bei uns eine unangenehme Sensation. Noch mehr aber bei den Russen. Diejenigen dieser Nation, die jetzt in Berlin sind, haben dessen kein Hehl, und da es einmal die Politik des französischen Kaisers erfordert, seine halbe Million Soldaten auf Kosten der Nachbarn zu ernähren, so ist es klar, daß er ein gutes Teil davon, bei demnächst zu veranlassender Gelegenheit, dem nordischen Alexander zu verpflegen geben wird. Von der Räumung unsrer Festungen hört man nichts, die können dann als Entredepots dienen, und wenn wir nicht mitgehen wollen, nun dann gibt man Schlesien an den Schwiegerpapa, welcher es dankbar akzeptieren wird. Gutes erwart ich von der Zukunft nicht, Gott müßte denn sehr merklich dazwischenkommen.

 
L., 21. April 10

Landrat von Itzenplitz ist hier, um die Domainen in der Gegend zu revidieren. Er bleibt ein paar Tage. Feldmarschall Graf Kalckreuth hat zwar in Paris bei dem Herzog von Cadore eine artige Aufnahme gefunden, allein von dem Kaiser selbst ist ihm noch keine Audienz erteilt worden. Es heißt, dieser wolle unsere Anleihe in Holland nicht und maule deshalb mehr als vorher. Wenn man uns aber an dieser Anleihe hindert, so weiß ich gar nicht, wo das Geld zur Zahlung unserer Schuld herkommen soll. Geplagt von außen und von innen, wird man ganz kopfverkehrt. Nicht genug, daß der Großkanzler mit Hrn. von Altenstein in Fehde ist, so ist es auch der letztere wieder mit Graf Dohna, und der König selbst fühlt sich diesem Zwiste gegenüber so wenig sicher, daß der Exminister von Hardenberg invitiert worden ist, zu kommen und nachzusehen, ob er ein Medium finden kann. Ob er sich dazu bequemen wird, steht dahin; ich bezweifle es fast, weil seine eigene Sicherheit dabei ins Spiel kommt.

 
30.April 1810

General Scharnhorst hat das Kriegesministerium niedergelegt; es soll von Paris aus verlangt worden sein. Wer dieses Amt nun bekleiden wird, steht dahin. Ebensowenig wissen wir, was des Feldmarschalls Grafen Kalckreuth Mission nach Paris auf sich hat; sie muß mehr betreffen als eine bloße Beglückwünschung, weil er zwei Legationsräte mit sich hat.

 
L., 5. Mai 1810

Mit dem Herrn Gr. K. (wahrscheinlich Großkanzler; damals Beyme) bin ich auch nicht zufrieden. Ich kenne ihn persönlich nicht, aber ich finde so viel Eigenmächtiges in seinem Verfahren, daß ich ihm nicht traue. Neuerlich hat er darauf angetragen, eins von unsern Landarmenhäusern zu einem Gefängnis für Personen von höherer Klasse zu nehmen. Der Minister des Innern hat zugestimmt, und so soll das Land, dem die Landarmenhäuser gehören und das ebendieselben aus seinen Beiträgen unterhält, dies sein Eigentum hingeben, weil es an Festungen fehlt, wohin man Verbrecher senden kann. Auf diese Art ist das Publikum der Scherwenzel aller Minister und Ministerien. Diese Sache zirkuliert nun bei den Kreisbehörden, die sämtlich ablehnen werden, und dann soll mich wundern, wo man hinaus will. Ich habe ein auf Wahrheit gegründetes Gutachten, das sehr handgreiflich ist, abgegeben, mit Freistellung an den Landrat, solches der Vorstellung beizulegen. Graf Dohna soll als Minister nicht viel bedeuten; ich kenne ihn nicht. Der der Finanzen, heißt es, sei ängstlich. Das darf er auch, denn bei unseren Finanzen ist einem jeden bange.

Feldmarschall Kalckreuth soll eine sehr freundliche Audienz gehabt haben, wobei der persönliche Charakter des Königs Lobsprüche bekommen hat. Was indessen über des Königs politischen Charakter gesagt worden ist, davon schweigt man.

 
L., 19. Mai 1810

Das Erscheinen des Königs von Sachsen ist mir auffallend lächerlich gewesen. Das ist ein Mann, wie ihn Napoleon verlangt, ein Mann, der sich alles gefallen läßt. Nun ist er ganz in den Händen des Generals Thielemann, eines erzfranzösisch Gesinnten und großen Anhängers des verstorbenen Ministers von Bose. Diese beiden ersparten ihm die Mühe, einen Willen zu haben. Wir hier in Berlin haben jetzt einen Troß von lüderlichen Prinzen um uns her, unter denen der Hesse der erbärmlichste istGegen nichts eifert der alte von H. so heftig und so konstant wie gegen lüderliche Prinzen. So heißt es in einem früheren Briefe über Louis Bonaparte (den Vater Napoleons III.): »Dieser elende Kerl, der überall in der schmutzigsten Wollust seinen Körper ruiniert hat und einem Skelett ähnlicher ist als einem Menschen, ist nun also wirklich bestimmt, in Holland zu regieren.« An anderer Stelle hat er in ähnlicher Weise mit dem Großfürsten Konstantin ein Hühnchen zu pflücken. »Dieser teure Konstantin kontrastierte hier sehr mit seinem kaiserlichen Bruder, der sich überall Achtung erworben hat. Konstantin ist nichts als ein Wüstling. Er hat fleißig die Elevinnen der Madame Schupitz schmutzigen Andenkens besucht, sonst aber, aller Brutalität unerachtet, mehr Jungenstreiche als Bosheiten verübt.«. Unser Prinz August ist, was die Frauen anlangt, wie sein verstorbener Bruder Louis. Des Königs Brüder aber zeichnen sich durch eine ordentliche Lebensart aus.

 
L., 24.Juni 1810

Was die plötzliche Neugestaltung des Ministeriums herheigeführt hat, ist manchem ein Rätsel, und was im engsten darüber verlautet, kann dem Papiere nicht wohl anvertraut werden. So viel ist gewiß, daß Herr von Hardenberg mit Zustimmung des französischen Kaisers angestellt worden und daß die abgedankten Herren wegen einer Kabale gegen von H. außer Amt gekommen sind. Beyme soll sogar auf eine Bitte zu viertelstündiger Audienz nicht beschieden worden sein.

 
L., 31. Juli 1810

Die Reunion von Holland ist eine schreckliche Begebenheit, die den Bankerott dieses Landes nach sich ziehen wird.

 
L., d. 11. Aug. 1810

Der Tod der Königin hat hier und überall die traurigste Sensation veranlaßt; ein jeder beklagt den König und fühlt den Verlust. Sie hatte schon öfter Brustbeklemmungen empfunden, und wäre sie für diesmal der Gefahr entgangen, so hätte sie doch nicht lange mehr leben können, weil ein Gewächs am Herzen ihren baldigen Tod herbeigeführt haben würde. – Was den unglücklichen Pariser Feuer-Ball angeht, so wurde hier anfänglich auch die Verwundung unseres Gesandten mit allerlei Nebenumständen erzählt. Jetzt aber hört man nichts weiter davon. Der Tod so vieler Personen ist begreiflich, wenn man bedenkt, daß das Feuer durch die von Linon angefertigten Festons sich in einem Augenblick über das Ganze verbreitete. Mich wundert es nur, daß dergleichen nicht öfters geschieht, da der Luxus jetzt 100 Wachslichter erfordert, wo sonst zehn zureichten.

 
L., 13. Nov. 1810

Gestern war ich in Berlin, wo alles sehr still ist. Der König kommt wenig zur Stadt; die Pumpernickel- und Pachter-Feldkümmel-Komödien unterhalten das Publikum, und die Finanzeinrichtungen schröpfen es. Daß Graf Dohna von der Szene getreten ist, wirst Du wissen; nun ist überhaupt kein Minister des Innern da. Das Departement ist unter die Geheimen Staatsräte verteilt, und Herr Präsident von Schuckmann hat die Sektion des Kultus als Chef erhalten. Ich hoffe, er wird die schwarzen Herrn, die ins Gelach hinein befehlen, etwas in ihre Schranken zurückweisen.

 
L., d. 29. Dez. 1810

Unser Staatskanzler ist in der Wahl seiner Unterarbeiter unglücklich. Man hat ihm pure junge idealistische Theoretiker vorgeschlagen, so zum Beispiel die Herren von Raumer und Peter Beuth, die Urheber jenes Stempeledikts, das in so manchem Punkte widersinnig und empörend ist.

 
Berlin, 26. Dezember

Über die Justizkollegien-Umschmelzung kann ich Dir nur folgendes melden. Das Projekt, das Kammergericht in Bezirksgerichte zu zerteilen, ist nicht beiseite gelegt, es wird vielmehr immer noch darüber gebrütet. Und zwar soll zu Wittstock, Schwedt, hier in Berlin und in Frankfurt ein Instruktionssenat als Oberlandesgericht angestellt und der erste Senat des Kammergerichts zu diesem Zweck auseinandergerissen werden. Der Appellationssenat und das Tribunal bleiben hier. Das Neumärkische Oberlandesgericht sollte den Teil der Neumark verlieren, der in Pommern einschießt, dahingegen den Ober-Barnimschen und Lebuser Kreis zubekommen. Der abgerissene Teil der Neumark käme dann zum Oberlandesgericht von Stargard, während dies wiederum einen Teil seiner Geschäfte an ein neues Oberlandesgericht in Stolpe abgäbe. Das OLG in Schwedt bekäme die Uckermark als Distrikt, das zu Wittstock die Prignitz und das zu Berlin verbleibende behielte Havelland, Zauche, Nieder-Barnim etc. Ob das alles zustande kommen wird, steht dahin, denn es erfordert Geld und Lokale. Dabei welcher Zeitverlust, um die Trennung der Registraturen und Hypothekensachen zu bewerkstelligen! Ich denke noch immer, daß die großen Schwierigkeiten die Zerreißung verhindern werden. Dienlicher als all das wäre eine beständige Revisionskommission, die sich bloß damit beschäftigte, die Untergerichte zu bereisen und diese tüchtig zu züchtigen, wenn sie – wie dies so oft der Fall ist – sich Nachlässigkeiten oder gar Schurkereien haben zuschulden kommen lassen. Alles, wag wir jetzt tun, ist Nachäffung der Franzosen und der Westfälinger. – Einige von unseren bekanntesten »Tugendbündlern« sind neuerdings verhaftet worden. Es hängt mit Arrestationen zusammen, die in Halle und andern westfälischen Örtern stattgefunden. Gestern sagte man mir jedoch, »es geschähe dies alles nur pro forma«. Scharnhorst, als Primas der Union, wisse um alles, trage also auch die Verantwortlichkeit, und dem sage man nichts. Ich kann es nicht glauben, denn alle möglichen Tollheiten geschehen so öffentlich, daß sie durchaus eine Ahndung verdienen. Da bei uns leider immer Unschicklichkeiten und Unbesonnenheiten mit drunterlaufen, so hat es auch diesmal wieder an einer solchen nicht gefehlt. In derselben Nacht, in der man Werder und einen Herrn von Schulenburg verhaftete, läßt das Gouvernement auch den Justizkommissarius Bartels aus dem Bette holen und nach der Hausvogtei bringen. Am andern Morgen findet es sich aber, daß es nicht ihm, sondern einem seiner Kopisten, einem gewesenen Soldaten, der für Geld bei ihm abschrieb, gegolten hat. Bartels, wie sich denken läßt, will für den öffentlichen Affront eine öffentliche Unschuldserklärung haben, und nun wollen weder der Kommandant noch der Gouverneur etwas von dem Verhaftsbefehle wissen, obgleich der Kommandant den Polizeibeamten selbst zur Arrestation instruiert hat.


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