Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Quitzöwel und Rühstädt, Stavenow und KletzkeDie Kirche zu Kletzke, nicht so wohlerhalten wie die zu Rühstädt, war noch um 1750 reich an Quitzow-Grabsteinen und Quitzow-Monumenten. An ihrer Fülle ließ sich erkennen, daß Kletzke, durch Jahrhunderte hin, mit Quitzöwel und Rühstädt an Bedeutung gewetteifert, ja beide vielleicht übertroffen hatte. Daß neuere Historiker, im Gegensatze zu Klöden, davon ausgehen: Dietrich und Johann von Quitzow seien nicht zu Quitzöwel, sondern zu Kletzke geboren worden, habe ich schon an anderer Stelle hervorgehoben. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts befand sich noch eine von Anna von Quitzow 1591 dem Gedächtnis ihrer Brüder und Schwestern errichtete Bretterwand in der Kirche, worauf neun Figuren – »vier Manns- und fünf Weibsbilder«, wie Bekmann schreibt – in Temperafarben gemalt waren. Alle diese Figuren trugen Unterschriften, von denen die Mehrzahl im Jahre 1750 noch zu lesen war: Antonius von Quitzow war bei einem Feuer umgekommen, Köne von Quitzow in einer Schlacht in Frankreich gefallen. All dies ist jetzt fort und nur zwei Grabsteine sind geblieben. Letztere gelten dem Andenken Dietrichs von Quitzow, gestorben 1605 (ihm gewidmet von Achatz von Quitzow), wie dem Andenken Philipps von Quitzow, gestorben 1616, und erinnern lebhaft an die beiden in unserem vorigen Kapitel ausführlicher beschriebenen Quitzow-Denkmäler von 1569 und 1593 in der Kirche zu Rühstädt. waren altquitzowscher Besitz, zu dem sich, in Markgraf Waldemars Tagen, auch noch die ganz im Nordwesten der Prignitz gelegene, von zwei Armen des kleinen Eldeflusses eingeschlossene und nach ebendiesem Flusse benannte Eldenburg gesellte. Wir erwähnten ihrer schon in einer Grabinschrift im vorigen Kapitel. Diese Eldenburg wechselte dreimal ihre Gestalt. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts errichtet und von den Quitzows auf Kletzke, Quitzöwel und Rühstädt (oder doch von der Vetterschaft derselben) zeitweilig bewohnt, stand die Burg dieses Namens, und zwar in ihrer ursprünglichen Gestalt, bis 1588. In diesem Jahre war sie derart unbewohnbar geworden, daß man an ihre Abtragung ging und aus ihren Steinmassen ein neues Schloß herstellte. Dies hielt sich durch fast drei Jahrhunderte hin und bildete mit seinen tief in das Dach sich einsenkenden Giebeln und den fünf Spitzen seines Turmes einen Schmuck der Gegend. Am Gründonnerstage 1881 aber wurde diese Herrlichkeit, zu der auch »so viel Fenster wie Tage im Jahre« gehörten, durch einen furchtbaren Brand zerstört, und was sich jetzt noch an Stelle von »Burg« beziehungsweise »Schloß« Eldenburg erhebt, ist ein verhältnismäßig kleines und schmales Gebäude mit glattem Ziegeldach und einem viereckigen dicken und ziemlich hohen Turme darüber.Von der Eldenburg in seiner gegenwärtigen Gestalt, wie von fast allen Schlössern, Kirchen und Denkmälern, die dieser Quitzöwel-Aufsatz genannt hat, hat Hofphotograph David Schwanz, Potsdamer Platz (Eingang Bellevue-Straße 22) die verschiedensten Bilder angefertigt und die Gesamtheit derselben zu einem Album zusammengestellt. Es befinden sich darunter: die Wunderblutkirche zu Wilsnack in vier Aufnahmen, Einzelnheiten aus der Kirche, Bildnis des Havelberger Bischofs Joh. von Wepelitz, Blick von Quitzöwel auf die Elbe, Schloß Quitzöwel, die Kirche von Quitzöwel, die Ruinen der Quitzowburg in Kletzke, die Kirche zu Kletzke, verschiedene Quitzowepitaphien in der Kirche zu Kletzke, die Kirche zu Rühstädt, Quitzowepitaph in der Kirche zu Rühstädt, Marmorbildnisse der Familie von Jagow ebendaselbst, Quitzowdenkmal auf der Dorfstraße zu Legde, die Eldenburg bei Lenzen, der Quitzowturm in der Eldenburg, Schloß Plaue, das Kreuz am Kremmer Damm, der Marktplatz zu Angermünde und anderes mehr. Dieser Turm, jetzt Hofuhr und Taubenschlag beherbergend, ist noch ein Rest des ursprünglichen ältesten Baues, in dem sich unter anderem auch der in der ganzen Prignitz bekannte »Quitzowstuhl« befindet, ein großes Hufeisen, das »Quitzow der Judenklemmer« zu Beginn des 16. Jahrhunderts in die Mauer einfügen ließ. Zu welchem Zwecke, soll in nachstehendem erzählt werden.
Um 1517 saß Kuno Hartwig von Quitzow, mit dem Zunamen der »Judenklemmer«, auf der Eldenburg. Es war dieselbe Zeit, in der sich die Juden in der Mark, besonders aber in der Altmark, durch Kurfürst Joachim I. verfolgt sahen und nach Mecklenburg, Lüneburg und Hamburg flüchteten. Allediese mußten an der Eldenburg vorüber. Wenn sie nun zum Schlagbaum beim Dammzoll kamen, ließ Quitzow für die Wegerlaubnis einen Goldgulden von ihnen fordern und jeden, der sich diesen Goldgulden zu zahlen weigerte, nach dem Turme schleppen, demselben Turme, der jetzt noch steht. Dort ging es auf langer Leiter zu der ehemaligen Türmerstube hinauf, in welcher Stube Kuno Hartwig von Quitzow eine ebenso sinnreiche wie primitive, den Spaniern, bei denen er gedient, abgelernte Marterstätte zur Erpressung des Juden-Wegegeldes hergerichtet hatte. Tief in das Mauerwerk war, wie schon in Kürze hervorgehoben, ein großes Hufeisen eingelassen. Auf dieses kam der gefangene Jude derart zu sitzen, daß nur die Fußspitzen den Boden erreichten. Über die Knie wurde ihm eine starke Eisenstange gepreßt, die rechts in einer Angel ging und nach links hin in eine Krampe griff, vor die man nun ein Schloß legte. Was dann schließlich die Marter vervollständigte, war, daß die gespreizten Arme des Unglücklichen mittelst eines halbkreisförmigen Eisens an die Hinterwand gespannt wurden. Dies alles hieß die »Judenklemme«. Darin saß der willkürlich Verurteilte, mußte hungern und dursten und sonstige Leibesqual aushalten, bis er sich zum Zahlen bereit erklärte. Die Qual war um so schrecklicher, als nur einmal am Tag ein Knecht oder Schließer erschien und nachsah, ob der Gefangene sich nun vielleicht bequemen werde, seinen Goldgulden zu zahlen.
Auf solche Weise kam Quitzow zu vielem Gelde, bis er, nachdem er's jahrelang getrieben, erfahren sollte, daß ein höchster Herr und gerechter Richter warte, der uns, auch im Gelingen unserer Missetat, oft noch zu treffen und heimzusuchen weiß.
Kuno Hartwig stand eines Tages selbst am Schlagbaum, als ein alter Jude mit seiner Tochter heranschritt. Der Wächter forderte zwei Goldgulden Wegegeld und wies, als der Jude sich weigerte, zu Kuno Hartwig hinüber und sagte: »Wollt Ihr es anders, so wendet Euch an den Herrn da.« Da neigte sich der alte Jude vor dem Ritter und bat ihn, ihm das Zollgeld erlassen zu wollen: »Ich bin kein Kaufmann, ich bin der Rabbi von Stendal und diente den wenigen aus meinem Volk, die, trotz des Kurfürsten hartem Gebot, in der Stadt, die sie nährte, zurückgeblieben waren. Jetzt sind auch die letzten von meiner Gemeinde fort, und ich will ihnen nachziehen.«
Der Quitzow aber, als er solches vernahm, höhnte nur und schrie: »Verruchter du, der du den Kurfürsten betrogen hast! Gebot er nicht allen Juden, aus Stendal zu weichen? Und du hast es gewagt, dazubleiben und weiter zu lehren in eurer schändlichen Weise. Gut, daß ich selber hier bin, dich zu fangen. Ich werde dich zu dem Herrn Kurfürsten schicken, und der soll über dich richten lassen.«
Da fiel der Jude vor dem Scheltenden auf die Knie, der denn auch versprach, ihn frei ziehen lassen zu wollen, wenn er hundert Goldgulden zahle. Sonst müsse er in die »Klemme«.
»Herr, ich besitze nichts als das Brot der Trübsal, das meine Tochter im Tuch von Stendal mitgenommen hat. Bis Dömitz gedachten wir heute zu kommen. Da warten unserer etliche aus dem Volke.«
Quitzow sann eine Weile nach und sagte dann, während er sich an des Juden Tochter wandte: »Lauf, Dirne, lauf schnell und sage deinen Leuten in Dömitz, daß sie deinen Vater mit hundert Goldgulden von meinem Stuhle herunterholen sollen. Es sind sicher dort einige, die meinen Stuhl vom Hörensagen kennen oder wohl gar aus Erfahrung und schon auf ihm gesessen haben. Sie werden gerne zahlen, auf daß ihnen der Rabbi nicht verlorengeht.«
Und damit trieb er das Mädchen auf Dömitz zu, während er den Rabbi nach dem Turm schleppte.
Da saß nun der alte Rabbi von Morgen bis Abend, und als Quitzow kam und nachsah, vernahm er nur, wie der Alte betete: »An den Wassern zu Babel saßen wir und weineten, wenn wir an Zion gedachten.« Und als er das hörte, wurde dem Quitzow unheimlich, und ein Zittern befiel ihn, und er stieg, so rasch er konnte, die Leiter wieder hinab, von der aus er den alten Juden beobachtet hatte.
Tags darauf kam er wieder und hörte wieder das Singen und Beten, und als am dritten Tage die Judentochter noch immer nicht da war, befiel den Quitzow ein ihm sonst fremder und immer wachsender Schrecken, und er beschloß, einen Wagen anschirren und den alten Juden bis Dömitz hinfahren zu lassen. Im Augenblick aber, als er den Befehl dazu gab, trat die Judentochter wieder ins Schloßtor, mit ihr zwölf hebräische Männer, und die Tochter hielt dem Quitzow die hundert Goldgulden entgegen. In seiner Angst aber wies er das Geld ab und nahm seinen Weg nach dem Turm hin und stieg die Leiter hinauf, um jetzt den Alten von seinem Stuhl herabzunehmen. Als er aber auf der obersten Sprosse war, vernahm er drinnen in der Turmstube die Worte: »Höre, Israel, der Herr unser Gott allein ist Gott«, und als Kuno Hartwig bei diesen Worten von der Leiter her abwärts blickte, nahm er wahr, daß die Juden, die mit ihm zugleich in den Turmflur eingetreten waren, auf die Diele niederknieten und den Gesang ihres Rabbi beantworteten. Und nun öffnete Quitzow die Tür und sah den Alten, dessen Augen ihn anfunkelten. »Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsuchet der Väter Missetat an den Kindern...«
Bis dahin kam der Sterbende.
Dann lösten ein paar herbeigerufene Knechte die Leiche des Rabbi aus der Klemme und übergaben sie den Juden, die nun wehklagend ihren Heimzug nach Dömitz hin antraten. Die hundert Goldgulden aber hatte die Tochter dem Quitzow vor die Füße geschleudert.
Quitzow winkte seinen Leuten, daß sie das Geld für sich nähmen. Er selbst aber ließ keinen Juden mehr in die Klemme setzen und nahm keinen Wegezoll mehr.
Kuno Hartwig war schon vierzig, als er sich mit einer Anverwandten, der schönen Adelheid von Quitzow, vermählte. Sie nahm ihn des Besitzes halber (ein Vetter, den sie liebte, ging nach Neuspanien) und gefiel sich darin, ihm ihre Gleichgiltigkeit und Abneigung zu zeigen. Als sie jedoch nach Jahr und Tag eines Zwillingspaares genas, änderte sich ihre Haltung, und sie bewies von nun an ihrem Gatten ebensoviel Liebe, wie sie früher nur Spott und Übelwollen für ihn gehabt hatte. Die Zwillinge wurden Hans und Kurt Dietrich getauft und wuchsen zur Freude beider Eltern heran. Hans, der ältere, war ernsteren, Kurt Dietrich übermütigen Sinnes. Als der Vater aber zu sterben kam, rief er beide zu sich heran und erzählte, weil er sein Gewissen befreien wollte, daß er in seinen jungen Jahren ein großer Sünder vor Gott gewesen sei, dieweilen er den flüchtigen Juden, die vor seinem Schlosse vorbei mußten, einen schweren Damm- und Wegezoll abgepreßt habe. Das war das eine, was der Alte sagte. Danach aber kam das zweite, wonach er beide Brüder zu Erben in der Eldenburg einsetzte, dem Älteren nur ein Aufsichts- und Entscheidungsrecht einräumend, zum Zeichen dessen er ihm den sogenannten Quitzowring überreichte. Dieser Ring war seit 1308 bei der Familie, wo Markgraf Waldemar einen damaligen Kuno Hartwig von Quitzow mit der eben erbauten Eldenburg belehnt hatte. Zur Weihe der neuen Burg aber war ein Priester aus Havelberg erschienen und hatte zu dem vor ihm Knienden die Worte gesprochen: »Und nun, Kuno Hartwig von Quitzow, um dich fester zu binden an das dir anvertraute Schloß, verlobe ich dich im Auftrage des hochwürdigen Landesbischofs zu Havelberg mit der Eldenburg und stecke diesen Ring aus geweihtem Silber vom Tempel aus der heiligen Gottesstadt Jerusalem an deine Hand. Der Bischof hat es befohlen, der Markgraf hat es gnädig genehmigt. Nun laß Gott walten.«
Das war der »Silberring der Quitzows«, der sich, Talisman und Zeichen der Herrschaft zugleich, durch zwei Jahrhunderte hin von Geschlecht zu Geschlecht weiter vererbt hatte. Jetzt befand er sich am Ringfinger des älteren Bruders Hans.
Die Zwillinge lebten sorglos in den Tag hinein, vor allem der Jüngere, der zur Verschwendung neigte, was dem Älteren endlich Veranlassung gab, ihm Vorhaltungen zu machen. Das verdroß aber den jüngeren Kurt Dietrich, und böser Neid begann sich in seiner Seele festzusetzen. Wie, wenn ihn schließlich der Bruder, der Erbe des Ringes, kraft dieses Herrschafts- und Besitzeszeichens von der Eldenburg ein für allemal vertriebe? Vielleicht unter dem Vorwande, zu viel Geld vergeudet oder es in diesem und jenem zu toll getrieben zu haben? Das durfte nicht sein, und diesen und ähnlichen Grübeleien hingegeben, kam ihm ein teuflischer Plan.
Ein Jahr mochte seit des Vaters Tode vergangen sein. Beide saßen beim Frühmahle, die Knechte waren nach dem Priemerwald auf Arbeit geschickt, während die Mägde mit der Schaffnerin bei der Wäsche waren. Kurt lenkte das Gespräch auf den Vater und sagte: »Ja, die Judenklemme. Warum uns der Vater dies nützliche Werkzeug nur immer verborgen gehalten hat! Wir sollten einmal hinaufsteigen und uns das Ding ansehen.« Hans, der ältere, war es zufrieden, und so kletterten sie die Leiter bis in das Turmgemach hinauf. Hier oben überkam sie momentan ein Grausen beim Anblick der Klemme, bis sich Kurt, der Anwandlung Herr werdend, nach einer Weile lachend auf das Hufeisen setzte: »Schön sitzt sich's nicht darauf! Die Hispanischen haben es wirklich verstanden, die Juden zahlungslustig zu machen. Willst du's nicht auch einmal versuchen?«
Hans ging auf den Scherz ein. »Warum nicht?« Und er setzte sich hinein, preßte selbst das Quereisen über die Knie und schob das Schloß vor die Öse der Stange. Gleich darauf aber sprang Kurt in scheinbarer Ausgelassenheit hinzu, befestigte die gespreizten Arme des Bruders an der Hinterwand und nestelte ihm die Ketten von beiden Seiten her um den Leib. Und dabei zog er verstohlen den Schlüssel aus dem Schloß der Querstange. Nun gab es ein Lachen über den »Juden in der Klemme«, bis Hans, des Probierens müde, wieder aufzustehen begehrte. »Gewiß, gewiß. Aber wo ist nur der Schlüssel?« Und nun begann Kurt zum Schein am Fußboden zu suchen. »Oder sollt ich ihn unachtsamerweise mit dem Fuße beiseite geschoben haben? Vielleicht daß er unten liegt.« Und bei diesen Worten stieg er hinab und nahm die Leiter und versteckte sie hinter Strauchwerk und Gebüsch und horchte, bis das leise Wimmern, das er vernahm, ihn von seiner Horcherstelle vertrieb.
Endlich, den dritten Tag, war Hans seiner Qual erlegen, und Kurt streifte kaltblütig den Silberring von der Hand des Toten, den Toten selbst aber begrub er im Sande nahe dem Turm. Und nun ließ er Boten ausreiten, die nach dem Verschwundenen suchen mußten. Als aber alle wieder daheim waren und den so nah im Sande Verscharrten auf ihrer Suche nur zu gewiß nicht gefunden hatten, tat er, was äußerlich Rechtens war, und meldete dem Kurfürsten, daß der Bruder spurlos verschwunden, des Verschwundenen Silberring aber in seiner Lade gefunden sei. Da wurde denn Kurt Dietrich der Jüngere mit der Eldenburg belehnt und empfing in einem feierlichen Belehnungsakte den Quitzowring. Er trug ihn auch von Stund an und stand in Ansehen und ritterlichen Ehren, aber die mit ihm unter einem Dache lebten, bemerkten doch allerlei Sonderbares an ihm. Immer zur Zeit der Tagundnachtgleiche war er eine Woche lang unstet und ruhelos und erhob sich von seinem Lager und ging auf den Turm zu. Da stand er eine Weile, richtete das geschlossene Auge nach oben und kehrte dann erst nach dem Schlosse zurück. Tags darauf sah er verstört aus und mochte während der Zeit den Silberring nicht tragen.
Kurt Dietrich von Quitzow war sechzig Jahre alt, als er mit seinem einzigen Sohne Philipp, und zwar auf dem weiten Waldreviere, das sich von Sterbitz bis Breetz zieht, eine Jagd abhielt, zu der man den ganzen Adel der Umgegend geladen hatte. Reiche Beute wurde gewonnen, und als die Sonne niederging, zogen alle nach der Eldenburg zurück, um daselbst einen Nachtrunk einzunehmen. Beim ersten Freihofe von Seedorf war eine Furt, und als man drüben auf der anderen Seite der Elde hielt, schlug Kurt Dietrich vor, unmittelbar am Fluß hin, unter hohen Bäumen und Schilf und Rohr zur Seite, den Rest des Weges zurückzulegen.
Und siehe da, während er noch so sprach, war man bis auf hundert Schritt an einen hoch in Schilf stehenden Sumpf gekommen, den die nicht länger mehr in Zucht und Ordnung gehaltenen Hunde sofort umspürten und umwitterten. Philipp von Quitzow eilte so rasch wie möglich den Hunden nach, um zu sehen, was es sei, und ward alsbald einer Wildsau gewahr, die sich mit klaffendem Rachen und glühenden Augen vor ihm aufrichtete, wenig bekümmert um die Rüden, die von allen Seiten her auf das Tier losfuhren. Philipp, einigermaßen erschreckt, suchte den Rest der Jagdgesellschaft wieder auf und erzählte, was er gesehen. Als er bei seiner Rückkehr aber verhöhnt und ein Feigling gescholten wurde, lief er in Aufregung nach der Sumpfstätte zurück, zog sein Waidmesser und stürzte sich auf das Wildschwein. Dabei glitt er zu seinem Unheil aus und wäre verloren gewesen, wenn ihm nicht der rasch hinzueilende Vater das Waidmesser aus der Hand gerissen und den Kampf mit dem Tiere nun seinerseits aufgenommen hätte. Des Alten Absicht ging ersichtlich dahin, dem Wildschwein die Faust in den Rachen zu stoßen und das Messer dabei so zu halten, daß das Tier, beim Zuschnappen, die Klinge sich in den Schlund pressen mußte; leider aber mißlang das Wagnis, das Messer glitt seitwärts, und die vorderen Zähne des Schweines zermalmten furchtbar des Ritters Hand und Arm. Was half es, daß sich inzwischen die ganze Jagdgesellschaft herangedrängt und den Alten aus seiner mißlichen Lage befreit hatte? Die rechte Hand bildete nur noch einen unförmigen Stumpf, und der Silberring war fort. In tiefer Niedergeschlagenheit legte man die letzte Strecke des Weges zurück und bettete den Alten auf sein Lager. Hier litt er unsäglich, und als der andere Morgen da war, befahl er, einen Priester aus Lenzen zu holen. Und nun war es just wie damals, wo der Vater ihm und seinem älteren Bruder seine Sünde bekannt hatte. Denn kaum daß der Priester erschienen, so mußte der Sohn mit hinzutreten und hörte nun die Beichte von dem Brudermord. Die Nacht darauf aber, als er mit seinem Sohne Philipp allein war und wohl fühlte, daß es zu Ende gehe, schob er sich in die Kissen höher hinauf und sagte: »Ja, Philipp, die Wildsau, das war der Teufel. Ich hab es deutlich an den Glutaugen und an dem heißen Atem gespürt. Und der Ring ist hin. Und ist auch gut so. Denn der Name der ›Quitzows mit dem Silberringe‹ hatte keinen guten Klang mehr, seitdem ihn erst mein Vater und danach ich selber entwürdigt hatte. So entweiht, hätte der Silberring unserem Geschlechte keinen Segen mehr gebracht. Und so will ich's denn mit einer frommen Stiftung versuchen, aber nicht von dem ›Judengelde‹. Nein, nimm das, was ich sonst noch gespart, und laß das Röhricht abschneiden an der Sumpfstelle, wo der Teufel mich zum Tode getroffen, und laß Stein und Sand aufschütten, und wenn du festen Baugrund hast, dann bau ein Pfarrhaus darauf, das der Eldenburger Gemeinde bis diese Stunde gefehlt hat, und zum Unterhalte nimm Peter Rogges Hof, und laß das alles bestehen zu bleibender Erinnerung an mein Verbrechen und meine Reue.«
Dieselbe Nacht noch ging Kurt Dietrich heim, und Philipp von Quitzow legte den Grundstein zu der Eldenburger Pfarre. Die Pfarre selbst aber (mehrere kleine Gemeinden umfassend) empfing den Namen der »Pfarre zu Seedorf«, weil sie, nach Art einer Flußinsel, zwischen Löcknitz und Elde gelegen ist. Da steht sie bis diesen Tag als einziges Überbleibsel von dem Wirken und Walten eines alten Rittergeschlechts und erzählt, »daß die Sünde der Leute Verderben«, aber bekundet zugleich auch das andere, versöhnungsreiche Wort: »Lasset uns Gutes tun, solang es noch Zeit ist, allermeist aber an des Glaubens Genossen.«