Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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1809

Der Silberstempel. – Schill und der Herzog von Braunschweig. –
Der Krieg gegen Österreich. –
Mißstimmung über den Gang der inneren Politik. –
Königs Geburtstag (3. August); Theatersachen. –
Der Brand der Petrikirche. – Rückkehr der königlichen Familie

 
Der Silberstempel

Liebenberg, 15. April 1809

In Berlin war man über das Arrangement des Silberstempels, wenn ich sagen soll mit Recht, verdrießlich. In der großen Stadt, wo von sechs Meilen in der Runde alles Silberzeug hinfloß, war nur eine Stempel- und Empfangsstube; den Ersten sollte das Stempeln anfangen, und den Vierten waren erst die Stempel fertig. Die dahin strömenden Leute standen zu Hunderten vor der Tür bis auf die Straße, und die meisten sind zwei- bis dreimal unverrichtetersache dort gewesen. Das laute Murren mochte wohl Besorgnisse erwecken, denn nach sechs Tagen wurde eine zweite Stube und nun endlich eine dritte dazu eingerichtet welches noch alles nicht zureicht, weshalb der Termin bis zum 20. April hat hinausgerückt werden müssen. Mit den Bescheinigungen, die dabei ausgestellt werden, geht es ebenso absurd; über das Abgelieferte bekommt man einen Gewichtsschein, wobei ein viertel oder ein halb Lot oft übersehen wird. Dieser wird nach drei Tagen gegen einen Interimsschein eingelöst und dieser wieder nach drei Tagen gegen einen Münzschein. Wenn der Häsensche Herr solche Anordnungen gemacht hätte, so würde ich mich nicht wundern, aber von so weisen Herren kann man nur urteilen, daß sie zwar Neuerungen erdenken können, in der Ausübung jedoch Lehrlinge sind. Ein alter Bürger, der sein Silber wieder zurücktragen mußte, sagte ganz laut auf der Straße, »die Minister wären schlechte Praktiker; haben wollten sie, aber mit Ordnung zu nehmen, das wüßten sie nicht«. Diese Herren setzen sich in einen schlechten Kredit beim Publikum, und wenn sie nach Berlin kommen werden, wird man ihnen kein Vivat bringen. Auch in Breslau bringt die Silberstempelung viel ein. Die Münze ist schon in vollem Schlagen von Einsechstel- und Dritteltalerstücken begriffen; im ganzen kann dadurch leicht eine Million in Cours kommen.

 
Schill und der Herzog von Braunschweig

Liebenberg, den 6. April 1809

Unsere Zeiten sind nicht für den ruhigen Bürger geeignet, nur Tollköpfe, Schwindler und Schelme spielen darin eine Rolle. Unter die ersteren gehört auch gewiß der so belobte Held Schill, dessen Desertion mit einem ganzen Husarenbataillon aus Berlin eine unerhörte Sache ist. Der ehrliche alte Gouverneur Lestocq ist darüber außer sich, indessen konnte er das nicht vorhersehen, denn Schill hat sein Unternehmen so geheimgehalten, daß nicht einmal seine Offiziere davon etwas vermuten konnten. Wohin er ist, was er vor hat, mit wem er im Auslande in Verbindung steht, kann niemand erraten. Bei Tangermünde ging er über die Elbe, und da ist vorläufig ein Punctum in seiner Geschichte. Gewiß wird er als Deserteur zitiert werden. – Die Kriegsbegebenheiten beunruhigen mich sehr; in dem wehrlosen Zustand, worin wir uns befinden, kann ein jeder bei uns eindringen und uns ganz verderben.

 
den 23. Mai 1809

Schill ist ein exaltierter Mann, der vermutlich ausländische Korrespondenzen gehabt hat, die ihn durch allerlei Vorstellungen irregeleitet haben. Er war vor acht Tagen noch in Dömitz, einer kleinen Elbveste, dem Herzoge von Mecklenburg gehörig, deren er sich ohne Widerstand bemeisterte, denn es lagen darin nur ein paar alte Soldaten. Was er weiter vorhat, läßt sich nicht einsehn; indessen hat er Geld aus manchen Kassen zusammengebracht und sein Häuflein durch Zulauf vermehrt. In dem Gefecht unweit Magdeburg hat er fünf tüchtige Offiziere und einige dreißig Mann verloren; daß er aber die ihn angreifenden Westfälinger und Franzosen tüchtig zusammengesäbelt hat, davon sagen die Zeitungen nichts. Es ist aber doch wahr. Mir tut es leid, daß so ein brauchbarer Mann solche Tollheiten begeht; indessen der so gepriesene Geist der Zeit bringt fast nichts wie Tollheiten hervor.

Die Schillsche Geschichte, die die Arrestation von Chazot (der nach Königsberg gereist war) zur Folge hatte, hat nun auch noch viel Unannehmlichkeiten für das Militär erzeugt. Es hieß nach einer mir gestern zugekommenen Nachricht, daß der alte ehrlich LestocqMan machte den alten Lestocq für Schills Desertion verantwortlich oder gab sich wenigstens das Ansehen, es zu tun. So fiel er in eine halbe Ungnade. Wenige Wochen später schrieb von Hertefeld: »General von Lestocqs Verhältnis kann ich nicht begreifen, er geht nicht auf Parade, und doch wird ihm alles gemeldet; er ist dem Äußeren nach zufrieden, sie aber ist nicht vergnügt. – Chazot braucht das Bad in Freienwalde. Ob er außer Dienst ist, weiß ich nicht.« und Tauentzien den Abschied gefordert, letzterer ihn aber nur bekommen hätte, daß auch sechsundachtzig Stabsoffiziere bei der preußischen Division den Abschied verlangten. Das wäre ein gewaltiges Zeichen von Mißvergnügen, welches nichts Gutes prophezeit. Ich kenne den General Scharnhorst nicht, mir deucht aber, daß seine Einrichtungen, Änderungen etc. uns keine Ordnung der Dinge bringen.

 
L., 31. Mai 1809

Mehrere Husaren haben Schill verlassen und sind wieder hierhergekommen, während er noch in Stralsund ist und sich auf englischen Schiffen embarquieren will. Sein Zug ist wahrlich ein sonderbarer Parteigängerstreich, denn nachdem er den Fürsten von Köthen heimgesucht und in 30 000 Taler Strafe genommen hatte, zieht er nach Magdeburg und schlägt das ihm entgegengesandte Corps Westfälinger und Franzosen bei Dodendorf, nimmt ihnen drei Kanonen, geht nach Halberstadt und eine seiner Abteilungen nach Blankenburg; dann gegen die Elbe und ins Mecklenburgische, wo er den Herzog von Schwerin ziemlich ängstigt. Auf die Nachricht, daß der Hamburger Kommandant, General Gratien, ihm mit drei Regimentern Holländern entgegengehe, paßt er diesen auf, schickt des Nachts seine ziemlich angewachsene Infanterie über die Elbe, überfällt den Gratien bei Hitzacker, haut das meiste zusammen oder sprengt es, nimmt sechs Kanonen und 700 Mann; die letzteren sendet er ohne Gewehre und Uniformen nach Hause, er aber geht nach Rostock und so weiter nach Stralsund, wo, wie es heißt, er nun Schanzen aufwirft. Er soll mit der in Dömitz gefundenen geringen Artillerie jetzt achtzehn Kanonen und gegen 5000 Mann haben, mit welchen er bis zum Embarquement sich auf Rügen halten will. Den Grafen Schulenburg-Kehnert hat er gewaltig geelendet, weil er Verdacht hatte, daß er Nachrichten über ihn nach Magdeburg gesandt habe. Er hat 5000 Taler ausbeuteln müssen; 20 000 sollte er geben, hatte sie aber nicht bar. An Geld fehlt es Schill nicht, denn er hat überall die westfälischen Kassen geleert und aus Halberstadt allein 50 000 Taler mitgenommen. Wahrlich, das ist ein sonderbarer Mensch, der verschroben zu sein scheint und doch, wenn er die Mittel fände, vielleicht eine große Rolle spielen könnte. Gerät es ihm, nach England zu kommen, so wird man ihn dort mit einem Kußhändchen aufnehmen und gebrauchen. Hier hieß es ferner, der Herzog von Braunschweig-Oels sei auf dem Marsche durch Sachsen und habe bereits Zittau passiert, um etwas zur Wiedererlangung seines Landes zu unternehmen, ja daß der alte kasselsche Herr ein Gleiches tue. Die Konfusion nimmt also überall zu, und wo ist eine Aussicht zum Besseren?

 
L., den 6. Juni 1809

Schills Geschichte ist, wie vorabzusehen war, zu Ende. Er mochte 1500 Männer unter Gewehr haben, wurde von 7000 Holländern und 2000 Dänen verfolgt und so nach Stralsund gedrängt und in dieser Stadt nach einer lebhaften Gegenwehr forciert; sein Corps ist zerstreut oder gefangen, er aber blessiert in einem Nachen in See gegangen, um, wie es heißt, englische Schiffe zu erreichen. Der General Gratien kommandierte die 9000 Mann gegen ihn, und vermutlich hätte er nichts ausgerichtet, wenn Schill nur 4 bis 5000 Mann gehabt hätte, denn er hatte bis zur Zeit, da das ihm entgegengestellte Corps so stark anwuchs, den General Gratien und alle, die sich ihm entgegensetzten, gerupft oder geschlagen. Sein ganzes Unternehmen war nichtsdestoweniger Tollheit. Mehrere seiner Jäger und Husaren, die von seinem Corps abgeschnitten waren, sind vorher zurückgekommen und werden unter andere Regimenter gesteckt. Ihnen konnte man nichts tun, sie waren einfach ihrem Kommandeur gefolgt. Des Herzogs von Oels' Unternehmen kommt mir auch als eine Schilliade vor.

 
L., 12. Juni

Ob Schill geblieben sei oder nicht, darüber streitet man noch. Mecklenburger haben mir versichert daß der Herr General Gratien einem toten Körper den Kopf habe abhauen und diesen dem gefangenen Reitknechte des Schill habe vorzeigen lassen mit dem Befragen, »ob das nicht seines Herrn Kopf sei?« Der Reitknecht habe gesagt »ja« und hätte seine Aussage beschwören müssen. Der durch eine Schußwunde gänzlich entstellte Kopf sei aber der des Rittmeisters von Blankenburg gewesen, der beim Eindringen der Holländer mit einigen Husaren über sie hergefallen und die ersten heruntergesäbelt habe; es hätt ihn aber endlich ein Pistolenschuß hinterm Ohr durch den Kopf getroffen und so vom Pferde geworfen. Schill wäre, durch einen Hieb blessiert, nach dem Strande gejagt und nach Rügen übergekommen. Was hiervon wahr ist, wird sich zeigen; übrigens war es keine große Heldentat, mit 9000 Dänen und Holländern diesen Trupp zu übermannen. Mehrere Offiziere und Mannschaften sind nach erfolgter Kapitulation dem General von Blücher übergeben worden, der alle nach Kolberg gesandt hat; andere sind durch Umwege nach Berlin gekommen und in Spandau arretiert. Nun erfolgt eine Untersuchung. So viel ist gewiß, daß den Siegern dieses Gefecht eine Menge Menschen gekostet hat, denn die Schillianer haben sich wie Rasende gewehrt, und bei ihrer großen Gewandtheit wußten sie den Säbel sehr geschickt zu gebrauchen. Denn das muß ich bezeugen, daß ich nie ein Husaren- und Jägercorps so geschickt gesehen habe wie dieses. – Lestocqs sind wohl und grüßen; ihr kann man es anmerken, daß das Verfahren in der Schillschen Sache sie verdrießt, und das mit Recht. Überhaupt hat das halbe Dutzend Alentours die Eigenschaft, die besten Männer vor den Kopf zu stoßen.

 
L., 5. August

Der Herzog von Oels scheint, wie ich Dir schon schrieb, mit seinen paar Männern eine zweite Schilliade spielen zu wollen; den Waffenstillstand respektiert er nicht; über Leipzig ist er hinaus, scharmuziert soll er auch schon haben, aber wo, was er will, was er für Hoffnungen hat, das sieht niemand ein. In unseren sogenannten aufgeklärten Zeiten finde ich mehr Ungereimtheiten als vordem.

 
Den 19.August

Vor zwölf Tagen noch hatten wir Einquartierung von dem französischen 22. Regiment, das aus Stettin kam, um den Herrn von Oels zu fahnden, der sie alle betrogen hat. – Einige Tage vorher kam ein Regiment polnischer Dragoner hier in die Gegend und zog nach Magdeburg. Sie benahmen sich überall wie Schurken.


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