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39.
Selbsthilfe und Selbstverwaltung die wünschbare Staatsform der Zukunft


Ich fasse das Gesagte zu einem kurzen Gesamtergebnis zusammen. Es gibt eine schaffende Kraft, von welcher alles Leben ausgeht, die von unserem Willen unabhängig ist: wir nennen sie Gott. Die gleichfalls von unserem Willen unabhängige Kraft, durch welche wir die göttliche Lebenskraft aufnehmen, nennen wir Glauben. Gott offenbart sich im Ganzen und im Einzelnen, der das Ganze vertritt; doch wohnt jedem Einzelnen der angeborene Trieb inne, sich als ein Ganzes selbständig zu machen und über das allgemeine Ganze zu setzen, oder sogar ganz davon abzusondern. Dadurch, daß alle Einzelnen ihren Machttrieb frei äußern, kommen sie zu ihren Nächsten und dem Ganzen in eine Wechselbeziehung von Wirkung und Gegenwirkung, welche dem gesunden Stoffwechsel in einem Organismus zu vergleichen ist. Dieser natürliche Zusammenhang eines Volkes wird durch bewußtes Eingreifen, welches das Älterwerden der Völker wie der Einzelnen bezeichnet, zunächst befördert, dann gehemmt, bis endlich gefährliche Stockungen und Krämpfe entstehen. In diesem Falle wird es notwendig, daß das natürliche Zusammen- und Gegeneinanderwirken wieder entstehe, welches herbeizuführen aber bewußter Absicht nie gelingen wird, die vielmehr das Übel nur verschlimmert. Der Irrtum des modernen Menschen besteht darin, daß er glaubt, Einzelne könnten, indem sie sich freier äußern, persönliches Leben schaffen oder durch Verbindungen der Idee der Volksgemeinschaft dienen. Das bleiben aber immer nur Privatangelegenheiten, die höchstens dahin führen, das Volk noch mehr in Atome zu zersplittern. Nur die Not der Zeit kann helfen, indem sie jeden Einzelnen auf sich selbst stellt und zwingt, sich persönlich für sich und andere einzusetzen. In einem solchen Kampfe werden auch die Gemeinsamkeit bildenden Instinkte naturgemäß wirken.

Wir können einsehen, daß Wirkung und Gegenwirkung der Einzelkräfte ihrer Natur gemäß einem Volke notwendig ist, und können deshalb, wenn die Not der Zeit die Entwickelung von Selbsthilfe und Selbstverwaltung begünstigt, anstatt den daraus entstehenden, für unsere Gewohnheiten freilich unbequemen Zustand als mittelalterlich oder barbarisch zu verschimpfen, die Rückkehr zu einem natürlichen Leben darin erkennen und begrüßen, und die göttliche Macht verehren, welche unser Heil will, während sie uns zu züchtigen scheint, und welche uns neues Leben einhauchen wird, wenn wir nicht mehr es ängstlich zu erhalten streben.


Druck des Bibliographischen Instituts in Leipzig

 


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