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36.
Die Weltanschauung der Bibel und des Römischen Reiches Deutscher Nation ist die Weltanschauung eines agrarischen Volkes


Ein gescheiter junger Mann, der in Rußland kriegsgefangen war, als freier Arbeiter dort gelebt und sehr günstige Eindrücke empfangen hatte, sagte begeistert, Rußland sei im Begriff, ein zweites Amerika zu werden. Mich überlief ein Schauder bei der Vorstellung, Deutschland sei zwischen zwei Amerikas eingeklemmt, hilflos zum Tode verurteilt wie einer, der zwischen zwei sausende Maschinen gerät. Richtiger müßte man wohl sagen, daß es, noch am Scheidewege, nun endgültig ins Amerikanische hinübergezogen würde, oder vielleicht sogar, daß es die Brücke war, über die das westliche Wesen zum Osten hinüberging; aber das ist nicht tröstlicher. Was bis jetzt Rußland und Deutschland verband, war das, daß sie beide noch ackerbautreibende Völker waren, und zwar Rußland überwiegend, während Deutschland sich schon zum Industriestaat entwickelte, aber doch mit dem neuen Kostüm noch nicht so verwachsen war, daß der edle Leib nicht mehr hindurchgeschimmert hätte.

Die Weltanschauung, die aus der Bibel über Luther durch Goethe uns überliefert wurde, ist die Weltanschauung eines agrarischen Volkes. Die Menschen sind Kinder der Erde und der Sonne, nicht etwa nach einem poetischen Bilde, sondern wirklich, und solange wir durch unsere Beschäftigung und Lebensweise an Erde und Sonne gebunden sind, verstehen wir, ohne uns dessen bewußt zu sein, den Sinn der Natur. Die schaffende Kraft, die uns das Leben gegeben hat, durchströmt uns auch als Vernunft und verbindet uns in einer harmonischen Welt. Was Religion, Kunst und Dichtung, was unsere Symbole ausdrücken, ist der Sinn der gotterfüllten Natur und Wahrheit für alle, die durch sie und in ihr leben.

Innerhalb eines ackerbautreibenden Volkes entsteht eine bewegliche Schicht, die sich immer mehr von dem nährenden Erdengrunde loslöst, und die im Abendlande zuerst in England selbständig und herrschend wurde. Der Baconismus oder die modern-wissenschaftliche Weltanschauung ist die Weltanschauung des Industriestaates oder der Schichten eines Volkes, die sich durch Handel, Gewerbe und Technik bereichern und zivilisieren, und die sich schließlich, wenn sie sich ganz von der grundlegenden bäuerlichen Schicht abtrennen, die Lebenssäfte abbinden. Nicht als wären Handel und Industrie an sich verwerflich; es muß schweifende Elemente in jedem Volke geben. Der Mensch kann, das wissen wir, ohne Salz nicht leben; aber ein Gericht aus purem Salz wäre uns tödlich. Darauf kommt es an, wovon ausgegangen wird und was überwiegt, ob die gesunde Grundlage und durch sie die Verbindung mit der Natur erhalten bleibt. Das Zurückgehen zu den Anfängen, wovon öfters die Rede war, ist der Versuch, das Volk zum Ackerbau zurückzuführen, zu der mütterlichen Erde, die ihr entwurzeltes Kind wieder mit dem Saft des Lebens durchquellen wird. Würde es dem Bolschewismus wirklich gelingen, Rußland in ein Land der Industrie und Technik zu verwandeln, so wäre, meiner Ansicht nach, Europa verloren; aber es wird nicht gelingen. Später wird es sich vielleicht zeigen, daß der Bolschewismus gerade die Aufgabe hatte, Rußland, und dadurch hoffentlich Deutschland, zu den Anfängen zurückzuführen, indem er bewirkt, daß die Bauern sich auf sich selbst besinnen und den Boden wieder an sich nehmen, den die Revolution selbst für sie gereinigt und mit Blut gedüngt hat. Deutschland spielt in diesem Weltkampf augenblicklich eine geringere Rolle; Tolstoi und Dostojewski sind es, die als Vertreter der russischen Bauern mit dem Bolschewismus ringen. Wurzeln freilich tun jene in Luther und Goethe und tut dieser in Marx.

Der Ausgang des Krieges hat uns auf den Weg gewiesen, arm zu sein und das Land zu bebauen; sicherlich der einzige Weg des Heils für ein wurzellos gewordenes, überzivilisiertes Volk von Intellektuellen und Technikern. Freilich müßte man sich entschließen, wirklich arm zu sein und arm zu leben, was schon dem Einzelnen den Namen des Heiligen einträgt, der es freiwillig tut, und was einem Volke nur abgezwungen wird. Das Unglück unseres Volkes kann, ohne daß der Haß gegen den Feind dadurch gemildert werden darf, der uns so elend gemacht hat, durch die Einsicht und Hoffnung verklärt werden, daß es zu unserem Besten dienen solle.


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