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Es gibt unzählige Menschen, die behaupten, an Gott nicht glauben zu können, weil Gott soviel Böses geschehen lasse. Es ist deshalb notwendig zu untersuchen, worin eigentlich Gut und Böse bestehe. Das, was wir gewöhnlich als Sünde bezeichnen, ist nicht das Böse im christlichen Sinne. Wissen wir doch, daß Christus zu den Sündern kam und sich erbarmungsvoll liebend unter ihnen bewegte. Nicht die Gegenwirkung gegen Gott ist das Böse, vielmehr das, keine Gegenwirkung leiden zu wollen. Gott ohne Satan ist Satan. Das klingt vielleicht paradox. Der fromme Christ früherer Zeit pflegte, wenn er von den Werken des Teufels sprach, hinzuzusetzen, daß sie »unter Zulassung Gottes« geschehen. Gott läßt den Teufel zu, ja wir wissen aus dem Buche Hiob, daß Gott es nicht verschmäht, mit dem Teufel zu sprechen und von ihm Rat anzunehmen. Der Herr der Herrlichkeit gab sich allen Leiden preis, er litt Geißelung, Hohn und Spott und den Tod am Kreuze. Als die Versuchung Satans müssen wir uns folgende Einflüsterung denken: »Du, ein Gewaltiger des Worts, Beherrscher der Seelen, begnüge dich Lehrer im Tempel und Heilkünstler zu sein. Wenn du geistvolle Vorträge hältst, durch Dichtungen die Herzen rührst, Kranken die Gesundheit wiedergibst, alles im alten Geleise und ohne jemandem zu nahe zu treten, so wirst du vergöttert werden, dem Ruhm und Glanz werden die Welt erfüllen. Zieh dich vom Pöbel aller Art zurück, laß aus Wolken selbstgewählter Einsamkeit hie und da Blitze deines Geistes zucken, so wirst du herrschen.« Ist es glaubhaft, daß Christus ermordet worden wäre, wenn er nichts getan hätte, als schöne Predigten halten und Tote zum Leben erwecken? Er wurde gekreuzigt, weil er eine herrschende Schicht angriff, die sich vom Volk absonderte und das Volk aussog und entseelte, weil er ein Kämpfer war. Diese Schicht ihrerseits war erstarrt; sie war der böse Geist, der keinen Gegendruck leiden will, der sich absondert, um nicht zu kämpfen, sondern um zu herrschen. Abzeichen des göttlichen Geistes ist es zu kämpfen und zu leiden, Abzeichen des satanischen sich vom Kampfe zurückzuziehen, um nicht zu leiden, sondern um zu herrschen, das heißt außerhalb der Möglichkeit des Angriffs seinen Willen auszuüben. Man verwechselt meistens Machttrieb und Herrschsucht, zwischen welchen doch ein himmelweiter Unterschied ist. Machttrieb ist natürlich und insofern gut, er will Ausdehnung und setzt sich dem Gegendruck anderer aus, die sich auch ausdehnen wollen; Herrschsucht ist böse, sie will über allen stehen, um unberührt und unverändert zu bleiben. Hier berühren wir auch den Unterschied zwischen Größe und Größenwahn: die Größe hat den Drang, etwas zu leisten, was dauert, und wirft sich in das Leben, um ihr Werk im lebendigen Ganzen, im Kampf der Gegensätze zu verankern; der Größenwahn bildet sich ein, etwas zu sein und zieht sich aus dem Wettkampf zurück, um sich widerspruchslos verehren zu lassen. Solche von Größenwahn besessene Einsame thronen in allen Winkeln Deutschlands.
Macht man sich das ganz klar, so begreift man, warum Goethe, indem er die Idee der Menschlichkeit verfocht, sich zugleich einen Christen nennen konnte; spricht es ja die Christenlehre und das Beispiel des Herrn deutlich aus, daß Gott im Menschen erscheint und daß es göttlich ist, als Mensch zu kämpfen und zu leiden. So Goethe: Denn ich bin ein Mensch gewesen, und das heißt ein Kämpfer sein. Das Wort ward Fleisch. Der Mensch ist ein Kämpfer, und weil er ein Kämpfer ist, ist er Gott-Mensch. Gott losgetrennt von der Menschheit, der Geist, der das gemeinsame Los der Menschen und der Tiere, sich im Kampfe zu entwickeln, nicht teilen will, ist Satan, ist das, was man auch volkstümlich Geist, im Sinne von Gespenst, nennt. Satan wird nicht Fleisch; wo wir die Neigung zur Askese finden, ist auch Neigung zur Herrschsucht und zur sogenannten reinen Geistigkeit. Wie überwältigend klar und schlicht sind die Symbole des Christentums! Christus, der Gottmensch, der Kämpfer, der am Kreuze endet. Das hohe Haupt voll Blut und Wunden ist es, das wir anbetend grüßen, nicht das des abgesondert Thronenden, der in seiner Einsamkeit ein Übermensch zu sein wähnt. Böse sein ist nicht stehlen, rauben und morden, das sind Sünden, die vergeben werden können; böse sein ist Erstarren durch Absonderung vom Kampfe der sich entwickelnden Menschheit. Nur in diesem Sinne ist der Reichtum etwas Böses, weil er zur Absonderung vom Kampfe verführt oder ihn erleichtert. Auch erlangte Macht verführt dazu, wie sie auch die Verantwortlichkeit ablehnt; verantwortliche Macht dagegen ist gut, ja sie ist vielleicht das größte Wagnis und Opfer, zu dem der starke Mensch sich entschließen kann.
Man betrachte das Leben der Kaiser des einstigen Römischen Reichs Deutscher Nation. Es sind Männer, die uns in den riesenhaften Maßen der Sage vorschweben. In einem unablässigen, atemraubenden Kampfe ziehen sie ihrem Volke voran. Von einem Stamme reisen sie zum andern, um Recht zu sprechen, unbotmäßige Vasallen abzusetzen, neue zu belehnen. Aus den Entsetzten werden fast immer offene Gegner, die es im Kampfe niederzuwerfen, hernach zu versöhnen gilt. Es fehlt zu keiner Zeit an mehreren solcher Empörer in dem weiten Reiche, die im Fluge bewältigt werden müssen, damit der Kampf gegen die Heiden geführt werden kann, die von außen gegen das Reich anstürmen: Hunnen, Ungarn, Dänen, Slawen, Türken. Die Wilden bändigt bald der Zorn, bald zieht die Gnade sie an sich, um sie den eigenen Völkern zu verschmelzen. Dazu kamen die Fahrten nach Italien, das nach der damaligen, auch von den Italienern geteilten Vorstellung zum Reiche gehörte, und hier vermischte sich der Kampf gegen das italienische Volk mit dem Kampf gegen die Päpste, großherzige Gegner, insofern sie das italienische Volk vertraten, satanische, insofern sie die geistige Weltherrschaft anstrebten. Dunkel fühlen wir in unseren großen Kaisern ihnen gegenüber die Befreier, ehren sie als Hüter der christlichen Freiheit. Eine spätere Zeit verstand unter christlicher Freiheit bloße Gedankenfreiheit, womit eine absolute Trennung des Gedankens vom Handeln ausgedrückt ist, die schon auf wissenschaftliche Verkehrtheit deutet. Christliche Freiheit ist die Freiheit, sich in Wort und Tat zu äußern, aber als verantwortliches Wesen; sie will zur Freiheit und Macht auch das Recht, während es der Anarchie nur an Freiheit und Macht gelegen ist, nämlich daß jeder tue, was er wolle. Die Welt wurde antichristlich und antipersönlich, denn das ist ein und dasselbe, als sie die Verantwortung den Einzelnen entzog und sie auf kleinere oder größere Massen verteilte.
Ich komme auf unsere Kaiser zurück. Diese großen Männer, die Ersten der Christenheit, setzten sich allen Stürmen und Bitternissen des Lebens aus. Fast immer heftete sich an die Schritte des Herrschers ein rebellischer Sohn, Stiefsohn oder Bruder und trug den Kampf in das Haus, in die tiefsten Falten des Herzens. Es ist wunderbar, wie sie es verstanden, die Würde des Reiches zur Geltung zu bringen und dennoch die zärtlichen Gefühle des Vaters walten zu lassen. Sie gingen selbst in die Schlacht, die damals noch wesentlich Nahkampf war. Sie verhandelten persönlich mit ihren Gegnern und waren dem Pfeil und Gift ihrer Feinde preisgegeben.
Wem fiele da nicht der letzte Hohenzoller ein, dem in manchen Augenblicken ein ähnliches Leben vorgeschwebt haben mag? Und dennoch, welch ein Unterschied ist vorhanden, ja eine Verzerrung und Verkleinlichung im Königsleben der Gegenwart, wenn wir es mit der Vergangenheit vergleichen, drängt sich uns auf. Denn was die Größe ausmacht, ist die Verantwortung, die freie persönliche Entschließung, auf der die Taten jener Herrscher beruhten, das Bewußtsein, beständig, wie man damals sagte, in Gottes Hand zu sein, von den vernichtenden Folgen des eigenen Tuns getroffen werden zu können. Die unglücklichen Monarchen unserer Tage können nicht groß sein, sie können höchstens an Größenwahn leiden; denn wenn es ihnen auch einmal gelingen sollte, aus eigner Entschließung zu handeln, so werden sie doch, als unverantwortlich, den Folgen ihres Tuns entzogen. Handeln ist aber nur das Tun, welches mit dem Erleiden der Gegenwirkung verbunden ist. Es ist eigentümlich, wie unsere Zeit, wenn sie einem die Gelegenheit bietet, als verantwortlicher Täter aufzutreten, Schuldiger zu sein oder Schuld auf sich zu nehmen, ihm die Gelegenheit stets selbst wieder abschneidet. Wir sprechen wohl zuweilen von persönlichen Schuldigen, aber wir erkennen sie doch zuletzt nicht an, und es gibt ja auch keine, weil keiner aus dem Bewußtsein persönlicher Verantwortlichkeit heraus handelt.
Wir stehen Christus wie überhaupt den Helden der Vergangenheit verständnislos gegenüber, weil unsere Zeit keine Helden mehr will und erträgt. Held ist der, welcher sein Volk gegen Bedrückung vertritt; jetzt ist die Masse selbst Herr oder beansprucht es zu sein, sie ist es theoretisch, und ein Befreier müßte eigentlich den Einzelnen, das heißt sich selbst, gegen die Masse vertreten. Da nun aber das Wesen des Helden gerade darin besteht, daß er Vertreter möglichst vieler ist, so kann einer, der nur sich selbst vertritt, unmöglich ein Held sein. Dadurch entstehen unter uns tragisch Verzerrte, wie Friedrich Nietzsche, in denen Größe und Größenwahn, Heroismus und Schwäche sich gespenstisch mischen. An Napoleon können wir sehen, wie er, obwohl die Masse freiwillig ihren Herrscheranspruch an ihn abtrat, doch immer die demokratischen Redensarten seiner Zeit handhabte und deswegen oft zweideutig erscheint. Ähnliche Widersprüche beobachten wir an Lassalle.
Der Gegensatz, den das Leben einschließt, bewirkt eine nicht mechanische und auch nicht regellose, sondern eine rhythmische Bewegung; er beruht nicht auf zwei entgegengesetzten Kräften, sondern auf einer, die sich in zwei spalten läßt, sich aber immer wieder in einer dritten zu vereinigen sucht. Es ist ein Gegensatz innerhalb der Willenskraft, welcher sich zwiefach und gegensätzlich offenbart, nämlich als Wille zum Ganzen, Gott-Vater, und als Einzelwille, der Teufel, der den Menschen verführt. Der Anfang des Teufels, so lehrten die Kirchenväter, ist gut. Ist nicht der Wille Gott selbst? Und ist er nicht auch Geist und göttlich in Gottes Ebenbilde?
Ich kann mich nicht bereden lassen,
Macht mir den Teufel nur nicht klein;
Der Kerl, den alle Leute hassen,
Der muß was sein.
Gott selbst will den Gegensatz, er gehört geheimnisvoll zu seinem Wesen; satanisch und wahrhaft böse wird der Einzelwille erst, wenn er sich über den gottväterlichen Willen setzt; wenn er sich in irgendeiner Form vom Willen zum Ganzen absondert, anstatt im Kampfe des Lebens den Einzelwillen zu einem Träger des Ganzen werden zu lassen. Nicht gebrochen soll der Wille werden, im Gegenteil, je kräftiger er ist, desto besser ist er, wenn nur sein eigenes Glück nicht sein einziges Ziel ist.
Man kann sagen: Gott ist das Maß zwischen zwei Gegensätzen, deren Ursprung er ist, und die er selbst ausgleicht. Insofern ist die Welt, in der Gott sich offenbart, die einzige Maschine, die ohne Verlust arbeitet; sie ist eben keine Maschine, sondern ein Organismus, sie ist der offenbarte Gott selbst. Die Überschreitung des Maßes ist das, was wir Sünde nennen, und diese kann ausgeglichen werden; das einzig wahrhaft Böse ist die Gegensatzlosigkeit, die durch Beziehung des Einzelnen auf sich selbst, man kann auch sagen durch Zentralisierung entsteht.
Könnten wir uns nicht unser als eines Ich, einer Einheit, eines Ganzen bewußt werden, so könnten wir uns nicht in unfruchtbarem Größenwahne Gott gleich wähnen, als wären wir an uns selbst etwas Vollkommenes, etwas was aus und durch sich selbst bestehen könnte. Damit der stolze Mensch erfahre, daß er Teil eines Ganzen ist, muß er Gegenwirkung erleiden; nur dadurch wird er seiner Unvollkommenheit, seiner Schwäche inne, und der Notwendigkeit, sich durch andere zu ergänzen. Das was uns antastet und angreift, ist unser Heil; es bewahrt uns vor Erstarrung, zu der unsere Neigung, uns auf uns selbst zu beschränken, leicht uns führen könnte. Andrerseits würden wir auch unsere göttliche Bestimmung nicht ahnen, ohne die Möglichkeit uns zum Ganzen zu schließen, nur daß der Abschluß immer als Künftiges vor uns schweben muß.
Wer Gott mit der Begründung leugnet, daß ein allmächtiger Gott das Böse müsse aus der Welt schaffen können, steht der Erkenntnis Gottes noch sehr fern. Daß Gott und Satan eins sind, obwohl die fernsten Gegensätze, ist ein Mysterium, dessen Möglichkeit wir fassen, wenn wir, uns wissenschaftlich äußernd, sagen, daß Gott der Geist ist, der sich auf andere bezieht, nämlich die Liebe, Satan dagegen der sich auf sich selbst beziehende Geist. Es ist derselbe Geist, der sich durch die entgegengesetzte Beziehung in sein eigenes Gegenteil verwandelt. Die Notwendigkeit des Wechsels dieser Beziehung mit allen ihren Folgen ist für unseren Verstand ein bodenloser Abgrund, in dem er sich müde tastet, wenn er ihn ausmessen will; daß sie ist, und daß wir uns ihr unterwerfen, in ihr mitkämpfen müssen, begreift unsere Anschauungskraft ohne weiteres. So steht Finsternis neben Licht, so steht das Ich neben dem Du, unlöslich verbunden und geheiligt im Wechsel, vernichtend in der Vereinzelung.