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Der Verstand, das logische Denken, bezieht sich nur auf Totes, auf Stoff, auf Vergangenes. Das Tote setzt keine Gegenwirkung entgegen; deshalb bin ich, solange ich denke, außer Beziehung und lebe nicht im Kosmos oder im Gottesreiche. Cogito ergo sum, ich denke, darum bin ich, nämlich darum bin ich ein selbstbewußtes Wesen, darum ist es mir bewußt, daß ich bin. Als unbewußtes Wesen bin ich auch ohne zu denken, bin ich, weil ich will, weil ich fühle. Solange ich selbstbewußt bin, mich denke, bin ich nicht mehr dreieinig, nicht mehr ganz; denn ein Teil meines Wesens ist ja Stoff, ich bin ohne Gegenwirkung. Die Gegenwirkung geht vom Willen, vom Unbewußten aus und richtet sich auf die auf gesunden Sinnen beruhende Einbildungskraft; solange diese in Funktion sind, bin ich ganz. Betätigt sich der Mensch nur vorübergehend verstandesgemäß, löst er sich mithin vorübergehend auf, um nachher wieder ein ganzer Mensch zu sein, ist er gesund, tut er das auf einer gewissen Stufe der Entwickelung Natürliche. Wenn er vom Verstande ausgeht, anstatt vom Unbewußten, so ist er ein Verstandesmensch oder, wie man wohl auch sagt, ein Intellektmensch, dem vieles verschlossen und unzugänglich bleibt, der aber doch nicht geradezu krank ist. Krankheit beginnt da, wo das Unbewußte vom Verstande gänzlich unterdrückt, verdrängt ist, wo also nur Verstand und Stoff, etwas Totes ist, der Ausdruck geistiger Tod folglich höchst angemessen verwendet wird. Den Verstand mag man eine Kraft nennen, doch ist er jedenfalls keine schaffende, sondern eine zerlegende. Geisteskrankheit ist eine Krankheit des Willens und der Einbildungskraft. Der Geisteskranke ist aus der Welt der Beziehungen ausgeschlossen, er lebt in einer beziehungslosen Welt, nur auf sich bezogen, und es gibt für ihn nur Stoff, nichts Lebendiges, mit dem er in Wechselwirkung stehen kann. Sein freier Wille, der zugleich sein Ich ist, sein Unbewußtes oder Unwillkürliches, ist gebunden.
Im Kosmos, der einen unendlichen, ewig fortwirkenden Organismus bildet, sind die auf sich selbst bezogenen Individuen tote Punkte, Stoffwechselreste, die ausgeschieden werden müssen, wenn sie nicht wieder zur Selbsttätigkeit gebracht werden können. Es muß ja auch im Einzelorganismus das Tote, das Gestrige, das, was sich nicht in Fortwirkendes verwandeln ließ, fortwährend ausgestoßen werden.
Dennoch ist nur ein reifer Mensch, der sich selbst denken kann, obwohl er dadurch sich selbst vom Weltganzen loslöst und sich teilt. Denn indem er sich vom Weltganzen absondert, trennt er sich von der schaffenden Kraft, die dort strömt, von dem, was wir das Unbewußte nennen, und beraubt sich dadurch der Grundlage seines Wesens. Eben deswegen wird er aber nun erst, wo er sich als Ganzes betrachtet, sich seiner Unvollkommenheit recht bewußt werden und Gott und den Nächsten über und neben sich erkennen. Mit dem Selbstbewußtsein hängt das Gottbewußtsein unzertrennlich zusammen. Das Mysterium ist darin begriffen, daß wir uns als Ganzes erkennen in dem Augenblick, wo wir die Welt und uns selbst zerreißen, und dort liegt die tödliche Gefahr. Wenn wir nicht empfängliches und treibendes Gefühl in uns haben, die Welt, von der wir uns abgesondert haben, wieder zu ergreifen, vielmehr uns von ihr ergreifen zu lassen, so verfallen wir dem Tode. Verloren ist der Mystiker, der Gott zu finden glaubt, indem er sich in sich selbst versenkt, es sei denn, er erkenne dort die Leere, die ihm Sehnsucht nach der Fülle des Lebens erregt.