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20.
Über Äther und Materie, entstehend aus dem Ruhen des Geistes


Gehen wir davon aus, daß Gott Tätigkeit ist, also Bewegung; setzen wir eine Kraft voraus, die wie ein Strahl in der Richtung von innen nach außen sich bewegt. (Auch Goethe denkt sich den Geist des Menschen wie eine Sonne.) Dieser Strahl aber, wäre nichts als er, würde so gut wie nichts sein; die göttliche Kraft aber ist nie an sich, nie für sich, sondern ist Beziehung. Wir müssen Beziehungen voraussetzen, erstens durch einen Gegensatz zur Kraft innerhalb ihres Wesens und zweitens durch einen Gegensatz ihres Wesens. Durch den Gegensatz innerhalb seines Wesens offenbart sich uns Gott als geteilt, durch den Gegensatz seines Wesens als angreifbar. Wir müssen also noch ein drittes Göttliches voraussetzen, das die Teilung und den Angriff überwindet. Ist es so, so liegt in dem dreieinigen Wesen Gottes nicht nur die Kraft und die Bewegung, sondern ein ewiger Kampf, der nur durch vorübergehende Siege gekrönt werden kann.

Aus der Bibel wissen wir, daß Gott am siebenten Tage ruhte; er ist also nicht nur Bewegung, sondern Bewegung im rhythmischen Wechsel mit Ruhe. Die Ruhe aber oder das Nachlassen der Bewegung stellt sich dar als Äther oder unverweslicher Stoff. Der Äther ist im Geiste gegeben, er ist nicht die lebendige Kraft selbst, aber ein Niederschlag der Kraft, ganz eigentlich eine Sammlung. Die Kirchenväter ließen die materielle Welt durch den Geistersturz entstehen und bezeichneten sie als χαταβολη, Niederschlag. Durch eben diesen Niederschlag entsteht innerhalb des Individuums fein Skelett; er führt mittels der Arterienverkalkung den natürlichen Tod des Menschen herbei.

Wir setzen also voraus eine eröffnende und eine ergänzende Bewegung, die erste Kraft, die zweite Äther, zwar unverweslicher Stoff, aber doch Stoff im Verhältnis zur Kraft, schwerer als diese und vergleichsweise ruhend. Die eröffnende Bewegung ist frei, die ergänzende gebunden, insofern sie abhängt von der eröffnenden, welche der ergänzenden das Maß gibt.

Wenn nun die eröffnende Bewegung insoweit der ergänzenden überlegen zu sein scheint, so ist dafür die ergänzende die Trägerin der vollendeten Bewegung. Stellen wir uns den Äther als spiegelnd vor, so können wir uns denken, daß die halbkreisförmige Bewegung, welche durch die Verbindung der eröffnenden Bewegung mit der schwereren ergänzenden Bewegung entsteht, im Spiegel des Äthers als Kreis erscheint. Dieser Kreis aber, den wir das Ideal nennen wollen, muß, wenn er den mütterlichen Äther verläßt, wieder als eröffnende Bewegung erscheinen, der sich die ergänzende Bewegung anschließt, die wieder Trägerin des Ideals ist, so daß wir uns eine Wellenlinie als anfängliches Symbol Gottes denken müssen.

Nennen wir die eröffnende Bewegung Mann, die ergänzende Weib, so ist das Bild, dessen Trägerin der weibliche Äther ist, in bezug auf jene beiden offenbar künftig, der Sohn. Zugleich ist er aber auch der Vater; denn eröffnende und ergänzende Bewegung sind ja nur Teile des Kreises, aus dem sie beide hervorgehen. Ins Menschliche übertragen heißt das: Vater und Kind erscheinen nie als solche, sondern entweder männlich oder weiblich. Der Vater ist der Tochter Ideal; er ist darum nicht minder wirklich, hat er sie doch erzeugt, aber er zeugte sie als Mann, während sie ihn als Vater im Herzen trägt. »O Vater du! ist doch ein Vater stets ein Gott!« heißt es in Goethes »Pandora«. Ist nun der Vater die Vergangenheit und der Sohn die Zukunft, so ist der Äther in bezug auf beide die Gegenwart, und Gott wäre demnach die Zeit, wie es ja auch in der Heiligen Schrift heißt: Ich bin, der da war, der da ist und sein wird.

Nun aber tritt zu der göttlichen Dreieinigkeit noch ein Gegensatz Gottes hinzu, und dies ist eben der Mann, der ja freilich im Sohne wie im Vater enthalten und mit dem Weibe verbunden ist. Nennen wir Satan die Übertreibung, so verführt er das Weib, aus der bedingten Ruhe in die unbedingte Ruhe überzugehen, wodurch aus dem Äther, dem unverweslichen Stoffe, der verwesliche Stoff, die Materie entsteht. Zugleich entstehen Raum, Stoff und Tod. Ist die Bewegung Leben; so sind durch das Nachlassen der Bewegung verschiedene Stufen des Stoffes bedingt: der unverwesliche Äther, das Gasförmige, das Flüssige, das Feste und das Starre. Im Festen erscheint der Tod, zugleich aber auch die den Tod überwindende göttliche Bewegung: die Form. Unser Skelett ist in Wahrheit ein Bild des Todes, das wir in uns tragen, aber auch gleichsam ein negatives Bild des Lebens, da es ja der Niederschlag der lebendigen Kraft ist, die ruht.

Indem die Verführung auf den Mann übergeht, wird aus der eröffnenden und ergänzenden die schließende Bewegung, das Beharren bei sich selbst oder die Beziehung auf sich selbst, und damit entsteht die Individualität, das körperliche, das sich selbst wollende Wesen. Der durch die Eva verführte Mann, und ein solcher ist ja nur Mann, es gibt keinen andern, ist also seiner Natur nach teuflisch, das heißt Gott, dem Ganzen, entgegengesetzt, und doch ist es derselbe Mann, der Vater wird und dessen Bild die Tochter als Bild des göttlichen Vaters im Herzen trägt. Wir sehen, wie unlöslich der Gegensatz des Individuellen, der Selbstsucht, die jedes natürliche Einzelwesen haben muß, mit dem Wesen Gottes verschmolzen ist. Unsere Kraft ist Widerstandskraft: sie ist von Gegenwirkung unzertrennlich.

Stellen wir uns vor, daß zum ersten Male im ausgedehnten Stoff die schließende Bewegung gemacht wird, so entstehen Körper, entsteht beispielsweise die Erde, ein weibliches Individuum. Die Übertreibung der ergänzenden Bewegung, welche eine Bewegung von außen nach innen ist, veranlaßt die Übertreibung der eröffnenden Bewegung, welche von innen nach außen geht. Die Sonne, der Erde gegenüber männlich, würde die Erde verzehren, wenn nicht eine große Entfernung sie trennte. Mit der Gestirnbildung würde die Schöpfung geschlossen sein, wenn nicht die göttliche Kraft, die sich im Weibe offenbart, die schließende Bewegung im letzten Augenblick durchbrochen hätte: die Erde gebiert die von der Sonne gezeugte lebendige Substanz, den Keim des Menschen.

Wir müssen also zwei eröffnende Bewegungen oder zwei Bewegungen von innen nach außen unterscheiden: eine anfänglich eröffnende, Gott Vater, und eine wiedereröffnende, Gott Heiliger Geist, welche zugleich zerstörend ist, da sie das Werk der schließenden Bewegung, die ihr vorangegangen ist, auflösen muß, um dem Leben Bahn zu machen. Alles, was körperlich erscheint, alles Gestaltete muß sterben, damit ein Neues entstehen kann. Dies Neue aber muß immer wieder in individueller Gestalt erscheinen. So wird die ursprüngliche Wellenlinie der unendlichen Gotteskraft gewahrt, nur daß sie auf ihrem Wege beständig die Hemmung individueller Bildungen, welche doch ihr Ziel sind, überwinden muß. Denn Gott läßt den Stoff und das Individuelle zu, um sich in ihm zu offenbaren; er wird Fleisch im Sohne, dem Einzelnen, der sich nach dem Willen des Vaters opfert, damit viele leben.

Jede individuelle Bewegung ist zunächst egoistisch. Die männliche, von innen nach außen gerichtet, strebt nach Wachstum und Macht und führt zum Kampfe; die weibliche, von außen nach innen gerichtet, strebt nach dem Versinken in sich selbst und führt zu Frieden und Ruhe. Der Kampf ist gut, wenn er durch Frieden, und der Frieden, wenn er durch Kampf ergänzt wird. Böse ist nur die absolute Trennung beider, so daß ewiger Kampf und ewiger Frieden, mechanische Bewegung und Erstarrung entsteht.

Verfolgen wir im großen Zuge die Schöpfung von der ersten rhythmischen Bewegung und der ersten ausgedehnten Bildung, von der lebendigen Substanz, der einfachen Zelle, den immer sich steigernden pflanzlichen und tierischen Formen bis zur menschlichen, so fällt es auf, daß dieser ganze Verlauf in der Entwickelung des einzelnen Menschen enthalten ist. Auch der Mensch ist in seinem Anfang eine atmende, dem Urquell des Gefühls entspringende Bewegung: er wird Fleisch, er wird Zelle, Tier und endlich ein menschliches Wesen. Der Mensch ist die ganze Schöpfung, und die ganze Schöpfung ist der Mensch. Dennoch gibt es unendlich viele Menschen, und jeder einzelne ist ein winziger Teil des Weltganzen, ja scheint im Vergleich zu ihm ein Nichts zu sein. Alles und nichts ist jeder. Darin liegt ein gedanklich unlösbarer Widerspruch, den jeder Einzelne lebend, handelnd und sich wandelnd lösen soll, indem er damit beginnt, die Welt an sich reißen zu wollen, und damit endet, sich ihr zu opfern.


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