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XIII.
AN EINEN FREUND,

DER SICH IN EIN SCHÖNES LANDMÄDCHEN VERLIEBTE.

Ne sit ancillae tibi amor pudori.

HORAT.

Was schämst du dich, dass du die Hanne liebest,
   Die dir dein Genius beschert?
Sie ist es werth, dass du ihr Küsse giebest;
   Das schlanke Mädchen ist es werth!

Sie hat kein Gold, womit das Fräulein pralet,
   Und keine lange Ahnenschaft;
Doch ist sie schön, wie man die Engel malet,
   Bescheiden, edel, tugendhaft. [220]

Sie ist nicht stolz, wie die nach Standsgebühren
   Geehrten Fräulein oder Fraun,
Die auf uns Sünder, weil kein Von wir führen,
   Mit hoher Nase niederschaun;

Verleumdet nicht, und spielt nicht die Kokette,
   Wird durch kein leer Gewäsch entzückt;
Schläft ruhig ein, und springt aus ihrem Bette,
   So bald die Sonn' ins Fenster blickt.

Sie singt, beim Ramen und beim Spinnerocken
   Ein weltlich oder geistlich Lied,
Die Morgenhaub' um ihre blonden Locken,
   Bis ihre stille Traur entflieht.

Die Dame selbst würd' aus dem goldnen Wagen
   Nach deiner lieben Hanne sehn,
Und knirschend sich den platten Busen schlagen,
   Und seufzen: Sie ist wahrlich schön! [221]

Ja, sie ist schön! Der ganze Mai umschwebet
   Ihr weißes lächelndes Gesicht;
Ihr Busen bebt, wie eine Blume bebet,
   Die eben aus der Knospe bricht.

Die Sittsamkeit flieht goldne Fürstensäle,
   Und liebt die niedern Hütten nur.
Ich selber, wenn ich mir ein Mädchen wähle,
   Ich such' es auf der Schäferflur. [222]


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