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AUF EIN LANDMÄDCHEN.
Schwermutsvoll und dumpfig hallt Geläute
Vom bemoosten Kirchenthurm herab.
Väter weinen, Kinder, Mütter, Bräute;
Und der Todtengräber gräbt ein Grab.
Angethan mit einem Sterbekleide,
Eine Blumenkron' im blonden Haar,
Schlummert Röschen, so der Mutter Freude,
So der Stolz des Dorfes war.
Ihre Lieben, voll des Misgeschickes,
Denken nicht an Pfänderspiel und Tanz,
Stehn am Sarge, winden nasses Blickes
Ihrer Freundin einen Todtenkranz.
[198]
Ach! kein Mädchen war der Thränen werther,
Als du gutes frommes Mädchen bist,
Und im Himmel ist kein Geist verklärter,
Als die Seele Röschens ist.
Wie ein Engel, stand im Schäferkleide
Sie vor ihrer kleinen Hüttenthür:
Wiesenblumen waren ihr Geschmeide,
Und ein Veilchen ihres Busens Zier,
Ihre Fächer waren Zefyrs Flügel,
Und der Morgenhain ihr Puzgemach,
Diese Silberquellen ihre Spiegel,
Ihre Schminke dieser Bach.
Sittsamkeit umfloss, wie Mondenschimmer,
Ihre Rosenwangen, ihren Blick;
Nimmer wich der Seraf Unschuld, nimmer
Von der holden Schäferin zurück.
Jünglingsblicke taumelten voll Feuer
Nach dem Reiz des lieben Mädchens hin;
Aber keiner, als ihr Vielgetreuer,
Rührte jemals ihren Sinn.
[199]
Keiner, als ihr Wilhelm! Frühlingsweihe
Rief die Edlen in den Buchenhain:
Unterm Grün, durchstralt von Himmelbläue,
Flogen sie den deutschen Ringelreihn.
Röschen gab ihm Bänder mancher Farbe,
Kam die Ernt', an seinen Schnitterhut,
Saß mit ihm auf einer Weizengarbe,
Lächelt' ihm zur Arbeit Mut;
Band den Weizen, welchen Wilhelm mähte,
Band und äugelt' ihrem Liebling nach,
Bis die Kühlung kam, und Abendröthe
Durch die falben Westgewölke brach.
Über alles war ihm Röschen theuer,
War sein Taggedanke, war sein Traum;
Wie sich Röschen liebten und ihr Treuer,
Lieben sich die Engel kaum.
Wilhelm! Wilhelm! Sterbeglocken hallen,
Und die Grabgesänge heben an,
Schwarzbeflorte Trauerleute wallen,
Und die Todtenkrone weht voran.
[200]
Wilhelm wankt mit seinem Liederbuche,
Nasses Auges, an das ofne Grab,
Trocknet mit dem weißen Leichentuche
Sich die hellen Thränen ab.
Schlummre sanft, du gute fromme Seele,
Bis auf ewig dieser Schlummer flieht!
Wein' auf ihrem Hügel, Filomele;
Um die Dämmerung ein Sterbelied!
Weht wie Harfenlispel, Abendwinde,
Durch die Blumen, die ihr Grab gebar!
Und im Wipfel dieser Kirchhoflinde
Nist' ein Turteltaubenpaar!
[201]