Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.
AN MILLER.

Miller, denk' ich des Tags, welcher uns scheiden wird,
      Fasst der Donnergedanke mich;
Dann bewölkt sich mein Blick, starret zur Erd' hinab,
      Schaut nur Bilder der Traurigkeit.
Ernst, mit finsterer Stirn, wandelt die Stunde her.
      Die mich fernet von meinem Freund,
Wandel ernster, und schnell fliegt der gezackte Dolch
      In mein blutendes Herz hinab. [96]

Eh dem Baume das Laub röthlich und gelb entweht,
      Kommt der finstere Scheidetag,
Stürmt die Freunde hinweg, zucket und stürzt den Dolch
      In mein blutendes Herz hinab.
Wann nun wieder den Baum schattendes Grün umrauscht,
      Irr' ich einsam von Strauch zu Strauch:
Vor des Einsamen Blick schließen sich Blumen zu,
      Und die rieselnde Quelle weint,
Und vom Nachtigallbusch, tönet mir Seuferlaut.
      Ach die Seelen der Abende,
Die uns Freunden entflohn, sammlen sich dann um mich;
      Schön und lächelnd wie Serafim,
Und die Bilder der Ruh, welche die Frühlingsnacht
      Auf uns Glückliche niedergoß. [97]

Deines trauten Gesprächs werd' ich und Freundesblicks
      Dann begehren; und ach umsonst!
Deines Tugendgesangs, welcher mich himmelan
      Oft geflügelt; und ach umsonst!
In den Lauben des Mais, funkelt der Abendstern
      Durch die Blüten, der oft belauscht
Unsrer Herzen Erguß, werd' ich dich spähn, den Arm
      Nach dir strecken; und ach umsonst!
Nicht der flammende Wunsch, nicht der bethränte Blick
      Bringt dich wieder in meinen Arm;
Und mein Klagegesang ruft der Vergangenheit,
      Bis mich hüllet die Rasengruft.
Und die hüllet mich bald! Lispelt das Rebengrün,
      Wo du horchest der Nachtigall, [98]

Zittert eine Gestalt, dämmernd in mildem Glanz,
      Leises Fluges vor dir vorbei,
Winkt und lächelt dir zu; Miller, es ist dein Freund!
      Durch die Blumen des Gartenbeets
Weht der Schatten dahin: Ahndung durchbebt dein Herz,
      Und du schauerst vom Rasen auf;
Wandelst näher, und brichst, freudiger Wehmut voll,
      Dir die Blume, die, wankend noch
Von des fliehender Freunds Schimmergewand, im Thau
      Seiner rinnenden Zähre glänzt. [99]


 << zurück weiter >>