Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel.

Die Belagerung Bonifazio's durch Alfonso von Aragon.

Nachdem Alfonso die Lage der Stadt erkannt hatte, besetzte er einen gegen Norden gelegenen hohen Berg, und Tag und Nacht ließ er von dort und von der See Steine aus den Bombarden auf die Stadt werfen. Mit achtzig Schiffen, darunter dreiundzwanzig Triremen, waren die Spanier gekommen; in den Hafen waren sie nach dem Fall zweier Türme eingedrungen. Wie nun ein großer Teil der Verteidigungswerke und der Mauern eingestürzt war und es schien, daß man in die Stadt einbrechen könne, berief der König einen Kriegsrat. Er war jung und feurig und begierig nach großen Dingen. Wenn Bonifazio gefallen sei, sagte er, so werde ganz Corsica in seine Gewalt geraten und er wolle dann nach Italien in Segel gehn. Belohnungen setzte er für denjenigen aus, welcher der Erste die Mauern ersteigen und das Banner aufpflanzen würde, und sofort bis zu dem Zehnten. Das hörten die Spanier mit großer Freude und also machten sie sich zum Sturme auf. Viel litten die von Bonifazio durch Wurfgeschoße und Pfeile, aber sie warfen die Stürmenden mit Steinen und langen Lanzen in das Meer und hielten wacker aus. Da plötzlich stürzte der Turm, welchen man Scarincio nennt, mit ungeheurem Gekrach zusammen, und sogleich hängten sich die Schiffe an die Bresche, die Spanier sprangen auf die Mauer und pflanzten das Banner auf. Im Heer des Königs erhob sich das Geschrei: die Stadt sei erstürmt. Da sah man die Seesoldaten in Eile mit Hülfe der Masten und der Raaen das Mauerwerk erklettern; wie sie den Häusern nahe kamen, warfen sie Feuerbrände auf die Dächer. Nun erhob sich ein großes Kampfgewühl von Fliehenden, Widerstrebenden und Stürmenden. Aber Orlando Guaracchi, die heldenmütige Margarete Bobia und Chiaro Ghigini warfen sich den Andringenden entgegen; von ihren Stationen kamen Jacopo Cataccioli, Giovanni Cicanesi und Filippo Campo; alle Feinde, welche in die Stadt gedrungen waren, hieben sie nieder. Sodann warfen sie Feuer auf die Schiffe im Hafen, und so wurde der König mit großem Verlust zurückgetrieben.

Drei Tage lang hatte der Kampf gedauert mit Brand und Blutvergießen ohne Ende. Nun legte jedes Alter und Geschlecht Hand an, die Mauern neu zu verfestigen und die Breschen zu sperren. Leider war das Getreidemagazin verbrannt. Alfonso unterdeß warf Pfeile mit Briefen in die Stadt und versprach allen denen Belohnung, welche zu ihm übergehen würden. Zwei liefen über, Galliotto Ristori ein Bonifaziner und Conrado ein Genuese, und diese reizten den Mut des Königs, indem sie sagten, daß die in der Stadt an Brod und Waffen Mangel hätten. Der König besetzte noch einen andern Hügel, zog eine doppelte Kette quer über den Hafen, um die Bonifaziner von aller genuesischen Hülfe abzusperren, und beschloß nun die Stadt durch Belagerung zu erzwingen. Das hörte der Doge Thomas Fregoso und rüstete eine Flotte von sieben Schiffen; und darüber verstrich der September. Den ganzen October, November und December hindurch wütete das Meer so schrecklich, daß die Flotte aus dem Hafen Genua's nicht auslaufen konnte. Es waren aber die Bonifaziner durch das Schleudern der Bombarden und Wurfmaschinen so sehr in Not gekommen, daß sie aus der Stadt wandern, in den Hain neben Sant Antonio gehen und im Convent des heiligen Franciscus sich bergen mußten, da der größte Teil ihrer Häuser in Trümmern lag; nur in den Kriegsstationen blieben sie.

Der König, verstärkt durch Zufuhr aus Spanien, wollte dennoch den Weg der Unterhandlungen versuchen und gab denen in der Stadt die feierliche Zusage, daß sie frei und nach ihren Gesetzen leben sollten, wenn sie sich ergeben würden. Die Bonifaziner zogen die Unterhandlung in die Länge; da sie hungerbleich und verkommen aussahen und die Aragoner meinten, daß der Hunger sie zur Uebergabe zwingen müsse, so sagt man, hätten jene, diese Meinung Lügen zu strafen, an vielen Stellen von den Mauern Brod unter die feindlichen Posten geworfen und dem Könige einen Käse zum Geschenke geschickt, welcher aus Weibermilch gemacht worden war. Da ließ der König alle Maschinen an die Mauern rücken mit Schiffen, welche je zwei verbunden Türme trugen. Von den Höhen wie von der Seeseite begann aufs neue der Sturm. Gegen die Schiffe sich zu rüsten hatten die Bonifaziner gleichfalls Maschinen aufgestellt; auf die entfernteren warfen sie Steine von ungeheurem Gewicht, auf die näheren von geringerer Schwere und hageldichte Geschosse. Obgleich sie selber mit Bombarden und Pfeilen überschüttet wurden und manche in Stücke zerrissen da lagen, so hielten sie sich doch mit wunderbarer Tapferkeit. Immerfort ersetzten die Fallenden die noch Kräftigen, den verwundeten Vater der Sohn, der Bruder den Bruder; und die Weiber trugen herzu Wurfmaterial, Wein und Brod und nahmen die Verwundeten an. Sie nahmen auch Schilde und Lanzen und stellten sich auf die Mauern anstatt der Männer. Es gab viele, welche ihre gefallenen Angehörigen nicht aufnehmen noch bestatten konnten, bis die Feinde herabgestürzt waren. Auch diese litten schrecklich, weil viele durch das Schwert, durch die Sichel und die Hakenlanze umkamen, womit die von den Mauern jene aus den schwimmenden Türmen anzogen und ertränkten. Sehr viele wurden mit Balken und Steinen niedergeschmettert, wenn sie mit Leitern die Stadt ersteigen wollten. An andern Orten warf man Fackeln, brennendes Werg und flüssiges Harz, so daß man oft nicht wußte, wohin zuerst rennen, wo zuerst abwehren.

Schon waren die von Bonifazio durch die unablässigen Kämpfe erschöpft, so daß der König noch einmal alle seine Kräfte zusammen zu nehmen beschloß, um folgenden Tags einen Hauptsturm zu machen.

Nur am Turm Scarincio schwiegen die Bombarden, damit sie nicht die Spanier, welche schon von den Schiffstürmen in die Stadt überstiegen, zugleich mit den Städtern vernichteten. Da kämpften auch die Weiber neben den Männern und warfen Harpunen. Von den Schiffstürmen und Mastkörben aber schleuderten die Spanier fort und fort Pfeile, und auch bleierne Eicheln aus gewissen handlichen Bombarden von gegossenem Erz, welche wie ein Rohr hol waren, und die sie Sclopetus nennen. Diese Bleieichel wurde durch Feuer fortgetrieben und durchbohrte einen bewaffneten Mann. (So beschreibt Peter von Corsica die Flinten, welche damals unbekannt, heute in Corsica nur zu sehr bekannt sind.) Es warfen die Feinde von den Schiffen auch Schwefelstaub auf die Häuser und auf die Menschen und darnach Feuer, so daß viele halb verbrannten und die übrigen kopfüber aus der Bresche wegstürzten. So stand den Feinden diese offen neben dem Turm Preghera. Als sich nun der Schwefeldampf, der wie dichte Finsterniß die Bresche verhüllt hatte, in der Luft verzog, sah man Matronen, Wehrlose, Scharen von Kindern, Geschosse und Steine jeder Art zu der Mauer tragen, um sie den Streitern zuzuführen; wie sie nun den Ort von diesen leer fanden, erhoben sie ein Geschrei und lautes Heulen. Da trieben die Mütter die Söhne, die Töchter die Väter, die Frauen ihre Männer mit Wehklagen und Tränen an, daß sie auf die Bresche zurückkehrten. Es griffen auch Priester und Mönche zu den Waffen und schleuderten brennende Wergbündel hinunter und gelöschten Kalk. Dies half so sehr, daß die Meisten von dem Qualm und dem schwebenden Dunst betäubt und fast blind gemacht, nur ins Ungewisse schossen. Wie die Flammen nachließen, fiel man aus dem Tore aus.

Es war dieser Tag der härteste für die Städter gewesen; aber er hatte den Erfolg, daß ein großer Teil der Feinde verwundet und getödtet worden war.

Je bedrängender von Tag zu Tage die Belagerung wurde, desto häufiger wurden die Briefe an den Dogen und den Senat Genua's, daß sie endlich Bonifazio zu Hülfe kämen. Aber der König gab, wie ihm neuer Zuwachs gekommen war den Seinigen das Zeichen, und man griff zu den Waffen. Zu Wasser und zu Lande, an sieben Stellen war's ein grimmiger Anlauf; doch in die Stadt konnte er nicht. Denn mit gleicher Eile war eine neue Mauer an die Stelle der eingestürzten aufgeführt worden, und die Bewaffneten selbst galten auf den Breschen statt der Schanzen. Da ließ Alfonso einen Damm gegen das große Tor führen, in einer Höhe von acht Fuß; darauf wurde ein Turm von zehn Stockwerken gestellt, auf daß er die Mauern überrage. Wie nun unter beständigem Hagel von Wurfgeschossen der Wall und der Turm immer näher gegen das Tor rückte, öffnete sich dasselbe, das Volk stürzte Fackeln schwingend heraus und warf Feuer auf den Wall, auf die Faschinen und den Turm, und so verzehrte es das mühsame Werk einer so langen Zeit.

Nicht Tag nicht Nacht schwieg der Sturm, und von den Bonifazinern wurde nichts unterlassen, was dem Feinde Einhalt thun konnte, sowol durch Aufführen neuer Mauern, als durch unablässige Ausfälle. Die arme Bürgerschaft hatte keinen Augenblick Ruhe, und war doch durch die beständige Anstrengung erschöpft, durch Wachen bei Nacht und bei Tag, durch Wunden, endlich durch Hunger verzehrt. Täglich bestattete man Gestorbene, der Tod stand vor aller Augen, Tag und Nacht hörte man das Weinen. Unterdeß war der Mangel so groß geworden, daß man gezwungen war eckelhaftes Kraut zu essen, und wie lange sollte man noch auf die Hülfe Genua's warten! Ueber alles menschliche Können hinaus duldete das Volk den Hunger. Pferde- und Eselsfleisch war in jenen Tagen ein Leckerbissen. Einige aßen allerlei Kraut, was nicht einmal das Vieh berührt, Wurzeln und wilde Frucht, sowie Baumrinde und nie zuvor gegessene Thiere. Aber da sie schon an dem Entsatz verzweifelten, hätten viele wehklagend ihr Leben freiwillig geendet, viele auch, die verwundet lagen, hätte der Hunger in den Mauern dahingerafft, wenn nicht das Erbarmen der Frauen sie erquickte. Denn die frommen Weiber gaben Verwandten, Brüdern, Kindern, Blutsfreunden, Gevattern freiwillig ihre Milch zu trinken. Es gab in jener Belagerung Niemand in Bonifazio, der nicht eines Weibes Brust gesogen hätte.

Da sich nun in großer Not keine Hülfe zeigte, schlossen die Bonifaziner den Vertrag, daß wenn die Genuesen binnen vierzig Tagen nicht zum Entsatz herangekommen, sie sich ergeben wollten. Zwei Männer gaben sie zu Geißeln und dreißig Kinder der Edelsten. Aber die Bonifaziner waren in Sorge, weil der König ihnen nicht gestattete, Boten nach Genua zu schicken. Deshalb bauten sie in großer Eile ein kleines Schiff, und in tiefer Nacht ließen sie es von dem Felsen, welcher Sardinien gegenübersteht und dem Feinde abgekehrt war, an Seilen herab; und ließen auch die Jünglinge, welche die Boten waren, 24 an der Zahl, ebenso hinab. Briefe hatte ihnen der Magistrat an Genua mitgegeben, und eine große Menge von Bürgern sie mit Wünschen bis an den Uferfelsen geleitet. Abwechselnd hatten ihnen die Weiber ihre Brüste gereicht, denn von Speise nahmen sie nichts mit sich. Nach mancher Gefahr auf der See kamen die mutigen Boten, vom Winde lang aufgehalten, nach Genua und benachrichtigten den Senat, daß die Stadt aufs Aeußerste gebracht sei.

Unterdeß beschloß man in Bonifazio Gott um Rettung und Vergebung aller Sünden anzuflehen. Die Procession ging von der Kathedrale nach Sanct Jacob, dann nach San Domenico und zu allen Kirchen; und ob die Winterkälte gleich hart war, gingen doch alle barfuß, und man sang Hymnen mit großer Inbrunst. Am Tage wurde in den Kirchen gebetet von früh bis spät, und Aller Geist war fortdauernd auf den Entsatz gerichtet, und ob nicht endlich eine Kunde auch von den Boten käme.

Am fünfzehnten Tage endlich kamen diese in ihrem Schiffchen Nachts nach Bonifazio zurück, gaben das Zeichen und wurden an Seilen heraufgezogen. Die Freude in der Stadt war so groß, daß man von Sinnen gekommen zu sein schien. Wie die Boten nach der Kirche der heiligen Maria gingen, wo der Senat Tag und Nacht versammelt war, strömte alles Volk ihnen nach, um die Botschaft zu hören. Sie überreichten die Briefe des Dogen, welche verlesen wurden, und nachdem dies geschehn, wurden sie in die Volksversammlung geführt. Picino Cataccioli, das Haupt der Boten, gab hier einen ausführlichen Bericht und die Versicherung, daß die genuesische Flotte bereit sei und nur den günstigen Wind abwarte, um auszulaufen. Der Senat Bonifazio's ordnete ein öffentliches Dankgebet von drei Tagen an, und die Freude in der Stadt hatte keine Grenzen, als das wenige Getreide verteilt wurde, welches die Boten aus Genua mit sich gebracht hatten.

Indessen nahte der Tag der Uebergabe heran, ohne daß die Flotte erschienen war, und die Gesandten des Königs drangen schon in den Senat der Stadt, den Vertrag zu erfüllen. Wenn in der folgenden Nacht, so erklärten die Anzianen, die Genuesen nicht erscheinen, so wollen wir uns ergeben. Da begann ein Jammern und Wehklagen von Weibern und Kindern, und eine große Trostlosigkeit bemächtigte sich aller. Der Senat aber berief die Volksversammlung, die Meinungen zu hören. Da bestand Guglielmo Bobia auf der Ausdauer, und er beschwor den Schatten des Grafen Bonifazio, welcher die Stadt erbaut hatte, daß er die Bonifaziner mit seinem Geist erfülle, auf daß keiner von der Freiheit lasse. Man entschied sich, auszuharren bis zum letzten Augenblick. Plötzlich erhob sich in der Nacht der Ruf, daß die Genuesen kämen. Alle Glocken fingen an zu läuten, auf allen Türmen sah man Feuerzeichen: endloses Jubelgeschrei stieg gen Himmel. Die Spanier staunten, da sie doch nichts von den Genuesen sahen; ohne Zögern kamen ihre Abgesandten mit Tagesanbruch vor das Tor und forderten die Uebergabe gemäß der Verabredung. Die von Bonifazio aber entgegneten, sie hätten in der Nacht die genuesische Hülfe aufgenommen; und siehe da! es erschienen Bewaffnete, ein genuesisches Banner voran tragend, dreimal auf den Mauern vorübergehend, welche von Lanzen starrten. Denn alle Weiber hatten in dieser Nacht die Waffenrüstung angelegt, daß es schien, die Schar der Bonifaziner sei verdreifacht worden. Wie Alfonso von Aragon das sahe, rief er: »Haben denn die Genuesen Flügel, daß sie nach Bonifazio kommen können, da wir doch alle Orte besetzt halten?« Und aufs neue ließ er seine Maschinen zum Sturm gegen die Stadt vorrücken.

Endlich erschienen die Genuesen wirklich, am vierten Tag nach Ablauf des Vertrages, und sie gingen im Angesicht des Canals vor Anker. Angelo Bobia und einige andere Tapfere schwammen in der Nacht zu ihren Schiffen; sie entsetzten alle durch ihre hungerbleiche Gestalt. Die genuesischen Capitäne aber erklärten, daß sie es nicht wagen dürften, die Spanier anzugreifen. Da legte Bobia wie angedonnert den Zeigefinger an den Mund, und sagte, wir haben auf Gott allein und auf euch gehofft, ihr sollt es wagen und wir werden euch helfen!

Alsobald wandte auch Alfonso einen Teil seiner Schiffe gegen die Genuesen, und richtete die Bombarden auf den Hafen, um den Entsatz abzuschneiden. Die Schiffe Genua's zögerten, die Spanier anzugreifen, bis der junge Giovanni Fregoso, Rafael Negro und andere Hauptleute im Rat durchdrangen, daß man den Kampf wagen müsse. Besonders stimmte dafür Jacopo Benesia, der tapferste und der kühnste. Durch sieben Stunden währte der Kampf auf dem Hafen und vor dem Felsen, mit großer Wut da Schiff an Schiff gedrängt war und im schmalen Raum eins das andre hinderte; während zugleich die Bonifaziner von oben her Wurfgeschosse und Feuerbrände schleuderten. Die Genuesen sprengten endlich die Hafenkette und bahnten sich den Weg nach Bonifazio, und unbeschreiblich war das Jauchzen des verhungerten Volkes, als sieben Getreideschiffe im Hafen landeten und ihre Fracht ausluden.

Da erkannte Alfonso von Aragon, daß er die Stadt Bonifazio nicht mehr bezwingen könne; er hob die Belagerung auf, und die Geißeln mit sich nehmend, ging er tief beschämt und erbittert gegen Italien in Segel, im Januar 1421.


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