Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel.

Vendetta oder nicht?

Nicht ganz im Frieden sollte ich von dem stillen Corte scheiden, und das verschuldete mein Führer auf den Monte Rotondo. Nach der Stadt zurückgekehrt erfuhr ich erst, welchem jähzornigen Menschen ich mich anvertraut hatte. Obwol er mir die Unwahrheit gesagt und, des Weges auf den Gipfel nicht kundig, mich genötigt hatte, den Ziegenhirten Angelo zum Führer zu nehmen, gab ich ihm dennoch den vollen vorausbedungenen Lohn. Aber der Mensch forderte in der unverschämtesten Weise noch die Hälfte darüber. Seine und meine Worte zogen einige corsische Herren herbei, welche sich meines Rechtes annehmen wollten. Seht, sagte der Eine zu dem Führer, dies ist ein Fremder, und der Fremde hat bei uns immer Recht. Ich entgegnete dem artigen Parolaten, daß ich mein Recht nicht als Fremder sondern als Mensch beanspruche und die Behörde der Stadt augenblicks angehen würde, wenn der Wütende mich noch weiter belästige. Der warf seinen Lohn auf den Tisch und indem er rief, daß er sich an dem Deutschen schon zu rächen wissen würde, stürmte er davon. Auf dieses kam die Wirtin der Locanda herbei und sagte mir, ich solle auf meiner Hut sein, denn der Mensch sei in höchstem Maße jähzornig, im vorigen Jahr habe er einen Burschen auf dem Markt erstochen.

Bestürzt fragte ich nach dem Grunde. Weil, sagte die Wirtin, der Lucchese den kleinen Bruder des Menschen geschlagen hatte, der sich an den Wagen gehängt, wie Kinder thun. Der Knabe lief weinend und klagend zu seinem Bruder, und dieser sprang augenblicks mit dem Dolch dem Burschen nach und mit einem Stoß hat er ihn gemordet.

Wie hat man ihn bestraft? – Mit fünf Monaten Gefängniß, denn man konnte ihm die That nicht so recht beweisen. – Nun ich gestehe, la giustizia Corsa è un po' corta. Aber, gute Frau, Ihr kanntet die jähe Art dieses Menschen, wußtet daß er Blut vergossen, und doch habt Ihr mir diesen Teufel selber zum Führer bestellt und ließet einen Fremden ohne Waffen mit einem Mörder in das einsame Gebirg ziehn?

Ich glaubte, Herr, Ihr würdet es ihm an den Augen ansehn, auch habe ich Euch ein paar Male zugeblinzelt. Der Mensch hatte sich angeboten, und wenn ich der Grund gewesen wäre, daß Ihr ihn abwieset, dann hätte ich's mit ihm gehabt.

Jetzt erst fiel mir ein, daß die gute Frau, wie ich mit dem Führer hinwegzog mich fragte: wann denkt Ihr wieder zu kommen? und daß sie auf meine Antwort: nach zwei Tagen, die Achseln zuckte und mit den Augen etwas zu sagen schien.

Nun laßt's gut sein, sagte ich, ich gebe dem Menschen nicht einen Quatrino mehr, als Recht ist, und dabei soll es sein Bewenden haben. Abends kam der Wütende und holte sich von der Wirtin bescheiden sein ihm gebührendes Geld. Aber obwol er so sein Unrecht eingesehen zu haben schien, glaubte ich doch mich hüten zu müssen, und ging Nachts nicht vor die Stadt.

Am folgenden Abend machte ich einen Spaziergang in Begleitung des mir bekannt gewordenen Officiers. Vor dem Tore sah ich ein kleines Probestück corsischen Temperaments. Ein Junge von ungefähr 15 Jahren hatte ein Pferd an einen Zaun gebunden, und steinigte dasselbe, ganz außer sich vor Wut und sinnlos gleich einem rasenden Thiere kreischend. Wahrscheinlich hatte das arme Thier ihm nicht gehorchen wollen. Ich blieb stehen, und indem mich eine solche Bosheit erbitterte, rief ich dem Burschen zu, daß er aufhören solle, das Pferd zu steinigen. Augenblicks sagte mir mein Begleiter: um Himmels willen, kommen Sie und seien Sie still. – Ich that, wie er sagte, und war nicht wenig nachdenklich über die Scene und die besorgliche Weise in der mein Begleiter mir die Worte halblaut zugerufen hatte. Es war das auch ein Blick in die Zustände der Corsen.

Nach kurzer Zeit jagte der Bursche auf seinem Pferd vorüber, wie ein Rachegeist, die Haare flatternd, das Gesicht flammend, die Augen zwei Blitze – die ganze Erscheinung jach vorüber wie ein Wutaufjauchzen.

In dem Augenblick fiel mir ein, daß ich doch unter Barbaren war, und mich überkam eine plötzliche Sehnsucht nach Florenz und seinem milden Volk.

Indeß häufte sich auf diesem Gange das Unheimliche. Denn kaum eine Viertelstunde weiter in die Berge hineingekommen, sah ich meinen Führer, seine Flinte geschultert seitab vom Wege auf eine nahe Höhe gehen und auf einem Felsen niedersitzen, das Gewehr auf die Kniee nehmend. Ich wußte nicht, ob er noch einen Groll auf mich habe und Böses im Schilde führe, aber es war möglich. Ich zeigte ihn meinem Begleiter; denn nicht ein Zeichen von Furcht sehen zu lassen, ging ich ruhig vorüber, doch dünkte mich der Gang ein wenig schwül. Er wird nicht auf euch schießen, sagte mein Begleiter, wenn ihr ihn nicht durch ein Wort beleidigt habt. Thatet ihr aber das, so kann man für nichts stehen, denn diese Menschen können eine Beleidigung nicht ertragen. Und so schoß er denn auch nicht, und dies war recht freundlich von diesem Vampyr, dem armen Teufel wollte ich sagen, der mehr unglücklich als schuldig zu nennen ist. Denn mehr sündigt hier die Natur als der Mensch. Das Blut, das in den corsischen Bergen vergossen wird, fließt selten um gemeine Habsucht, Gewinn und niedres Gut, zu allermeist um falsche Ehre.


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