Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Corsica.

Aus meiner Wanderschaft im Sommer 1852.

Nel mezzo del cammin di nostra vita
Mi ritrovai per una selva oscura,
Che la diritta via era smarrita,
Ahi quanto a dir qual era è cosa dura,
Questa selva selvaggia ed aspra e forte – –
Ma per trattar del ben ch' i' vi trovai,
Dirò dell' altre cose, ch' io v'ho scorte.
Dante.

Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Eintritt in Corsica.

Lasciate ogni speranza voi ch'entrate.
Dante.

Die Fahrt von Livorno gegen Corsica hin ist unterhaltender als die von dort nach Genua. Denn stets hat man den Anblick der Inseln des toscanischen Canals vor sich. Hinter uns lag Livorno mit seinem Mastenwald zu Füßen des Monte Nero, vor uns der einsame durchbrochene Turm aus Meloria, jener Klippe im Meer, an welcher die Pisaner unter Ugolino von den Genuesen vernichtet wurden, so daß ihre Seemacht sank und Genua seitdem auch in den Besitz Corsica's kam; weiterhin die Felseninsel Gorgona, ihr nahe im Westen das Eiland Capraja. In ihrem Angesicht erinnert man sich an die Verse Dante's in seinem Ugolino-Gesange:

Weh dir! o Pisa, allem Volk gehässig
Im schönen Land, wo man das Si hört klingen;
Weil dich zu strafen deine Nachbarn lässig,
Vor mag Capraja und Gorgona dringen,
Des Arno Mündung dämmend zu verstopfen,
Daß seine Fluten all dein Volk verschlingen.

Die Insel Capraja verdeckt das Westende Corsica's, aber hinter ihr steigen die blauen Berge des Cap Corso in weit ausgedehnten Linien aus dem Meere auf. Noch weiter westlich zeigt sich Elba, ein mächtig herausgehobenes Felseneiland, nach dem Festland absinkend und der Terra Firma Piombino's zugekehrt, welche in schwachen Linien angedeutet ist.

Das Meer stralte in dem tiefsten Purpurblau, und die hinter Capraja untersinkende Sonne überzog die Segel vorüberfahrender Schiffe mit einem sanften Rosenrot. Eine Fahrt auf diesem Becken des Mittelmeers ist in Wahrheit eine Fahrt durch die Geschichte selber. Ich dachte mir dieses schöne Meer bevölkert von Flotten der Phönizier und der Griechen, von den Schiffen jener Phokäer, welche einst hier herumschwärmten – dann Hasdrubal und die Carthager, die Etrusker, die Römer, Mauren und Spanier, die Pisaner und Genuesen. Aber noch eindringlicher mahnt der Anblick Elba's und Corsica's an das größte Weltdrama der neuen Zeit, welches den Namen Napoleon trägt. Beide Inseln liegen friedlich neben einander, so nahe fast wie eines Menschen Wiege und sein Grab. Corsica, welches Napoleon gebar, dehnt sich weit vor den Blicken aus, Elba ist klein. Das also war die Felsenzwangsjacke die man dem Riesen anlegte. Er zersprengte sie so leicht, wie Simson die Bande der Philister. Dann stürzte er bei Waterloo. Er war von Elba ab nur ein Abenteurer wie Murat, der von Corsica aus, Napoleon nachahmend, mit einem Häuflein Soldaten Neapel erobern ging und tragisch endete.

Der Blick auf Elba wirft in die angeregte Phantasie eine Fata Morgana, das Bild der fernen afrikanischen Sanct' Helena. Vier Inseln bestimmten das Geschick Napoleons: Corsica, England, Elba, Sanct' Helena. Er selber war eine Insel im Ocean der Weltgeschichte, unico nel mondo, so sagte der corsische Schiffsmann, neben dem ich stand, im Angesicht Corsica's von Napoleon sprechend.

Mittlerweile ward es dunkel. Die Sterne leuchteten, die Meereswellen phosphorescirten. Hoch über Corsica blinkte die Venus, die stellona, der große Stern, wie ihn die Schiffer nennen, und auf welchen das Schiff hielt. Wir segelten zwischen Elba und Capraja und hart an den Felsen dieses Eilands vorbei. Dort saß einst der Geschichtschreiber Paul Diaconus in der Verbannung. Capraja ist ein nackter Granitfels. Ein genuesischer Turm steht auf einer Klippe und der einzige Ort der Insel, ihres Namens, versteckt sich furchtsam hinter dem gigantischen Felsen welchen die Festung krönt. Die weißen Mauern und Häuser, das rötliche Gestein, die Oede und Weltverlassenheit machen den Eindruck irgend einer syrischen Felsenstadt. Capraja, das die Corsen zur Zeit Paoli's eroberten, war den Genuesen geblieben als sie Corsica an Frankreich verhandelten. Mit Genua fiel die Insel an Piemont.

Wir nahten dem Ufer Corsica's, auf welchem ein Feuerschein hin und her blinkte, bis endlich das Schiff auf den Fanal von Bastia lossteuerte. Wir waren im Hafen. Die Stadt umringt ihn, links das alte genuesische Fort, rechts die Marina, hoch darüber dunkle Berge. Ein Boot kam ans Schiff und nahm die Passagiere auf, welche ans Land steigen wollten.

So betrat ich denn diese Insel wirklich, die mich schon als Kind so mächtig gelockt hatte, wenn ich sie auf der Karte betrachtete. Der Eintritt in ein fremdes Land, zumal in der Nacht welche es geheimnißvoll verschleiert, ist erwartungsvoll spannend, und die ersten Eindrücke pflegen für Tage zu bestimmen. Ich gestehe, meine Stimmung war die unheimlichste und ich konnte mich ihrer lange nicht erwehren. Wir in Deutschland wissen von Corsica kaum mehr als daß Napoleon dort geboren wurde, daß Pasquale Paoli dort heldenmütig um die Freiheit kämpfte, und daß die Corsen die Blutrache und die Gastfreundschaft üben und die verwegensten Banditen sind. Ich hatte die dunkelsten Vorstellungen mit mir gebracht, und die ersten Begegnisse waren der Art, daß sie wol berechtigt zu sein schienen.

Das Bot landete am Kai, auf welchem beim spärlichen Schein von Handlaternen eine Gruppe von Doganieri und Matrosen stand. Der Botsmann sprang ans Land. Ich sah wenige Menschen von so abschreckender Gestalt. Er trug die phrygische Mütze von roter Wolle auf dem Kopf und ein weißes Tuch über das eine Auge gebunden; die grundlose Wut, mit welcher er fluchend und das empfangene Ueberfahrtsgeld bei der Laterne besehend, die Reisenden anschrie, gab mir eine erste Probe vom corsischen Jähzorn.

Die auf dem Kai Stehenden waren im eifrigsten Gespräch. Ich hörte sie erzählen, daß vor einer Viertelstunde ein Mann seinen Nachbar mit Dolchstichen ermordet habe (amazzato, amazzato, ein Wort das ich in Corsica ungezählte Male gehört habe; amazzato con tre colpi di pugnale). Weshalb? – »Nur in der Hitze des Streits; die Sbirren laufen hinter ihm her; er wird schon in der Macchia sein.« Die Macchia ist der Buschwald. In Corsica hörte ich das Wort macchia ebenso oft als amazzato oder tumbato. Er ist in die Macchia gegangen heißt so viel als: er ist Bandit geworden.

Ich empfand jene Spannung, welche die Erwartung abenteuerlicher Dinge erregt; ich war im Begriff eine Locanda aufzusuchen. Ein junger Mann trat auf mich zu und sagte mir auf toscanisch, daß er mich in ein Gasthaus führen wolle. Ich folgte dem freundlichen Italiener, einem Bildhauer aus Carrara. Kein Licht als die Sterne am Himmel brannte in den engen Straßen Bastia's. Wir klopften an vier Locanden vergebens; keine öffnete. Wir klopften an der fünften: niemand hörte. Hier werden sie nicht aufthun, sagte der Carrarese, denn des Wirten Tochter liegt auf der Todtenbahre. Wir gingen eine Stunde in der öden Stadt umher, niemand mochte unser Pochen hören. Ist dies also die gerühmte corsische Gastlichkeit? Mich dünkt, ich bin in die Stadt des Todes gekommen, und morgenden Tags will ich über das Tor von Bastia schreiben: Ihr die ihr eingeht, laßt jede Hoffnung schwinden.

Wir wollten indeß noch einen Versuch machen. So weiter wankend stießen wir auf einen Trupp von Reisenden, welche so unglücklich gewesen waren als ich. Es waren zwei Franzosen, ein italienischer Emigrant und ein englischer Convertit. Ich schloß mich ihnen an, und nochmals machten wir die Rundreise der Gasthäuser. Das brachte mir nun vorweg keinen guten Begriff von der Cultur Corsica's bei, denn Bastia ist die größte Stadt der Insel und zählt etwa 15000 Einwohner. Fand der Fremde schon hier keine Aufnahme, was sollte er im Innern des Landes finden?

Unterdeß begegnete uns eine Rotte Sbirren, corsische Gendarmen, braune Kerle mit schwarzen Bärten, in blauen Leibröcken mit weißen Achselschnüren, die Doppelflinten auf den Schultern. Wir klagten ihnen unsre Not. Es erbot sich einer uns zu einem Soldaten zu führen, der einen Weinschank halte; dort, so meinte er, würden wir unterkommen. Er führte uns an ein altes Haus gegenüber dem Fort. Wir klopften so lange, bis der Soldatenwirt wach wurde und sich am Fenster zeigte. In demselben Augenblick rannte jemand an uns vorüber, unser Sbirre ihm nach ohne ein Wort zu sagen, und beide waren im Dunkel der Nacht verschwunden. Was war's? was soll diese Jagd bedeuten? Nach einer Weile kehrte der Mann zurück; er hatte geglaubt der Laufende sei der Mörder gewesen. »Aber, so sagte er, der ist schon in den Bergen, oder ein Fischer hat ihn nach Elba oder Capraja hinübergefahren. Vor Kurzem haben wir den Arrighi im Gebirg erschossen, auch den Massoni und den Serafino. Er hat uns fünf Leute getödtet.«

Es erschien der alte Soldatenwirt und führte uns in ein großes, sehr unsaubres Zimmer. Wir setzten uns froh um den Tisch und ließen uns das Nachtmal wol gefallen, trefflichen corsischen Wein, der an Feuer dem spanischen gleicht, gutes Waizenbrod und frischen Schafkäse. Eine dunstige Oellampe erhellte dies homerische Wandermal, dem die Laune nicht fehlte. Da wurde mancher gute Trunk auf die Helden Corsica's ausgebracht, und eine Flasche nach der andern holte der Sbirrenwirt aus der Ecke hervor. Wir waren vier Nationen beisammen, Corse, Franzose, Deutscher und Lombarde. Ich nannte einmal den Namen Louis Bonaparte und that eine Frage – da verstummte plötzlich die Gesellschaft, und die muntern Franzosen machten ein niedergeschlagnes Gesicht.

Allmälig graute der Morgen. Wir verließen die Casa des alten Corsen, wanderten an das Meer und weideten uns an dem Schimmer der Frühe, welcher auf ihm glänzte. Die Sonne stieg auf und erhellte die drei Inseln, die man von Bastia aus vor sich liegen sieht, Capraja, Elba und das kleine Monte Cristo. Die vierte in dieser Reihe ist Pianosa, das alte Planasia, auf welcher Tiberius den Enkel des Augustus, Agrippa Posthumus, erwürgen ließ; sie ist flach wie ihr Name es sagt und deshalb von hier aus nicht zu erkennen. Der beständige Anblick jener drei blauen Inseln am Saum des Meers macht die Spaziergänge in Bastia doppelt schön.

Ich setzte mich auf das Gemäuer des Forts und blickte auf das Meer und den kleinen Hafen der Stadt, in welchem kaum sechs Schiffe ankerten. Die braunen Ufer, die grünen Höhen mit ihren Olivenhainen, kleine Capellen am Strand, einzelne graue Türme aus der Genuesenzeit, das Meer in aller Pracht südlicher Farbe, das Gefühl in ihm verloren auf einer fremden Insel zu stehn, das machte damals einen unauslöschlichen Eindruck auf mein Gemüt.

Als ich das Fort verließ, um nun am hellen Tag in ein Gasthaus überzusiedeln, hatte ich wieder eine Scene vor mir, welche wild und bizarr genug war. Eine Menschenmenge umstand zwei Carabiniers zu Pferd; sie hatten vor sich an einer Leine einen Mann gebunden. welcher die wunderlichsten Sprünge machte und alle Bewegungen eines Pferdes nachahmte. Ich erkannte, daß der Mann ein Verrückter sei und sich mit der Vorstellung schmeichelte, ein edles Roß zu sein. Niemand von den Umstehenden lachte. Alle standen ernst und still; und da ich diese Menschen in solchem Schweigen vor dem Elend sah, wurde mir zum ersten Mal auf ihrer Insel wol und ich sagte mir, daß die Corsen nicht Barbaren seien. Die Reiter ritten mit dem Verrückten endlich ab, welcher die ganze Straße entlang wie ein Pferd an der Leine trottirte und seelenvergnügt zu sein schien. Diese Art, ihn an seinen Bestimmungsort zu schaffen, indem man sich seiner fixen Idee dabei bediente, erschien mir schlau und zugleich naiv.


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