Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel.

Gegend um Bastia.

Wie schön sind hier die Spaziergänge in der Morgenfrühe oder im Abendlicht. Mit wenig Schritten ist man am großen Element oder in den Bergen, und dort wie hier der Welt abhanden gekommen und in der wolthuendsten Einsamkeit der Natur. Am Meer stehn dichte Olivenhaine. Oft lagerte ich mich dort bei einer Familiengruft mit maurischer Kuppel an einem wonnesam verschwiegnen Platz, und blickte über die See hinaus nach den drei Inseln an ihrem Saum. Die Luft ist so sonnig, und so balsamisch und wohin das Auge blickt, stehen in Feiertagsstille braune Felsen am Strand, mit stachlichtem Cactus bedeckt, vereinsamte Wachttürme, nicht Mensch noch Vogel auf dem Wasser, rechts und links himmelhohe Berge, warm und sonnig.

Ich stieg über Bastia zu den nächsten Höhen hinauf. Wein- und Olivengärten, Orangenbäume, kleine Landhäuser von den bizarrsten Formen, hie und da eine Fächerpalme, Grabkapellen unter Cypressen, von Epheu ganz erstickte Ruinen, das liegt dort zerstreut. Die Stege sind beschwerlich; man wandert über Steingeröll und an Mauern, zwischen Brombeerhecken und Epheugewinden und wildem Distelgewucher. Der Blick nach der Südküste Bastia's überraschte mich. Dort treten die Berge, wie fast alle Corsica's von den schönsten Pyramidenformen, weiter zurück und senken sanft eine lachende Ebne nieder. Da liegt der große Teich Biguglia, von Schilf umkränzt, todt und still, kaum von einem schmalen Fischerkahn durchfurcht. Die Abendsonne ging eben unter, als ich diesen Blick genoß. Der Teich erschimmerte rosenrot, die Berge desgleichen, das Meer war voll vom Abendglanz, ein einzelnes Schiff glitt darüber hinweg. Die Stille einer großen Natur weiht die Seele wie in Mysterien ein. Zur linken Hand sah ich das Kloster Sant' Antonio unter Olivenbäumen und Cypressen; zwei Geistliche saßen vor der Halle, und eben traten aus der Kirche schwarzverschleierte Frauen heraus. Ich sah einst ein Bild, welches eine sicilianische Vesperstunde darstellte und erinnerte mich augenblicklich dessen, da ich es hier wieder fand.

Nun zur Landstraße hinunter steigend, kam ich auf den einen Weg, welcher nach Cervione führt; Hirten trieben ihre Ziegenheerden heim und Reiter auf roten Pferden jagten an mir vorüber, alle die phrygische Mütze auf dem Kopf, das schwarzbraune Wamms von Schafwolle übergeworfen, die Doppelflinte umgehängt, wilde Kerle mit bronzenen Gesichtern. Ich sah ihrer bisweilen zwei auf demselben Pferde sitzen, oft Mann und Weib hinter einander, und in der Sonnenglut niemals ohne den großen Sonnenschirm über sich aufgespannt zu halten. Der Sonnenschirm ist hier unentbehrlich; ich sah häufig Männer wie Weiber am Ufer im Meere sitzen, die Weiber bekleidet, die Männer nackt, und so saßen sie geruhig im Wasser und hielten über sich den Sonnenschirm, und ihnen war kannibalisch wol. Die Weiber reiten hier wie die Männer und sind flink auf dem Thier. Der Mann hat immer die Zucca, die runde Kürbißflasche übergehängt, oft auch einen kleinen Ziegenschlauch, den Zaino, um den Leib aber die Carchera, einen ledernen Gurt, worin die Kartuschen stecken.

Vor mir her schritten viele Männer, welche von der Feldarbeit nach der Stadt zurückkehrten. Ich schloß mich an sie an und erfuhr von ihnen, daß sie Italiener vom Festlande seien. Jährlich kommen nämlich von der Terra Firma, besonders aus Ligurien, aus Lucca und von Piombino, mehr als 5000 Arbeiter auf die Insel, um für die faulen Corsen die Feldarbeit zu verrichten. Noch bis auf den heutigen Tag haben sich die Corsen den wolbegründeten Ruf der Arbeitscheu bewahrt, und darin sind sie andern tapfern Bergvölkern, wie den Samniten, durchaus unähnlich. Jene fremden Arbeiter heißen hier allgemein Lucchesi. Ich habe mich selbst davon überzeugen können, in welcher gründlichen Verachtung diese fleißigen Menschen bei den Corsen stehn, weil sie ihre Heimat verlassen haben und im Schweiß ihres Angesichts der Fieberluft ausgesetzt arbeiten, um ein Lohnersparniß mit nach Hause zu bringen. Oftmals hörte ich das Wort Lucchese als Schimpfwort gebrauchen, und besonders ist alle Feldarbeit in den Bergen des Innern verhaßt und als eines freien Mannes unwürdig angesehn. Nach der uralten Sitte der Väter ist dort der Corse ein Hirt, begnügt sich mit seinen Ziegen, mit dem Mehl seiner Castanien, dem frischen Trunk seiner Quelle und der Jagdbeute.

Ich erfuhr zu gleicher Zeit, daß Corsica gegenwärtig der Aufenthalt vieler italienischer Demokraten sei, welche nach der mißglückten Revolution sich auf diese Insel flüchteten. Es gab ihrer im Sommer ungefähr 150, Männer aus allen Ständen; die meisten lebten in Bastia. Ich hatte Gelegenheit die Angesehensten dieser Flüchtlinge kennen zu lernen und sie auf ihren Spaziergängen zu begleiten. Es war eine Gesellschaft, bunt wie das politische Italien, Lombarden, Venetianer, Neapolitaner, Römer, Florentiner. Ich machte die Erfahrung, daß in einem culturlosen Lande Italiener und Deutsche sich sofort gegenseitig anziehen und auf neutralem Boden ein freundliches Gefühl für einander haben; auch hat die Allgemeinheit der Völkerschicksale im Jahr 1848 viele Schranken niedergerissen und gewisse Theorien erzeugt, worin der Einzelne, mag er einer Nation angehören, welcher er wolle, auf gleiche Weise zu Hause ist. Ich fand unter den Verbannten auf Corsica Männer und Jünglinge von allen Schichten, wie sie eine gleiche Gesellschaft auch bei uns zusammenbringt, überspannte Schwärmer, andere wieder erfahrene Männer von lebenskräftigen Grundsätzen und hellem Verstande.

Die Welt ist jetzt voll von Flüchtlingen der Nationen Europa's; besonders sind sie über die Inseln zerstreut, welche durch ihre Natur seit alten Zeiten zu Asilen bestimmt sind. Es leben viele Verbannte auf den jonischen Inseln, auf denen Griechenlands, viele auf Sardinien und Corsica, viele auf den normännischen Inseln, die meisten in Britannien. Es ist ein europäisches Los, welches sie tragen, nur der Ort ist verschieden; das politische Schicksal aber der Verbannung ist so alt als die Geschichte der Staaten. Ich erinnerte mich lebhaft daran, wie ehedem Inseln des Mittelmeers, Samos, Delos, Aegina, Corcyra. Lesbos, Rhodus die Zufluchtsorte der politischen Flüchtlinge Griechenlands gewesen waren, so oft sie Revolutionen aus Athen oder Theben, aus Korinth oder Sparta vertrieben hatten; ich gedachte der vielen Verbannten, welche Rom zur Kaiserzeit auf die Inseln verwies, wie den Agrippa Posthumus nach Planasia bei Corsica, den Philosophen Seneca nach Corsica selbst. Und besonders war dieses Eiland zu allen Zeiten sowol ein Verbannungsort als ein Zufluchtsort, also im eigentlichen Wortsinn eine Banditeninsel, und das ist sie noch bis auf den heutigen Tag. In den Bergen irren heimatlos die Bluträcher, in den Städten wohnen heimatlos die politischen Flüchtlinge. Auf diesen wie auf jenen lastet die Acht, und Kerker wenn nicht Tod würde sie treffen, wenn sie das Gesetz erreichte.

Corsica erfüllt an den Verbannten Italiens mehr noch als die Religion der Gastlichkeit, auch die der Dankbarkeit. Denn in früheren Jahrhunderten haben verbannte Corsen in allen Ländern Italiens Aufnahme gefunden. Die französische Regierung hat ihre Gäste auf der Insel bisher in liberaler Weise geduldet. Die Abgeschiedenheit zwingt die Verbannten zu einem beschaulichen und würdigen Stillleben. Sie mögen deshalb glücklicher daran sein als ihre Leidensbrüder auf Jersey oder in London.


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