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Joachim Murat.
Espada nunca vencida!
Esfuerço de esfuerço estava.
Romanze Durandarte.
Da ist noch ein drittes, sehr merkwürdiges Haus in Vescovato, das der Familie Ceccaldi, aus welcher zwei namhafte Männer stammen, der genannte Geschichtschreiber und der General Andrea Colonna Ceccaldi, Triumvir neben Giafferi und Hyancint Paoli.
Aber mehr als solche Erinnerungen reizt eine andere, welche an diesem Hause haftet. Es gehört dem General Franceschetti, oder vielmehr seiner Gemalin Catarina Ceccaldi, und hier war es wo der unglückliche Murat gastliche Aufnahme fand, als er auf der Flucht aus der Provence in Corsica landete, und hier faßte er den Plan, sein schönes Reich Neapel durch einen ritterlichen Handstreich wieder zu erobern.
Wieder zieht also das Lebensbild eines tapfern Caballero an uns vorüber auf dieser wundersamen Insel, wo die Königskronen auf den Bäumen wild wachsen wie die goldnen Aepfel im Garten der Hesperiden.
Das Ende Murats ist so bewegend wie kaum das eines andern Mannes, welcher als ein prächtiges Meteor eine Zeit lang durch die Welt fuhr, dann in kläglichem Fall verknallte.
Nach seinem letzten unüberlegten Krieg in Italien war er flüchtig nach Frankreich gegangen. Unter Todesgefahr, in Weinbergen und Gebüschen umherirrend, hatte er sich eine Zeit lang an der Küste bei Toulon verborgen gehalten; ein alter Grenadier hatte ihn gerettet und vor dem Hungertode geschützt. Derselbe Marquis von Rivière, welchem Murat nach der Verschwörung des George Cadoudal und Pichegru großmütig das Leben erhalten, schickte Soldaten nach dem Flüchtling aus, ihn todt oder lebend einzubringen. In seiner Lage war Joachim auf den Gedanken gekommen, im nahen Corsica Gastfreundschaft zu suchen.
Er floh aus seinem Schlupfwinkel, erreichte den Strand und eine Barke, welche ihn trotz Sturm und Ungewitter nach Corsica brachte. Er landete am 25. August 1815 bei Bastia, und hörend daß Franceschetti, der früher unter seiner Garde in Neapel gedient hatte, sich in Vescovato befinde, machte er sich dahin auf. Er klopfte an das Haus des Maire Colonna Ceccaldi, Schwiegervaters jenes Generals, und verlangte diesen zu sprechen. In seinen Memoiren über Murats Aufenthalt in Corsica und sein Ende erzählt Franceschetti: »Ein Mann stellt sich mir dar eingehüllt in einen Kapuzmantel, den Kopf begraben in eine Mütze von schwarzer Seide, mit dichtem Bart, in Pantalons, in Gamaschen und Schuhen eines gemeinen Soldaten; er war abgemagert von Elend. Wie groß war mein Erstaunen als ich unter dieser groben Verhüllung den König Joachim erkenne, diesen noch vor kurzem so glanzvollen Fürsten. Ein Schrei entfährt meinem Munde, und ich falle an seine Kniee.«
Alsbald bewegte sich Bastia, und viele corsische Officiere eilten nach Vescovato Murat ihre Dienste anzubieten. Der Commandant Bastias, Oberst Verrière, schickte Gendarmen nach Vescovato, Joachim zu verhaften. Aber das Volk ergriff die Waffen, den Gast zu verteidigen, und der Trupp kehrte unverrichteter Sache um. Wie sich nun das Gerücht verbreitete, daß König Murat die Gastfreundschaft der Corsen angerufen habe und daß man seine Person bedrohe, zogen Scharen aus allen Dörfern der Umgegend nach Vescovato und schlugen hier ein Lager auf, so daß schon am folgenden Tag Murat über ein kleines Heer zu befehlen hatte. Der arme Joachim war entzückt vom Jubelruf der Corsen. Es stand bei ihm sich zum König Corsicas zu machen, aber er hatte keine andern Gedanken als an sein schönes Neapel. Der letzte Anblick einer ihm zujauchzenden Volksmenge gab ihm wieder das Gefühl eines Königs, und wenn diese Corsen, sagte er, welche mir gar nichts verdanken, schon so hingebend sind, wie werden mich erst meine Neapolitaner empfangen, welchen ich so viele Wolthaten erwiesen habe.
Der Entschluß, Neapel wieder zu gewinnen, wurde in ihm fest; das Beispiel Napoleons, welcher von dem nahen Elba in abenteuerlicher Weise Frankreich überfallen hatte, schreckte ihn nicht. Der Sohn des Glücks mußte seinen letzten Wurf versuchen, und um die Königskrone oder den Tod spielen.
Das Haus Ceccaldi ward unterdeß der Sammelplatz vieler Herren von nah und fern, welche Murat sehen und ihm dienen wollten. Er hatte seinen Plan gefaßt. Er berief aus Elba einen seiner alten Seecapitäne, welcher sich nach Porto-Longone geflüchtet hatte, den Malteser Barbarà, um mit ihm der die Küsten Calabriens genau kannte, sich zu besprechen. Er schickte einen Corsen nach Neapel, Verbindungen anzuknüpfen und Geld aufzubringen. In Bastia kaufte er drei Fahrzeuge, welche ihn an der Küste Mariana's aufnehmen sollten, aber die Franzosen wurden dort davon benachrichtigt und belegten sie mit Beschlag. Vergebens mahnten Murat verständige Männer von seinem tollkühnen Unternehmen ab. Die Idee war bei ihm unerschütterlich geworden, daß die Neapolitaner ihn liebten, daß er nur den Fuß auf die calabrische Küste zu setzen brauche, um im Triumf nach seiner Hauptstadt geführt zu werden. Auch kamen Menschen von Neapel her und sagten ihm, daß der König Ferdinand dort verhaßt sei und daß man sich nach der Herrschaft Murats zurücksehne.
Es erschienen von Genua zwei englische Officiere. Sie begaben sich nach Vescovato und erboten sich dem Könige Joachim, ihn sicher nach England zu bringen. Aber er wies in edlem Zorn dies Anerbieten zurück, weil er daran dachte, wie England mit Napoleon verfahren war. Unterdeß wurde seine Lage in Vescovato immer gefährlicher und für seine Gastfreunde Ceccaldi und Franceschetti bedrohlicher, denn der bourbonische Oberst hatte eine Schrift erlassen, welche alle diejenigen für Hochverräter erklärte, welche Murat folgen oder ihm ein Asil geben würden.
Dieser entschloß sich, von Vescovato so bald als möglich abzureisen. Er unterhandelte noch wegen der Rückgabe seiner Fahrzeuge; er wendete sich an den Befehlshaber der Balagna Antonio Galloni, dessen Bruder er einst mit Wolthaten überhäuft hatte. Galloni ließ ihm sagen, daß er in dieser Angelegenheit nichts vermöge, daß er vielmehr von Verrière den Befehl bekommen habe, folgenden Tags mit 600 Mann gegen Vescovato zu marschiren um ihn gefangen zu nehmen. Aber aus Rücksicht für sein Unglück wolle er noch vier Tage warten und ihn nicht verfolgen, wenn er sich innerhalb dieser Frist aus Vescovato entfernt habe.
Als der Capitän Moretti mit dieser Botschaft und ohne Aussicht auf Wiedererlangung der Fahrzeuge nach Vescovato zurückkehrte, vergoß Murat Tränen. »Ist es möglich, rief er aus, daß ich so unglücklich bin! ich kaufe Schiffe um von Corsica abzureisen, und man belegt sie mit Beschlag, ich brenne vor Ungeduld die Insel zu verlassen, und man schließt mir jeden Weg. Wolan! ich will die Tapfern zurückschicken, welche mich so großherzig bewachen, ich will allein bleiben, ich will meine Brust dem Galloni entgegenhalten, oder ich werde das Mittel finden mich von dem grausamen Schicksal zu erlösen, das mich verfolgt« – dabei blickte er auf die Pistolen welche auf dem Tische lagen. Indem trat Franceschetti in das Zimmer; bewegt sagte er zu Murat, daß die Corsen nimmer leiden würden, daß ihm ein Leids geschehe. »Nein,« entgegnete Joachim, »ich werde nie zugeben, daß Corsica um meinetwillen ein Ungemach erfahre; ich muß hinweg!«
Die Frist war verstrichen, Galloni zeigte sich mit seinen Truppen vor Vescovato. Aber das Volk stand bereit, ihm eine Schlacht zu liefern. Man eröffnete ein Feuern, jener zog sich zurück. Denn eben hatte auch Murat den Ort verlassen.
Am 17. September war er von Vescovato gegangen, mit Franceschetti und einigen Officieren und Veteranen, und geleitet von mehr als fünfhundert Bewaffneten. Er hatte sich entschlossen nach Ajaccio zu gehen, um sich dort einzuschiffen. Wo er sich zeigte, in der Casinca, in Tavagna, in Moriani, in Campoloro und jenseits der Berge, lief das Volk herzu und empfing ihn mit Jubel. Jede Commune begleitete ihn bis zur Grenze der nächsten. In San Pietro di Venaco zog ihm der Priester Muracciole mit einem zahlreichen Gefolge entgegen und brachte ihm als Geschenk ein schönes Pferd. Sofort bestieg dieses Murat und galoppirte auf ihm des Weges, stolz und feurig wie er einst in den Tagen seines Glanzes durch die Straßen von Mailand und Wien, Berlin, Paris und Neapel, und über unzählige Schlachtfelder gesprengt war.
In Vivario kehrte er bei dem greisen Pfarrer Pentalacci ein, welcher seit 40 Jahren so vielen Flüchtlingen Gastfreundschaft gegeben, in wechselvollen Zeiten Engländer, Franzosen, Corsen aufgenommen, und einst auch den jungen Napoleon bei sich beschirmt hatte, als ihm die Paolisten nach dem Leben trachteten. Beim Frühstück fragte Joachim den Greis, was er von seiner Unternehmung auf Neapel denke? Ich bin ein armer Pfarrer, so sagte der Geistliche, und verstehe mich nicht auf Krieg oder Diplomatie, aber doch möchte ich zweifeln, daß Ew. Majestät den Tron heute wieder gewinnen können, den Sie einst an der Spitze Ihrer Armee nicht behaupten konnten. Lebhaft entgegnete Murat: ich bin so sicher mein Königreich wieder zu gewinnen, als ich sicher bin dieses Tuch in meinen Händen zu halten.
Joachim schickte Franceschetti nach Ajaccio voraus, um zu sehen, wie es dort um seine Aufnahme stände. Denn seitdem er in Corsica erschienen war, hatten Napoleons Verwandte keine Kunde von ihm genommen, und so war er schon willens in Bocognano zu bleiben und erst dann nach Ajaccio zu gehen, wenn zu seiner Einschiffung alles bereit wäre. Franceschetti schrieb ihm, daß die Bürgerschaft Ajaccio's vor Freude außer sich sei, den König Murat in ihren Mauern zu sehen, und daß sie ihn dringend einlade zu kommen.
Am 23. September um 4 Uhr Abends betrat er Ajaccio zum zweiten Mal in seinem Leben, denn das erste Mal war er dort mit Ruhm bedeckt, von der Welt als Held gefeiert, mit Napoleon gelandet, als dieser von Egypten zurückkam. Bei seinem Eintritt läuteten alle Glocken, das Volk umjauchzte ihn, Freudenfeuer brannten auf den Straßen und die Häuser waren erleuchtet. Aber die Behörden der Stadt entfernten sich aus ihr, und auch Napoleons Verwandte, die Ramolini, zogen sich zurück; nur die Signora Paravisini hatte den Mut und die Liebe zu bleiben, ihren Verwandten zu umarmen und ihm Gastfreundschaft in ihrem Hause anzubieten. Murat hielt es für gut in einer öffentlichen Locanda zu wohnen.
Die Besatzung der Citadelle war corsisch, also Joachim ergeben. Der Commandant schloß sich in die Festung ein und legte den Belagerungszustand auf die Stadt. Murat traf nun Vorkehrungen zur Abreise. Er verfaßte auch eine Proclamation an das neapolitanische Volk, von 36 Artikeln; sie ward in Ajaccio gedruckt.
Am 28. September erschien Maceroni ein englischer Officier und verlangte Zutritt zu Joachim. Er brachte Pässe für ihn von Metternich, welche von diesem, von Carl Stuart und von Schwarzenberg gezeichnet waren. Sie waren ausgestellt auf den Grafen Lipona, unter welchem Namen, einem Anagramm von Napoli, ihm ein Asil in Oesterreich zugesichert wurde. Murat nahm den Officier zur Tafel, man sprach von der Schlacht bei Waterloo. Maceroni rühmte die kaltblütige Tapferkeit des englischen Fußvolks, dessen Vierecke die Reiterei der Franzosen nicht hatte zersprengen können. Da sagte Murat: wäre ich dort gewesen, ich hätte sie sicherlich zersprengt. Jener entgegnete: Ew. Majestät hätten die Quarrés der Preußen und Oesterreicher zersprengt, aber niemals die der Engländer. Voll Feuer rief Murat: und ich hätte auch die der Engländer zerbrochen; denn Europa weiß, daß ich noch nie ein Quarré getroffen habe, welches es auch war, das ich nicht zersprengte.
Er nahm Metternichs Pässe und stellte sich erst, als wolle er auf das Anerbieten eingehen, dann erklärte er, daß er nach Neapel hinüber müsse, sein Reich zu erobern. Maceroni bat ihn unter Tränen, abzustehn so lange es noch Zeit sei. Murat entließ ihn.
Noch an demselben Tage um Mitternacht, stieg der Unglückliche in die Barke, und wie sein kleines Geschwader den Hafen Ajaccio verließ, feuerte die Citadelle einige Kanonenschüsse auf dasselbe ab, welche, wie man sagt, nur blinde Schüsse waren. Die kleine Flotte bestand ans 5 Fahrzeugen und der Scorridora einer schnellsegelnden Feluke, unter den Befehlen Barbarà's, und mit sich nahm Murat ungefähr 200 Mann und 22 Officiere, außerdem einigen Matrosen.
Voll Unheil war seine Fahrt, unbegünstigt durch das Glück, welches Napoleon noch einmal begleitet hatte, als er mit sechs Schiffen und 800 Mann von Elba hinwegsegelte, seine Krone wieder zu erobern. Sieben Monate früher war der Kaiser von jener nahen Insel unter Segel gegangen. Es ist aufregend Murat zu beobachten, wie er das Herz von Zweifel und Ungewißheit zerwühlt, an der Küste Calabriens hinschwebt, wie er von den Barken verlassen wird, wie ihn nun gleichsam eine warnende Hand von der feindlichen Küste zurückstößt, wie er schon den Entschluß faßt, nach Triest zu segeln, und endlich die phantastische Idee den Träumer dennoch bestimmt, in Pizzo zu landen.
Murat, so sagte der Mann, der mir von seinen Tagen in Ajaccio als Augenzeuge so manches erzählte, war ein großer Ritter und ein kleiner Kopf. Das ist wol wahr. Er war der Held nur eines Romans, ein ächter Paladin. Er saß besser auf dem Pferd als auf dem Tron. Er hatte niemals regieren gelernt, er besaß nur, was geborne Könige oft nicht haben, den Anstand und den Mut König zu sein, und er war es am meisten als er vom Tron herunterstieg; dieser einstige Kellner in seines Vaters Schenke, Abbé und weggejagter Unterofficier, stand vor seinen Henkern königlicher als Ludwig XVI. aus dem Hause Capet, und starb nicht minder stolz als Karl von England aus dem Hause der Stuart.
Eine Dienerin öffnete mir die Zimmer Franceschetti's, in denen Murat gewohnt hatte. Die Schlachtscenen in welchen er geglänzt hatte, wie Marengo, Eylau, die Landschlacht von Abukir, Borodino schmückten die Wände. Das schwärmerische Auge, die braunen gelockten Haare welche über die Stirn herabfallen, die weichen Gesichtszüge, die phantastische weiße Kleidung, die rote Schärpe waren wol Joachims. Unter dem Porträt las ich diese Worte: 1815. Tradito!!! abbandonato!!! li 13. Octobre assassinato!!! Verraten!!! Verlassen!!! Am 13. October ermordet!!! Schmerzensseufzer Franceschetti's, der ihn nach Pizzo begleitet hatte. Das Bildniß des Generals hängt neben dem Murats, eine hohe, kriegerische Gestalt mit ehernen Gesichtszügen, ein lebhafter Gegensatz zu dem Troubadourgesicht Joachims. Franceschetti hatte sich für Murat geopfert, Weib und Kinder verlassen, und obwol er das Unternehmen seines ehemaligen Königs gemißbilligt, war er ihm doch gefolgt und bis zum letzten Augenblick nicht von ihm gewichen. Man erzählte mir einen schönen Zug von Edelmut (und ich las ihn auch in den Memoiren des Generals), welcher sein Andenken ehrt; als die wütenden Banden in Pizzo auf Murat eindrangen, um ihn schimpflich zu mißhandeln, sprang Franceschetti vor und rief: »ich bin Murat!« Ein Säbelhieb streckte ihn zu Boden; in demselben Augenblick war auch jener vorgesprungen und hatte sich zu erkennen gegeben. – Alle Soldaten, welche man bei Pizzo gefangen nahm, warf man ins Gefängniß, verwundet wie sie waren. Nach Joachims Hinrichtung führte man sie und Franceschetti in die Citadelle der Insel Capri; lange Zeit saßen sie dort, ihren Tod erwartend, bis unverhofft der König Ferdinand sie begnadigte. Franceschetti kehrte nach Corsica zurück, aber kaum landete er hier, als die Franzosen ihn als Hochverräter festnahmen und nach Marseille abführten. Der unglückliche Mann saß einige Jahre in den Kerkern der Provence, dann durfte er zu seiner Familie nach Vescovato zurückkehren. Sein Vermögen war durch Murat vernichtet worden – er sah sich in die Notwendigkeit gesetzt, seine Frau nach Wien und zu Murats Gemalin Caroline reisen zu lassen, um einen Teil seiner Auslagen wieder zu erlangen, und da diese Reise nichts fruchtete, einen langdauernden Prozeß mit Caroline zu führen, den er verlor. Franceschetti starb im Jahr 1836. Seine beiden Söhne, zurückgezogene Officiere, gehören zu den angesehensten Männern Corsica's und haben sich um die Verbesserung des Landbaus anerkannte Verdienste erworben.
Seine Gemalin Catarina Ceccaldi lebt noch hochbetagt in dem Hause, wo sie einst Murat gastlich aufgenommen hatte. Ich fand die edle Greisin in einem Oberzimmer in der ländlichsten Beschäftigung, von Tauben umringt, welche bei meinem Eintritt aus dem Fenster flatterten – eine Scene die mir zeigte, daß die schlichte Natur der Corsen nicht nur im Hause des Bauern, sondern auch des Vornehmen sich erhalten hat. Ich dachte mir die glänzende Jugend, welche diese Frau in dem schönen Neapel, am Hof Joachims verlebt hatte, und im Verlauf des Gesprächs gedachte sie selber jener Zeit wo der General Franceschetti mit Coletta, der gleichfalls eine besondere Schrift über die letzten Tage Murats veröffentlicht hat, in dessen Dienst gestanden war. Es ist erfreuend, eine starke Natur zu sehn, welche die Lebensstürme siegreich überstand und sich gleich blieb, wenn die Schicksale wechselten; so betrachtete ich diese würdige Matrone mit Ehrfurcht, wie sie von den großen Dingen der Vergangenheit redend sorgsamlich die Bohnen schnitt zum Mittagsmal für Kinder und Enkel. Franceschetti, so sagte sie, machte Murat die lebhaftesten Vorstellungen, er scheute sich nicht ihm zu sagen, daß er ein unmögliches Unternehmen vorhabe; dann rief jener schmerzlich aus: auch ihr wollt mich verlassen! ach! meine Corsen wollen mich im Stiche lassen! man konnte ihm nicht widerstehen.
Als ich von Vescovato weiter in die Casinca wanderte, konnte ich an Murat nicht denken, ohne ihn mit dem abenteuerlichen Baron Theodor von Neuhoff zu vergleichen, welcher an eben dieser Küste 79 Jahre früher gelandet war, wunderlich und phantastisch gekleidet, wie sich auch Murat zu kleiden pflegte. Theodor war in Corsica der Vorläufer aller jener, welche sich die schönsten Kronen der Welt eroberten. Napoleon holte sich die Kaiserkrone, Joseph die Krone von Spanien, Louis die Krone von Holland, Jerome die Krone jenes Westfalen, aus welchem Theodor der König der Corsen abstammte, und neben ihnen erabenteuerte sich Murat die normännische Krone beider Sicilien, Bernadotte die Krone der Scandinavier, der ältesten Ritter Europa's. Cervantes hatte hundert Jahre vor Theodor das Königtum fahrender Ritter in seinem Sancho Pansa verspottet – und siehe da nach hundert Jahren wiederholte sich dieses Rittermärchen von König Artur und der Tafelrunde an den Grenzen Spaniens auf der Insel Corsica, und setzt sich fort am hellen Tage durch das 19. Jahrhundert bis in den hellen lichten Tag unserer Gegenwart hinein.
Der Don Quijote und die spanischen Romanzen sind mir oftmals in Corsica eingefallen, und mir ist als reitet wieder der edle Ritter von der Mancha durch die Weltgeschichte. Werden doch nun wieder spanische, uralte Namen historisch, welche der Welt gerade so romantisch unbekannt gewesen sind, wie Theseus der Herzog von Athen im Sommernachtstraum.