Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Von Ajaccio bis zum Tal Ornano.

Die Straße von Ajaccio nach Sartene ist reich an merkwürdigen Gegenden und eigentümlichen Ansichten. Eine Zeitlang führt sie längs des Golfes fort, geht über den Gravonefluß, und dann in das Tal Prunelli. Die Ansicht des großen Golfs ist von allen Seiten gleich herrlich; sie entschwindet bald und bald zeigt sie sich wieder, weil der Weg spiralförmig an den Bergen hinläuft.

An der Mündung des Prunelli steht einsam der Turm Capitello, den wir aus der Geschichte Napoleons kennen.

Der Ortschaften gibt es hier wenige, wie Fontanaccia, Serrola und Cavro. Cavro ist ein zerteiltes Dorf in wildromantischer Berggegend, welche an Granit und Porphyr reich ist, und von den üppigsten Weingärten umgeben. Zehn Minuten weiter gelangt man in den Felsengrund, in welchem Sampiero ermordet wurde. Dort stehen hohe Felsen im Kreise umher, ein Steg windet sich in die Tiefe, welche ein Bergwasser durchrauscht, und Eichen, Oelbäume und wildes Gestrüpp bedecken den Ort. Auf einem Felsen in der Nähe sieht man noch die Trümmer der Burg Giglio, wo Sampiero übernachtete, ehe er in seinen Tod ging. Vergebens sah ich mich nach einem Denkzeichen um, welches dem Wandrer sagen möchte, daß hier der heldenmütigste aller Corsen gefallen sei. Das lebendige Gedächtniß ist das einzige Denkmal ihrer wilden, tragischen Geschichte. Ein jeder Fels ihrer Insel ist Denkstein ihrer Thaten: sie mögen daher der Gedächtnißsäulen und der Inschriften leicht entbehren, so lange die geschichtlichen Ereignisse noch als ein Teil von ihrem eignen Wesen fortleben. Denn sobald ein Volk anfängt, sein Land mit Denkmälern auszuschmücken, liefert es den Beweis, daß seine Kraft verloren ging. Ganz Italien ist heute ein Museum von Denksäulen, von Statuen und Inschriften. In Corsica blieb auch hier der Naturstand und die lebendige Ueberlieferung. Als Pasquale Paoli nach seiner Rückkehr aus England eine Bildsäule zu seiner Ehre ablehnte, sagte ein Corse: einem einfachen Mann eine Bildsäule setzen, ist so viel als ihm eine Ohrfeige geben.

An dem Rand der düstern Mordschlucht fand ich indeß eine Gruppe lebendiger Standbilder Sampiero's, Bauern, welche die phrygische Freiheitsmütze in die Stirn gedrückt, im Schein der Sonne plauderten. Ich trat an sie heran und wir redeten von dem alten Helden. Das Volk hat ihm den ehrendsten Zunamen gegeben, den irgend eines Volkes Sohn tragen darf, denn er wird niemals anders genannt als Sampiero Corso. Schlagend hat sich in diesem Zunamen das Urteil seiner Landsleute ausgesprochen, daß Sampiero der Ausdruck des corsischen Volkscharakters sei, und daß er sein Volk bedeute. Die ganze Natur des Insellandes faßt sich in diesem Manne aus Urgranit zusammen, wilde Tapferkeit, Freiheitsglut, Vaterlandsliebe, durchdringender Verstand, Armut und Bedürfnißlosigkeit, Rauhheit und Jähzorn, vulkanische Leidenschaft, Rachsucht, daß er wie Othello der Mohr sein Weib erwürgte; und damit in der Geschichte des Sampiero Corso nicht auch der ganze blutige Zug fehle, welcher das corsische Volk heute psychologisch so merkwürdig macht, wurde an ihm selber die Blutrache vollzogen. In einem frühen Jahrhundert lebend konnte er das volkstümliche Wesen noch ganz bewahren. Das aber wird schon in Pasquale Paoli durch den humanistischen Zug seines Jahrhunderts verallgemeinert.

Von Sampiero's Söhnen haben wir den ältesten Alfonso d'Ornano nach seines Vaters Tod eine Zeitlang den Krieg gegen Genua fortführen sehen, bis er auswanderte. Im Jahr 1570 ernannte ihn Catharina von Medici zum Obersten des Corsenregiments, welches sie in Dienste genommen hatte. Er glänzte in vielen Schlachten und Belagerungen unter Carl IX. und Heinrich III. Nach der Ermordung dieses Königs, in dessen Namen er die Dauphiné regierte, bemühte sich die Liga den einflußreichen Corsen auf ihre Seite zu ziehn, aber Alfonso war einer der Ersten, welche Heinrich IV. anerkannten, und er wurde seine kräftigste Stütze. Der König ernannte ihn zum Marschall von Frankreich und vergalt ihm seine Treue durch Freundschaft. In einem Brief schreibt er an Alfonso: »Mein Cousin, durch Eure Depesche, welche mir der Herr von Tour überbracht hat, habe ich die erste Nachricht von dem erhalten, was Ihr so glücklich in meiner Stadt Romans ausgeführt habt. Gott schenkt mir die Gunst, daß fast alle diese bösen Anschläge ohne Erfolg bleiben, nächst ihm, weiß ich, hat in dieser Sache niemand ein so großes Verdienst um mich, als Ihr, der mit aller Klugheit und Tapferkeit gehandelt hat, wie nur zu wünschen war, und deß will ich Euch Dank wissen. Es ist nur die Fortsetzung Eurer gewohnten Handlungsweise und des Glückes, das alle Eure guten Absichten begleitet.« Im Jahr 1594 unterwarf Alfonso dem Könige auch Lyon, dann Vienne und viele Städte der Provence und Dauphiné. Er war das Schrecken der feindlichen Partei, und wie er durch sein kriegerisches Genie gefürchtet war, so wurde er auch wegen seiner Gerechtigkeit und Menschenliebe geachtet. Viele durch Pest und Krieg heruntergekommene Städte Frankreichs unterstützte er aus eignen Mitteln. Er starb im Alter von 62 Jahren, im Jahr 1610 zu Paris und liegt in der Kirche de la Merci in Bordeaux begraben. Von seiner Gemalin, einer Tochter des Nicolas de Pontevèze, Herrn von Flassan, hatte er mehrere Kinder, von denen ein Sohn Jean Baptiste d'Ornano gleichfalls Marschall von Frankreich wurde. Zur Zeit Richelieu's stürzten ihn Intriguen des Hofes; der Minister warf ihn in die Bastille, wo er, wie man sagt, auf dessen Befehl vergiftet im Jahre 1626 starb. Im Jahr 1670 erlosch der Stamm Sampiero's, welcher mit Alfonso nach Frankreich hinübergegangen war.

Sein zweiter Sohn Anton Francesco d'Ornano nahm wie der Vater ein blutiges Ende. Es war derselbe, mit welchem die unglückliche Mutter Vannina von Marseille nach Genua auf die Flucht sich begab, und den sie bei sich hatte, als der rasende Vater sie ermordete. Anton Francesco lebte wie sein Bruder am Hofe Frankreichs. Jung und feurig wollte er die Welt sehen und begleitete den Gesandten Heinrichs III. nach Rom. Eines Tages gab das Kartenspiel die Veranlassung zu einem Streit zwischen ihm und einem der Herren der Gesandtschaft. Der ungestüme Corse beleidigte den Franzosen durch einige heftige Worte, aber dieser versteckte seinen Groll, so daß der junge Ornano nichts argwöhnte. Hierauf machten diese Herren gemeinschaftlich einen Ritt nach dem Colosseum; Ornano blieb mit seinem Diener allein, nachdem seine italienischen Freunde ihn verlassen hatten, und mit ihm waren zwölf Franzosen, sechs zu Fuß und sechs zu Pferd. Sein Gegner lud ihn höflich ein, abzusteigen um einen Gang ins Colosseum zu machen. Ornano folgte der Einladung, aber kaum war er abgestiegen, als die tückischen Franzosen über ihn herfielen. Schon aus vielen Wunden blutend, verteidigte sich der Sohn Sampiero's gegen die Uebermacht mit heroischer Tapferkeit. Nachdem er sich den Rücken an einem Pfeiler gedeckt hatte, hielt er mit dem Degen so lange Stand, bis er niederstürzte. Die Mörder ließen ihn in seinem Blut liegen und entwichen. Anton Francesco starb am folgenden Tage. Das geschah im Jahre 1580. Er hinterließ keine Nachkommen.

Ich habe das Grab dieses jüngsten Sohnes Sampiero's in der Kirche San Crisogono in Trastevere zu Rom aufgesucht, wo er unter vielen corsischen Herren begraben ward, denn diese Kirche war den Corsen eingeräumt. Anton Francesco soll das sprechende Ebenbild seines Vaters gewesen sein; man sagt, daß er von ihm wie Gesicht und Gestalt, so auch die Unerschrockenheit geerbt hatte; und diese Tugend wurde an Sampiero so hoch gerühmt, wie sie einst die Römer an Fabricius gerühmt haben. Wie Pyrrhus diesen durch das plötzliche Erscheinen eines Elephanten zu schrecken suchte, so versuchte der Sultan Soliman Aehnliches mit Sampiero. Die Sage erzählt nämlich, daß der Großherr eines Tags sich überzeugen wollte, ob was man von Sampiero's Unerschrockenheit erzähle, übertrieben sei oder nicht. Als nun Sampiero bei ihm zu Tische saß, ließ er in dem Augenblick da der Corse die Schale zum Trinken an den Mund setzte, eine zweipfündige Kanone unter dem Tisch abfeuern. Aller Augen waren auf Sampiero gerichtet. Der aber verzog keine Miene; der Schuß machte auf ihn nicht mehr Eindruck als etwa das Geräusch einer Tasse, die einem Sclaven aus der Hand gefallen wäre.

Weiter nordwärts von Cavro liegt der große Canton Bastelica, welcher durch eine Gebirgskette vom Canton Zicavo geschieden wird. Dieses rauhe Gebirgsland, aufgetürmt aus gewaltigen Granitmassen, voll von wilden Tälern, welche der knorrige Eichbaum beschattet, und riesige, hie und da beschneite Berghäupter umragen, ist das Vaterland Sampiero's. In Bastelica oder vielmehr in Dominicaccia zeigt man noch das alte Haus, worin er geboren wurde; denn sein eigenes hatten die Genuesen unter Stefan Doria niedergerissen. Viele Erinnerungen an ihn leben in dieser Gegend, welche die Phantasie des Volks in Gedächtnißmalen mancher Art geheiligt hat. Denn bald ist es eine Fußspur Sampiero's im Felsen, bald ein Abdruck seiner Flinte, bald eine Höle, bald eine Eiche, unter der er gesessen haben soll.

Alles Volk dieses Tales Prunelli zeichnet sich durch kräftigen Wuchs und kriegerische Art aus; meist sind es Hirten, rauhe Männer von den eisernen Sitten der Altvordern, und von der Cultur gänzlich unberührt geblieben. Die Männer von Bastelica und die von Morosaglia galten stets als die Stärksten unter allen Corsen.

Der Gebirgskamm San Giorgio trennt das Tal Prunelli von dem großen Tale Taravo. Hat man sein Joch, die Bocca, hinter sich, so breiten sich vor dem Blick zwei schöne mit Ortschaften reich besetzte Täler aus, Istria und Ornano. Der Fluß Taravo durchströmt sie, Felsen durchrauschend. Ich suche vergebens eine bekannte Gegend Italiens, um durch Erinnerung an sie die Vorstellung solcher corsischen Bergtäler deutlich zu machen. Der Apennin würde in manchen Teilen ihnen nahe kommen. Aber diese corsischen Berge und Täler erschienen mir doch bei weitem großartiger, wilder, malerischer durch ihre Castanienhaine, durch die braunen Felsenwände, die schäumenden Wasser, die schwärzlichen zerstreuten Dörfer, und ganz unvergleichlich wird das Gemälde, wenn sich plötzlich in der Ferne das stralende Meer zeigt.

In diesen Bergen hausten die alten Adelsgeschlechter der Istria und der Ornano, welche die Landessage von jenem Hugo Colonna absteigen läßt, den ich in der Geschichte der Corsen genannt habe. Mancher Turm und manches zertrümmerte Castell gibt noch eine halbverschollene Kunde. Die Hauptcantons dieser Gegend sind S. Maria und Petreto.

In S. Maria d'Ornano war der Sitz der Ornani. Ursprünglich hieß auch die Pieve Ornano, heute aber heißt sie Santa Maria. Schönes Land ist ringsum, lachend durch grüne Hügel, Viehwaiden und Olivenhaine. Hier war das Vaterland der schönen Vannina, und da steht auch noch das turmartig hohe, braune Haus, welches ihr gehört hat, schön gelegen auf einer das Tal beherrschenden Höhe. Nahe dabei erblickt man die Trümmer eines Castells, welches Sampiero erbaut hat, und eine Capelle in dessen Nähe, wo er die Messe hörte. Man sagt, daß er sich begnügt habe, im Fenster seines Schlosses zu liegen, wenn diese gelesen wurde. Er baute jenes Castell im Jahr 1554.


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