Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Nach der Beendigung der Kriege Sampiero's legte sich erst das ganze Elend der Insel blos. Sie war einer Wüste gleich geworden, das Volk vermindert durch den Krieg, durch gezwungene oder freiwillige Auswanderung, gänzlich verarmt und verwildert. Mehrmals trat die Pest auf, die Leiden voll zu machen, und Hungersnot zwang die Einwohner sich wie Thiere von Eicheln und Kraut zu nähren. Außerdem streiften die Corsaren an den Küsten, überfielen die Dörfer und schleppten die Menschen in die Sclaverei. In solchem Zustand übernahm Georg Doria die Insel als Regent, und so lange er sie verwaltete, erfreute sie sich seiner Sorge, seiner Milde und der gewissenhaften Achtung des Friedensvertrages, welcher die Rechte der Terra del Commune gesichert hatte.

Kaum war Doria von seinem Posten abgelöst, als Genua in die alte Bahn wieder einlenkte. So blind sind in der Regel Gewalthaber, daß sie weder die Vergangenheit noch die Zukunft sehen. Mit der Zeit verdrängte man die Corsen aus allen weltlichen und geistlichen Aemtern, besetzte auch die geringste Stelle mit Genuesen, unterdrückte die Statuten und führte ein parteiisches Regiment ein. Man betrachtete die Insel lediglich als eine Domäne; verarmte genuesische Nobili ließen sich dort Aemter erteilen, um ihre Finanzen wieder emporzubringen. Verschuldet wie das corsische Volk war, fiel es Wucherern, meistens Geistlichen, in die Hände, um die Auflagen aufzubringen. Der Vicekönig selbst war anzusehn wie ein Satrap; bei seiner Ankunft in Bastia empfing er ein Scepter als Symbol seiner Macht; seine Besoldung auf Landeskosten war nicht klein, außer ihr mußte das Land seine Tafel mit Naturallieferungen versorgen. Ihm gebührten 25 Procent von den Strafgeldern, den Confiscationen und Beschlagnahmen. Im Verhältnisse hat man seine Leutnants zu schätzen. Er brachte mit sich auf die Insel einen Fiscaladvokaten, einen Ceremonienmeister, einen Generalsecretär und gewöhnlichen Secretär, einen Hafencommandanten, einen Cavalleriecapitän, Polizeicapitän und Oberkerkermeister. Alle diese Beamte waren Vampyre. Die Auflagen wurden immer drückender, die Erwerbszweige stockten; der Handel war nichtig. weil das Gesetz alle Erzeugnisse des Landes nur in den Hafen Genua's auszuführen zwang.

Nach den Berichten aller Schriftsteller, welche von dieser Periode geschrieben haben, war die Lage Corsica's von allen Ländern der Welt die unseligste. Dem Hunger, der Pest, der Verwüstung durch den Krieg erlegen, von Barbaresken unablässig geplagt, vom Genuesen um Recht und Freiheit gebracht, bedrückt, ausgesogen, bei feiler Justiz noch von den Parteien, den Schwarzen und den Roten innerlich zerrissen, triefend von der Blutrache, das ganze Land eine einzige Wunde – das ist das Bild Corsica's, einer durch alle Elemente der Natur gesegneten Insel. Filippini zählt zu seiner Zeit 61 zum Landbau wol geeignete Orte, welche verlassen standen, Haus und Kirche noch aufrecht, ein Anblick, wie er sagt, zum Weinen. Das corsische Volk hätte sich gänzlich auflösen müssen, und wäre in Horden zerfallen, wenn nicht das Allgemeingefühl des Vaterlandes so wunderbar stark seiner sich bemächtigt hätte. Der corsische Geschichtschreiber sagt: »Wenn man die Vaterlandsliebe in irgend einer Zeit, und irgendwo in der Welt auf Menschen eine Gewalt ausüben sah, so muß man wahrlich sagen, daß sie auf der Insel Corsica mächtiger gewesen sei, als irgendwo anders; ich bin hocherstaunt, daß diese Vaterlandsliebe die Corsen in jeder Zeit an dem freiwilligen Entschluß zur Auswanderung verhindert hat. Denn verfolgt man von den ersten Bewohnern bis auf den heutigen Tag ihre Geschichte, so sieht man, daß dies Volk in so vielen Jahrhunderten niemals, alles zusammengezählt, auch nur hundert Jahre Ruhe und Erholung hatte; und daß sie also trotzdem niemals sich entschlossen haben hinwegzugehn, um den unsäglichen Ruin in Folge so vieler grausamer Kriege zu vermeiden, welche verbunden waren mit Hungersnot, Brand, Feindschaften, Meuchelmord, Hader, Gewalt von so verschiedenen fremden Nationen, Raub an ihrer Habe, den so häufigen Einfällen der grausamen Barbaren, der Corsaren, und endlich mit so ungezählten endlosen anderen Leiden.« In einem Zeitraum von nur dreißig Jahren wurden in Corsica damals 28000 Meuchelmorde verübt.

Ein großes Unglück, so sagt jener Geschichtschreiber, ist für Corsica die große Menge der Radflinten. Die genuesische Regierung zog nämlich eine beträchtliche Abgabe aus den Patenten, welche deren Gebrauch gestatteten. »Es gibt, so erzählt Filippini, mehr als 7000 Patente, und außerdem besitzen viele Gewehre auch ohne Patente und besonders in den Bergen, wo man nichts anderes sieht als Scharen von zwanzig und dreißig und mehr Archibusen-Männern. Diese Patente bringen jedes Jahr 7000 Lire von dem elenden Corsica auf. Jeder neue Regent schafft die Patente seines Vorgängers ab um sie dann neu zu bestätigen. Aber das Kaufen derselben ist das schlimmere. Denn man findet keinen noch so armen Menschen, der nicht sein Gewehr hätte, mindestens im Wert von fünf und sechs Scudi, außer der Ausgabe für Pulver und Blei; wer nichts hat, verkauft seinen Weinberg, seine Castanien, oder anderes Besitztum um eine Flinte zu kaufen, als wenn man ohne sie nicht leben könnte. Wahrlich es ist zum Verwundern, denn der größte Teil jener Leute hat keinen Rock auf dem Leibe im Wert von einem halben Scudo, und im Hause nichts zu essen, und doch hält er sich für beschimpft, wenn er neben Andern ohne Flinte erscheint. Daraus entspringt, daß Weinberge und Aecker nicht mehr angebaut sind, sondern als Buschwald liegen bleiben, und die Menschen gezwungen werden sich dem Straßenraub zu ergeben. Wo sie dazu nicht Gelegenheit haben, ziehen sie solche mit Gewalt herbei, um den Ochsen, die Kuh und anderes Vieh derer zu rauben, welche ihre Geschäfte verrichten, um ihre arme Familie zu erhalten. Daraus folgt solches Elend, daß der Ackerbau aus Corsica verbannt ist, die einzige wenige Habe die man zum Unterhalt hatte, und die einzige Kunst, welche die Insulaner ernährte. Und heute hindern diejenigen, welche so übler Weise leben auch die andern, so gut zu handeln als sie wollen möchten. Doch hier endigt das Uebel nicht; denn außerdem hört man alle Tage von Meuchelmord bald in diesem Dorf, bald in jenem, wegen der Leichtigkeit mit welcher sie vermöge der Archibusen Schaden thun. Als man solche Waffen noch nicht gebrauchte, trafen sich Blutsfeinde auf den Straßen, und wenn auch der andere um drei oder vier im Vorteil war, wagte er doch nicht den Angriff. Wenn aber heute einer Groll auf den andern hat, so wirft er sich, da er doch mit anderer Waffenart nicht wagen würde ihm ins Gesicht zu sehn, in einen Busch, und ohne irgend ein Bedenken mordet er ihn wie man auf ein Thier schießt, ohne daß man nachher sich darum kümmert. Denn die Gerechtigkeit darf ihre Schuld nicht thun. Außerdem sind die Corsen mit diesen Flinten so geschickt geworden, daß Gott uns nur vor Kriegsgefahr wahren möge, denn diejenigen, denen sie feind sind, mögen sich wol vorsehen, weil bis auf die Kinder von acht bis zehn Jahren, welche die Flinte kaum tragen und den Hahn in Ruhe lassen können, sie den ganzen Tag vor dem Ziele liegen; und ist es nur so groß als ein Scudo, so treffen sie es sicher.«

Filippini, der Zeitgenosse Sampiero's, sah die Flinten einführen, welche bis zum Jahre 1553, wie er sagt, auf der Insel unbekannt waren. Der Marschall Thermes, also die Franzosen selbst brachten die ersten nach Corsica. Es war ein lächerliches Wesen, sagt Filippini, denn die Corsen wußten sie weder zu laden noch abzuschießen, und schoßen sie, so hatten sie nicht geringere Furcht als die Wilden. Was der Geschichtschreiber von den Folgen der Einführung der Flinten in Corsica gesagt hat, gilt nach dreihundert Jahren ebenso wie damals, und ein heute schreibender Chronist könnte daran kein Jota ändern.

Mitten in diesem Elend ist die plötzliche Erscheinung einer Griechencolonie auf dem so schrecklich verwüsteten Lande verwundersam. Fremde feindliche Elemente in das corsische Volk hineinzuwerfen war ein lange gehegtes Streben der Genuesen. Vielleicht hatte dasselbe einen nicht unbedeutenden Anteil an dem Plan eine Griechencolonie in Corsica anzusiedeln, welcher im Jahr 1676 ausgeführt wurde. Es hatten nämlich Mainoten vom Golf von Kolokythia, des unerträglichen Jochs der Türken müde, gleich jenen alten Phokäern die das Perserjoch nicht hatten tragen wollen, den Entschluß gefaßt, mit Weib und Kind auszuwandern und sich eine neue Heimat zu gründen. Nach langem Suchen war ihr Abgesandter Johannes Stephanopulos auch nach Genua gekommen und hatte dem Senat die Wünsche seiner Landsleute vorgetragen. Die Republik schlug den Griechen das Ländchen Paomia vor, einen Küstenstrich am westlichen Rande Corsica's zwischen den Golfen von Porto und Sagona. Stefanopulos überzeugte sich von der günstigen Beschaffenheit des Landes und hierauf schlossen die Mainoten mit dem genuesischen Senat einen Vertrag, wonach ihnen Paomia, Ruvida und Salogna als Colonieland abgetreten wurde, mit Zuschuß des Nötigsten für den Anfang, mit Gewähr ihrer heimischen Religion und Gemeindeverfassung, wogegen sie Genua Treue schworen und sich einem genuesischen Regens, welcher in die Colonie geschickt werden sollte, unterzuordnen hatten. Man sah im März 1676 diese Griechen, 730 an der Zahl, auf ihren Fahrzeugen in Genua landen, wo sie zwei Monate blieben, dann von ihrer neuen Heimat Besitz nahmen. Genua hatte an diesen tapfern Männern eine treue Schar gewonnen, gleichsam einen Wehrposten in Feindesland. Und nimmer konnten die Griechen mit den Corsen gemeine Sache machen. Diese betrachteten die Fremdlinge, neue Phokäer, mit Verwunderung. Vielleicht verachteten sie Männer, welche ihr Vaterland nicht liebten, weil sie es verlassen hatten; sicher empörte sie der Gedanke, daß man diese Eindringlinge ohne Weiteres in ihr Eigentum gesetzt hatte. Den armen Griechen sollte es in ihrer neuen Heimat nimmer wol werden.


 << zurück weiter >>