Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Neuntes Kapitel.

Umgegend Ajaccio's.

Ich habe die Umgegend Ajaccio's durchwandert. Der enge Raum erlaubt eigentlich nur drei Straßen und einen Spaziergang längs des nördlichen Ufers, einen ins Land auf der Straße nach Bastia, einen an der andern Seite des Golfes nach Sartene zu. Berge schließen die vierte Seite ab. Da führen Landwege zwischen Weingärten hin.

In diesen sieht man häufig jene wunderlichen Wächterhäuschen, welche Ajaccio eigentümlich sind und Pergoliti genannt werden. Sie bestehen aus vier jungen Pinienstämmen, die frei in der Luft ein mit Stroh bedachtes Hüttchen tragen, worin der Wächter sich niederlegen kann. Dieser führt hier den stolzen Namen Barone. Er ist bewaffnet mit einem Doppelgewehr und stößt von Zeit zu Zeit in ein Muschelhorn oder in eine gellende Thonpfeife, um seine Gegenwart bemerklich zu machen und die Traubenfrevler zurückzuschrecken.

Eines Abends führte mich ein freundlicher Greis in seinen Weinberg am Hügel S. Giovanni. Er beschenkte mich reichlich mit Muscatellertrauben und pflückte mir Mandeln, saftige Pflaumen und Feigen, die bunt durch einander zwischen den Rebenstöcken wuchsen. Er hatte mich des Wegs kommen sehn, und wie es so die gute gastliche Art ist, mich in seinen Garten genommen. Es war ein guter Vater, das rührende Bild des Alters, wie wir es in den Gedichten der Zeit Gleims dargestellt finden, welche in ihrer fabelnden Einfalt oft mehr menschliche Weisheit haben als die gelesensten Gedichte unserer Gegenwart. Gibt es ein schöneres Menschenbild, als einen heitern Greis in seinem Garten, den er in der Jugend gepflanzt hat, und dessen Früchte er nun milde austeilt an die Müden, die des Weges kommen? Ja, so soll das Menschenleben friedlich und wolthätig ausgehen.

Der Alte rühmte mir gesprächig diese und jene Frucht und sagte, wie man's machen müsse, um sie recht saftig zu bekommen. Die Reben zieht man hier in einer Höhe von vier bis fünf Fuß, wie die Bohnen an Stöcken; in der Regel stehn deren vier in einer viereckigen leichten Vertiefung neben einander mit den Spitzen zusammengebunden. Der Segen an Trauben war groß, aber an vielen Orten herrschte die Traubenkrankheit. Ich fand in jener Vigna auch zum erstenmal die reife Frucht der indischen Feige. Wenn diese ihre Cactusblume abgeworfen hat, reift die Frucht schnell. Ihre Farbe ist gelblich; man schält die Rinde ab und gewinnt das Fleischige und Körnige, welches unangenehm süß ist. Man hat schon Versuche gemacht, daraus Zucker zu ziehen. Die Triebkraft dieser Cactusart, welche bei Ajaccio in erstaunlicher Menge wächst, ist sehr groß. Ein abgerissenes Blatt schlägt hastig Wurzel im Boden und bildet sich dreist zu einer neuen Pflanze. Sie bedarf nur der geringsten Nahrung, des wenigsten Staubes, um fortzuwuchern.

Eine schloßartige Villa mit gothischen Türmchen und mächtigen Imperator-Adlern von Stein steht neben S. Giovanni. Dies ist die Villa des Principe Bacciocchi.

Die kleine fruchtreiche Ebene, welche sich weiter am Ende des Golfes hinzieht, heißt Campo Loro. Der Geist einer düstern Begebenheit aus dem Genuesenkriege schwebt über diesem Goldfelde. Hier hatten sich 21 Hirten aus Bastelica aufgestellt, gewaltige Männer, Sampiero-Menschen. Gegen 800 Griechen und Genuesen hielten sie tapfer stand, bis sie in einem Sumpf eingeschlossen allesammt getödtet wurden mit Ausnahme eines einzigen Jünglings. Dieser hatte sich unter die Todten geworfen, und zum Teil von ihnen bedeckt sich für todt gestellt. Es kamen aber die Genuesen, den Todten die Köpfe abzuschneiden, um sie auf die Mauern der Citadelle aufzupflanzen. Sie nahmen den jungen Hirten und führten ihn vor den genuesischen Leutnant. Zum Tode verurteilt, wurde der Jüngling, der Letzte der 21 Männer Bastelica's, durch die Straßen Ajaccio's geführt, behängt mit sechs Köpfen seiner Gefährten, und dann gevierteilt und den Raben auf der Mauer ausgesetzt.

Am Ende dieses Feldes liegt der botanische Garten, eine Anlage, welche sich von Ludwig XVI. herschreibt, und die in ihren Anfängen unter der Obhut Carlo Bonaparte's stand. Sie war anfangs dazu bestimmt, fremde Pflanzen zu ziehen, die man in Frankreich einführen wollte. Der Garten, von den Höhen gegen die kalten Winde geschützt und der Mittagssonne geöffnet, enthält die herrlichsten Gewächse, welche unter freiem Himmel üppig gedeihen. Auf den indischen Feigen entsteht dort auch die Cochenille nicht anders als in Mexico. Der Garten liegt hart an der Straße nach Bastia, welche am meisten belebt ist. Namentlich ist dies Abends der Fall, wo die Bewohner aus dem Felde heimkehren.

Ich machte mir oft das Vergnügen, mich am Golf niederzusetzen und die Vorüberziehenden zu betrachten. Die Weiber sind hier wolgebaut und von reinen und zarten Zügen. Oftmals überraschte mich die Sanftmut ihrer Augen und die Weiße ihrer Gesichtsfarbe. Sie tragen das Mandile um den Kopf gebunden; am Sonntag ist es von weißer Gaze und sieht zur schwarzen Faldetta äußerst sauber aus. Die Bäuerinnen tragen hier allgemein kreisrunde Strohhüte mit sehr niedrigem Boden. Das Weib legt auf den Strohhut ein kleines Kissen und trägt dann gewandt und flink schwere Lasten. Wie in Italien zeichnet die Frauen in Corsica natürliche Anmut aus. Ich begegnete eines Tags einem jungen Mädchen, welches mit Früchten nach der Stadt ging. Ich bat sie, mir einige zu verkaufen. Das Mädchen setzte sofort den Korb ab und mit der liebenswürdigsten Weise bat sie mich, zu essen so viel ich wollte. Mit eben so viel Feinheit schlug sie eine Geldentschädigung aus. Sie war sehr ärmlich gekleidet. So oft ich ihr nachher in Ajaccio begegnete, erwiderte sie meinen Gruß mit einer Grazie, die auch einem vornehmen Fräulein wol würde gestanden haben.

Da sprengt nun ein Mann an uns vorbei. Sein zierliches Weib ging vielleicht eben vorüber, belastet mit Reisholz oder Viehfutter, der faule Mann aber kam aus den Bergen, wo er nichts that, als auf der Vendetta liegen. Sieht man diese Halbwilden in Scharen zu dreien, sechsen oder auch einzeln, reitend, gehend, alle das Doppelgewehr vor sich, so möchte man glauben, daß sie sich fortdauernd im Kriegszustande befinden. Selbst der Bauer, der auf seinem Heuwagen sitzt, hat die Flinte übergehängt. Ich zählte in einer halben Stunde 26 mit Doppelflinten bewaffnete Leute, die an mir vorüber kamen, um nach Ajaccio zu gehen. Das Volk hier ist auch in Corsica bekannt als das streitbarste der Insel.

Oft sehen diese Menschen kühn und malerisch aus, oft abschreckend häßlich und selbst lächerlich. Sie sitzen auf den kleinen Pferden, in der Regel kleine Menschen von Napoleonsgröße, schwarzhaarig, schwarzbärtig, bronzefarbig; braunschwarz und zottig ist ihre Jacke, ebenso die Hose; das Doppelgewehr hängt über der Schulter, an einem Riemen auf dem Rücken die gelbe runde Zucca, welche meist nur mit Wasser gefüllt ist, an einem andern Riemen hängt der kleine Schlauch von Ziegen- oder Fuchsfell, worin Brod, Käse und nötige Dinge hineingestopft sind; um den Leib ist der lederne Kartuschengurt geschnallt, an dem gewöhnlich ein lederner Tabaksbeutel hängt. So ist der corsische Reiter fertig, und so liegt er alle Tage im Feld, während das Weib arbeitet. Ich konnte mich niemals eines Aergers enthalten, wenn ich diese Menschen das Pferd, auf dem häufig zwei Personen hintereinander sitzen, unbarmherzig antreibend, mit Geschrei vorüberjagen sah, und wenn ich dabei auf die schönen Ufer des Golfs blickte, auf welchen kein Dorf sichtbar ist. Ihr Boden könnte hundertfältige Frucht tragen, nun trägt er Rosmarin, Dorn und Disteln und wildes Oelgestrüpp.

Erfreuend ist der Gang an der nördlichen Seite des Golfs längs des Strandes. Dort brechen sich bei leichtem Winde die Wellen an den Granitriffen und überschütten sie mit milchweißem Schaum. Zur rechten Seite steigen Berge auf, welche nahe an der Stadt mit Oelbäumen bedeckt sind, weiter hin kahl und öde werden bis zum Cap Muro.

Auf diesem Ufer steht hart am Meer die kleine Capelle der Griechen. Man konnte mir nicht sagen, weßhalb sie so heiße, da sie doch den Namen der Familie Pozzo di Borgo (Puteo-Burgensis) auf einer Tafel führt. Wahrscheinlich hatte man sie den Griechen eingeräumt, als sie nach Ajaccio kamen. Die Genuesen hatten eine Mainoten-Colonie in Paomia weit oberhalb Ajaccio angesiedelt. Diese fleißigen Männer wurden von den Corsen beständig bedroht. Voll Haß gegen die Eindringlinge, welche ihre Pflanzung zu schöner Blüte gebracht hatten, überfielen sie den Ackerbauer beim Pfluge, erschossen den Winzer in seinem Weinberg, und verwüsteten Felder und Furchtgärten. Im Jahre 1731 wurden die armen Griechen aus ihrer Colonie gejagt; sie flohen nach Ajaccio, wo die Genuesen, denen sie stets treu blieben, drei Companien aus ihnen bildeten. Als nun die Insel den Franzosen untertan wurde, gab man ihnen Cargese zu Besitzung. Sie brachten das Ländereien in Blüte, aber kaum darin warm geworden, überfiel sie der Corse wieder im Jahr 1793, warf Feuer in ihre Häuser, vertilgte ihre Herden, zertrat ihre Weinberge, und zwang die Mainoten wiederum nach Ajaccio zu fliehen. Der General Casabianca führte die Vertriebenen im Jahre 1797 nach Cargese zurück, wo sie nun ruhig leben. Sie sprechen corsisch wie ihre Umwohner, unter sich aber reden sie ein verfälschtes Griechisch. Cargese liegt nördlich von Ajaccio am Meer, seitwärts von den Bädern Vico's und denen von Guagno.

Auf demselben nördlichen Ufer stehen viele kleine Capellen zerstreut, in mannichfaltiger Form, rund, vieleckig, gekuppelt, in Sarkophag-, in Tempelform, mit weißen Mauern umschlossen und zwischen Cypressen und Trauerweiden. Es sind Familiengräber. Der Corse läßt sich nicht gern auf dem öffentlichen Kirchhof begraben; denn nach der uralten Sitte der Patriarchen will er in seinem Besitztum bestattet sein. Daher ist die ganze Insel mit Gruftcapellen überstreut, welche oft den Reiz der Gegenden erhöhen.

Weiter wandernd gegen das Cap Muro, wo hart am Ufer einige rote Granitklippen liegen, die blutigen Inseln genannt, mit einem Fanal und mit mehreren genuesischen Wachttürmen, fand ich Fischer beschäftigt, ihr Netz an den Strand zu ziehn. Sie standen in zwei Reihen von je 10 bis 12 Mann; eine jede wand ein langes Tau auf, an dem das Netz befestigt war. Solche Taue sind auf jeder Seite mehr als 150 Ellen lang; was von ihnen mühsam aufgewunden ist, wobei die Fischer mit den Händen und der Brust an einem Gurt ziehn, wird sauber in einer Kreislinie aufeinandergehäuft. Nach drei Viertelstunden war das Netz am Strande, einem wolgefüllten Sacke gleich. Wie es nun auseinander geschlagen wurde, war es ein Wimmeln, Zappeln, Springen und Krabbeln des armen Seegethiers – zumeist waren es Sardellen, und die größesten Fische Rochen (razza), die unserm baltischen Flinder ähneln. Am langgespitzten Schwanz tragen sie einen bösen Stachel. Vorsichtig legt der Fischer den Rochen auf den Boden und schneidet ihm mit dem Messer den Schwanz ab. Die Corsen sind so tüchtig auf der See, wie in den Bergen. Der Granitberg und das Meer bestimmen den Charakter der Insel und ihrer Bevölkerung, daher zerfällt diese in zwei uralte gleich kräftige Stände, die Hirten und die Fischer. – Die Fischerei bei Ajaccio ist sehr bedeutend wie in allen Golfen der Insel. Im April zieht auch der Thunfisch längs den Küsten Spaniens, Frankreichs und Genua's in den Canal Corsica's; der Haifisch ist sein geschworener Feind. Er zeigt sich oft in diesen Meeren.

Als ich in der Dunkelheit von dieser Strandwanderung nach Ajaccio zurückkehrte, fiel in meiner Nähe in den Bergen ein Flintenschuß. Ein Mann kam auf mich zugeeilt und fragte sehr erregt: Sie hörten den Schuß? – Ja, mein Herr. – Sahen Sie etwas? – Nein, mein Herr. – Der Frager verschwand. Zwei Sbirren kamen vorüber. Was war's? – Vielleicht fiel Einer in den Bergen in sein Blut. Die Spaziergänge hier zu Lande können recht dramatisch sein. Immer von einem Hauch des Todes ist man hier umwittert, und die Natur selbst hat hier den Reiz einer schwermütigen Schönheit.


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