Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel.

Ehe die kaiserliche Bestätigung eintraf, ließ sich der genuesische Senat zu einer widerrechtlichen Handlung fortreißen, welche das corsische Volk aufs neue empören mußte. Ceccaldi, Giafferi, der Abbé Aitelli und Raffaelli, die Häupter der Corsen, welche das Friedensdocument im Namen ihrer Nation unterzeichnet hatten, wurden plötzlich festgenommen und unter dem Vorwand hochverräterischer Absichten nach Genua geschleppt. Ein Schrei der Empörung erhob sich auf der Insel; man eilte zu Wachtendonk und machte seine Ehre für diese Gewaltthat verantwortlich, man schrieb an den Prinzen von Würtemberg, an den Kaiser selbst und forderte den vertragsmäßigen Schutz. Dies hatte die Folge, daß der Kaiser den Friedensvertrag vollzog und die Eingekerkerten in Freiheit gesetzt wurden, aber der Senat suchte ihnen die Verpflichtung abzunötigen niemals mehr in ihr Vaterland zurückzukehren. Ceccaldi begab sich nach Spanien, wo er Dienste nahm; Raffaelli nach Rom; Aitelli und Giafferi gingen nach Livorno in der Nähe ihres Vaterlandes die Zustände zu beobachten, welche nicht auf die Dauer haltbar waren.

Am 15. Juni 1733 hatte auch Wachtendonk mit den letzten Deutschen die Insel verlassen, welche nun im Besitz der rechtmäßig vollzogenen Friedensurkunde sich Genua wieder gegenüber fand. Die beiden Todfeinde sahen sich kaum ins Gesicht, als sie zu den Waffen griffen. Nichts anders mehr als Kampf auf Leben und Tod war zwischen Corsen und Genuesen möglich. In so langen Jahrhunderten war der Haß Natur geworden. Der Genuese kam racheathmend und ränkevoll: der Corse unversöhnt, mißtrauisch, stolz auf seine erprobte Kraft und im Bewußtsein seiner Selbständigkeit. Ein paar Verhaftungen und Mordanschläge, und das Volk stand auf und sammelte sich in Rostino um Hyacint Paoli einen entschloßnen und tapfern Bürger aus Morosaglia. Er war ein Mann von bedeutenden Gaben, Redner, Dichter und Staatsmann; denn in der Schule des Unglücks und der Kämpfe waren dem rohen Corsenvolk Männer gereift, welche Europa in Erstaunen setzen sollten. Es ernannte Hyacint und Castineta zu Generalen.

Nicht sobald war der Kampf mit Genua wieder aufgenommen worden, als Giafferi in Corsica landete. In Corte, welches man erstürmt hatte, wurde die erste Volksversammlung gehalten. Hier erklärte man einstimmig Genua den Krieg, und man faßte den Beschluß sich unter den Schutz des Königs von Spanien zu stellen, dessen Banner man in Corte aufpflanzte. Orticoni wurde an den Hof zu Madrid gesandt, ihm diesen Wunsch des Volkes vorzutragen.

Don Luis Giafferi war aufs neue zum General der Corsen ernannt worden, und diesem geschickten Heerführer war es während des Jahres 1734 gelungen, den Genuesen alles Land bis auf die festen Seeplätze zu entreißen. Darauf hatte er im Januar 1735 eine Generalversammlung in Corte vereinigt. Hier forderte und erhielt er Hyacint Paoli zu seinem Collegen. Die denkwürdige Versammlung aber sprach die ewige Trennung Corsica's von Genua aus und verkündigte als Grundlagen der Landesverfassung: Selbstregierung des Volks; eine Junta von Sechsmännern, von jener ernannt und alle drei Monate erneuert; ein Rat von Viermännern, beauftragt mit der Rechtspflege, mit den Finanzen und dem Handel. Als alleinige Quelle der Gesetze wurde das Volk erklärt. Ein Gesetzbuch sollte von der obersten Junta verfaßt werden.

Dies waren die Grundzüge der Verfassung, welche Sebastiano Costa entwarf, und die sich im Jahr 1735, mitten in der Barbarei damaliger europäischer Staaten, ein Volk gab von dem das Gerücht dann und wann die dunkle Kunde auf das Festland Europa's brachte, daß es schrecklich wild und barbarisch sei. Hier zeigt sich, daß die Erzieherin zur Freiheit nicht immer die Wissenschaft ist, noch der Reichtum und der Glanz der politischen Ereignisse, öfter vielleicht die Armut, das Unglück und die Liebe zum Vaterland. Ein kleines Volk ohne Literatur und ohne Industrie hatte an politischer Weisheit alle Culturvölker Europa's durch eigene Kraft überflügelt; seine Staatseinrichtung war nicht auf dem Boden der philosophischen Systeme, sondern auf dem der Bedürfnisse erwachsen.

Giafferi, Ceccaldi und Paoli waren alle drei an die Spitze der Nation gestellt worden. Unterdeß war auch Orticoni von seiner spanischen Sendung zurückgekehrt und hatte die Antwort gebracht, daß der katholische König es ablehne, Corsica in seinen Schutz zu nehmen, daß er aber erkläre, Genua nie mit Truppen unterstützen zu wollen. Weil nun die Corsen auf keine andere fürstliche Hülfe zu rechnen hatten, thaten sie in ihrer Verlassenheit was italienische Republiken im Mittelalter bisweilen gethan haben: sie stellten sich durch Volksbeschluß unter den Schutz der heiligen Jungfrau, deren Bild in die Fahnen des Landes aufgenommen wurde, und sie erwählten Jesus Christus zu ihrem Bannerträger.

Indeß bot Genua, welchem der Kaiser wegen seiner Verwicklungen in die polnischen Angelegenheiten keine Hülfe leisten konnte, seine äußerste Kraft auf. Nach einander sandte die Republik Felix Pinelli, den ehemaligen grausamen Landpfleger, und ihren tapfersten General Paul Battista Rivarola mit allen Truppen, welche aufgebracht werden konnten. Und allerdings war die Lage der Corsen verzweifelt. Denn es fehlte ihnen an allem Nötigen. weil das Land gänzlich erschöpft war und die genuesischen Kreuzer alle Zufuhr hinderten. So groß war ihre Bedrängniß, daß sie bereits einen Friedensantrag machten, welchen Genua jedoch verwarf. Die ganze Insel war belagert, jeder Verkehr stockte, Waffen, namentlich Geschütze fehlten. Als die Not aufs Höchste gestiegen war, ereignete es sich eines Tags, daß zwei fremde Schiffe im Golf von Isola Rossa vor Anker gingen und eine große Zahl von Lebensmitteln und Kriegsbedarf ausluden, Geschenke für die Corsen von unbekannten Gebern. Die Capitäne der Schiffe verschmähten jede Entschädigung, sie baten nur um corsischen Wein, um ihn auf das Wol der tapfern Nation zu trinken. Dann gingen sie unter den lauten Segenswünschen des Volks wieder in See. Dieses kleine Zeichen fremder Teilnahme versetzte die Corsen in Trunkenheit. In allen Dörfern läutete man die Glocken. Man sagte sich, daß die göttliche Vorsehung dem armen Land ihre Rettungsengel sende, man hoffte nun, daß irgend eine fremde Macht ihm ihren Schutz werde angedeihen lassen. Der Eindruck dieses Ereignisses war so groß, daß Genua fürchtete, was die Corsen hofften, und augenblicklich um Frieden unterhandelte. Aber man lehnte ihn ab.

Jene Schiffe hatten großherzige Engländer ausgerüstet, Freunde der Freiheit und Bewunderer des corsischen Heldenmuts. Bald sollte durch die Erhebung Nordamerika's ihr Patriotismus mit ihrem Edelsinn in Kampf geraten. Die engländische Gabe verhalf den Corsen zur Erstürmung Aleria's, wo sie vier Kanonen erbeuteten. Sie griffen nun Calvi und Bastia an. Aber ihre Lage wurde mit jedem Augenblick verzweifelter. Man hatte alle Mittel ausgegeben und keine fremde Macht trat ein. In jenen Tagen bemächtigte sich der Corsen eine tief religiöse Stimmung. Sie glichen den Juden unter den Makkabäern, als sie auf einen Messias hofften.


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