Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Sechzehntes Kapitel.

Von hier ab zeigte sich Sampiero in seiner ganzen Größe; denn nur derjenige Mann ist wahrhaft groß, welcher durch das Schicksal ungebeugt aus dem Unglück doppelt stark zu erstehn vermag. Geächtet war er hinweggegangen. Der Friede hatte ihm das Schwert genommen, die ganz verheerte Insel konnte einen Kampf für sich selbst nicht mehr wagen, sie bedurfte der Erholung, der neue Krieg einer neuen Stütze an einer auswärtigen Macht. Also durchwanderte der unermüdliche Mann vier Jahre lang die Welt, die entferntesten Mächte Europa's um Hülfe anzugehen. Er eilte nach Frankreich zu Catharina, hoffend sie alter Dienste, die er dem Hause Medici geleistet hatte, noch eingedenk zu finden; er ging nach Navarra; zum Herzog von Florenz; zu den Fregosi; von einem Hofe Italiens zum andern; er schiffte nach Algier zu Barbarossa; nach Constantinopel zum Sultan Soliman. Seine achtunggebietende Erscheinung, die Kraft seiner Worte, sein durchdringender Verstand, seine glühende Vaterlandsliebe flößten allen Bewunderung ein, den Christen wie den Barbaren; aber man vertröstete ihn mit leeren Hoffnungen.

Während Sampiero so die Welt durchwanderte, hatte Genua ihn nicht aus den Augen verloren; es erschrak vor den möglichen Erfolgen seiner Bemühungen. Dem fürchterlichen Mann für immer die Hand zu lähmen mußte man auf irgend eine Weise versuchen. Gift und Meuchelmord, so sagt man, hatten fehlgeschlagen. Man beschloß daher das Naturgefühl des Vaters und des Gatten mit der Leidenschaft zum Vaterlande in Krieg zu bringen. Man wollte sein Herz erschlagen.

Sampiero's Weib Vannina lebte in ihrem Hause zu Marseille im Schutze Frankreichs. Ihren jüngsten Sohn Antonio Francesco hatte sie bei sich, der ältere, Alfonso, war am Hofe Catharina's. Die Genuesen umgaben sie mit ihren Spähern. Es kam ihnen darauf an, Sampiero's Weib und Kind nach Genua zu locken. Zu diesem Zweck bedienten sie sich des Michel Angelo Ombrone, eines Priesters, welcher Lehrer der jungen Söhne Sampiero's gewesen war und dessen Vertrauen im höchsten Maße genoß; ferner eines gewandten Agenten Agosto Bazzicalupa. Vannina war eine bewegliche Natur, empfänglich für Einflüsterungen, stolz auf den alten Namen der Ornani. Man hatte ihr das Los vorgestellt, welches die Kinder ihres Gatten erwarten mußte. Mit ihres Vaters Acht beladen, des Lehns der Ahnen beraubt, arm, nicht einmal ihres Lebens sicher: was sollte einst aus ihnen werden? Man zeigte ihrer Phantasie diese ihre geliebten Kinder in dem Elend der Fremde, das Brod der Gnade essend, oder, was schlimmer war, wenn sie den Spuren des Vaters folgten, als Banditen in den Bergen herumgehetzt, endlich gefangen und an die Galeren geschmiedet.

Vannina ward erschüttert, der Gedanke nach Genua zu gehen, ihr immer weniger schrecklich und weniger befremdlich. Dort, so sagten ihr Ombrone und Bazzicalupa, wird man euren Kindern das Lehen Ornano wieder zuerkennen, und eurer milden Seele wird es gelingen, auch Sampiero mit der Republik zu versöhnen. Des armen Weibes Herz erlag. Das natürliche Gefühl gab den Ausschlag, und das begriff nichts von diesem großen, rauhen, fürchterlichen Charakter des Mannes, welcher nur lebte, weil er sein Vaterland liebte und seine Unterdrücker haßte, und der mit seinem eigenen Selbst dies verzehrende Feuer seiner Leidenschaft nährte, alle andere Habe Scheit auf Scheit hineinwerfend. Also rang das verblendete Herz Vannina den Entschluß ab nach Genua zu gehen. Eines Tages, so sagte sie sich, werden wir glücklich, friedlich und versöhnt sein.

Indeß war Sampiero in Algier, wo der kühne Renegat Barbarossa König des Landes, ihm mit glänzenden Ehren entgegengekommen war, als ein Schiff von Marseille die Nachricht brachte: Vannina, sein Weib, von Genuesen umringt, gehe damit um, mit ihrem Kinde nach Genua zu entweichen. Wie Sampiero die Möglichkeit dieser Flucht zu begreifen anfing, wollte er sich augenblicks ins Schiff werfen und nach Marseille eilen; dann gebot er seinem Freunde Antonio von San Fiorenzo auf der Stelle abzureisen und zu hindern, wenn es möglich sei. Er selbst blieb, unterhandelte mit Barbarossa wegen eines Zuges gegen Genua, und ging dann zu Schiff nach Constantinopel, auch dort mit dem Sultan es zu versuchen, dann erst nach Marseille zurückzukehren, nach seinem Weibe zu sehn.

Antonio war fortgeeilt. In das Haus Vannina's stürzend fand er es ausgeräumt und leer. Sie war nebst ihrem Kinde auf einem genuesischen Schiff hinweg, mit Ombrone und Bazzicalupa, heimlich, Tags zuvor. In Hast raffte Antonio Freunde, Corsen, Bewaffnete zusammen, warf sich in eine Brigantine und segelte mit allen Segeln in der Richtung, welche die Flüchtigen mußten genommen haben. In der Höhe von Antibes sah er das genuesische Fahrzeug vor sich. Er gab ein Zeichen, daß man halten solle. Vannina bat in schrecklicher Angst, wie sie die Verfolger ahnte und ihrer gewiß war, sie ans Land zu setzen, und sie wußte nicht, was sie thun und wollen dürfe. Aber Antonio erreichte sie an der Küste, und im Namen Sampiero's und des Königs von Frankreich nahm er die Flüchtige an sich.

Der edle Mann brachte sie in das Haus des Bischofs von Antibes, die ganz in Schmerz vergehende Frau durch den Trost der Religion aufzurichten. Schreckliche Gedanken, die er verschwieg, machten das ratsam. Aber dem Bischof bangte vor einer Verantwortung, die er nicht auf sich laden mochte; er gab Vannina in die Hände des Parlaments von Aix. Dasselbe erklärte sich bereit, sie gegen jedermann in Schutz zu nehmen. Doch Vannina lehnte das ab. Sie sei, so sagte sie, ihres Mannes Weib, und was Sampiero über sie verhängen werde, das wolle sie über sich ergehen lassen.

Nun kam Sampiero aus der Türkei, wo Soliman den berühmten Corsen mit Bewunderung eine Zeit lang am Hofe gehalten hatte, nach Marseille, sich selbst und dem was ihm das Herz bewegte zurückgegeben. Antonio trat ihm entgegen, bestätigte was geschehen war, und suchte den Zorn seines Freundes niederzuhalten. Einer von Sampiero's Verwandten, Pier Giovanni von Calvi, ließ die unvorsichtige Aeußerung fallen, daß er Vannina's Flucht lange geahnt habe. Und du verschwiegst, was du ahntest? rief Sampiero, und augenblicks erstach er ihn mit dem Dolch. Er warf sich aufs Pferd und jagte nach Aix, wo auf dem Schloß Zaisi sein Weib ihm entgegenzitterte, Antonio folgte ihm nach, voll fürchterlicher Angst, ob er vielleicht Schreckliches noch abwenden könne.

Unter den Fenstern des Schlosses wartete Sampiero bis es Morgen wurde. Dann ging er zu seinem Weibe und führte sie nach Marseille. In seiner verschlossenen Seele konnte niemand lesen. Als er mit ihr in sein Haus eintrat, welches ausgeräumt und wüste stand, fiel ihm die ganze Gewalt des ihm angethanen Schimpfes und Verrats krampfhaft auf das Herz, und indem der Gedanke noch einmal durch seine Seele drang, daß es sein Weib war, welches dem verhaßten Landesfeinde sich und sein Kind in die Hände gegeben hatte, ergriff ihn besinnungslos der Dämon, und mit der eignen Hand gab er seinem Weibe den Tod.

Sampiero, so sagt der corsische Geschichtschreiber, liebte sein Weib leidenschaftlich, aber als Corse, das heißt bis zur allerletzten Vendetta.

Prachtvoll ließ er die Todte in der Kirche des heiligen Franciscus bestatten, dann ging er, dem Hofe von Paris unter die Augen zu treten. Es war im Jahr 1562.


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