Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zehntes Kapitel.

Clemens Paoli.

Gepriesen sei der Herr, welcher meine Hände lehret zur Schlacht und meine Finger zum Gefechte.
Psalm 143.

Das Kloster von Morosaglia ist vielleicht das ehrwürdigste Denkmal der corsischen Geschichte. Wie eine steinerne Sage sieht es aus, braun und düster mit einem hochaufragenden finstern Campanile zur Seite. Zu allen Zeiten wurden in diesem ehemaligen Franciskanerkloster Parlamente gehalten. Pasquale hatte hier seine Zimmer, seine Bureau's und des Sommers sah man ihn oft unter den Mönchen, welche dann, so oft es Not that, den Crucifix in die Schlacht voraus trugen. In demselben Convent lebte gern sein tapferer Bruder Clemens, und er starb auch hier in einer Zelle im Jahre 1793.

Clemens Paoli ist ein hoch merkwürdiger Charakter. Er war der älteste Sohn Hyacints. In Neapel hatte er als Soldat mit Auszeichnung gedient, dann war er einer der Generale der Corsen geworden. Aber die Staatsgeschäfte sagten seinem fanatischen Geist nicht zu. Nachdem sein Bruder an die Spitze des Landes getreten war, zog er sich in das Privatleben zurück, legte das Gewand der Tertiarier an und versank in religiöse Betrachtungen. Gleich Josua lag er verzückt im Gebet vor dem Herrn, und vom Gebete stand er auf und stürzte sich in die Schlacht, denn der Herr hatte die Feinde in seine Hand gegeben. Er war der Gewaltigste im Kampf und der Demütigste vor Gott. Sein düstres Wesen hat etwas Prophetisches, wie das des Ali.

Wo die größeste Gefahr sich zeigte, erschien er wie ein Racheengel. Seinen Bruder befreite er aus dem Kloster Bozio, als ihn Marius Matra dort belagerte; aus Orezza warf er die Genuesen nach einem fürchterlichen Kampf. Er bezwang San Pellegrino und San Fiorenzo; in ungezählten Schlachten blieb er Sieger. Als die Genuesen mit aller ihrer Macht das feste Lager in Furiani stürmten, blieb Clemens durch 56 Tage unerschüttert in dem Schutthaufen, obwol der ganze Ort zusammengestürzt war. Tausend Bomben waren um ihn her gefallen, er betete zu dem Gott der Heerschaaren und wankte nicht, und sein war der Sieg.

Corsica verdankte Pasquale seine Freiheit durch den leitenden Gedanken, dem Clemens aber sie durch das Schwert. Auch nachdem die Franzosen im Jahre 1768 zum Angriff geschritten waren, vollführte er die glänzendsten Waffenthaten. Er gewann die glorreiche Schlacht bei Borgo, er kämpfte verzweifelt bei Ponte Nuovo, und nachdem alles verloren war, eilte er seinen Bruder zu retten. Er warf sich mit einem Häuflein Tapferer nach Niolo und dem General Narbonne entgegen, seinem Bruder die Flucht zu sichern; sobald ihm dies gelungen war, eilte er zu Pasquale nach Bastelica und dann schiffte er sich mit ihm trauernd nach Toscana ein.

Er ging nicht mit nach England. Er blieb in Toscana, denn die Sprache der Fremde hätte ihm das Herz betrübt; dort versank er in dem schönen Kloster Vallombrosa wieder in das inbrünstige Gebet und in ein strenges Büßen, und wer da diesen Mönch auf den Knieen liegen sah, hätte in ihm nimmer den gewaltigen Freiheitshelden zu erkennen vermocht.

Nach zwanzigjährigem Klosterleben in Toscana kehrte Clemens kurz vor seinem Bruder nach Corsica zurück. Noch einmal erglühte er in Hoffnung für sein Vaterland, aber die Ereignisse ließen den greisen Helden bald erkennen, daß alles für immer verloren sei. Büßend, trauernd starb er im December desselben Jahres, in welchem der französische Convent seinen Bruder als Hochverräter vorgeladen hatte.

In Clemens war die Vaterlandsliebe eine Religion. Eine große und heilige Leidenschaft in ihrer höchsten Erregung ist schon an sich religiös; wenn sie ein Volk ergreift, zumal in fürchterlicher Bedrängniß, wird sie wie ein Gottesdienst. In jenen Tagen hörte man Priester den Kampf predigen von allen Kanzeln; Mönche zogen mit in die Schlacht, und die Crucifixe vertraten die Stelle der Fahnen. In den Klöstern zumeist wurden die Parlamente gehalten, wie unter Gottes eignem Vorsitz, und ehmals hatten ja auch die Corsen ihr Land durch Volksbeschluß unter den Schutz der heiligen Jungfrau gestellt.

Auch Pasquale war religiös. Ich sah in seinem Hause die Capelle, welche er sich dort in einem dunklen Zimmer eingerichtet hatte. Täglich betete er dort zu Gott. Clemens aber lag täglich sechs oder sieben Stunden im Gebet. Selbst mitten in der Schlacht betete er, und er war schrecklich anzusehn, wenn er dastand in der einen Hand den Rosenkranz, in der andern die Flinte, gekleidet wie der gemeinste Corse, doch kenntlich an den großen feurigen Augen und den dichten Augenbrauen. Man erzählt, daß er sein Gewehr mit rasender Schnelligkeit zu laden verstand und daß er, stets seines Schusses sicher, die Seele dessen, den er erschießen wollte, vorher segnete und ausrief: arme Mutter! Dann opferte er den Feind dem Gott der Freiheit. Nach der Schlacht war er sanft und milde, aber immer ernst und tief melancholisch. Sein Wort war: mein Blut und mein Leben sind meinem Vaterlande; meine Seele und meine Gedanken sind alle meinem Gotte.

Die Vorbilder des Pasquale muß man bei den Griechen suchen, die Vorbilder des Clemens bei den Makkabäern. Er war nicht ein Held des Plutarch, er war ein Held des alten Testaments.


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