Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweiter Band.

Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Durch das Land Nebbio nach Isola Rossa.

Wenn man von Bastia aus die Serra übersteigt, welche vom Cap Corso herauf kommt, so gelangt man auf die andere Seite des Meers in das Land Nebbio. Der treffliche Weg steigt zuerst eine Stunde lang den Monte Bello an. Man blickt zur Linken in die Ebene von Biguglia und Furiani und auf den großen Teich, in welchen der Fluß Bevinco mündet. Sobald man die Höhe erreicht hat, sieht man das Meer zu beiden Seiten. Nun fällt die Straße nach dem westlichen Gestade ab, das östliche ist verschwunden, und vor den Augen entfaltet sich das zauberische Gemälde des Golfes von San Fiorenzo. Rötliche Felsenufer, fast ohne Vegetation und niedrig sich absenkend, wunderlich ausgezackt, umschließen die tiefblaue Meeresbucht. Der Anblick ist groß, fremd und südlich.

Am Abhange des Bergrückens liegt das finstere Dorf Barbignano; die Straße führt an ihm vorbei durch Haine von Castanien und Oelbäumen. Diese Straße ist vom Grafen Marbeuf gebaut, und hier war es, wo Bernadotte am Wege arbeitete. In gewaltigen Krümmungen beschreibt sie ein M, worauf mich der Führer der Post aufmerksam machte.

Wir näherten uns dem herrlichen Golf, der aus dem Kranz der stillen roten Ufer hervorlachte. Es ist ein altes sehr treffendes Bild, daß man vom stralenden Meereswasser sagt, es lache. Ich erinnerte mich an eine Stelle des Aeschylus: »O du im Wellenspiel des Meers unzählig Lachen!« – Dieser Golf lachte aber gar aus unzähligen purpurblauen Wellen, und es lachte dazu ein Tal, durch welches ein Bach sich schlängelte, aus tausend und aber tausend Lorbeerrosen, welche mit ihren roten Blüten bedeckt weit und breit umherwucherten. In unsrem Vaterland ist der Bach froh, wenn er sich mit Erlengebüsch und Weiden behängen kann, hier im schönen Süden prangt er im reichsten Oleanderschmuck.

Die Gegend ist fast gar nicht bebaut. Ich sah oft verlassene Häuser. Der Epheu hatte sie ganz umzogen und in seinen Ranken, welche Thüre und Fenster überspinnen, begraben. In solchem Epheuhäuschen wohnen jetzt wol die Elfen und kichern, wenn ein Sonnenstral oder das Mondlicht durch die grünen Rankengitter sich stiehlt, um zu sehn, was die Wichtchen drinnen für Schelmereien vorhaben. Die Geschichte der Menschen, die einst dort wohnten, mag blutig und grausig sein. Vielleicht vertrieb sie der Barbareske, oder der mörderische Krieg gegen Genua oder die Blutrache.

Am Ufer steht hie und da ein alter Turm.

Immer malerischer wird die Gegend in der Nähe von S. Fiorenzo. Zur Rechten breitet sich der Golf in seiner ganzen Größe aus, zur Linken weit im Hintergrunde überschaut der Blick das Amphitheater der Berge, welche gegen das Meeresbecken sich neigen. Es sind die stolzen Berge des Col di Tenda, an deren Fuß einst die Römer von den Corsen geschlagen wurden. Sie umstellen das Land, welches Nebbio genannt wird. Denn dieß ist das Gebiet um den Golf von S. Fiorenzo, wohinaus allein das Bergamphitheater sich öffnet. Es ist eine bergige Provinz von großer Dürre, aber reich an Wein, an Früchten, Oliven und Castanien. Seit den ältesten Zeiten galt das Nebbio für eine natürliche Festung, weshalb alle Eroberer hier einzudringen strebten, und unzählige Schlachten hier geschlagen wurden.

Vier Cantons oder Pievi enthält heute das Nebbio, S. Fiorenzo, Oletta, Murato und Santo Pietro di Tenda.

Wir erreichten das Städtchen S. Fiorenzo um die heiße Mittagszeit. Es ist ein Hafenort von kaum 600 Einwohnern in herrlicher Lage an einem der schönsten Golfe Corsica's. Das einzige größere Tal des Nebbio, das Tal Aliso, welches vom Flusse gleichen Namens durchschnitten wird, liegt vor dem Ort. Der Fluß schleicht durch den Sumpf, der die ganze Gegend verpestet. An seinem Rande sah ich eine einzelne Fächerpalme stehn; sie gab der ganzen Landschaft in der flimmernden Mittagslust einen tropischen Charakter. Weiber und Kinder lagen um eine Cisterne und schwatzten, die ehernen Wassergefäße neben sich – ein Genrebild, das zu der Fächerpalme schön stimmte. Durchgehend ist der Charakter des corsischen Strandes an den Golfen halb homerisch und halb alttestamentlich.

Eine Viertelstunde reicht hin, das Oertchen zu durchschreiten. Ein kleines Fort mit einem bekuppelten Turm, der eher nach einer Capelle in Mekka als nach einem Castell aussieht, schützt den Hafen. Wenige Fischerkähne ankerten in ihm. Der Golf, einer der schönsten des Mittelmeers, ist so lockend zu einer großen Hafenansiedlung, daß man über seine Oede staunen muß. Napoleon gedenkt in den Memoiren des Antommarchi des Ortes mit diesen Worten: »S. Fiorenzo hat eine der glücklichsten Lagen die ich kenne. Sie ist die günstigste für den Handel. Sie berührt Frankreich, sie grenzt an Italien; ihre Landungspunkte sind sicher, bequem, ihre Rheden können große Flotten aufnehmen. Ich hätte dort eine große, schöne Stadt gebaut, welche eine Hauptstadt hätte sein sollen.«

Nach Ptolemäus muß am Golf das alte Cersunum gestanden haben. Im Mittelalter lag hier die Stadt Nebbio, deren Ruinen eine halbe Millie von San Fiorenzo entfernt sind. Auf einem Hügel erhebt sich noch die alte Kathedrale der Bischöfe von Nebbio, verfallen, doch noch ansehnlich. Sie zeigt den Basilikenstil der Pisaner und läßt auf das zwölfte oder elfte Jahrhundert schließen. Die Kirche war der Santa Maria dell' Assunta geweiht. Daneben sieht man die Ruinen des bischöflichen Hauses. Die Bischöfe dort waren nicht minder kriegerisch als die trotzigsten der Signoren Corsica's. Sie nannten sich Grafen von Nebbio, und man erzählt, daß sie in der Volksversammlung der Terra del Commune mit dem Schwert an der Seite erschienen, und bei der Messe zwei geladene Pistolen auf dem Altar liegen hatten. Die Stadt verfiel, wie die andern Bistümer Corsica's Accia und Sagone. Heute findet man dort viele römische Münzen, und Graburnen wurden manche ausgegraben.

Das spätere San Fiorenzo war einer der ersten corsischen Orte, welche sich an die Bank Genua's gaben, im Jahr 1483. Deshalb genoß die Stadt viele Freiheiten. Jährlich schickte die Bank einen Castellan und Podestà, welcher das Recht mit vier Consuln verwaltete. In späteren Kriegen ist das Castell oft von Bedeutung gewesen.

Vortreffliche Fische gab's in dem Ort, frisch aus dem Golf gekommen und geröstet. Kaum waren sie verzehrt, so ging es auch weiter. Auf einige Zeit verläßt nun die Straße die Meeresküste und steigt eine Bergkette an. Bis in die Provinz Balagna und nach Isola Rossa hinein ist's ein unfruchtbares Uferbergland. Die plutonischen Gewalten haben große Felsenstücke umhergeschleudert. Oft bedecken sie in gigantischen Blöcken oder zu kleinen Trümmern zerschlagen die Abhänge; Schiefer, Kalk, Granit sieht man überall.

Sparsam wird auch die Cultur der Olive und der Castanie, dagegen überbuscht der wilde Oelstrauch (Oleastro) die Hügel, und Arbutus, Rosmarin, Mirte und Erika haben hier ihre Freude. Die Julisonne hatte diese Gesträuche versengt; die rötlich braune Farbe ihrer Zweige, das Grau des Oelgestrüpps und die verwitterten Steine gaben daher der Gegend einen melancholischen Ton. Die Luft allein regt sich flimmernd in dieser Stille, kein Vogel singt, nur die Grille zirpt. Bisweilen sieht man eine schwarze Ziegenherde unter einem Oelbaum gelagert, oder vom panischen Schrecken ergriffen über die Felsen hinweg setzen.

Von Zeit zu Zeit kamen wir an eine einsame Straßenschenke, wo die Maulthiere der Post gewechselt wurden, oder an eine in Stein gefaßte Quelle, über welche Menschen und Thiere jubelnd herfielen.

Ich sah an einigen Stellen kleine Getreidefelder, Gerste und Korn. Das Getreide war bereits gesichelt und wurde ausgestampft. Die Vorrichtung ist sehr einfach. Mitten auf dem Feld ist eine kreisrunde Tenne aufgemauert, darauf schüttet der Corse das gesichelte Getreide und läßt es von Ochsen zertreten, welche einen schweren Stein hinter sich schleppen. Ich fand, daß man überall den Ochsen das Maul verbunden hatte, also wider das Gebot der Bibel. Ungezählte Tennen dieser Art waren auf den Feldern zerstreut, dabei kein Dorf sichtbar; aber in der Nähe standen kleine Scheuern, viereckige Würfel aus Stein, mit platter Bedachung. Diese kreisrunden Tennen und diese grauen Häuschen, welche weit und breit umherstanden, sahen in der öden Gegend wunderlich aus, wie Wohnungen von Erdmännchen. Der Corse lacht, wenn man ihm erzählt, wie bei uns das Getreide gedroschen wird; eine solche Galerensclavenarbeit würde er um keinen Preis verrichten.

Auf der ganzen Fahrt sah ich kein Fuhrwerk. Dann und wann kam ein Corse geritten, das Doppelgewehr umgehängt und den Sonnenschirm über sich. Sie schießen hier viel wilde Tauben und vielleicht auch – Menschen.

Endlich näherten wir uns dem Meeresufer wieder, nachdem wir über den kleinen Fluß Ostriconi gefahren waren. Die Küste ist oft nur hundert Fuß erhoben, dann steigt sie wieder zu den schroffsten Formen auf. Je mehr man sich nun Isola Rossa nähert, desto mächtiger werden die Berge. Es sind die hohen Gipfel der Balagna, des gelobten Landes der Corsen, weil dort in Wahrheit Honig und Oel fließt. Einige trugen Schneekappen und glänzten von krystallreiner Schöne.

Da liegt Isola Rossa vor uns am Meeresstrande! Da die beiden grauen Türme der Pisaner! Da die blutroten Inselklippen, welche dem Städtchen den Namen geben. Welche reizende Meeresstrandidylle im Abendlicht. Schweigsame Berge drüben, stille Flut hier, graue Oelbäume, die dem Pilger ihre Friedenszweige entgegenhalten, ein gastlicher Rauch aus den Herden aufsteigend – wahrlich, ich schwöre, daß ich zu dem zaubervollen Strand der Lotophagen gekommen bin.


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