Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Elftes Kapitel.

So war alles Denken und Wollen des corsischen Volks jedes Alters und Geschlechts auf das gemeinsame Ziel gerichtet. Frei und stark war dieser Volksgeist, hochgeadelt durch die reinste Vaterlandsliebe, durch ererbte Tapferkeit, durch die helle Vernunft der Verfassung, welche keine fremd herübergebrachte Theorie erklügelt, sondern der heimische Boden erzeugt hatte. Der große Bürger Pasquale war der Vater des Vaterlandes. Wo er sich zeigte, trat ihm die Liebe und der Segen seines Volks entgegen; man sah Weiber und Greise ihre Kinder und Enkel auf den Armen erheben, daß sie den Mann sehen sollten, welcher das Volk glücklich gemacht hatte. Auch die Küstenstädte, die noch in der Gewalt Genua's verblieben waren, trugen Verlangen, das Glück der corsischen Verfassung zu teilen. Es fanden Bewegungen Statt. Carlo Masseria und sein Sohn, beide heldenmütig, hatten es über sich genommen, das Castell Ajaccio durch List und Gewalt in die Hände der Nationalen zu bringen. Die That mißlang; der Sohn fiel im Kampf, der verwundete Vater starb ohne Klagelaut auf der Folter.

So sehr erstarkt aber war das corsische Volk, daß es weit davon entfernt, seine Augen ängstlich auf Hülfe vom Auslande zu richten, in sich selber nicht allein die Mittel zum Widerstande, sondern auch zum Angriff fand. Schon wehte sein Banner auf dem Mittelmeer; de Perez, ein Malteserritter, war Admiral der kleinen Flotte, welche bereits anfing den Genuesen furchtbar zu werden. Man sprach in Corsica davon, daß die Lage der Insel sie wol berechtige eine Seemacht zu werden, wie einst griechische Inseln im Ostmeer es gewesen waren; man hörte sogar von der Möglichkeit einer Landung der Corsen auf der Küste Liguriens.

Nun gab die überraschende Eroberung der nahen Insel Capraja möglichen Vorstellungen größere Wahrscheinlichkeit und der Furcht größere Begründung. Diese kleine Insel war in früheren Zeiten der corsischen Signorenfamilie da Mare dienstbar gewesen, dann in den Besitz der Genuesen übergegangen. Sie ist unfruchtbar, aber ein wichtiger und schwer zu nehmender Landungsplatz im genuesisch-toscanischen Canal. Ein Corse Centuri faßte den Gedanken, sie zu überrumpeln. Paoli ging darauf ein, und so lief im Februar 1765 eine kleine Flotte mit zweihundert Mann Truppen und einer Schar Milizen vom Cap Corso aus. Sie überfielen die Stadt Capraja, welche anfangs lebhaften Widerstand leistete, dann mit ihnen gemeine Sache machte. Das Castell aber hielt der genuesische Oberst Bernardo Ottone mit rühmlicher Tapferkeit. Auch schickte Genua auf die Kunde von dem Ereigniß eilig seine Flotte unter dem Admiral Pinelli. Sie wurde zurückgetrieben, zu dreien Malen. Der Zorn und die Scham, einer Handvoll Corsen, welche sich dort festgesetzt hatten, Capraja nicht entreißen zu können, waren so groß, daß alte Senatoren in Tränen ausbrachen. Noch einmal ließ der Senat die Flotte gegen das Eiland auslaufen, vierzig Kriegsschiffe an der Zahl. Die fünfhundert Corsen unter Achill Murati warfen die Genuesen in das Meer zurück. Da ergab sich auch Bernardo Ottone im Mai 1767, und Capraja von den Corsen in Besitz genommen, wurde zu ihrer Provinz erklärt. So sah die genuesische Republik ihren Handel durch eine Corsenfestung fast vor ihren Toren bedroht.

Der Fall Capraja's beschleunigte die Notwendigkeit das unhaltbare Corsica endlich ganz aufzugeben. Doch zögerte die alternde Republik, den Entschluß auszusprechen, bis ein Mißgriff, welchen sie machte, sie dazu nötigte. Damals waren die Jesuiten sowol aus Spanien als aus Frankreich vertrieben worden; der spanische König aber hatte den genuesischen Senat ersucht, den Verbannten ein Asil in Corsica zu gestatten. Ihm zu Gefallen war Genua darauf eingegangen, und eines Tages sah man eine große Zahl von Vätern Jesu in Ajaccio landen. Die Franzosen. welche die ewige Verbannung der Jesuiten ausgesprochen hatten, nahmen es als eine Beleidigung von Seiten Genua's auf, daß der Senat jenen die corsischen Seestädte öffnete, welche Frankreich selbst besetzt hielt. Sofort bekam der Graf Marbeuf Befehl, seine Truppen aus Ajaccio, aus Calvi und Algajola herauszuziehn, und kaum war dies geschehn, als die Corsen die Stadt Ajaccio besetzten bis auf die Citadelle, in welche die Genuesen eingerückt waren.

Unter diesen Umständen und bei der heftigen Spannung, welche zwischen Frankreich und Genua eingetreten war, sah der Senat voraus, daß er den Corsen würde weichen müssen. Also kam er zu dem schmählichen Entschluß, seine vorgeblichen Rechte auf die Insel an Frankreich freiwillig zu verkaufen.

Choiseul ergriff den Antrag mit Freuden. Die Erwerbung einer so wichtigen Insel im Mittelmeer erschien als ein Ersatz zu einer Zeit, in welcher man Canada verloren hatte. Der Vertrag wurde am 15. Mai 1768 zu Versailles geschlossen und gezeichnet von Choiseul für Frankreich und von Domenico Sorba für Genua. Wider alles Völkerrecht übertrug die Republik ein freies Volk, auf welches sie keine andere Rechte besaß, als die längst verfallenen der Eroberung, an eine fremde Macht, welche mit jenem bisher als mit einer unabhängigen Nation verkehrt hatte. Genua hatte noch die entwürdigende Bedingung gestellt, wieder in seine Rechte auf Corsica zurückzutreten, so bald es im Stande sei, die Kosten abzutragen, welche Frankreich die Besetzung der Insel machen werde.

Ehe die französische Flotte aus den Häfen der Provence absegelte, war das Gerücht von dem erst geheim gehaltenen Vertrage in Corsica verbreitet worden. Die am 22. Mai nach Corte berufene Landesversammlung beschloß einstimmig Gegenwehr und Erhebung in Masse. Hier hatte Carlo Bonaparte, Paoli's Secretär, mit feuriger Beredsamkeit gesprochen.

Unterdeß war der Graf Narbonne mit Truppen in Ajaccio gelandet; die erstaunten Bewohner der Stadt hatten das genuesische Banner herunternehmen und die weiße Fahne Frankreichs aufpflanzen sehen. Gleichwol leugneten die Franzosen noch die eigentliche Absicht ihrer Ankunft und suchten die Corsen durch falsche Vorspiegelungen zu täuschen, bis Chauvelin, mit dem Oberbefehl in Corsica beauftragt, in Bastia landete.

Am 7. August desselben Jahres sollte jener auf vier Jahre abgeschlossene Besetzungsvertrag ablaufen, an diesem Tag erwartete man den Beginn der Feindseligkeiten. Aber schon am 30. Juli rückten die Franzosen 5000 Mann stark von Bastia gegen San Fiorenzo und bemächtigten sich nach einem ungleichen Kampf einiger Orte in Nebbio. So ward offenkundig, daß das letzte Schicksal an den Corsen vollzogen werden sollte. Immer ihnen feind hatte es stets fremde Despoten zwischen sie und Genua gestellt, und am Vorabend ihrer Befreiung sie jedesmal in das alte Elend zurückgeworfen.

Pasquale eilte nach dem Nebbio mit einigen Milizen. Sein Bruder Clemens hatte daselbst schon mit 4000 Mann sich aufgestellt. Aber beide konnten nicht hindern, daß Marbeuf das Cap Corso unterwarf. Nun wandte sich auch Chauvelin gegen das stark befestigte Furiani, begleitet von Matia Buttafuoco aus Vescovato, welcher die Schande auf sich lud, vom Feinde Lohn und Titel zu erwerben. Der Kampf um Furiani war verzweifelt. Nur 200 Corsen hielten den Platz unter Carlo Saliceti und Ristori, aber sie ergaben sich auch dann nicht, als der ganze Ort zu einem Schutthaufen zerschossen war, sondern sie schlugen sich nach der Seeküste durch.

Ein gleich mörderischer Kampf fand in der Casinca und an der Golobrücke statt. Auf allen Punkten wurden die Franzosen zurückgeworfen; Clemens Paoli bedeckte sich mit Ruhm. Ihn und Pietro Colle nennt man als die tapfersten Helden in dem letzten Freiheitskampf der Corsen.

Die Trümmer der geschlagnen französischen Armee warfen sich auf Borgo, einen hoch gelegnen Ort auf den Bergen bei Mariana, und sie verstärkten dessen Besatzung. Um jeden Preis wollte Paoli diesen Ort gewinnen; er begann deshalb den Sturm am 1. October, in der Nacht. Es war die glänzendste Waffenthat. Von Bastia zog Chauvelin herbei; ihm warf sich Clemens entgegen; Colle, Grimaldi, Agostini, Serpentini, Pasquale Paoli, Achille Murati stürmten gegen Borgo. Von beiden Seiten wurde jede Kraft herangezogen. Dreimal machte die ganze Stärke der französischen Armee einen verzweifelten Anlauf und dreimal wurde sie geworfen. Die corsischen Milizen, an Zahl um so vieles geringer, zertrümmerten hier die geschlossenen Reihen einer Armee, welche seit Ludwig XIV. in dem Rufe stand, die beste Europa's zu sein. Man sah auch Weiber mit der Flinte und dem Schwert sich unter die Feinde stürzen. Endlich wichen diese nach Bastia; ihrer viele waren erschlagen, viele, darunter Marbeuf, verwundet; 700 Mann mit dem Obersten Ludre, die Besatzung von Borgo, streckten das Gewehr.

Die ruhmvolle Schlacht bei Borgo zeigte den Franzosen, welches Volk sie zu unterjochen gekommen waren. Sie hatten nun alles Land wieder verloren bis auf die festen Plätze. Chauvelin aber berichtete an seinen Hof seine Verluste und forderte neue Truppen. Man sandte ihm 10 Bataillone.


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