Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel.

Die Corsen glaubten nicht an die Rückkehr ihres Königs, noch an die Hülfe, die er zu senden ihnen versprochen hatte. Von der Not gedrängt, hatte das arme Volk, trunken von Freiheitsliebe, selbst die Lächerlichkeit hingenommen, welche dem Königtum eines Abenteurers anhaftet. In seiner Verzweiflung hatte es nach einem Strohhalme gegriffen; und was hätte es nicht aus Haß gegen Genua und aus Freiheitsdrang gethan? Nunmehr sah man sich dem Ziel um nichts näher gerückt. Viele zeigten ihren Unwillen. In dieser Lage suchten die Regenten mit Rivarola Unterhandlungen anzuknüpfen, welche indessen nicht zu Stande kamen, weil der Genuese unbedingte Unterwerfung verlangte. Man berief das Volk, seine Meinung zu hören. Es beharrte darauf, daß man dem Könige, welchem man Treue geschworen habe, treu bleiben und keinen andern Herrn als ihn anerkennen müsse.

Theodor unterdeß hatte einen Teil Europa's durchreist, neue Verbindungen angeknüpft, Geld aufgebracht, Ritter ernannt, Polen und Deutsche geworben; und obwol ihn seine Gläubiger zu Amsterdam in den Schuldturm gesetzt, war es dem Genie des wunderbaren Menschen dennoch geglückt, Hülfsmittel zusammen zu bringen, welche er dann nach Corsica abgehen ließ. Von Zeit zu Zeit kam ein Schiff mit Kriegsbedarf, und ein Aufruf, welcher die Corsen zur Standhaftigkeit ermunterte.

Dies und die Furcht, es möchte dem rastlos thätigen Manne endlich doch gelingen eine Macht des Festlandes für sich zu gewinnen, ängstigte Genua. Der Senat hatte einen Preis von zweitausend Genuinen auf den Kopf des Corsenkönigs gesetzt und die Agenten der Republik verfolgten seine Schritte bei allen Höfen. Selber in Geldverlegenheit nahm Genua von der Bank drei Millionen auf und mietete drei Regimenter Schweizer. Der kleine Krieg nahm seinen Fortgang und er wurde mit äußerster Grausamkeit geführt, da man sich daran gewöhnt hatte keinen Pardon mehr zu geben. Endlich entschloß sich die Republik die Hülfe Frankreichs anzurufen. Sie hatte bisher gezaudert eine fremde Macht anzugehen, weil ihr Schatz erschöpft war und frühere Erfahrungen sie nicht ermunterten.

Das französische Cabinet nahm die Gelegenheit bereitwillig auf, wenigstens zu verhindern, daß ein anderer Staat seinen Einfluß auf eine Insel geltend machte, deren Lage an den Grenzen Frankreichs von so großer Wichtigkeit war. Deshalb schloß der Cardinal Fleury am 12. Juli 1737 einen Vertrag mit Genua, in Kraft dessen Frankreich versprach, ein Heer nach Corsica zu schicken zu dem Zweck die »Rebellen« der Republik zu unterwerfen. Manifeste gingen ab diesen Entschluß dem corsischen Volke kund zu thun. Sie erregten große Bestürzung, um so mehr als eine Macht die Corsen bekriegen wollte, welche in früheren Zeiten in weit anderen Verhältnissen zu ihnen gestanden hatte. Das corsische Volk antwortete mit der Erklärung, nimmermehr unter die Herrschaft Genua's zurückkehren zu wollen und mit einem verzweifelten Anruf an das Mitleiden des französischen Königs.

Fünf Regimenter Franzosen landeten unter dem Befehl des Grafen Boissieux in Corsica im Februar 1738. Der General hatte gemessene Befehle, friedliche Unterhandlungen zu versuchen, und Genua hoffte, daß sein bloßes Erscheinen hinreichen würde, die Corsen zu entwaffnen. Aber diese blieben fest. Das ganze Land erhob sich beim Nahen der Franzosen wie ein Mann; Feuerzeichen auf den Bergen, die Muschelhörner in den Dörfern, die Glocken in den Klöstern riefen zu den Waffen. Alles was sie tragen konnte sammelte sich, ein jeder Mann versehen mit Brod auf acht Tage. Jedes Dorf bildete seine Schar, jede Provinz ihr Lager. So stand man gerüstet und wartend. Boissieux knüpfte Unterhandlungen an; sie dauerten sechs Monate lang, bis von Versailles die Erklärung kam, daß die Corsen sich unbedingt Genua unterwerfen sollten. Diese flehten noch einmal Ludwig den Fünfzehnten an, des Anteils gedenk zu sein, welchen seine erlauchten Ahnen an Corsica genommen hatten, und sie erklärten, lieber den letzten Blutstropfen vergießen, als unter die mörderische Herrschaft Genua's zurückkehren zu wollen. Indeß gab man in der bittern Not die verlangten Geißeln und erklärte sich bereit, dem französischen König zu vertrauen und seines Entscheides zu harren.

Auf diesem Punkt standen die Dinge, als eines Tags der Baron Droste, Neffe Theodors, in Aleria landete, eine Menge Munition und die Nachricht mit sich bringend, daß der König der Corsen mit nächstem wiedererscheinen werde. Der rätselhafte Mann landete wirklich in Aleria am 15. September, trefflicher und königlicher ausgerüstet als er zum ersten Mal gekommen war. Drei Schiffe brachte er mit sich, das eine von 64, das andere von 60, das dritte von 55 Kanonen, außerdem Bombardierschaluppen und viele Transportschiffe. Sie waren beladen mit 27 Kanonen, mit 7000 Bajonetflinten, 1000 großen Musketen, 2000 Pistolen, mit 24,000 Pfunden groben, 100,000 Pfunden feinen Pulvers, 200,000 Pfunden Blei, 400,000 Feuersteinen, 50,000 Pfunden Eisen, 2000 Lanzen, 2000 Granaten und Bomben. Alle diese Artikel hatte derselbe Mann aufgebracht, welchen seine Gläubiger in Amsterdam in den Schuldturm geworfen hatten. Seiner Ueberredungsgabe war es gelungen, die Holländer für Corsica zu gewinnen und ihnen eine Verbindung mit dieser Insel wünschenswert zu machen. Eine Companie von Capitalisten, die reichen Häuser Boom, Tronchain und Neuville hatten sich zusammengethan und dem Corsenkönig Schiffe, Geld und Kriegsbedürfnisse hergeliehen. So war Theodor unter holländischer Flagge in seinem Königreich gelandet. Aber er fand die Angelegenheiten in einer Wendung, welche alle seine Hoffnungen niederschlug; er mußte erfahren, daß er nur König war als Glücksritter und daß er dies nicht mehr sein konnte, als er in königlicher Weise und mit Mitteln kam, seinen Titel zu verwirklichen. Er fand das Land widerstrebend und in voller Unterhandlung mit Frankreich. Das Volk zwar führte ihn im Triumf wieder nach Cervione, wo man ihn einst gekrönt hatte, aber die Generale, seine eigenen Grafen, ließen ihn wissen, daß die Umstände sie zwängen, nichts mehr mit ihm gemein zu haben, sondern mit Frankreich zu unterhandeln. Boissieux hatte gleich nach Theodors Landung einen Aufruf erlassen, welcher jeden zum Hochverräter erklärte, der dem geächteten Baron Gehör geben würde; und so sah sich der König von denen verleugnet, welche er kurz vorher zu Grafen, Markgrafen, Baronen und Cavalieren erhoben hatte. Die Holländer, in ihren Erwartungen getäuscht und von französischen und genuesischen Schiffen bedroht, entschlossen sich kurz und gingen voll Unwillen unter Segel nach Neapel. Theodor sah sich deshalb gezwungen gleichfalls hinwegzugehn, und voll Gram schiffte er sich nach dem Festlande ein.


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