Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Durch die Balagna nach Corte.

Ich verzichtete auf eine Wanderung längs der Küste Calvi's, wo die Golfe von Galeria und Girolata und die größeren von Porto und Sagone in das Land einschneiden. Diese Gegenden sind größtenteils unbebaut, die Wege abschreckend.

Mit der Post, welche von Calvi nach Corte geht, machte ich mich auf, durch das herrliche Tal der Balagna zu fahren. Wie ich schon erwähnt habe nennt man dieses Land den Garten Corsica's. Himmelhohe Berge umschließen dasselbe, Schneehäupter wie der Tolo und der gewaltige Grosso, Höhen von den prächtigsten Formen, die den Landschaftsmaler entzücken würden. An den Abhängen stehen Ortschaften in großer Zahl, welche der Blick überlaufen kann, Santa Reparata, Muro, Belgodere, Costa, Speloncato, Feliceto, Nessa, Occhiatana, alle ehedem Sitze des Adels und der Caporali und voll von Erinnerungen alter Zeiten. Einst herrschten hier die Markgrafen Malaspina, welche auf Massa und der lunigianischen Mark zu Hause waren, ein mächtiges Herrengeschlecht, das auch Dante rühmt. Im Fegefeuer findet er Currado Malaspina und sagt zu ihm:

Ich bin in euer Land noch nie gekommen,
Doch wo man in Europa mag verkehren,
Wo hätte seinen Ruf man nicht vernommen.
Man hört den Ruhm von eures Hauses Ehren
Von Herr'n und Land aus jedem Munde kommen.

Fünf Grafen ihres Hauses Guglielmo, Ugo, Rinaldo, Isuardo und Alberto Rufo waren seit dem Jahre 1019 nach Corsica gekommen. Ihr zahlreiches Geschlecht ist in vielen Zweigen über die italienischen Lande verbreitet. Sie bauten in der Balagna Speloncato.

Später verloren die Barone ihre Macht durch die Verfassung der Terra del Commune. Man hielt hier häufig Volksversammlungen, wie auf dem Feld von Campiolo. Der corsische Geschichtschreiber erzählt einen Zug von Heroismus, welchen Renuccio della Rocca dort zu erkennen gab. Er stand gerade vor dem Volk, als sein vierzehnjähriger Sohn über das Feld ritt, und von dem wild gewordenen Roß in die Lanze geschleudert wurde, die sein hinter ihm reitender Schildknappe hielt. Man brachte den sterbenden Jüngling zum Vater. Aber Renuccio. ohne die Miene zu ändern, fuhr in seiner Rede fort, das Volk zum Aufstand gegen Genua zu entflammen. Dieser spartanische Zug, der Heroismus Gaffori's, jener Heldensinn Leoni's vor dem Turm Nonza, erinnert an die Männlichkeit Xenophons. Als dieser einst beim Opfern war, brachte man ihm die Nachricht, daß sein Sohn Gryllus gefallen sei. Der Vater nahm bestürzt den Opferkranz vom Haupt, aber als man ihm sagte, daß sein Sohn tapfer gekämpft habe, setzte er den Kranz wieder auf und opferte ruhig den Göttern.

Ich fand in der Balagna viele schon gesichelte Getreidefelder, ein tröstlicher Anblick in corsischen Landen. Ueberall, zumal in der Nähe von Ortschaften, gibt es herrliche Haine von Castanien, Wallnußbäumen und Mandeln, Gärten voll von Orangen und Citronen, und Oelwälder. Die gute Straße führt am Fuß des Bergcirkels hin, und von allen Punkten genießt man der schönsten Fernsichten in die Berge oder auf das Meer. Die größten Orte der Balagna sind Muro und Belgodere, namentlich das letztere, welches seinen Namen der schönen Lage verdankt. Um Belgodere her ist das rechte palladische Land der Olivenhaine.

Man behauptet, daß es in ganz Italien keinen Ort gebe, wo der Oelbaum zu solcher Größe erwachse, wie in der Balagna. Sein Wuchs, seine Fülle von Gezweig und sein Fruchtsegen sind erstaunlich. Er ist stark wie die Buche, und im heißen Mittag ruht man beschirmt unter seinem Frieden. Wie muß man den Oelbaum lieb gewinnen! Er ist nicht prächtig anzuschauen wie die Platane oder die Eiche; sein Stamm, seine graulich grünen, langen, schmalen Blätter erinnern an die heimische Weide, aber außer dem Reichtum, den er trägt, haftet an ihm die Poesie der menschlichen Cultur. Wenn man unter einem grauen Oelbaum am Meeresstrand sitzt, wird man in das fromme, sonnige Morgenland entrückt, wo unsre Phantasie zu Hause ist, seitdem uns die Mutter die Bilderbibel aufschlug und vom Oelberg in Jerusalem erzählte. Wie oft haben wir uns nicht jene Olivenhaine gedacht! Und wieder rauscht aus diesem Baum die Poesie der Hellenen und die Weisheit der Minerva; er versetzt uns in das Land des Homer, des Pindar und Aeschylus und unter die Musen und Götter des Olymp. Ein christlich hellenischer Baum ist der Oelbaum, ein doppelheimischer; sein Zweig köstlicher als der des Lorbeers, das schönste Sinnbild des Glücks und des Friedens, und der Mensch sollte die ewigen Götter zu allererst bitten: schenkt mir ins Leben einen grünen Oelzweig. Sie schenken allerlei ins Menschenleben, den Lorbeerzweig, die Mirte, den Dorn- und den Cypressenzweig. Mit Demut soll's der Mensch hinnehmen. –

Es gibt in der Balagna mehrere Gattungen von Oelbäumen, die sabinischen sabinacci, die saraceni, die genovesi so nennt man sie nach ihrer Abkunft gleich edlen Signorenfamilien. Die dritte ist die häufigste. Man schreibt sie Agostino Doria zu, welcher die Corsen zwang, die Olive reichlich zu pflanzen. Das ist denn ein friedliches Denkmal der Genuesenherrschaft in Corsica. Wann dort die Olive überhaupt heimisch geworden ist, weiß ich nicht zu sagen. Im Epigramm Seneca's wird noch geklagt, daß der Pallas Geschenk auf der Insel nicht zu finden sei. Doch scheint es mir kaum glaublich, daß man nicht schon vor Seneca den Oelbaum auf Corsica sollte gepflanzt haben. Heute gilt von den corsischen Oelbäumen der Ruhm, daß sie unter allen andern der Welt den Witterungsveränderungen am kräftigsten trotzen, und dieses Lob hat ihnen Humboldt gespendet. Sie bedürfen weniger Pflege. Man schneidet ihre ältesten Aeste ab, umgräbt den Baum, oder trägt etwas Dünger um den Stamm aus. Wenn die Oliven abfallen, sammelt man sie. Zwanzig Pfund geben fünf Pfund klares Oel. Das thut man in Steinkrüge, worin es bis zum Monat Mai stehen bleibt. Der Oelbaum trägt alle drei Jahre sehr reichlich.

Es kommen die Vögel und tragen die Olivenkerne nach allen vier Winden und streuen sie aus. Da bedeckt sich die Insel mit wilden Oelgebüschen, welche in Berg und Tal grünen und der Veredelung warten. Im Jahr 1820 hat man sie, ich weiß nicht auf welche Weise, zu zählen unternommen und man will ihrer zwölf Millionen rechnen. Heute sind die reichsten Oelländer Corsica's die Balagna, das Nebbio und die Gegend von Bonifazio.

Ich verließ die Balagna bei dem Ort Novella. Von hier geht es in das bergige Innere hinein, und stundenweit rollt das Fuhrwerk durch enge Täler und zwischen unfruchtbaren Felsenhügeln hin, ohne daß sich eine Ortschaft zeigt, bis man nach Ponte alla Leccia im Golotal gelangt, wo die Hauptstraßen von Calvi, Ajaccio und Bastia sich treffen. Man fährt nun längs des Golo fort in einem anmutigen Tale. Zur Rechten hat man das Hirtenland Niolo, den heutigen Canton Calacuccia; es ist muschelförmig von den höchsten Bergen umgeben, in denen die Seen Neno und Creno liegen. Dies merkwürdige Gebiet ist eine natürliche Festung, denn nur an vier Stellen öffnet es sich, nach Vico, Venaco, Calvi und nach Corte. Ein steiler Weg, die scala di Santa Regina, führt nach Corte. In jenem Ländchen wohnen die stärksten Männer Corsica's, patriarchalische Hirten, welche die Sitten der Altvordern treu bewahrt haben.

Mancher merkwürdige Ort liegt auf der Straße nach Corte, wie zuerst Soveria, die Heimat der Cervoni. Thomas Cervoni war es, welcher Paoli aus dem Kloster Alando befreite, als Matra ihn dort belagerte. Man wird sich erinnern, daß er Pasquale's Feind war, daß aber seine Mutter ihm selbst die Waffen in die Hand gab und unter der Drohung, ihn zu verfluchen, ihn forttrieb, jenen zu retten.

Cervoni's Sohn war der tapfere General, welcher als Officier bei Toulon neben Napoleon die ersten Waffenehren davontrug. Er glänzte bei Lodi; im Jahr 1799 war er Befehlshaber in Rom. Er kündigte dem Papst Pius VI. an, daß seine Herrschaft zu Ende sei und daß er den Vatican verlassen müsse. Er war das Schrecken Rom's. Valery erzählt, daß derselbe Cervoni in den Tuilerien an der Spitze der Generale vor Pius VII. trat und ihn begrüßte. Sein schönes Organ und seine reine italienische Sprache setzten den Papst in Erstaunen, so daß er ihm Schmeicheleien sagte. Santo Padre, sagte hierauf Cervoni, sono quasi italiano – Oh! – Sono Corso – oh! oh! – »Sono Cervoni!« – oh! oh! oh! und bei dieser Erinnerung wich der Papst bis an das Kamin zurück. Im Jahr 1809 riß dem Marschall Cervoni eine Kanonenkugel bei Regensburg den Kopf hinweg.

Nahe bei Soveria steht Alando, berühmt durch Sambucuccio, jenen Lykurg der Corsen, welcher die demokratische Verfassung dieses Volkes gründete. Man zeigt kaum kenntliche Trümmer seines Schlosses. Einer seiner Nachkommen war vierhundert Jahre später, im Jahr 1466, Vicar der corsischen Nation; Caporali wohnten hier. namentlich im nahen Omessa. Erst Tribune des Volks und durch die Demokratie Sambucuccio's berufen, die Rechte der Gemeinden zu vertreten, erlagen sie dem allgemeinen Uebel, welches die besten Verfassungen untergräbt, dem Ehrgeiz und der Herrschsucht, und sie machten sich ebenso wie die Signoren zu Despoten. Noch zu seiner Zeit klagt Filippini, daß die Caporali die schrecklichste Geißel Corsica's seien.

Rings um Alando gedeihen Castanien, aber das Land ist arm. Auf den Berghaiden haben schwarze Schafe und Ziegen ihre Nahrung. Ihre Wolle wird zum pelone verwirkt.

Sobald man über das Gebirg Alluraja gekommen ist, welches sich hoch zwischen dem Golo und dem Tavignanofluß erhebt, steigt man auf der vortrefflichen Straße nach Corte nieder.


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