Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel.

Der Berggipfel.

Der Morgen graute. Ich ging hinaus und erfrischte mich an den Wellen der schlummerlosen Restonica, welche jung und klar vom Felsen sprang und in das Tal hinunterraste. Der Quell hat ein schönes Leben. Nach zwölf Stunden eines wonnesamen Laufes durch die immergrünen Wälder stirbt er in den Wassern des Tavignano. Ich gewann die Restonica lieb. Ich kenne ihre ganze Lebensgeschichte, denn von ihrem Ursprung an habe ich sie an einem Tage bis an ihr Ende begleitet, und manchen herrlichen Trunk hat sie mir kredenzt. Ihr Wasser ist so klar, so frisch und so leicht wie der Aeter, und im ganzen Lande Corsica ist es weit und breit berühmt. Nie trank ich besseres Wasser, es hat mich mehr gelabt als der köstlichste Wein. Dieser unvergleichliche Quell besitzt eine solche Schärfe, daß er Eisen in kürzester Zeit spiegelblank reinigt und es vor Rost bewahrt; schon Boswell weiß, daß die Corsen zur Zeit Paoli's ihre rostigen Flintenläufe in die Restonica steckten, um sie zu reinigen. Alle Kiesel und Steine, welche der Quell überflutet, macht er schneeweiß, und bis zu seiner Mündung in den Tavignano ist sein Bette oder sein Ufer mit diesem milchweißen Gestein geziert.

Als ich meinen Führer aufforderte, nunmehr auf den Gipfel des Rotondo zu steigen, gestand er, daß er den Weg nicht wisse. Es wurde nun Angelo mein Führer auf den Berg. Nach drei Uhr des Morgens begannen wir die Wanderung. Sie war gefahrloser aber unendlich mühevoller als ich geglaubt hatte.

Es erheben sich mehrere Felsenkämme über einander, die man erst zu ersteigen hat bis man zum Trigione, dem letzten Vorberg des Rotondo, gelangt. Es ist eine gewaltige Scala, die hier die Natur über einander gelegt hat, von Kolossalstufen aus dem prächtigsten rötlichen Urgranit; plumpe Giganten, welche den Himmel stürmen, Felsblöcke mit den Riesenhänden fassend, möchten sie beschreiten. Block liegt hier über Block, ungeheuer und ungestaltet wie die Urzeit und so grau, ins Unendliche fort emporgetürmt, daß der Menschenfuß verzagen will. Das überströmende Herbstwasser hat den Granit oft so sehr geglättet, daß der schöne Stein große Flächen darbietet, welche wie im Fluß erstarrt zu sein scheinen. Das Wasser rinnt aus tausend Rinnen in unerschöpflicher Fülle. Der Baumwuchs aber hört auf, nur Erlenbüsche bezeichnen den springenden Lauf der Restonica.

Nach zwei Stunden hatten wir den Trigione erklettert, und vor uns lag der beschneite Berggipfel. Seine zersplitterten Felsen bilden einen kraterförmigen Halbtrichter, und diese Form hat dem Berge den Namen gegeben. Wo dies ungeheure Amphitheater sich öffnet, liegt dunkel hingegossen ein kleiner See, der Lago di Monte Rotondo, von grünen Wiesen sanft umkränzt; ein eisig kühler Trank in granitner Riesenschale. Schneefelder ziehen sich vom See bis zum Gipfel auf, in der Glutzeit des Hundsgestirns und unter dem 42sten Breitengrade, unter südlichem Himmel ein seltsamer Anblick. Sie waren mit einer Eiskruste überlegt und hauchten eine kalte Luft aus. Aber obwol ich in der Region des ewigen Schnees war, blieb die Temperatur angenehm frisch und erquicklich, ohne je empfindlich zu werden.

Der Gipfel erschien nahe genug, und doch mußten wir zwei volle Stunden mit großer Anstrengung oft auf Händen und Füßen über das Getrümmer klettern, ehe wir ihn erreichten. Am schwierigsten war der Aufgang über einen Schneestreifen, auf dem der Fuß nicht haften wollte. Wir halfen uns, indem wir mit einem spitzigen Stein nach und nach Stufen ausschlugen, in welche wir vorsichtig den Fuß setzten. So gelangten wir endlich sehr erschöpft auf die äußerste Spitze, welche von einem grauen durchrissenen Obelisken gebildet wird und in einem schmalen Zacken endigt, so daß man ihn umklammernd aus schwindelnder Felsenhöhe gleichsam schwebend sich erhält.

Von diesem 2764 Meter hohen Gipfel Corsica's übersah ich denn den größten Teil der Insel und das Meer zu ihren beiden Seiten, ein Anblick, den einmal gehabt zu haben man sein Lebenlang sich freuen darf. Der Horizont, welchen man vom Rotondo überblickt, ist bei weitem großartiger als der des Mont-Blanc. Weit hin schweift der Blick in die stralenden Meeresfernen, hinaus über die toscanischen Inseln nach dem Festland Italiens, welches bei heitrer Luft die weißen Seealpen und den ganzen Uferbogen von Nizza bis nach Rom zeigt. Auf der andern Seite tauchen die Berge Toulons auf, und so schließt dies wunderbare Panorama Meere, Eilande, die Alpen, die Apenninen und Sardinien in einen Zauberring. Nicht ganz so glücklich war mir die Stunde, denn die rastlos aus den Schluchten sich spinnenden Dünste entzogen mir einen Teil der Ferne. Nach Norden sah ich die Halbinsel Cap Corso lang ausgestreckt wie ein Dolch, nach Osten die Ebenen der Küste in sanften Linien niedersteigend, die Inseln des toscanischen Meers, Toscana selbst, nach Westen die Golfe von Prato, Sagone, Ajaccio und Valinco. Deutlich zeigte sich Ajaccio auf seiner Landzunge in der schönen Bai, eine Reihe von weißen Häusern, die auf dem Meer schwimmende Schwäne zu sein schienen. Das Meer selbst glich einem Lichtocean.

Nach dem Süden zu versperrt der breitbrustige Monte d'Oro die Aussicht in das Inselland. Viele Berggipfel, wenig kleiner als der Rotondo und ebenfalls vom Schnee umglänzt, zeigen sich umher, wie der Cinto und der Capo Bianco nach Norden zu, die Gipfel des Landes Niolo.

Die Insel selbst erscheint als ein ungeheures Felsenskelett. Der Monte Rotondo liegt zwar nicht auf der Gebirgskette, welche sie von Norden bis zum Süden durchzieht, sondern auf einem etwas östlich fortgewichnen Zweige. Aber der Standpunkt erlaubt einen Blick in das ganze Bergsystem und sein riesiges Zellengewebe. Man sieht die Hauptkette nahe vor sich, von diesem Grat die Gebirgsrippen nach beiden Seiten parallel fortlaufen und Reihen von Tälern bilden, welche bebaut und bewohnt sind. Jedes derselben ist von einem Fluß durchströmt, und wiederum strömen vom Hauptgebirgsstock die drei großen Flüsse der Insel, nach der Ostküste der Golo und Tavignano, nach dem Westen der Liamone.

Blickt man vom Gipfel in dessen nächste Umgebung, so erschrickt man vor den Felsenwüsten und todtenstillen Bergruinen rings umher. Die Blöcke liegen hier endlos ungeheuer wie ein Mal des Kampfs der Elementargeister mit dem Licht des Himmels. Fürchterlich steile Bergwände bilden ein Gewebe von öden Tälern. In den meisten derselben liegt mitten inne ein kleiner unbewegter See. Je nachdem er Licht oder Schatten vom Himmel oder von den Felsen empfängt, ist seine Farbe azur, grau oder tiefschwarz. Ich zählte mehrere solcher Seen rings umher, den Rinoso, Mello, Nielluccio, Pozzolo, aus denen Quellen nach der Restonica hinunterfließen, den Oriente, aus welchem sie selbst entspringt. Weiter nach Nordwest lag vor mir das berühmte Hirtenland Niolo, das höchste Becken Corsica's, und sein schwarzer See Nino, aus welchem der Tavignano entspringt.

Alle diese Seen sind sehr kleine und tiefe Wasserbecken; die meisten wimmeln von Forellen.

Man hört, auf dem Gipfel stehend, beständig die Wasser rauschen, die zum Teil ihre unterirdischen Wege sich bahnen müssen. Also strömt diese starre Felsenwildniß dennoch von lebendigen Quellen über, deren Segen in die Täler quillt und Cultur und Menschengesellschaft möglich macht. Da sieht man an den Hängen dieser Berge tief unten hie und da ein Dorf und grüne Gärten sowie Streifen gelblicher Felder.

Das Gewölk umzog allmälig die Gipfel, wir mußten hinabsteigen. Wir nahmen den beschwerlichen Rückweg nach der Seite des Lago di Pozzolo. Dort erhebt sich der gewaltige Frate, ein Felskoloß des Rotondo und die mächtigste Granitpyramide des Berges. Schwarze Zinnen und Zacken umstarren ihn, und chaotisches Urgestein, in unzählige graue Trümmer zerschmettert und herabgestürzt, bedeckt seinen plumpen Fuß, der sich in das melancholische Felsental Pozzolo hinabsenkt. In den Ritzen des Gesteins stand die blaue Wunderblume, von der mir Fiordalise gesagt hatte, daß ich sie finden würde. Angelo hatte sie gepflückt und rief mir zu: ecco, ecco, lu flore! Ich nahm sie aus seiner Hand; es war unser Vergißmeinnicht. Camillen, Tausendschön und Ranunkeln blühten in Menge in dem Gestein des Gipfels selber, und den Rand der Schneefelder zierten unsere Veilchen.

Es kostete gar große Mühe über das Gestein des Frate hinwegzusteigen, und endlich drüber weggekommen, drohte uns ein Schneestreif den Weg zu versperren: der Ziegenhirte wollte ihn umgehen, doch hätte es mir als einem Nordländer zu sehr wehe gethan, dies vortreffliche Rutschfeld unbenutzt zu lassen. Ich setzte mich also auf Angelo's Pelone und fuhr getrost hinunter. So bin ich denn in der Sommersonnenglut und obenein in Italien, unter dem 42. Breitengrade auf Schnee gefahren.

Wir hielten unser Frühstück am Fuß eines Kegels, und gestärkt durch etwas Brod und frisches Wasser wanderten wir weiter abwärts. Vergebens sah ich mich nach den wilden Thieren um, welche die Felsen des Monte Rotondo bewohnen, nach dem Muffro nämlich und dem Banditen. Wiewol mir Angelo versicherte, daß deren genug in dem Geklüft hausen, an dem wir vorübergingen, konnte ich doch keinen entdecken. Ich sah nur ein einziges vogelfreies Wesen auf jener Höhe, die zierliche Bergamsel, einen grauen Vogel mit rot-, schwarz- und weißgefiederten Flügeln.

Das corsische Wildschaf, der Muffro oder Mufflone, ist ein sehr merkwürdiges Erzeugniß der Insel. Es ist ein schönes Thier mit spiralen Hörnern, braunschwarz und seidenhaarig, und stark von Gliedern. Es lebt in den höchsten Regionen des ewigen Schnees und steigt immer höher hinauf, je mehr die Sommersonne diesen von den Bergen zehrt. Tags schweift es um die Felsenseen, wo es grüne Weide findet, Nachts sucht es wieder den Schnee. Denn der Muffro schläft auf ihm, sein Weibchen wirft auf den Schnee die Jungen. Wie die Gemse stellt auch der Muffro Schildwachen aus. Bisweilen kommen diese Wildschafe im harten Winter unter die Ziegen der Hirten, und man sieht sie oft in den Tälern von Vivario, von Niolo und von Guagno friedlich neben den Herden weiden. Das junge Thier läßt sich zähmen, nicht so das alte. Man stellt ihnen häufig nach, und wenn man in den corsischen Bergen eine Jagd toben hört und Schuß auf Schuß in den Felsen donnert, so weiß man, es wird gejagt der Muffro oder der Bandit. Beide sind Wildbrüder und gleiche Berggenossen und klimmen bis zum ewigen Schnee.

Nach dreistündigem Herabsteigen erreichte ich die Capannen wieder, und da mein Zweck erfüllt war, erschienen mir diese Hütten so traurig und ihre Luft im Vergleich zu dem reinen Aeter, den ich eben geatmet hatte, so erdrückend, daß ich nach einer Stunde Rast das Maulthier satteln ließ und mich auf den Rückweg nach Corte machte. Freundlich sagte ich dem guten Völkchen von Co di Mozzo Lebewol, und wünschte ihnen, daß ihre Herden sich mehren möchten wie die Herden Jacobs und daß es ihren Kindern wol erginge. Sie geleiteten mich alle bis zum Ausgang der Capannen, und wie ich hinabritt riefen mir Männer und Kinder noch ein ehrlich gemeintes Evviva nach.

Nach einigen Stunden befand ich mich wieder in der climatischen Region, wo Castanien und Citronen reifen; ich hatte also an einem Tag vom ewigen Schnee herab bis in die Gärten Corte's drei Zonen durchwandert, was einer Reise gleichkommt vom hohen Winter Norwegens bis zu den Südländern Europa's.


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