Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel.

Romantisch-christliche Versunkenheit.

Que todo se passa en flores
Mis amores,
Que todo se passa en flores.
Spanisches Lied.

Nahe bei Vescovato liegt der kleine Ort Venzolasca. Ein herrlicher Weg über Hügel und durch Castanienhaine führt dorthin. Ich kam an dem Capuzinerkloster Vescovato's vorbei, welches verlassen steht. Auf einer Höhe gelegen, mit schwarzem Schiefer gedeckt, aus braunem Stein gebaut, steht es im Grünen höchst malerisch da.

Auf diesen Gängen durch das Castanienland vergißt man jegliche Ermüdung. Die Ueppigkeit der Natur und die lachenden Berge, der Blick in die Goloebne und auf das Meer machen das Herz froh, die Nachbarschaft vieler Dörfer unterhält und gibt manche Bilder des Volkslebens. Ich sah manche gemauerte Fontänen, an denen Weiber und Mädchen in ihren runden Krügen Wasser schöpften, einige mit der Spindel, wie Peter von Corsica es gesagt hat.

Vor Venzolasca steht am Weg ein Grabmal der Familie Casabianca. Auch diese ist aus Vescovato gebürtig und gehört zu den angesehensten der Insel. Die unmittelbaren Vorfahren des heutigen Senators Casabianca machten ihren Namen durch Waffenthaten berühmt. Raffaello, Oberbefehlshaber Corsica's im Jahr 1793, Senator, Graf und Pair Frankreichs, starb zu Bastia hochbetagt im Jahre 1826. Luzio, Deputirter Corsica's beim Convent, war Capitän des Admiralschiffes der Orient in der Schlacht bei Abukir. Als der Admiral Brueys von einer Kugel in Stücke gerissen war, übernahm Casabianca den Oberbefehl des Schiffs; es brannte; er ordnete die Rettung der Mannschaft an, so weit diese möglich war, und wollte das Schiff nicht verlassen. Sein junger Sohn Giocante, ein Knabe von dreizehn Jahren, war nicht zu bewegen von des Vaters Seite zu weichen. Jeden Augenblick konnte das Schiff springen. Vater und Sohn hielten sich mit ihren Armen fest umschlungen und flogen so mit den Schiffstrümmern gen Himmel, und in die Unsterblichkeit. Wo man auch wandern mag in Corsica, man atmet Hauch vom Heldengeist.

Venzolasca ist ein kleiner Ort mit schmucker Kirche wenigstens im Innern. Man war eben dabei den Chor auszumalen und klagte mir, daß der Meister, welcher die Holzschnitzelei vergolden sollte, das Dorf schimpflich betrogen habe; denn man hatte ihm Dukatengold gegeben und er hatte dies eingesteckt. Der einzige Luxus, den die Corsen treiben, wird auf den Schmuck ihrer Kirchen verwandt, und es gibt kaum ein kleines Dorf der Insel, welches nicht seinen Stolz darein setzte, helle bunte Farben und Goldzierraten in dem Kirchlein zu haben.

Von dem Ort, auf welchem die Kirche Venzolasca's steht, hat man eine wonnesame Fernsicht aufs Meer und sich umwendend die Ansicht des schönen Bergkessels der Castagniccia. Wenige Gegenden Corsica's haben mir eine solche Freude gemacht als diese Berge in ihrer Verbindung mit dem Meer. Die Castagniccia ist ein mächtiger Circus, welchen saftig grüne Berge von den schönsten Formen umstellen. Alle sind sie bis gegen die Gipfel mit Castanien bedeckt, zu Füßen tragen sie Olivenhaine, deren Silbergrau mit dem Tiefgrün des Castanienlaubes abwechselt. Aus dem Laub hervor sehen einzelne Ortschaften, Sorbo, Penta, Castellare und das hoch in Wolken stehende Oreto, dunkel, mit schlanken schwarzen Kirchtürmen.

Die Sonne ging zu Abend, als ich diese Berge hinaufstieg, und ich hatte frohe Stunden. Wieder kam ich an einem verlaßnen Kloster der Franziscaner vorbei. Es lag ganz vergraben in Reben und Laub, und die Fruchtbäume wußten ihren Segen kaum zu bergen. Wie ich in den Hof und in die Klosterkirche trat, überraschte mich dieses wüste Bild der Zerstörung, welches die Natur mit ihrem Pflanzenwucher lachend zudeckte. Die Steinplatten der Gräber waren aufgethan, als hätten die Todten sie gesprengt, um gen Himmel zu fliegen, Schädel lagen im Grün, und die christliche Symbolik alles Schmerzes war versunken in ein Blumenmeer.

Im Kloster von Venzolasca.

Transfiguration.

                Zu einem schattendunkeln Wald
Hat mich der Irrweg hin verschlagen,
Die Sonne ging zu Rüste bald,
Da sah ich Klostermauern ragen.

Der Epheu schlug um's graue Tor
Den wonnesamsten Ehrenbogen,
Ein alter Oelbaum stund davor,
War auf die Klosterwacht gezogen.

Der that mir da mit stillem Ast
Zum Eintritt in den Kreuzgang winken,
Als wär' er Pförtner, der den Gast
Zum Beten ladet oder Trinken.

Die Rebe schreibt mit leiser Hand
Inschriften, liebesam zu lesen,
Mit grünen Lettern an die Wand,
Weß Ordens der Convent gewesen.

Der Crucifixus – wunderbar! –
Ein Christus schien's pfingsthimmeltrunken,
Vom Marterholz gefallen war,
G'rad in das Rebenlaub gesunken.

Und eine Rebe sah ich da
Des Herren Füße fest umschließen,
Das war die blonde Magdala
Mit ihrem Kuß, dem sündig süßen.

Johannes auch als Rose lag
Dem Herrn zu Haupt auf seinen Knieen,
Und schaut' verzückt empor und sprach
Zur Trauerweide, zu Marien:

»O ring' die Hände nicht in Not!
Was kann's auf Erden Bessres geben,
Als einen heißbeweinten Tod
Nach einem jungen Liebeleben?«

Die blonde Rebe lispelnd rief:
Ergossen hab' ich meine Schmerzen,
Die Lust die mir im Busen schlief,
Ergossen voll aus vollem Herzen.

Still dacht' ich dem Mysterium nach,
Dem Christentum, das worden trübe;
Die Rose sah mich an und sprach:
»O Mensch! Am Anfang war die Liebe!«

———

Der bekränzte Schädel.

Im stillen Klosterhof ich saß,
Ein Schädel lag zu meinen Füßen,
Der lauschte lachend aus dem Gras,
Und thät mich gastlich grüßen.

Nichts that ihm an gemeiner Staub,
Denn um die kahle Stirn gelinde
Schlang schirmend das gekrauste Laub
Die blühende Clematiswinde.

Mir war's, als ob der Schädel sprach:
Ein Corsenabt bin ich gewesen,
Ich hab' den Brüdern allgemach
Des Evangeliums Text gelesen.

Ein Gleichniß lag mir stets zum Grund:
Ich bin der Weinstock, ihr die Trauben;
Das Gleichniß führt' ich stets im Mund,
Sein Sinn ist einfach, ohne Schrauben.

Und einfach war mein Sacrament,
Vom Abendmal die tiefe Lehre:
Das Beste was die Erde nennt,
Die Traube ist es und die Aehre.

Ich teilt' sie aus an manchen Gast,
Dem Armen gab ich Gottes Segen,
War fröhlich diese Erdenrast,
Und konnt' mich froh zur Grube legen.

Sieh' hier das junge Laub, mein Sohn –
Des Lebens mußt' ich mich entschlagen,
Doch schmückt den Schädel mir zum Lohn
Der grüne Kranz, den ich getragen.

Nun sei mein Gast, genieß' des Weins,
Laß dir die Klostertraube munden.
Sei einst dein Todtenhaupt wie meins
Von einem grünen Zweig umwunden.


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