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Nie drang ein Stachel in diese Seele, diesen Körper.
Sainte-Beuve.
Lilian richtete sich halb auf und fuhr mit der Hand durch Roberts kastanienbraunes Haar.
»Sie beginnen sich zu entlauben, mein Freund! Geben Sie acht: Sie sind kaum dreißig Jahre alt, und als Kahlkopf würden Sie keine gute Figur machen. Sie nehmen das Leben zu ernst.«
Robert hob den Blick zu ihr und lächelte:
»Doch bestimmt nicht bei Ihnen!«
»... Sie haben Molinier gesagt, er solle kommen?«
»Ja, da Sie es gewünscht hatten.«
»Und … Sie haben ihm Geld geliehen?«
»Fünftausend Franken –… die er eben jetzt, bei Pedro, wieder verlieren wird.«
»Warum nehmen Sie an, daß er verlieren muß?«
»Daran ist kein Zweifel. Ich hab ihn den ersten Abend beobachtet: er spielt ganz verrückt.«
»Er kann inzwischen gelernt haben … Wollen wir wetten, daß er heute abend gewinnt?«
»Wenn Sie wollen.«
»Oh, nur, wenn es Ihnen Spaß macht! Ich liebe es, daß man gern tut, was man tut.«
»Na, seien Sie doch friedlich! Also abgemacht: gewinnt er, so gibt er Ihnen die fünftausend zurück; verliert er, so erhalte ich die Summe von Ihnen erstattet –… ist's Ihnen so recht?«
Sie drückte auf einen Knopf.
»Bringen Sie Tokayer und drei Gläser. –… Und wenn er nun genau mit den fünftausend wiederkommt, so lassen wir sie ihm, nicht? Ich meine, wenn er weder gewinnt, noch verliert …«
»Das passiert nie. –… Merkwürdig, wie Sie sich für ihn interessieren.«
»Ich finde es merkwürdig, daß Sie ihn nicht interessant finden.«
»Sie finden ihn interessant, weil Sie in ihn verliebt sind.«
»Das mit der Verliebtheit, das stimmt, mein Lieber! Ihnen kann man das ja sagen. Aber nicht deshalb interessiert er mich. Im Gegenteil, meistens ist es so, daß einer, der mich geistig interessiert, mich im übrigen kalt läßt.«
Der Diener kam wieder und brachte Wein und Gläser auf einem Tablett.
»Zunächst trinken wir auf unsere Wette, und nachher noch einmal auf den Gewinner!«
Der Diener schenkte ein, und sie tranken.
»Ich finde ihn zum Sterben langweilig, Ihren Vincent«, sagte Robert.
»Oh, ›meinen‹ Vincent! … Als wenn Sie mir ihn nicht gebracht hätten! Außerdem sollten Sie vielleicht nicht überall verraten, wie sehr Sie sich mit ihm langweilen, man könnte gar zu leicht darauf kommen, warum Sie mit ihm verkehren.«
Robert drückte seinen Mund auf Lilians nackten Fuß, den sie an sich zog und hinter ihrem Fächer verbarg.
»Soll ich erröten?« fragte er.
»Bei mir brauchen Sie das nicht zu versuchen! Sie könnten es ja auch gar nicht.«
»Darf ich Ihnen etwas sagen, mein Lieber? Sie haben alle Eigenschaften eines Literaten: Sie sind eitel, verlogen, ruhmsüchtig, unzuverlässig, egoistisch …«
»Sie überhäufen mich mit Komplimenten …«
»Ja, das sind lauter reizende Qualitäten. Trotzdem wird nie ein guter Romanschreiber aus Ihnen werden.«
»Und warum nicht?«
»Weil Sie nicht zuhören können.«
»Höre ich Ihnen denn nicht ganz vortrefflich zu?«
»Ha! Er, er ist kein Literaturmensch und hört mir tausendmal besser zu! Das heißt –… sind wir beiden allein miteinander, so ist das Zuhören weit mehr auf meiner Seite.«
»Aber er hat doch gar nichts zu sagen!«
»Das scheint Ihnen so, weil Sie ihn nie zu Worte kommen lassen.«
»Ich weiß eben alles im voraus, was er sagen könnte.«
»Glauben Sie wirklich? Hat er Ihnen mal von seiner Geschichte mit dieser Frau erzählt?«
»Oh: Herzensgeschichten –… die sind für mich das Allerlangweiligste, was es auf Erden gibt!«
»Ich mag auch sehr gern, wenn er was aus der Naturgeschichte erzählt.«
»Naturgeschichte –… die ist noch langweiliger als Herzensgeschichten … Er gibt Ihnen also Unterricht?«
»Wenn ich Ihnen nur etwas davon wiedererzählen könnte! … Es ist geradezu faszinierend, mein Lieber! Wahre Wunderdinge hat er mir berichtet von der Tierwelt des Ozeans. Alles, was im Meere lebt, hat mich ja immer interessiert. Wissen Sie, daß man in Amerika jetzt Schiffe baut mit gläsernen Wänden, durch die man rings umher, und bis in die Tiefen des Meeres hinein, alles beobachten kann? Das soll ganz herrlich sein. Man sieht da lebende Korallen und –… wie heißen sie doch? –… Madreporen und Schwämme und Algen und Fischbänke. Vincent sagt, es gebe Arten von Fischen, die umkommen, wenn das Wasser zu salzig oder auch zu wenig salzig wird, und, im Gegensatz dazu, gebe es wieder Arten, die verschiedene Grade von Salzgehalt ertragen und die sich am Rande der Strömungen aufhalten –… da, wo das Wasser seine Konsistenz wechselt –…, um die andern, wenn sie matt werden, zu fressen. Oh, Sie sollten sich das von ihm erzählen lassen … Es ist wirklich ungemein fesselnd! Und wenn er davon spricht, so verändert sich sein ganzes Wesen. Sie würden ihn nicht wiedererkennen … Aber Sie verstehen ja nicht, ihn zum Reden zu bringen … Und ebenso interessant ist es, wenn er seine Geschichte mit dieser Laura Douviers erzählt … Ja, so heißt sie … Wissen Sie, wie er sie kennengelernt hat?«
»Hat er Ihnen das gesagt?«
»Mir sagt man alles! Das haben Sie doch auch erfahren, Sie Schreckensmann!« Und sie kitzelte ihm das Gesicht mit den Federn ihres jetzt zusammengefalteten Fächers. –… »Aber hätten Sie vermutet, daß er seit dem Abend, wo Sie ihn mir brachten, jeden Tag wiederkommen würde?«
»Jeden Tag? Nein, wirklich, das hätte ich nicht gedacht.«
»Am vierten Tage konnte er sich nicht länger halten, er hat mir alles erzählt, und seitdem hat er jeden Tag noch Einzelheiten hinzugefügt.«
»Und das langweilt Sie nicht? Sie sind erstaunlich.«
»Wenn ich dir doch sage, daß ich ihn liebe!« Und sie packte ihn stürmisch am Arm.
»Und er … liebt er jene Frau?«
Lilian lachte:
»Er hat sie geliebt. –… Oh, zuerst mußte ich ja so tun, als ob ich mich ernsthaft für sie interessierte. Ich habe sogar mit ihm geweint. Und dabei war ich furchtbar eifersüchtig. Jetzt nicht mehr. Hör zu, wie die Sache angefangen hat. Sie waren beide im Süden, in Pau, in einem Sanatorium, wohin man sie –… jeden für sich –… geschickt hatte, weil man behauptete, sie seien tuberkulös. In Wirklichkeit waren sie es beide durchaus nicht. Aber sie hielten sich für sehr krank. Sie kannten sich noch nicht. Wie sie sich zum erstenmal sahen, lagen sie nebeneinander ausgestreckt auf einer Terrasse, jeder auf seinem Liegestuhl, in Gesellschaft von andern Kranken, die auch den ganzen Tag in Luft und Sonne ruhen mußten. Da sie sich für aufgegeben hielten, so neigten sie zu dem Glauben, alles, was sie im Leben noch täten, werde keinerlei Folgen mehr haben. Er wiederholte ihr immer von neuem, sie hätten beide nur noch einen Monat zu leben. Und es war Frühling. Sie war ganz allein da unten. Ihr Mann ist ein kleiner Professor des Französischen in England. Er hatte sie zu ihrer Heilung nach Pau geschickt. Sie waren seit drei Monaten verheiratet. Er hatte sich das Brot vom Munde absparen müssen, um ihr diese Kur zu ermöglichen. Er schrieb ihr alle Tage. Sie ist eine junge Frau aus achtbarer Familie: guterzogen, zurückhaltend, schüchtern. Aber dort im Süden … Ich kann mir nicht recht denken, was Vincent ihr alles gesagt haben muß, aber am dritten Tage gestand sie ihm, daß sie, obwohl sie mit ihrem Mann schlief, nicht wußte, was das Wort Lust bedeutet.«
»Und was sagte er darauf?«
»Er nahm ihre Hand und hielt sie lange und küßte sie.«
»Und Sie, Lilian, was empfanden Sie, als er Ihnen das erzählte?«
»Oh, es ist abscheulich …: denken Sie, ich wurde von einem tollen Lachen gepackt! Das kam so über mich, ich konnte gar nicht wieder aufhören … Dabei waren es weniger seine Worte, die mich zum Lachen reizten, als vielmehr die teilnehmende und bekümmerte Miene, die ich geglaubt hatte, annehmen zu müssen, damit er in seiner Erzählung fortfahre. Er sollte nicht denken, für mich sei das alles nur eine interessante Unterhaltung. Es war ja auch wirklich sehr schön und sehr traurig. Wie aufgeregt er war beim Sprechen! Er hatte noch niemand etwas davon gesagt. Seine Eltern wissen natürlich nichts.«
»An Ihnen ist ein Romanschreiber verlorengegangen, meine Liebe!«
»Ach, wenn ich nur wüßte, in welcher Sprache ich schreiben sollte! Ich würde immer schwanken zwischen Englisch, Russisch und Französisch. –… Also, in der folgenden Nacht kam er zu seiner neuen Freundin ins Zimmer und machte sie mit allem bekannt, was ihr Gemahl sie nicht hatte lehren können und was Vincent ihr, denke ich, sehr gut beibrachte. Da sie nun beide überzeugt waren, daß sie nur noch ganz kurze Zeit zu leben hätten, so wandten sie natürlich keinerlei Vorsicht an, und, ebenso natürlich, besserte sich ihre Gesundheit mit Hilfe der Liebe alsbald ganz wesentlich. Als sie merkte, daß sie schwanger war, waren sie beide tief bestürzt. Das war im vorigen Monat. Es begann warm zu werden. Pau ist im Sommer ja unerträglich heiß. Sie kehrten gemeinsam nach Paris zurück. Ihr Mann glaubt, sie sei jetzt bei ihren Eltern, die ein Pensionat in der Nähe des Luxembourg haben; aber sie hat nicht gewagt, zu ihnen zu gehen. Die Eltern ihrerseits glauben sie noch in Pau. Doch es wird wohl bald alles ans Licht kommen. Zunächst hatte Vincent ihr noch geschworen, er werde sie nie verlassen; er wollte mit ihr fliehen, nach Amerika oder den Südseeinseln. Aber sie brauchten Geld. Und gerade damals traf er mit Ihnen zusammen und begann zu spielen.«
»Von alledem hat er mir nichts erzählt.«
»Auf keinen Fall dürfen Sie merken lassen, daß ich Ihnen etwas gesagt habe.« –… Sie hielt inne und lauschte:
»Ich glaubte, er wäre es … Er gestand mir, während der Reise von Pau nach Paris habe er gefürchtet, sie werde in Wahnsinn verfallen. Sie hatte sich gegen den Gedanken, schwanger zu sein, immer noch gesträubt. Die beiden waren allein im Coupé; er saß ihr gegenüber. Den ganzen Tag hatte sie noch kein Wort gesprochen. Auf dem Bahnhof und bei der Abfahrt hatte er allein alles besorgt; sie ließ es apathisch geschehen. Es war, als ob sie für die Umwelt gar keine Empfindung mehr habe. Er nahm ihre Hände. Sie starrte düster vor sich hin, als sähe sie ihn gar nicht. Ihre Lippen bewegten sich. Er neigte sich zu ihr. Sie flüsterte: ›Ein Geliebter! Ein Geliebter! Ich habe einen Geliebten!‹ Das wiederholte sie, im selben Tonfall, immer wieder. Und immer nur dies eine Wort, das einzige, das sie noch zu kennen schien … Ich sage Ihnen, mein Lieber, als er mir das erzählte, da verging mir die Lust zu lachen. In meinem ganzen Leben habe ich nichts gehört, was mich so erschüttert hätte … Immerhin merkte ich, daß er sich im Sprechen von dieser ganzen Sphäre losmachte. Seine Gefühle schienen mit seinen Worten wegzufließen. Und er schien mir dankbar zu sein dafür, daß meine Bewegtheit die seine sozusagen ablöste.«
»Ich weiß nicht, wie dieser Satz auf Russisch oder auf Englisch lauten würde, aber auf Französisch haben Sie ihn ausgezeichnet formuliert.«
»Danke. Das wußte ich. Und dann hat er angefangen, von naturwissenschaftlichen Dingen zu sprechen. Und ich habe versucht, ihn zu überzeugen, daß es absurd sei, seine wissenschaftliche Laufbahn seiner Liebe zu opfern.«
»Mit anderen Worten: Sie haben ihm geraten, seine Liebe zu opfern. Und Sie nehmen sich vor, ihm diese Liebe zu ersetzen?«
Lilian antwortete nicht. –…
»Diesmal glaube ich, daß er's ist«, sagte Robert und erhob sich … »Noch schnell ein Wort, bevor er kommt. Mein Vater ist vorhin gestorben.«
»Ah!«
»Es würde Ihnen nichts sagen, Gräfin Passavant zu werden?«
Lilian warf sich zurück und brach in Lachen aus:
»Aber, mein Lieber, ich glaube mich zu erinnern, daß ich in England einen Herrn Gemahl gelassen habe. Sollte ich Ihnen das nicht mitgeteilt haben?«
»Vielleicht nicht.«
»Ein Lord Griffith existiert aber irgendwo.«
Graf Passavant, der den Titel seiner Freundin nie für besonders echt gehalten hatte, lächelte. Lilian fuhr fort:
»Übrigens sagen Sie mal: Sie wollen sich wohl ein Alibi für anderweitige Interessen schaffen, daß Sie mir mit einem solchen Vorschlag kommen? … Nein, mein Lieber, nein! Bleiben wir, was wir sind: gute Freunde. Wollen Sie?« –… Und sie hielt ihm ihre Hand hin, die er küßte.
»Ha«, rief Vincent, als er eintrat, »ich dachte es mir: er ist doch im Abendanzug, der Verräter!«
»Ich hatte ihm versprochen, im Jackett zu bleiben, um nicht abzustechen von dem seinigen«, sagte Robert zu Lilian. –… »Ich bitte sehr um Verzeihung, lieber Freund, aber mir fiel plötzlich ein, daß ich in Trauer sei.«
Vincent trug den Kopf hoch. Alles an ihm atmete Triumph und Freude. Bei seinem Eintreten war Lilian aufgesprungen. Sie warf nur einen Blick auf ihn. Dann stürzte sie auf Robert los und bearbeitete, unter Jubeln und Kreischen, dessen Rücken mit trommelnden Schlägen ihrer kleinen Faust. (Lilian irritiert mich ein bißchen, wenn sie so den Backfisch spielt.)
»Er hat seine Wette verloren! Er hat seine Wette verloren!« rief Lady Griffith.
»Welche Wette?« fragte Vincent.
»Er hatte gewettet, daß Sie wieder verlieren würden. Also rasch: wieviel gewonnen?«
»Ich habe den Mut, die außerordentliche Energie aufgebracht, bei fünfzigtausend aufzuhören und den Saal zu verlassen.«
Lilian stieß ein Freudengeheul aus.
»Bravo! Bravo!« rief sie. Dann flog sie Vincent an den Hals, und mit allen Fibern spürte er das verwirrende Aroma von Sandelholz, das diesem geschmeidigen Körper entströmte. Lilian küßte ihn auf die Stirn, auf die Wangen, auf die Lippen. Vincent schwankte. Dann machte er sich los und zog einen Pack Banknoten aus der Tasche.
»Da, das Geliehene zurück!« sagte er und reichte Robert fünf Scheine hin.
»Sie schulden Sie jetzt Lady Griffith.«
Robert gab ihr die Scheine. Sie schleuderte sie auf den Divan. Sie atmete schwer und ging ans Fenster, um Luft zu schöpfen. Es war die verdächtige Stunde, wo die Nacht zu Ende geht und der Teufel seine Rechnung macht. Draußen kein Laut. Vincent hatte sich auf den Divan gesetzt. Lilian trat zu ihm hin –… und, das erstemal ›du‹ zu ihm sagend:
»Was gedenkst du jetzt zu tun?«
Er, mit gesenktem Kopf, in einer Art Schluchzen:
»Ich weiß nichts mehr.«
Lilian legte ihm die Hand auf die Stirn. Er hob den Blick zu ihr. Seine Augen waren trocken und brennend.
»Vorläufig trinken wir mal«, sagte Lilian und goß Tokayer ein.
Als sie getrunken hatten:
»Und nun müßt ihr mich verlassen! Es ist spät, ich bin todmüde.«
Sie begleitete die beiden ins Vorzimmer. Robert ging voran. Blitzschnell steckte sie Vincent ein kleines metallenes Ding in die Hand und flüsterte:
»Geh mit ihm raus, sei in 'ner Viertelstunde wieder da.«
Im Vorzimmer schlummerte ein Lakai, den sie aufrüttelte:
»Leuchten Sie den Herren hinunter.«
Die Treppe war dunkel. Lilian sorgte jedesmal dafür, daß die Bedienten ihre Gäste weggehen sahen. Der Lakai entzündete die Kerzen eines großen Armleuchters und trug ihn vor sich her, während Robert und Vincent folgten. Draußen wartete Roberts Auto. Hinter ihnen schloß der Lakai die Haustür.
»Ich glaube, ich gehe am liebsten zu Fuß. Ich möchte mir ein bißchen Bewegung machen, um mein Gleichgewicht wiederzufinden«, sagte Vincent, als der andere den Wagenschlag geöffnet und ihn zum Einsteigen aufgefordert hatte.
»Soll ich Sie wirklich nicht nach Hause bringen?« –… Und mit einem Ruck packte Robert Vincents linke Hand, die dieser geschlossen hielt. –… »Machen Sie die Hand auf! Zeigen Sie, was Sie darin haben!«
Vincent war naiv genug, zu fürchten, daß Robert eifersüchtig sei. Das Blut schoß ihm in die Wangen, während seine gekrallten Finger sich lösten. Ein kleiner Schlüssel fiel aufs Pflaster. Robert hob ihn schnell auf, betrachtete ihn und gab ihn Vincent zurück.
»Alle Wetter!« lachte er und zuckte mit den Achseln. Dann stieg er in sein Auto, lehnte sich zurück und sagte zu Vincent, der in peinlicher Verlegenheit dastand:
»Also heute ist Donnerstag. Sagen Sie Ihrem Bruder, daß ich ihn heute nachmittag um vier Uhr erwarte.« –… Und er zog den Schlag so rasch zu, daß Vincent keine Zeit mehr hatte, etwas zu erwidern.
Das Auto verschwand. Vincent ging ein paar Schritte am Quai entlang, dann über die Brücke und gelangte in den Teil der Tuilerien, der außerhalb der Gitter liegt. Er trat an ein kleines Bassin, tauchte sein Taschentuch ins Wasser und kühlte sich die Stirn. Dann ging er langsam zu Lilians Haus zurück. Verlassen wir ihn, während der Teufel, amüsiert, ihm zusieht, wie er geräuschlos den kleinen Schlüssel ins Schlüsselloch steckt …
Es war die Stunde, wo, in einem elenden Hotelzimmer, Laura, seine Geliebte von gestern, nach langem Weinen und Seufzen endlich einschlief. An Deck des Schiffes, das ihn nach Frankreich zurücktrug, las Edouard beim ersten Morgengrauen nochmals den herzzerreißenden Brief, den er von Laura erhalten hatte, Worte des Jammers, in denen sie ihn zu Hilfe rief. Schon kam die sanfte Küste seines Heimatlandes in Sicht, aber es bedurfte eines geübten Auges, um sie, durch den Nebel hindurch, zu erkennen. Am Himmel keine Wolke. Schon rötete sich der Horizont. Wie heiß es sein wird in Paris! Für uns ist es aber Zeit, uns nach Bernard umzusehen. Da, in Oliviers Bett, wacht er gerade auf.