Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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LXI. Kapitel.

Asmus der Gunstbuhler.

Er schrieb ein Buch, in dem er sein eigenes Leben erzählte, und schrieb ein anderes, in dem er das Frühlings- und Blumenleben einer Kindesseele in seinen natürlichsten, reinsten und ursprünglichsten Offenbarungen zu entfalten strebte, und konnte bald bemerken, daß er diese Bücher nichtsahnend in viele hunderttausend Herzen geschrieben hatte. Es ging ihm gut in dieser Zeit, und er hätte wohl verwöhnt werden können, wenn er nicht schon gelernt gehabt hätte, jedes persönliche Glück, jedes Glück, das an Menschen und Zeiten hängt, mit dem Zweifel anzusehen: Wird es dauern? Und wie lange?

Er wurde nach allen Ecken und Enden Deutschlands gebeten, um seine Dichtungen vorzutragen. Dabei geriet er zuweilen wohl auch in ein Schilda, wo man seine Vortragskunst »zu natürlich« fand. Er sprach nicht:

»O, eine ädle Hiemelsgabä iest
N'das Liecht des Ouges!«

und er brüllte nicht. Er konnte wohl brüllen; aber er tat es nicht. Eine durchgeschmalzene Komödiantin sagte einmal von Centa Bré, sie sei gar keine Künstlerin, weil sie alles natürlich spiele. So begegnete es wohl auch Asmussen zu seiner Belustigung, daß man seinem Vortrag die Kunst absprach; oder er bemerkte – und zwar das mit Schrecken – daß man von dem »Humoristen« »donnernde Lachstürme« erwartete; aber fast immer traf er sonst auf dankbarste Empfänglichkeit. Man berief ihn zu ernsten Versammlungen, wo die Besten des Landes über die Erziehung des deutschen Volkes berieten; denn dieses glücklich aufwärts steigende, unaufhörlich erstarkende Volk der Deutschen kannte außer seiner Wehrhaftigkeit keine höhere Aufgabe als seine Erziehung. Wenigstens die Besten dieses Volkes wollten nicht nur ein Glück durch Markt und Börse, sondern ein Glück durch eigensten Wert und innerste Kraft. Auf einer gewaltigen Tagung deutscher Lehrer fand er für dieselben Ideen einer künstlerisch befruchteten, lebendigen Schule, die man vor wenigen Jahren verlacht und niedergeschrien hatte, vieltausendstimmigen Beifall; denn diese Ideen hatten ganz von selbst Lawinenkraft gewonnen, der nicht mehr zu widerstehen war. Und an Deutschlands heiligster Stätte, in Weimar, durfte er in erlauchter Versammlung über deutsche Kunst und Erziehung sagen, was er auf dem Herzen hatte. Und da genoß er ein köstlich Erlebnis. Er hatte auch über Vortragskunst gesprochen und verlangt, daß sie aus dem großen Gefühlsgrund einer Dichtung, nicht aus ihren einzelnen logischen Akzenten geboren werde, und hatte, da man es wünschte, »Die Kraniche des Ibykus« vorgetragen. Und alsbald trat ein gar ästhetisches Gräflein an ihn heran und meinte, nach diesem Vortrag habe er die Überzeugung gewonnen, daß Schiller doch ein Dichter gewesen sei. Wenn Schiller doch diese Genugtuung noch erlebt hätte!

»Sonntags ging's nach Belvedere«;

denn die Erbgroßherzogin, eine treue und großherzige Hüterin der Weimarischen Überlieferung, hatte die Häupter der Tagung zum Essen geladen. Nach der Tafel mußte Asmus der gütigen Wirtin noch ein Weiteres vorlesen. Und er hatte den Erfolg, daß die hohe Frau bei einem der herzschweren, großäugigen Gedichte seines Landsmannes Claus Groth trotz aller Hofetikette das Tüchlein an die Augen führte.

Niemals hatte Asmus auch nur einen kleinen Finger gerührt, um »höfische Beziehungen« zu gewinnen. Immer, wenn er mit gekrönten Häuptern oder Staatsmännern in Berührung gekommen war, war es geschehen, weil man ihn gerufen hatte. Gleichwohl verdächtigten ihn die geübtesten Heimtücker unter seinen Feinden, daß er, der »ehemalige Tyrannenhasser«, vor Fürsten scharwenzle. Und ein keckes Bürschlein, ein Realschulabiturient von 19 Jahren, der Rezensionen schrieb, ohne mit der deutschen Sprache wie mit der Bildung überhaupt recht fertig geworden zu sein – er las aus der »Knidischen Venus« kaltblütig und andauernd eine »Kindische Venus« heraus – wagte es sogar, ihn in einer Weinstube vor mehreren Zeugen deswegen zu »interpellieren«; denn die Jugend dieser Zeit und Art hatte mit Verdienst- und Altersunterschieden aufgeräumt.

»Ich habe noch nie um eines Menschen Gunst gebuhlt,« sagte Asmus, »nicht einmal um die Ihre, obwohl Sie für die Mückenburger Nachrichten in mangelhaftem Deutsch Rezensionen über deutsche Dichter schreiben. Wenn Sie aber, was bei Ihren Jahren lobenswert ist, Ihr Wissen bereichern wollen: jawohl, ich habe in gewissen Dingen meine Meinungen aus dem Fundament geändert. Ich habe längst erkannt, daß die Bedrücker der Menschheit nicht mehr auf den Thronen sitzen, ja, nicht einmal mehr auf den Kanzeln zu suchen sind, sondern mit Vorliebe auf Geldsäcken hocken. Fürsten wie unsere deutschen – es mag auch hier die eine oder andere Ausnahme geben – Fürsten, die von der strengsten Auffassung ihres Berufes erfüllt sind und ihn mit heiligstem Willen erfüllen, erscheinen mir vielmehr als die letzten Ritter in einer Zeit der Krämergier und des Profitanarchismus, in der die Frechheit des Geldes immer schamloser triumphiert und in der ›das berechtigte Interesse‹ unersättlicher Milliardengauner die blutigsten Kriege entfesselt. Jawohl: ich kann Fürstendiener sein, tausendmal, hunderttausendmal eher als Bankiers oder Zeitungsdiener. Das dürfen Sie weitererzählen.«

Der junge Mann stammelte unter dem Lächeln der Tafelrunde, er habe Herrn Semper natürlich nicht zu nahe treten wollen; im Gegenteil, er habe gerade gefragt, um –

»Jawohl,« sagte Asmus, »so hab' ich's auch aufgefaßt. Nun können Sie ja also allen Blindschleichen klarmachen, was für eine Art von ›Gunstbuhler‹ ich bin.«

Daß er es hingegen noch immer vorzüglich verstand, um die Ungunst gewisser Mitmenschen zu buhlen, das erfuhr er bei seinem nächsten Stück. Wenn man eine Sache recht von Herzen lieb hat, dann haßt man diejenigen am meisten, die sie täglich im Munde führen und sie in ihrem Herzen täglich verraten. So schrieb denn Asmus ein Stück von einem verlogenen Freiheitsmann und von verlogener Freisinnigkeit: »Der radikale Pabst«, und mußte selbstverständlich erleben, daß man behauptete, er habe ein Stück gegen die freiheitliche Gesinnung geschrieben. Man hätte mit derselben Intelligenz sagen können, er habe gegen die Muttermilch geschrieben.

Asmus Semper war kein Satiriker aus Freude am Spott. Wer die Gebrechen der Menschen und Menschengesellschaft mit eitel Vergnügen betrachtet, der ist ein Pharisäer, der seine eigenen Gebrechen nicht sieht. Er war ein Satiriker, weil er die Kleinheiten und Schäbigkeiten der Menschenwelt sah und weil ihm unter den Tränen des Zorns und des Kummers doch immer wieder das Lachen aufstieß. Der Satiriker ist so berechtigt wie der Chirurg, der auch schneiden und wehtun muß, und wenn der Satiriker mit Lachgas operiert, so ist das nur ein Vorzug.

Gleichwohl dehnte sich in Asmussen, wenn er eine Zeitlang seinem Spott die Zügel hatte schießen lassen, immer wieder ein unbezwinglich wachsender Drang und Trieb, von den Übeln der Welt hinweg auf ihre Schönheit und Größe zu schauen und ihre ewige Herrlichkeit zu feiern. Und so trieb es ihn nun, aus allen Engen heraus in die weite, weite Welt zu reiten und seinen Hippogryphen einmal wieder in fröhlich ausgreifenden Versen traben zu lassen. – Ob seine Zeit ihm auf diesem Ritte folgen und ihn nicht für eine Narrheit halten werde – diese Erwägung tauchte auch nicht für Sekundendauer in seinem Herzen auf.


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