Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XL. Kapitel.

Asmus Semper besucht einen Schutzengel.

Bevor wir unsern glücklichen Urlauber nach Wien begleiten, müssen wir eine kurze Nachricht über eine merkwürdige Entwicklung seiner Weltbetrachtung nachholen. Des Deutschen stärkste Kraft sind Ernst und Gründlichkeit. Der Ernst und die Gründlichkeit, mit denen er jede Aufgabe anfaßt, sichern ihm den Erfolg und den Sieg über seine Feinde. Aber diese Tugend hat wie alle Tugenden ihre Kehrseite: das ist des Deutschen Sauertöpfigkeit. Er hat noch nicht die Höhe gefunden, auf der sich Ernst und Heiterkeit vereinigen. »Düstere Bestien« hat daher der Sonnensohn von Frankfurt, der ernste Arbeiter von Weimar seine Deutschen genannt. Auch Asmus Semper hatte sein dichterisches Schaffen als düstere Bestie begonnen, und so sehr er im Umgang mit seiner Umgebung zu jeder Art von froher Laune geneigt und zu jedem lustigen Übermut bereit war, so fest war er davon überzeugt, daß nur Blut und Tränen die wahre, eigentliche Tinte für einen Dichter ergäben. »Und Finsternis lag auf der Tiefe.« Das war für diesen Menschen ein ganz widernatürlicher Zustand; denn die eigentliche, unterste Tiefe seines Wesens war eitel Licht, war Glaube an die Güte der Welt. Und von Zeit zu Zeit brach – seltsam genug – ohne daß er's wollte, ein Glanz aus dieser Tiefe durch alle Finsternis nach oben, und nur zögernd, fast widerstrebend ließ er solchen Glanz in seine Feder fließen. Der fest gewickelte Zopf der deutschen Düsterkeit hing ihm noch hinten. Aber – das Seltsamste von allem – gerade in seinen trübsten und schwersten Tagen und Jahren brachen immer mehr solcher Strahlen wie freiwillige Hilfstruppen aus verschanzten Lagern seiner Seele hervor und überfluteten das weiße Papier vor ihm mit wachsendem Leuchten. Und niemand war überraschter als Semper, da man ihn eines Tages als »Humoristen« ansprach. Er nahm diesen Titel nicht an, weil er jetzt nach berufsmäßiger Heiterkeit klingt – auch die Lustigmacher in den Singspielhallen nennen sich »Humoristen« – aber er ließ ein ganzes Buch von humoristischer Art erscheinen. Wer aber vor seine Deutschen als Humorist hintritt, der nimmt eine Art von Martyrium auf sich.

Nicht, daß etwa der Deutsche nicht lachen möchte! Auch Asmussens Buch wurde fleißig gelesen. Kein Volk und kein Mensch kann des Lachens entbehren, und der Deutsche lacht eher zu leicht als zu schwer. Aber hinterher schämt er sich des Lachens. Was froh ist, nimmt er nicht ernst, und wenn er lustig ist, fürchtet er, nicht für voll genommen zu werden. Und der größte Meister des Humors ist ihm als Künstler immer nur geringeren Ranges. Ein Ibsen wird ihm – wenn er's auch nicht sagt – immer größer vorkommen als ein Molière, weil ihm der Humor fehlt. Ein Freund, der Asmussens Dichtungen vorzutragen pflegte, schrieb ihm eines Tages allen Ernstes, ob er in einem bestimmten Gedicht nicht »Beethoven« statt »Mozart« setzen dürfe, weil Beethoven doch der Tiefere sei. Asmus nahm ein Blatt und schrieb darauf:

Über Rosenwolken ein geflügelt Schreiten,
Gott im Auge, Blumen in der Hand;
Dann ein großes, jähes Flügelweiten
In das ewige, das dunkle Land.

Das ist Mozart.«

und schickte es seinem Freunde. Die Deutschen wissen und glauben noch immer nicht, daß Jean Paul ein »Klassiker« ist, und zwar einer ihrer größten. Darum haben sie so wenig Humoristen, so wenig gute Lustspiele, weil das freie, herzfrohe Lachen des Künstlers in Deutschland niemals Ermutigung gefunden hat. Selbst im Lande des Nebels und des Spleens weiß man besser, wie ernst das Lachen ist.

Und nun gar in jener Zeit, da – mitten im kalten Winter – Asmussens Humor auftaute, war im ganzen deutschen Reiche das Lachen durch Rezensentengesetze verboten. Asmus glaubte mit Friedrich Theodor Vischer, daß man in dieser Welt lachen dürfe, weil in dieser Welt der Gott des Guten endlich den Fliegengott, Verderber und Lügner überwindet und Fausten in die Klarheit führt. In der Tat, wenn diese Welt eine sichere Beute des Bösen wäre, so könnte ein fühlender Mensch niemals, niemals lachen, und sie wäre auch am sonnenhellsten Hochzeitstage ein Abgrund des Grauens. Und das war das Dogma dieser Zeit: daß der Mensch bis in die Wurzel unheilbar gemein und rettungslos ohnmächtig, daß das Weltgeschäft ein unaufhörlicher Bankrott, der Glaube an Tugend und Glück, die Hoffnung auf einen Weltfortschritt ein täglicher Selbstbetrug, und Lachen und Heiterkeit des Gemüts das nicht beneidenswerte Vorrecht der Trottel sei. Jede andere Weltanschauung als diese war verboten, das war Asmussen wohl bekannt; aber von der Wut, die ein helles, lachendes Auge bei einer gefangenen Nachteule erregt, hatte er doch keine Vorstellung. –

In Nichtahnung aller solcher Dinge fuhr er fröhlich gen Wien. Die Deutschen in Wien haben in manchen Dingen einen andern Geschmack als die Deutschen im Reiche; was dort gefällt, braucht nicht auch hier zu gefallen und umgekehrt. Es ging also auf ein neues Wagen hinaus. Wie eine fromme Seele vor einem wichtigen Ereignis gern eine geweihte Stätte aufsucht, um sich in Andacht zu erheben und zu stärken, so stieg Asmus gleich am ersten Tage am Franzensring zur Witwe Friedrich Hebbels, zu Christinen, hinauf, die ihn zu sich gebeten hatte. Acht Jahre zuvor, als Friedrich Hebbel in der dreifachen Truhe der Literaturgeschichte noch einen wenig gestörten Schlaf schlief, hatte Asmus ihn für sich entdeckt und hatte alle Ausbrüche dieser Vulkanseele in ununterbrochenen heiligen Erschütterungen durchlebt, und ein Jahr darauf, dreißig Jahre nach des Gewaltigen Tode, hatte er seinen Hamburgern laut verkündet: Er ist auferstanden! und hatte versucht, in Zungen einer Pfingstbegeisterung den Geist des Erstandenen über seine Zuhörer auszugießen. Was er geredet und geschrieben, war vor Christinens Augen gekommen, und sie hatte ihm das Beglückendste geschrieben, was der Schutzengel Hebbels ihm schreiben konnte. Er hatte ihr dann den »Zweikampf« geschickt, und sie hatte ihm auch darüber geschrieben. Christine war nicht Professor der Literaturgeschichte, das wußte er; sie war überhaupt keine »literarische Instanz« wie Aaron Baumblatt in Hamburg, und vielleicht war ihr Urteil ein vollkommener Irrtum; aber was aus dem Herzen der Seelengefährtin und Retterin Friedrich Hebbels kam, das konnte seinem Herzen nicht gleichgültig sein.

Als er der hochbetagten Greisin gemeldet war und sie in den Empfangssalon trat, ergriff er die dargebotene Hand und neigte sich tief, um sie ehrfurchtsvoll zu küssen; aber bevor er es konnte, nahm sie seinen Kopf zwischen beide Hände, sah ihn mit ihren wunderbaren Augen groß an und küßte ihm Stirn und Wange. Da versank Asmus Semper meilentief in einen Abgrund von Scham und Glück. Damals, in seinem sechzehnten Jahre, als die hübsche, heißäugige Flora mit ihm »ringen« und ihn küssen wollte, da war er ebenfalls in Scham und Verwirrung versunken; aber es war eine ängstliche Scham und ein Abgrund voll rosigen Dunkels gewesen; hier war es eine stolze Scham und ein Abgrund voll reinen Lichtes, voll weißer, seliger Sterne. Im Äußern freilich war die Wirkung dieselbe wie damals; er stand da wie ein blöder Junge und wußte nichts zu sagen. »Seien Sie mir vielmals willkommen,« sagte sie, und – wunderbar – die Stimme der Greisin klang wie ein herrlicher, ungebrochener Glockenton aus junger Brust. Sie faßte seine Hand und führte ihn vor die Büste Friedrich Hebbels, die, von Lorbeer bekränzt und umgeben, in einer Ecke des Zimmers stand. Und als sie hier saßen und mit ihren Gedanken in den Tempel des Dichters traten, da fand auch Asmus die verlorene Rede wieder; sie sprachen von Judith und Klara, von Agnes und Gyges, und Asmus sang in hellen, heißen Tönen der Nibelungen Lob. Sie nannte den Inhalt ihres Lebens mit keinem pomphaften, ruhmredigen Worte; sie sagte »Hebbel«, wenn sie von ihm sprach. Sie hatte gehört, daß man in Hamburg mit der Absicht umging, der armen Elise Lensing ein würdigeres Grab zu errichten, als es ihr bisher geworden, und legte beim Abschied in Asmussens Hände eine Summe Geldes, die helfen sollte, ihrer unglücklichen Vorgängerin und Nebenbuhlerin, der Mutter von Hebbels frühen Kindern, dem Herdfeuer seiner ärmsten Tage eine späte Ehre zu erweisen. Und geheiligt und gereinigt wie ein Gläubiger nach gesammelter Andacht verließ Asmus das Haus Christinens; mit den Segensküssen dieser Frau auf Stirn und Wange konnte er manchen Stürmen und Fährnissen mit geruhigem Lächeln entgegensehen.


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