Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XLVII. Kapitel.

Herr Ivo Klebmüller.

Auch meldeten sich Bildhauer, die ihn in Büsten und Plaketten modellieren, Maler, die ihn malen oder zeichnen wollten. Asmus hatte eigentlich verzweifelt wenig Zeit zum Porträtsitzen; aber als ihm ein junger Mann als äußerst talentvoll und fördernswert empfohlen wurde, willigte er ein und hielt still, hielt eine endlose Reihe von Sitzungen mit der Geduld eines Lammes still. Dabei war aber das größere Opfer eigentlich auf seiten des Herrn Ivo Klebmüller, so hieß der junge Künstler; denn er mußte einen Mann malen, der so ganz andere Ansichten hatte als er. Er, Klebmüller, war nämlich Individualist und erklärte, daß der geniale Mensch auf niemanden und nichts eine Rücksicht zu nehmen habe. Für das Genie gebe es überhaupt keine Gesetze, auch in der Kunst nicht; er wenigstens erkenne keine an; er wünsche auch von keinem etwas zu lernen; er wolle er selbst bleiben. Akademien und Professoren seien ein gottverfluchter Blödsinn und eine Frechheit gegen das Genie. Er male, wie er es sehe, und das sei das einzig Richtige. Das Genie dürfe auch seine Umgebung auspressen wie eine Zitrone, ja, es sei sogar seine Pflicht. Jedes wirkliche Genie sei brutal. Brutalität sei überhaupt das Kennzeichen der Herrennatur. Humanität sei Blech; Menschlichkeit im Kriege sei Quatsch; der Krieg müsse so grausam wie möglich sein; denn der Sinn des Krieges sei ja gerade, daß er die prachtvolle Bestie im Menschen befriedige, sättige.

Da Asmus sich in Dingen der Malerei für keinen Kenner halten konnte, so zeigte er das immer erst halbfertige Bild seinem Freunde Harald Danebrog, der nicht nur ein ausgezeichneter Dichter, sondern auch ein vortrefflicher Maler war. Danebrog betrachtete es lange und sorgfältig und sagte dann lächelnd:

»Der junge Mann muß noch sehr viel lernen.«

»Aber Talent ist da, was?«

»O ja, Talent ist schon da.«

Und Asmus saß geduldig weiter und sagte Herrn Klebmüller in hundertfach verdünnter Dosis, was Danebrog gesagt habe. Er sagte nichts von »sehr viel« und vermied natürlich peinlich das empörende Wort »lernen«. Da erklärte Ivo Klebmüller, daß Danebrog ein notorischer Idiot sei, dessen dilettantische braune Saucenbilder verdienten, in der Berliner Nationalgalerie zu hängen, und daran schloß sich dann ein rückläufiger Vernichtungszug durch die ganze Geschichte der Malerei, der mit Raphael als dem »fürchterlichsten Kitschier« aller Zeiten abschloß. Das Wort »Kitsch« liebte Klebmüller überhaupt außerordentlich; er wandte es mit Bestimmtheit immer dort an, wo ein Künstler Schönheit, Erhabenheit oder Anmut und Erquicklichkeit erreicht hatte.

Asmus sagte sich: der Mann kann trotz aller jugendlichen Torheit ein Talent sein, und ging zu dem Galeriedirektor Leisewitz, um ihn für Klebmüllern zu interessieren.

»Aah!« rief Leisewitz, »der junge Mann ist uns bekannt. Den haben wir mit einem hübschen Stipendium nach Rom geschickt, und dieses Stipendium hat er mit Talent und gründlichem Eifer durchgebracht, das ist wahr. Sonst haben wir keine Spuren irgend einer römischen Tätigkeit zu Gesichte bekommen.«

Nun, dachte Asmus, gelegentliche Faulheit und jugendliche Ausschweifung sind immer noch kein Beweis gegen Talent, und saß geduldig weiter. Da hörte er eines Tages, daß Klebmüller auch schon einmal in Düsseldorf gewesen sei, daß er dort ungeheure Schulden gemacht habe, die sein armer Vater, ein schwer um das Dasein seiner Familie ringender Arzt, bezahlen mußte, daß er mit seinen Herzbrüdern den Champagner aus Biergläsern getrunken und sich darüber lustig gemacht habe, daß sein Vater ihm die Lüge geglaubt habe, es sei Bier, daß er seinen Eltern nie geschrieben und über ihren ewigen Kummer nur verächtlich gelacht habe. Da er Immoralist oder Amoralist war – er wußte es selbst nicht genau, jedenfalls eins von beiden – und da er vor allen Dingen ein Genie war, seine Eltern aber alte, rückständige Philister, so war er ja im Recht.

Da schrieb Asmus Herrn Klebmüller, daß er sein Haus nicht wieder betreten möge und daß er das Geld, das er ihm in geometrischer Progression abgepumpt habe, behalten könne.

Nun hörte Asmus jahrelang nichts mehr von dem Genie, bis er eines Tages einen unfrankierten Brief aus Rußland erhielt. Darin schrieb Klebmüller, daß er in großer Not sei, daß Asmus ihm sofort 500 Mark schicken müsse, die er mit Bestimmtheit erwarte. Denn zu dieser Hilfe sei Herr Semper einfach verpflichtet, da er (Herr Semper) mit seiner bescheidenen Begabung ganz unverhältnismäßige Erfolge erzielt habe, während er (Herr Klebmüller) noch immer vergeblich gegen den Stumpfsinn des banausischen Publikums kämpfe.

Asmus konnte sich dieser Auffassung nicht anschließen.


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