Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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LX. Kapitel.

»Es handelt sich um deine Sache, wenn des Nachbars Wand brennt,« sagt Horaz.

Und als das Stück im Druck erschienen war, hatte Asmus auch alsbald vier Briefe in der Hand, vier Briefe von erlesensten Männern des deutschen Parnaß, die ihm zur Seite traten. Der feurigste natürlich war Löwenclau. Er schimpfte kräftig über ein paar Einzelheiten und war im übrigen helle Begeisterung.

Als dann das Stück an allen großen und kleineren Bühnen gegeben wurde, da wurde es beifällig, sehr beifällig aufgenommen; aber eines hörte Asmus aus allem Beifall nicht heraus: die Erkenntnis: »Hier wird unsere Sache verhandelt.« Das Publikum lachte und lächelte, entrüstete sich und lachte wieder und klatschte viel in die Hände; aber es hielt die ganze Handlung für eine Angelegenheit des Helden oder allenfalls des Künstlerstandes – das »Tua rea agitur!« hörte es nicht heraus. Es merkte noch nicht, daß es sich bei der Geißelung der Lügenpresse um seine, um seine allereigenste Sache handelte, daß es selbst von jenen Schwindelblättern täglich belogen und betrogen werde. Da aber das bloße Händeklatschen unserm Asmus nur ein mäßiges Vergnügen zu bereiten pflegte, so war er nur halb befriedigt; nur als ihm vor dem Ausgang eines großen süddeutschen Theaters ein fremdes junges Mädchen urplötzlich an den Hals flog und ihm einen äußerst herzhaften Kuß auf den Mund drückte, hatte er das Gefühl eines vollen Erfolges. Die schien ihn verstanden zu haben und honorierte pünktlich nach der höchsten Währung.

Einer der allerersten Rezensenten meinte, vor diesem Werke würden wohl auch die Feinde Sempers die Waffen strecken müssen. Das war eine pia anima. Die Herren, die das Stück ohne Rücksicht auf seinen Gegenstand völlig unbefangen nach seinen Vorzügen und Schwächen würdigten, waren an den Fingern herzuzählen, und man brauchte noch nicht einmal alle zehne dazu. Die ein Recht hatten, sich getroffen zu fühlen, schäumten und tobten, und die übrigen waren nicht entzückt. Unter sich sagten sie wohl dasselbe, was das Stück sagte; aber es sollte nicht öffentlich gesagt werden. Sie hafteten an dem schweren Irrtum, daß sie durch Verschweigen die Ehre des Standes bewahren könnten. Die Kritiken der Revolvermänner begannen fast alle damit, daß sie treuherzig versicherten: Natürlich müsse sich auch die Presse Kritik gefallen lassen; aber – –! Die Presse mußte sich Kritik gefallen lassen; aber sie durfte nicht in Tadel ausarten, oder gar in Wahrheit. Man durfte ihr den Pelz wohl waschen, aber nicht naß machen. Man durfte sie wohl abmalen; aber nicht naturalistisch, obwohl der Naturalismus an der Herrschaft war. Als die naturalistische Malweise sich auch des Porträts bemächtigte, da wurden unzählige Porträts, namentlich von Damen, mit Entrüstung zurückgewiesen, weil sie nicht »ähnlich« wären. Auch Madame Presse wollte schön porträtiert sein, wenn sie die Ähnlichkeit anerkennen sollte. Aber sonst war sie »voll und ganz« für »unentwegten« Naturalismus. Die schlausten der Herren Revolvermänner erklärten, das Stück sei gar nicht gegen die Lügenpresse, sondern gegen die Presse überhaupt gerichtet. Was der Verfasser von einem Banditenblatte sage, das meine er von der ganzen Journalistik. »Auf den Sack schlägt er, und den Esel meint er,« sagte ein Hamburger Referent. Er fühlte sich getroffen.

Zur Berliner Erstausführung des Stückes erschien hoher, höchster und allerhöchster Besuch von Fürsten und Würdenträgern, an der Spitze der Kaiser und die Kaiserin, und nach der Vorstellung hatte Asmus wieder eine herzlich-lebendige Unterredung mit dem besten Ritter seines Volkes und Vaterlandes. Des Kaisers Augen, Mienen und Worte sprühten von Leben und guter Laune; aber auch das hellste Lachen dieses Mannes war das Lachen eines ernsten Menschen. Wie hell dies Auge auch strahlen und funkeln mochte – sein innerster, tiefster Stern leuchtete ernst und klar. Und als Asmus mit einem nervigen Händedruck, wie begrüßt, so entlassen war. da wußte er: Hier war das »tua res agitur« seiner Komödie verstanden worden. War's denn auch ein Wunder? Wie oft waren dieses Mannes Worte und Taten entstellt, verdreht, verlogen dargestellt und gedeutet worden; aber das war nicht das Schlimmste. Dabei konnte Irrtum und Verblendung im Spiele sein. Auch wenn zehnmal festgestellt war, was er in Wahrheit gesagt und getan, hatte die Verleumdung hundert und tausend neue und scheußliche Schlangenhäupter erhoben. Was finge die Verleumdung mit der Wahrheit an; sie braucht Lügen, und braucht nicht einmal neue; im Gegenteil: dieselbe Lüge, oft wiederholt, wirkt endlich wie Wahrheit.

Es war eine seltsame Verschiebung: Schier alle seine Freunde, darunter mancher Journalist, hatten ihm tausend- und tausendmal versichert, daß er gegen Windmühlen kämpfe; die Presse – sie sagten »die Presse« – sei ein Übel, gegen das nichts zu machen sei. Er dagegen hielt die Presse für durchaus entwicklungsfähig in gutem Sinne und hielt an diesem Glauben unerschütterlich fest. Er wußte auch, daß die lauteren Elemente der Presse eine Reinigung ersehnten. Er erkannte nicht nur die Mühseligkeit, Undankbarkeit, Notwendigkeit und Nützlichkeit des journalistischen Berufes; er wußte auch, daß er reich an schweren Versuchungen ist und daß ein Ehrenmann, der solchen Versuchungen widersteht, doppelt und dreifach verehrungswürdig ist. Aber seltsam: er galt für einen »Feind der Presse«; all jene verzweifelnden Pessimisten galten nicht dafür, weil sie – sehr leise sprachen.

Und in der Tat brauchte Asmus vor der Rache der Revolvermänner nicht zu zittern, ganz abgesehen davon, daß sein Talent zum Zittern überhaupt gering war. Denn der Optimismus, mit dem er auf den anständigen Teil der Presse gebaut hatte, rechtfertigte sich vollkommen. Hatte man hier auch zu seiner Attake gegen die üble Presse sauer gesehen, so trug man ihm doch nichts nach; man ließ es die Bücher, die er bald darauf erschienen ließ, nicht entgelten, sondern begrüßte sie mit so einmütiger, warmer Anerkennung, daß der eitelste Selbstanbeter hätte zufrieden sein können. Vor denjenigen seiner Freunde und Bekannten, die von einer guten Presse überhaupt noch nichts gesehen haben wollten, hätte er wohl triumphieren können, wenn rechthaberisches Triumphieren nach seinem Geschmack gewesen wäre. Er konnte eine Meinung, solange sie bestritten wurde, mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit, ja mit Härte verteidigen; aber wenn die Tatsachen ihm recht gegeben hatten, war auch im gleichen Augenblick seine Härte dahingeschmolzen.

Überhaupt wurde jeglicher Groll, der ob allerlei menschlicher Niederträchteleien in ihm aufsteigen wollte, immer alsbald durch eine Flut von Sonne und Sommerglück überschwemmt, und was er säete und schnitt, gedieh unter warmem Wetter zur Ernte. Er war so leicht auszurichten! Nach allen Widerwärtigkeiten brauchte nur ein Sonnenstrahl ins Zimmer zu fallen, und sogleich mußte er denken: Was ist das alles gegen Sonnenschein?! In seliger, von Hilden heilig gehüteter Muße schrieb er seine besten Dinge und schrieb dazwischen ein ganz

Altmodisches Lied.
        Ich bin ein froher Mann,
Der laut verkünden kann,
Daß ihm die Liebste treu gesinnt,
Und sehe wohl das Greinen
Der Schlauen, so da meinen:
»Man sagt's von manchem holden Kind.«

Nun hört: Wenn Zweifelsgram
Die Kraft zum Werk mir nahm –
Wer gleitet still auf meinen Schoß
Und spricht von fernen Dingen,
Die mir Genesung bringen,
Und macht mich leis der Ketten los?

Und kam ein düstrer Tag
Mit schwerem Wetterschlag –
Was ist's, das mir ins Auge fällt?
Ein Strauß, ein zarter, neuer,
Von Blumen, die mir teuer,
Von meiner Liebsten hingestellt.

Wenn Hunde mich gehetzt
Und mir das Kleid zerfetzt
Und Menschenhaß im Hirne nagt –
Was schiebt sich leis ins Zimmer?
Ein Kind wie Sonnenschimmer
Und lallt, was sie ihm vorgesagt.

Doch ward ein Leid zu schwer,
Verhüllt's kein Schleier mehr,
Und muß es ausgesprochen sein,
So blickt sie ohne Beben
Mit mir dem argen Leben
Gerad' ins wilde Aug' hinein.

Und alles sag' ich ihr,
Und alles sagt sie mir
Und teilt mit Lust mein schwerstes Los.
Ich sah in manchen Nächten
Aus allen Schattenmächten
Ihr sanftes Auge, klar und groß.

Der Neid zeig', was er kann;
Ich bin der starke Mann,
Dem eine Seele treu gesinnt.
Ihr Spötter, laßt mir's gelten,
Und wollt ihr Kind mich schelten,
So bin ich wohl des Glückes Kind.


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