Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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III. Kapitel.

Man erfährt immer noch nicht, was ihm fehlt.

Die öffentliche Kritik verhätschelte ihn. Natürlich erklangen auch abfällige Stimmen; aber sie traten an Zahl und Autorität weit zurück hinter schier überschwengliche Lobeserhebungen. Er war nicht dumm genug, das alles als wohlverdienten Lohn einzustreichen; er war auch selbständig genug, um sich zu sagen: Hier werd' ich zu viel und hier zu wenig gelobt; aber jedenfalls mußte er sich nach dem Widerhall seiner Werke sagen, daß er ein Recht habe, zur Öffentlichkeit zu reden.

Und das Publikum? Ja, da war zunächst sein erstes und allerbestes Publikum: Hilde Semper, geborene Chavonne. Wenn ihr etwas nicht übel gefallen hatte, nickte sie freundlich und sagte »Hm«. Wenn ihr etwas nicht geraten schien, sagte sie: »Das muß ich noch einmal für mich allein lesen«, und wenn sie dann nicht wieder darauf zurückkam, so war das deutlich. Als er ihr seine erste Satire vorgelesen hatte, da hatte sie keine Miene verzogen. Mit deinem Witz ist es also nichts, hatte er sich gesagt. Erst später hatte er begriffen, daß noch immer eine schwere, lichtlose Jugend auf ihrem Lachen lag und es ganz begrub, daß es erst von seinem Scheintod erwachen und einen schweren Grabstein heben mußte. Wenn ihr aber ein Werk ins innerste Herz gedrungen war, dann sagte sie gewöhnlich nichts; sie sah ihn nur mit jauchzenden Augen an. Ja, sie konnte jauchzen mit ihren Augen. Und nach Minuten erst sagte sie: Bitte, lies es mir noch einmal vor. Und endlich mußte er ihr das Manuskript schenken, und sie verschloß es in ein Kästchen, in dem ein paar Locken von ihren Kindern lagen und ein bunter Glasmarmel, in dem man eine Fortuna auf rollender Kugel sah. Vor vielen, vielen Jahren, als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte ihr den ein kleiner Junge geschenkt, der sie nicht kannte und den sie nicht kannte und von dem sie nicht wußte, daß er Asmus Semper hieß. Immer aber waren es ihre höchsten Feiertage, wenn er ihr, wie ein Junge, der ein Vogelnest entdeckt hat, zuflüsterte: »Du, ich hab' wieder was!« und ihr hinter allen Bürden und Ängsten des Tages eine Stunde innigsten Vertrauens winkte.

Freilich, das übrige Publikum seiner Bücher übertraf dieses erste und beste Publikum an Zahl nicht allzu erheblich. Der Verleger rechnete dem Dichter vor, daß seine Werke noch lange nicht eingebracht hätten, was Satz, Druck, Papier und tausend sonstige Dinge gekostet hätten, und dem armen Asmus schwindelte vor diesem Abgrund von Defizit, und als endlich von einem Buche dennoch tausend Stück verkauft waren, erhielt der Verfasser 54 Mark als Anteil am »Reingewinn«. Gewiß: reiner konnte kein Gewinn sein als dieser; aber einen schöneren gab es noch. An einem Weihnachtsabend kam ein prächtiger Blumenkorb mit der Widmung »Dem Dichter Asmus Semper von einer Unbekannten«. Aha, denkt der moderne Leser: von seiner Frau! Nein, sie konnte nicht einmal in dieser Weise lügen. Asmus kam auch gar nicht auf den Gedanken. Er hatte einst ihren alten Lehrer getroffen, und der hatte ihm erzählt: Wenn ich wissen wollte, ob eine meiner Schülerinnen log, so brauchte ich nur Hilde Chavonne anzusehen. Wenn eine andere log, wurde sie feuerrot. Nein, diese Blumen kamen wirklich von unbekannter Hand. Das gab ihnen einen eigenen Zauber, einen symbolischen Glanz, einen mehr als irdischen Duft; sie waren ein Gruß, ein Widerhall aus dem Unbekannten, »aus dem Volke«, »von der Menschheit«, wenn man sie mit der Phantasie eines jungen Autors an die Nase führte. Freilich hatte die Namenlosigkeit auch etwas Ärgerliches. Man konnte für eine große Freude nicht danken und hatte doch das Bedürfnis zu danken, so oft man die Blumen ansah. Indessen: die angenehmen Empfindungen überwogen.

Ein andres Geschenk war noch schöner. Ein Mann, der ihn heftig und persönlich angegriffen hatte, schrieb ihm: »Ich habe Ihre Novellen gelesen und möchte Ihnen die Hand zur Versöhnung bieten. Können Sie vergessen?« Und Asmus konnte nicht so schnell Feder und Tinte finden, wie es in ihm jubelte: »Natürlich kann ich!« und mit zwei Zoll langen Buchstaben (um klein zu schreiben, zitterte die Hand zu sehr,) rief er mit seiner Feder: »Natürlich kann ich! Wir wollen Freunde sein!« Und sie wurden es.

Hatte Herr Semper denn sonst keine Freunde?

O, und was für Freunde!

Freilich, Freunde von zweierlei Art. Einer von ihnen war ein Kunstmäcen, ein millionenschwerer Rentner, der auf einem herrlichen Landschlößchen nur seinen Liebhabereien lebte. Er war »begeistert« von Sempers radikalen Aufsätzen und lud ihn zu Tische. Als Asmus den Empfangssalon betreten hatte und einem Dutzend unbekannter Gesichter vorgestellt war, vor denen ihm plötzlich sein in den Nähten längst ergrauter Rock und seine ausgebeutelten Hosen zum Bewußtsein kamen, da zeigte der Mäcen triumphierend auf ein Buch, das auf einem kostbaren Tischchen lag: es waren Sempers Aufsätze »Mit blanker Waffe«. Es gab ein herrliches Essen – zweifingerdicken Spargel im Vorfrühling und einen, wie es hieß, einzigen Rheinwein, den man nirgends mehr kaufen konnte und der Sempern wie ein unangenehmes Chemikalium schmeckte – und wenn man zum Fenster hinaussah, blickte man in einen schier königlichen Garten und Park. Wärst du da draußen und allein, dachte Semper; da hinter den Birken glänzt es wie Glück. Nach dem Essen trank man in der Veranda den Kaffee, und Asmussen war es plötzlich, als sähen alle auf ihn und warteten auf etwas. Um Gottes willen: sie glaubten doch nicht, daß er nun so etwas sagen würde, wie es in seinen Büchern stand? Das konnte er nicht, nicht für das schönste Essen der Welt. Wenn er allein war mit seiner Feder, dann fiel ihm neben dem, was er schrieb, zehnerlei ein, das er künftig schreiben wolle; aber sprechen, unvorbereitet sprechen? Da schien ihm alles, was er hätte sagen können, nicht gut genug. Und als die Gesellschaft noch immer wartete – ihm wenigstens kam es so vor – da sagte er zu seinem Wirte: »Entschuldigen Sie mich; aber ich muß noch in eine Sitzung.«

»Aah – das ist aber schade,« rief der Mäcen mit sichtlicher Enttäuschung. »So früh schon? Können Sie denn nicht schwänzen?«

»Nein, das ist leider ganz unmöglich,« versicherte Asmus mit fanatischer Bestimmtheit.

»Na – das tut mir leid,« machte der Wirt. Asmus machte der Gesellschaft eine unklare Generalverbeugung und schritt schnell hinaus. Als er auf der Straße war, hatte er das Gefühl eines Zechprellers und lief wie ein Faßbinder.


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