Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XIV. Kapitel.

Weiteres vom Freiherrn Dietrich von Löwenclau.

Löwenclau, dessen Anzug mit ersichtlicher Not noch in einem leidlichen Zustande erhalten war – die Hosenränder zeigten einen leisen, leisen Anfang von Fransen –, zog jetzt ein paar hochelegante neue Handschuhe an, stülpte einen kleinen grauen Filz auf den kurzgeschorenen Kopf, ergriff den Spazierstock mit silberner Krücke und rief: »Süh so, Semper, nu will ick Se mol min Heid wisen!«

Er wohnte Klopstocks Grabe gegenüber in einer Kammer von ehrfurchterweckender Ärmlichkeit; drei Schalen und Becher von echter Bronze zeigte er Sempern stolz als seinen einzigen Reichtum.

Aber, ein Grandseigneur der Phantasie, nannte er alles Land, das er liebte, sein Land. Und hier hatte Asmus den Baron am liebsten: in seiner holsteinischen Landschaft; da war es ihm immer, daß dieses Land und dieser Dichter dieselben Augen hätten; diese Augen gingen zusammen mit der Luft dieses Landes: in beiden war das Meer.

Sie gingen die Flottbeker Chaussee hinunter, diese unvergleichliche Landstraße, die der Strom und die wandernden Schiffe begleiten und die Asmus als armes, glückseliges Kind so oft in stürmender Freude des Spiels oder immer wieder stockenden Schrittes, traumwandelnd zurückgelegt hatte, die er als Jüngling, sinnend und dichtend, so oft auf den regen Schwingen seiner jungen Lieder hinabgeflogen war.

Plötzlich hemmte Löwenclau den munteren Schritt.

»Sehen Sie da,« rief er, »ein toter Mistkäfer. So, genau so hab' ich mein Gedicht empfangen: ›Über einen Toten gebeugt‹. Wenn die Stunde da ist, genügt der kleinste Anlaß, ein Gedicht aufzuwecken. Es ist eines meiner besten!«

Das Gespräch kam auf Finstermünz.

»Er hat eine herrliche Frau,« rief Löwenclau, »und vier reizende Kinder!«

»Was!« schrie Asmus, »vier Kinder?« und brach in ein schallendes Gelächter aus. »Das hätt' ich wissen sollen! Und von welchem philosophischen Standpunkt aus hat er die erzeugt?«

Löwenclau lachte mit. »Dazu braucht man keine Philosophie, lieber Semper, das kommt von selbst. ›Beim Unterleib hört der liebe Gott auf‹, sagt Nietzsche. Nietzsche!!! Haben Sie Nietzsche gelesen?« schrie er plötzlich wie außer sich, Semper den Weg vertretend.

»Nein,« sagte Asmus.

»Semper, lesen Sie Nietzsche!! Sie müssen ihn lesen!! Herrrrgott, das ist das größte Genie aller Zeiten!! Ein Jahrtausendmensch! Ich verstehe natürlich nicht die Bohne von Philosophie, ich armes Schaf, aber – Gott, ist das ein Kerl, ein Künstler!!! Lesen Sie Nietzsche über die Weiber!! ›Du gehst zum Weibe? Vergiß die Peitsche nicht!‹ Ist das nicht kolossal??!«

Asmussen war es, als habe er einen Keulenschlag vor die Brust bekommen.

»Ja –« stotterte er, »ich kenne ja den Zusammenhang nicht – so für sich betrachtet, finde ich diese Sentenz sehr niederträchtig.«

»Na ja selbstverständlich, lieber Semper,« rief Löwenclau rasch, »so ist das ja natürlich nicht gemeint! Sie sollen mich nicht für ein Vieh halten, Sie Lieber. Wer wird denn – na, ist ja ekelhaft! Aber die Kühnheit seiner Aussprüche – was dieser Riesenkerl alles sagt – lesen Sie ihn, liebster Semper, lesen Sie ihn!!«

Asmus subtrahierte von Löwenclaus Hyperbeln das gewohnte Quantum, versprach aber, Nietzsche zu lesen.

Nach zwanzig gedankenvollen Schritten stand Löwenclau wieder still, legte Sempern sanft die Hand auf den Arm und hauchte elegisch:

»O Semper, die Weiber, die Wei–berrr! Wie werd' ich der Weiber los!! Aber i mog sie halt gar zu gern! – Und sie sind doch das Schönste!!!« rief er plötzlich.

»Ich werde nie das Gegenteil behaupten,« sagte Asmus lächelnd.

Und der kleine Hauptmann erzählte von einer »kleinen Direktrice oder Handschuhmacherin« in St. Georg, die ihn eingenäht hatte.

»Ich bringe sie in mein neuestes Opus hinein – Stanzen, mein Semper, herrliche Stanzen – ich liebe die Stanze!! – und jede Stanze fängt an: ›Und sie hieß Fite‹.«

Gleich darauf gingen sie an einem Gemüsegarten vorüber, in dem eine Magd mit weißblonden Zöpfen sich emsig über eine Bohnenstaude bückte.

»Gunn Dag, min söte Deern!« rief Löwenclau.

»Gunn Dag!« erwiderte die Flachshaarige errötend.

Löwenclau legte die gerundete Hand an den Mund und schrie flüsternd: »Hüt Obend Klock tein!«

Das Mädchen lachte hell heraus. Diesem Schelmengesicht nahm sie's offenbar nicht übel.

»Das war natürlich ein Scherz,« fuhr er fort; »aber mein Urgroßvater befahl die Mädels, die ihm gefielen, noch aufs Schloß. Und das ist herrlich. Dem verdank' ich das Bauernblut in meinen Adern; ich wäre sonst vielleicht ein knickbeiniger Hofmarschall – mtä – mtä – mtä –«

Er stapfte plötzlich auf offener Straße mit überwältigender Drolligkeit daher wie der letzte, verdorrte Sproß eines erlöschenden Adelsgeschlechts.

Hinter Blankenese erreichten sie die vollerblühte Heide. Und Asmussen kamen dieses lustigen Mannes menschenwehe Worte in den Sinn:

»Tiefeinsamkeit, es schlingt um deine Pforte
Die Erika das rote Band.
Von Menschen leer, was braucht es noch der Worte;
Sei mir gegrüßt, du stilles Land.« – – –


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