Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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LIII. Kapitel.

Ein sehr hoher Zuhörer und ein sehr guter Freund.

Zu der Freude dieses Banketts kam bald eine andere: Der deutsche Kaiser Wilhelm der Zweite kam nach Hamburg und bestimmte für die Festvorstellung im »Deutschen Theater« die Aufführung des Semperischen »Zweikampfs«.

Es war keine kalte höfische Ehrung, die ihm damit zuteil wurde; es war ein warm beglückendes, menschliches Erlebnis. Denn dieser Kaiser saß nicht um einer »Repräsentationpflicht« willen, die wohl oder übel erfüllt werden muß, im Theater; aus angeborener, innigster Zuneigung zur Kunst pflegte er den Vorgängen auf der Bühne von Anfang bis Ende mit unermüdlicher Teilnahme zu folgen; bei schlagenden Wendungen des Dialogs blitzte sein wunderbares Auge, und wenn er lachte, so lachte er hell und laut mit der ganzen Unbefangenheit eines kindlich großen Herzens. Er war für einen Dichter das Ideal eines aufnahmefreudigen Publikums, weil er eine in ihren Wurzeln kunstfrohe Natur war. Er drückte Asmussen nach der Vorstellung die Hand und sagte: »Solcher Stücke schreiben Sie mehr!«

Ein geschäftstüchtiger Photograph hatte in diesen Tagen eine Postkarte in den Handel gebracht, die die Bilder des Kaisers, des Barons von Korbach und des Asmus Semper vereint zeigte. Da frohlockten die Feinde. »Seht,« schrieben sie, »er, der früher ein wilder Republikaner war, läßt sich mit dem Kaiser zusammen photographieren, weil er's für die Reklame brauchen kann!« Und doch war Asmus an jener Photographie so unschuldig wie an seiner Geburt.

Als Asmus gerade im Anschluß an dieses Erlebnis über menschliche Reinlichkeitsverhältnisse im allgemeinen und über deutsches »Berühmtsein« im besonderen nachdachte, stürzte sein Töchterchen Leonarda bleich und aufgeregt in sein Zimmer und rief:

»Vater, da ist ein Mann im Garten, der macht'n furchtbaren Lärm! Er haut immer mit'm Stock auf'n Tisch und ruft ›Wirtschaft! Wirtschaft!‹«

Asmus ging an die Tür zum Garten und sah, wie jemand zwischen den Vorhängen der Glastür hindurchlugte, und hörte dann jemand krähen:

»Einen wundervollen Flügel hat er sich angeschafft!«

Löwenclau!

Frohbewegt stieß er die Tür auf und rief: »Bis willekummen, du edler Gast!«

»Buon giorno signore poeta!« schrie Löwenclau, »hest du noch'n Lütten in'n Buddel? Die ›rrrohe Soldateska‹ ist da und verlangt zu trinken!«

Im selben Augenblicke saß auch schon die »rohe Soldateska« am Flügel und spielte Schumann, ihren Liebling.

»Ich habe ja gewußt, daß du Klavier spielst,« sagte Asmus, »aber du spielst ja auch gut!«

»Ich war doch Klavierlehrer in New York bei den Tungusen!« Die Silbe »gu« sprach er ganz hoch wie ein aufschreiendes Huhn.

Asmus stieg selbst in den Keller und holte eine Flasche 1875er Mouton Rothschild herauf, die ihm ein wildfremder Mann aus Berlin für seinen »Zweikampf« geschickt hatte.

»Diese sehr gute Flasche habe ich gespart für eine Stunde mit einem sehr guten Freunde,« sagte Asmus.

»Semper!« schrie Löwenclau, »Herz der Herzen! Cor cordium! Drei Worte nenn' ich euch, inhaltsschwer: ›Linsensuppe, kalte Ente und Rotspohn‹!«

»Ja –,« meinte Asmus, den man nicht glücklicher machen konnte, als wenn man seine Gastfreundschaft anrief, »Linsensuppe kann ich dir jetzt schwerlich verschaffen; aber kalte Ente ist schnell besorgt –«

»Mach keinen Unsinn!« rief der kleine Baron, »ich habe nicht lange Zeit. Ich muß nämlich notwendig nach Hamburg: dor will ick mi mol fix ammisier'n! Gehst du mit?«

»Immer,« sagte Asmus. Darin stimmten sie ganz überein: nach langen Wochen strenger Arbeit mußten sie einmal rasen wie losgelassene Schuljungen.

Während sie den Rotspohn bedächtig »auslöffelten«, kam die Rede auch auf die noblen Gewohnheiten einer gewissen Kritik.

»Hahaaa!« rief Löwenclau, »mach dir nichts draus! Laaaaaaaß doch die Hühnergehirnchen!! Du kannst doch lachen!!! Alle Jahre einmal laß ich mir vom Verleger den Zo–olo–gischen Garten der Kritik kommen und lache – mich – krumm!!! Je m'en fiche!«

Da ging Asmus lächelnd an seinen Briefschrank, zog aus dem Fache »L« eine Postkarte hervor und las:

»Liebster Semper, wer ist dieses Schwein Heimdal Alving in der ›H. Z.‹? Ich schieße dem Kerl die Kaldaunen (verzeih die Roheit) kaput! Diese Infamie geht mir denn doch über den Spaß! Dies Mistvieh, dies!«

»Ja!« schrie Löwenclau, »der Kerl griff meine ›Moral‹ an!«

»Nun ja, das ist eben die neue kritische Methode: man fühlt, daß man einem Werk auf die Dauer nichts anhaben kann, und greift darum zur menschlichen Verunglimpfung.«

»Na ja, das ist doch selbstverständlich! ›Propter invidiam‹ ›Der Neid ist das Erblaster der Deutschen‹, hat, glaube ich, Grillparzer gesagt. Wenn wir steigen, sind wir Eule unter den Krähen. Denke dir, was hat der gute Grillparzer erduldet, was hat ein Goethe, ein Bismarck sich gefallen lassen müssen –«

»Bevor du noch den lieben Gott nennst, hör mich an. Deine Beispiele sind zermalmend; aber sie treffen mich nicht. Durch die Jahrtausende her tönt ein himmlisch klares Wort des Pharisäers Gamaliel. Er sagte: ›Ist das Werk dieser Männer von Menschen, so wird es untergehen; ist es aber von Gott, so könnet ihr es nicht dämpfen.‹ Das heißt, auf meine bescheidenen Verhältnisse übertragen: Ist, was ich schreibe und treibe, Machwerk, so wird es zum Teufel gehen, ob etwas früher oder später, ist gleichgültig; ist aber etwas vom göttlichen Funken darin, so können es tausend Schmierfinken mit hunderttausend Gallonen Tinte nicht auslöschen. Das weiß ich alles selbst. Und was mir das Leben an Glück gegeben hat, ist so viel, daß ich jeden Morgen und jeden Abend an den Beherrscher von Samos denken muß. Verlangte ich mehr vom Schicksal, ich wäre der undankbarste Esel, den die Erde je getragen. Aber ich mag nicht in einem Schweinestall leben.«

»Hahaaaa – müssen wir, mein lieber Sempronius, müssen wir – al–le!!!«

»Dann will ich mir wenigstens soviel Reinlichkeit schaffen wie möglich. Man soll kein Unrecht dulden, hat ein großer Rechtslehrer gesagt; wer es tut, versündigt sich schwerer an der Menschheit als der, der Unrecht tut. Siehst du: andere Dichter, die zu Vermögen gekommen sind, halten sich einen Rennstall, oder sie bauen sich eine kostspielige Villa nach der andern, oder sie kaufen sich moderne alte Bilder für schweres Geld usw. usw. Ich leiste mir den Luxus, daß ich vor keinem Schubjak den Hut ziehe und ihm, wenn es mir nötig scheint, ins Gesicht sage: Du bist ein Schubjak. Das ist der Ring, den ich ins Meer werfe.«

»Bevor der Fischer ihn zurückbringt, bist du tot, mein lieber Semper.«

»Wenn er ihn jemals zurückbringt!«

»Na ja, du kannst nicht anders; das liebe ich ja so an dir: du bist eine Kampfnatur!«

»Das bin ich und bin es eigentlich gar nicht, lieber Freund. Ich bin von Haus aus faul. Wenn ich was gelernt hätte, würde ich sagen: ich bin eine stille Gelehrtennatur. Glaube mir: über meinen Büchern sitzen, zwischen einsamen Feldern spazieren gehen, meine Frau anbeten, mit meinen Kindern spielen und Mozartsche Himmelsmusik hören, das zieh ich allen Kämpfen vor. Ich habe nie einen Frieden gebrochen; in keinem Kampfe meines Lebens war ich jemals der Anfangende. Ich fühle mich krank, wenn ich kämpfe; aber ich muß es, wenn ich mich nicht verachten will.«

Löwenclau war aufgestanden und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Er krähte nicht mehr, sondern sprach leise und sanft:

»Bonus vir semper tiro. Aber wenn du einmal so alt bist wie ich jetzt, wirst du genau so denken wie ich. Ich habe zu tief in das Treiben dieser Welt geblickt. Gegen Gestank gibt es kein Heldentum. Und die Masse der Leser glaubt nicht dem Dichter, und wenn er tausend unsterbliche Verdienste hätte; sie glaubt dem hergelaufensten Schmierfinken und sagt: »Die Kritik hat geschrieben –.« Hör meinen Vorschlag: Wir beiden wandern aus auf die beiden Monde des Mars. Da setzen wir uns hin und schreiben, was wir wollen. Sie heißen Phobos und Deimos – welchen willst du haben?«

»Phobos und Deimos?« lachte Asmus. »Das hieße also Furcht und Schrecken. Ich denke, da versuchen wir's ebenso gut noch einmal mit dieser Erde!«

»Recht hast du! Wir gehen zu Car–la–Pi–per, zu der gött–li–chen Carla Piper!« Jetzt krähte er wieder.


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