Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XLVI. Kapitel.

Allerlei Glück und ein ungemein schmeichelhafter Besuch.

Asmus Semper war nicht der Mann, solche Siege mit dem kopflosen Hurrataumel eines armen Schneiders zu genießen, der das große Los gewonnen hat und nun die Welt für eine herrliche Einrichtung hält. Er wußte, daß in jedem Sieg, selbst in dem ehrlichsten, auch ein Unrecht enthalten ist. Er wußte, daß nun Freunde und Feinde kommen und ihn urteilslos zu den »Alleweil fidel«-Optimisten werfen würden, und solche Freunde waren ihm noch unerfreulicher als solche Feinde. Er wußte, wie oft in den Einzeldingen des Weltlaufs und Menschengeschicks der Pessimismus nur allzu berechtigt ist. Aber er war nun auch wieder nicht der Mann, sich den Trank des Lebens durch solche Gedanken vergällen oder versauern zu lassen. Viel zu empfindsam, um nicht jede herbe Beimischung menschlichen Triumphes zu schmecken, war er doch viel zu robust, um sie nicht durch den Grundgedanken und Grundwillen seines Lebens zu überwinden. Er zweifelte nicht an der ausgleichenden Gerechtigkeit des Weltgeschäfts; er wußte, daß in diesem Geschäft für alles gezahlt werden muß und das Schicksal ihm schon beizeiten nehmen werde, was es ihm zu viel gegeben. So genoß er denn auch wiederum getrosten Herzens sein Glück.

In vollen Strömen floß ihm dieses Glück, echtes und falsches bunt durcheinander, ins Haus. Er hatte für sich das Höchste errungen: seinen Beruf und damit die Ruhe seines Wesens im tiefsten gefunden. Er durfte hoffen, zu einigem Wohlstand zu gelangen und einen sorgenfreien Blick in die Zukunft zu gewinnen. Über einen gewissen Betrag hinaus ist das Geld ein Teufel; bis zu diesem Betrage ist es ein Gott, ein Gott, der Anbetung verdient, weil er Freiheit bringt. Er hatte nie um Geldes oder Vorteils willen eine Zeile anders schreiben können, als sein Herz sie ihm eingegeben; aber von nun an durfte er es auch ohne Bangen tun! O Gott, das furchtbare, fette, kaltfeuchte, zentnerschwere Drachenscheusal der Nahrungssorgen, das ihn nächtens so oft mit tausend Schraubstockarmen umklammert hatte, hatte nun abgelassen von seiner Brust, und er konnte pfeifen! Pfeifen auf das Übelwollen aller, die ihm grundsätzlich nicht wohlwollten. Er hatte nie vor einem Lumpen den Hut gezogen; aber nun brauchte er nicht einmal von weitem mehr zu erwägen, ob er's nicht lieber doch tun solle um Weibes und Kinder willen. Ach, um Weib und Kinder tanzte ja lauter Sonnenschein! Jede Post brachte ihm aus den Orten, wo seine Stücke gegeben wurden, Briefe, Telegramme, Glückwünsche, Danksagungen, Bitten um sein Autogramm, sein Bildnis und ergreifende Gesuche um möglichst baldige Einsendung größerer Geldbeträge. Er war damals noch so naiv, die ergreifendsten dieser Briefe für die ehrlichsten zu halten. Aus allen Winkeln des deutschen Landes, ja auch aus dem Auslande kamen Einladungen, er möge kommen und aus seinen Dichtungen vorlesen; immer neue Vorstandsämter wurden ihm angetragen, und sogar ein Protektorat, ja, man denke, ein Protektorat! Eines Tages ließ sich Herr Dr. Kuno Kuntze bei ihm melden, und herein trat mit Zylinder und schwarzen Glacéhandschuhen ein schöner Herr, bildschön wie jene aus Wachs gebildeten Gentlemen, die man in Friseurläden zur Ausstellung von Perücken und herrlichen Vollbärten benutzt. Auch diesen Mann schien der liebe Gott zur Ausstellung einer glänzend gescheitelten Frisur und eines tadellosen Vollbartes gemacht zu haben. Aber die Augen des Kerls waren böse; sie sahen aus wie zwei winzige Löcher, die durch graues Löschpapier gestochen sind, und Asmus hatte sofort bei seinem Eintritt das Gefühl: »Apotheker Heinrich!«

»Es sei sehr großmütig von Herrn Semper, ihn zu empfangen,« meinte Herr Kuntze.

»Großmütig?« fragte Asmus lächelnd.

»Nun ja – die törichte Kritik damals – ich habe sie längst bereut –«

»Welche Kritik?«

Auf Herrn Kuntzes Gesicht stand: Ich Schafskopf; er hat sie gar nicht gelesen; ich hätte gar nichts davon zu sagen brauchen.

»Nun, ich habe seiner Zeit über Ihren ›Zweikampf‹ eine – wie gesagt, ich bedauere das – eine sehr scharfe Kritik veröffentlicht –«

Die mag nett gewesen sein, dachte Asmus, wenn er selbst sie schon »sehr scharf« nennt.

»Aber ich habe mein Unrecht längst eingesehen,« versicherte Herr Dr. Kuntze mit Nachdruck; »ich sehe Ihre dichterische Persönlichkeit jetzt in einem völlig anderen Lichte.«

»So. Und was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuches?«

Nun setzte der Besucher auseinander, er wolle im ganzen deutschen Reiche Lesehallen gründen, jede mit einem einfachen alkoholfreien Restaurant verbunden, und dort solle jedermann aus dem Volke unentgeltlich lesen und Bücher entleihen können, und die Idee sei von ihm; aber er wolle ohne jedes Gehalt seine ganze Kraft in den Dienst der Sache stellen; er sei so gestellt, daß er das könne; aber ihm liege daran, daß nicht ein homo ignotus et obscurus wie er, sondern ein Mann an der Spitze stehe, »dessen Name jetzt in aller Munde sei« usw. usw. Asmus war von so viel Opfersinn für eine gute Sache so gerührt, daß er freudig ja sagte. Nach vierzehn Tagen erfuhr er von einem Kuntze-Kenner, daß Herr Dr. Kuno Kuntze bei der Fabrikation eines alkoholfreien Getränkes heftig beteiligt sei und daß er ein lebhaftes Interesse daran habe, von einer neuen Sorte Gesundheitskaffee so viel wie möglich getrunken zu sehen. Asmus fand, daß dieser tüchtige Idealist gar keinen Protektor nötig habe, und stellte ihn in einem angemessenen Schreiben ganz auf seine eigenen Füße. Aber er sollte ihm noch wieder begegnen.


 << zurück weiter >>